Donnerstag, 11. September 2025

Hoffnungslos zuversichtlich

Hoffnungslos zuversichtlich.

Unser Lokalblatt Bergischer Volksbote - genauer: die lokal sehr engagierte Redakteurin Nadja Lehmann - hatte am 20.12.2024 zu unseren Erwartungen für das Jahr 2025 nachgefragt. Für die Rückmeldungen hat sie dann in den ersten Januartagen 2025 sehr viel Platz eingeräumt, am 2.1.2025 auch für den unten folgenden Beitrag.

Der Text der Anfrage hatte gelautet:

Zum Jahresende blickt man ja gerne zurück und voraus. Das will auch ich im Bergischen Volksboten tun und dabei von ein paar Leuten wissen, wie es ihnen ums Herz ist. Geplant ist dann ein O-Ton-Bericht.

„Krieg, Flucht, Rechte im Aufwind, eine gescheiterte Regierung – derzeit gibt es wenig Anlass, optimistisch zu sein. Blicken Sie dennoch mit Zuversicht auf 2025 und warum?“

Mein Beitrag:

Lassen wir die Kirche im Dorf! Ich gebe zu, nach den schrecklichen Details zu Magdeburg habe ich kurz gezögert. Aber ich bleibe dabei: Besonnenheit und nüchternes Augenmaß bleiben das Gebot der Stunde. Damit aus wirren Emotionen etwas Zuversicht wachsen kann. Und nicht zuerst Angst, verbunden mit haltbarem Hass. Aber die angesprochenen Punkte Krieg und Flucht, neue Rechte und Ampel-Aus, die verdienen schon genaueres Hinsehen:

 

Krieg & Flucht. Wir haben viel damit zu tun.

Zunächst: Betrachten wir einmal nüchtern unsere Selbstbilder und Feindbilder; sie haben es verdient.

Seit Beginn der Neunziger Jahre – oder: nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion – haben westliche Staaten und dabei zumeist auch Deutschland eine sehr expansive Außen- und Sicherheitspolitik entwickelt, u.a. in Auslandseinsätzen mit dem berühmten „scharfen Schuss“. Der größere Teil der Einsätze hat die Ziele nicht erreicht. Beispiele: 1999 wurde die erste europäische Hauptstadt nach dem Zweiten Weltkrieg bombardiert, mit vielen hundert zivilen Toten. Es war Belgrad. Die Afghanistan-Mission wurde – wie 20 Jahre vorher bereits in Somalia – in großer Hast evakuiert. Heute gelten ein großer Teil des Nahen und Mittleren Ostens und des nördlichen Afrika als deutlich instabiler als zuvor. Alles das hat – neben weiteren Ursachen – Migrationsdruck aufgebaut. In dem häufig zitierten Jahr 2015 war der größte Anteil Asylsuchender gerade vom Balkan zugeflossen. 

Meine Hoffnung beruht darauf: Wir können und wir sollten diese jüngere außenpolitische Vergangenheit öffentlich evaluieren – Afghanistan ist ein Anfang. Und wir können Wiederholungen vermeiden. Weiter: Keine Frage, Putins Politik ist unerträglich und der Ukraine-Krieg mit seinen Abertausenden Opfern, der muss enden. Nur wird er nicht beendet, solange wir uns stolz auf der unfehlbaren Seite sehen. Und auch das Fliehen, es würde nicht enden.

 

Rechte im Aufwind? Ja, das ist so.

Eine anwachsende Rechte überrascht nicht. Warum bitte sollte der Trend hier anders sein als etwa in den Niederlanden und Frankreich, auch als in einigen Staaten Osteuropas? Selbst der Nahbereich zeigt schon lange dazu passende Anhaltspunkte: Vor 20 Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass Nordrhein-Westfalen einmal ein Heimatministerium hervorbrächte – und ich selbst habe schon hochmotiviert beim Gewinn von Heimatpreisen mitgewirkt. Weiter: Im Burscheider Stadtrat sind Parteien eines mitte-linken Spektrums heute marginalisiert. Ganz offenbar verspricht eine eher konservative Weltsicht in Zeiten, die viele als sehr unübersichtlich wahrnehmen, die größere Sicherheit. Und natürlich: Wahlen werden nicht über den Kopf gewonnen, sondern über den Bauch. Dass Parteien Besorgnisse nutzen und dann in Wahlkampf-Botschaften umsetzen, das ist nur menschlich.

Was aber tun? Im Grunde haben es die Gegen-Rechts-Demonstrationen vor der Europawahl gezeigt, dabei auch ein ganz neues Potenzial: Die Bürgerinnen und Bürger warten darauf, aktiviert zu werden. Dazu muss man sich nur ein wenig von der traditionellen Vorstellung lösen, die besten Ideen und das tiefste Ortswissen lägen bei der Obrigkeit oder bei Experten und Beratern. Professionalisieren wir die Stadtgesellschaft – die wir ohnehin für viele Aufgaben brauchen –, dann steht weitere Durchsicht und Zuversicht zu erwarten. Es ist dann wie in der Schule: Viel Training mit realen Bezügen bewirkt das meiste.

 

Die Ampel und ihr Aus. Keine Ampeln mehr?

Schlimmer als das Ampel-Aus selbst ist das unwürdige Gezerre davor wie danach. Diese Regierung wurde nicht sachlich widerlegt oder von besser belastbaren Konzepten aus dem Feld geschlagen. Sie wurde schlicht verdaut, in einem stark säurehaltigen Prozess, an dem die gerne so genannte vierte Gewalt – die Medien – leider auch einen gewissen Anteil hatte. 

Hier habe ich tatsächlich die geringsten Hoffnungen auf ein Happy End alten Stils. Die Zeit fester Bindungen in der Wählerschaft und auch innerhalb der Parteien könnte zunächst vorbei sein und damit auch die gut eingeübte Rollenteilung zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien. Minderheitsregierungen mögen auch in Deutschland von der Ausnahme zur Regel geraten. Den Untergang des Abendlandes muss man aber nicht gleich ausrufen: Der Versuch, sich jeweils im Einzelfall zu einer Sachfrage zusammen zu raufen, der wäre kein Verstoß gegen das parlamentarische Prinzip oder gegen das Modell einer repräsentativen Demokratie. Allerdings würden wir Bürgerinnen und Bürger von einem solchen Prozess der aktiven Mehrheitssuche mehr mitbekommen als bisher. Das wäre nicht der schlechteste Aspekt.

 

Fazit: Do it yourself!

„Hoffnung“ oder „Zuversicht“? Für mich ist die Zuversicht etwas weniger wundergläubig. Die Hoffnung legt gerne auch mal die Hände in den Schoß und delegiert die Zukunft auf andere „Hoffnungsträger“. Zuversicht dagegen klingt aktivierend wie „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!“ Meine Meinung: Verbreitern wir entschlossen die Basis derjenigen, die konstruktiv über die Entwicklung unseres Landes und unserer Stadt nachdenken. Ich bin zuversichtlich: Da ist noch viel Luft nach oben. Und beim Frust ist einige Luft nach unten.

 

Ein Nachtrag mit Stand heute = 11.9.2025 

Manchmal wird meine Zuversicht durch meine Skepsis auf die Probe gestellt. 

Am Sonntag, 14.9.2025 ist hier Kommunalwahl angesagt. Mein Bürgermeister hat mir gestern eine kleine Wurfsendung in Wickelfaltung in den Briefkasten gehämmert. Außen tiefschwarz wie unser neues Kulturzentrum, das KulturForum Burscheid Höhestraße an seinen völlig neu gestalteten Breitseiten. Außen drauf diverse Fragezeichen. Und eine Frage, die wohl zum innen mehrfach sehr fröhlich abgebildeten Bewerber hinführen soll: 

"WER HAT DIE ANTWORTEN?

Etwas irritierend ist noch eine Fußnote außen auf diesem Flyer:

"V.i.S.d.P.: Dirk Runge, vertreten durch CDU Stadtverband Burscheid 
& Bündnis für Burscheid e.V., Höhestraße 48, 51399 Burscheid" 

(Hervorhebung von mir).

Vielleicht bin ich etwas zu etepetete. Aber das werbewirksame Zusammenführen von staatlichen bzw. städtischen Funktionen im Inneren der Faltblatts (z.B.: GUTE VERWALTUNG") mit Parteisymbolen und offenbar einer Parteifinanzierung, auch die Anmutung der Fußnote, dass Parteien den (staatlichen) Bürgermeister vertreten könnten, das erscheint mir als sehr übergriffig und auch als Eingriff in die Rechte der übrigen an der Wahl Beteiligten. Schräg kommt mir auch vor: Die Parteien dieses so ungleichen Wahlbündnisses stellen den Bürgermeister-Kandidaten bis zum Abwinken gerne als "unabhängig" heraus. "Das", so sagte mein alter Deutschlehrer gerne, "Das kannst Du jemandem erzählen, der sich die Hose mit der Beißzange zumacht!" Richtig, es gibt bei der 2025er Ortswahl zwei Parteilose. Aber genau einen im Wortsinn Unabhängigen ;-) 

Noch eine Anmerkung, zu dem "&" in der Fußnote: 

Eigentlich, eigentlich könnte das durch das & angedeutete Gemeinschaftsunterehmen nun wieder zu einer einheitlichen Partei fusionieren, nicht wahr? Zur Historie: Das BfB, das sich weltanschaulich ebenso der christdemokratischen Parteienfamilie zurechnet wie die CDU selbst, es war wie bekannt i.J. 2009 seinerzeit über den Wettkampf zweier CDU-Kandidaten für das Burscheider Bürgermeisteramt ausgekalbt - des damaligen Beigeordneten Stefan Caplan und des lange vorgesehenen CDU-Kandidaten Michael Baggeler. Keiner der beiden damaligen Kontrahenten wird noch im künftigen Rat vertreten sein, Stefan Caplan aus einem traurigen Anlass. CDU und BfB unterstützen nun wieder denselben Kandidaten und haben - völlig erwartbar - sehr ähnliche Prioritäten. Also, was hält sie noch ab von einer entschlossenen family reunion? Es wäre doch ein Beitrag zur kommunalpolitischen Ehrlichkeit und Fairness! Gut, ich weiß: Eher würde der Vatikanstaat den Papst abschaffen. Eine einmal etablierte Organisation ist praktisch unsterblich, wie es Cyril Northcote Parkinson so überzeugend nachgewiesen hat. Und das allerwenigste, was sie dazu braucht, ist ihr Anfangs-Zweck.

Und die versprochenen ANTWORTEN? Mitten im Faltblatt findet sich ein an Kinder und Jugendliche gerichtetes Quiz mit interessanten Fragen zur Wahl, etwa: "Wie heißt der Ort, an dem gewählt wird?" Die dann zur Wahl stehenden Antworten: "Wahllokal / Wahlrestaurant / Wahlklub". Ich denke doch, dass der Bürgermeister darauf befriedigend reagieren wird. Aber selbst wenn nicht, könnte er am Samstag auf dem Marktplatz ein im Flyer ausgelobtes Tüten-Eis schlecken. Denn Bedingung für den Eis-Genuss ist - neben einem jugendlichen Auftritt - nur das irgendwie ausgefüllte Quiz. Nicht etwa richtige Antworten. Sicher können so möglichst viele angstfrei erscheinen.

Ich werde am Samstag auch auf den Markt pilgern. Vielleicht aber nicht mit dem Kinder-Quiz und nicht für ein Tüten-Eis. Meine 74 Jahre sind auch durch 10 cm Anti-Aging-Creme wohl nicht zu überspielen. Eher komme ich mit für die Stadt wichtigen Fragen. Die so nicht im Quiz stehen, auch sonst nirgendwo im Folder. 

Etwa: Wann wird das lange angekündigte Montanus-Quartier fertig und wann wird die Altstadt wieder frisch auftreten? Geschätzte Daten würden reichen. Zur Erinnerung: Die im IEHK werbewirksam an den Anfang gesetzte Altstadt-Sanierung hatte man nach Anlauf des Programms zugunsten der sogenannten "Neuen Mittezuerst einnmal zurückgestellt. Und dann hatte man unseren historischen Siedlungskern - mangels übriger Fördermittel - endgültig aus dem IEHK herausgekippt. Wohlgemerkt: Alles das ohne jede Rücksprache mit den Bürger*innen, wie sie doch im IEHK auf S. 182 im letzten Absatz so warm versprochen steht:

"Die Sachstände einschließlich der Kosten müssen während des Realisierungsprozesses sukzessive aktualisiert und mit den politischen Gremien und mit der Bürgerschaft diskutiert werden. Es bleibt ein demokratischer Prozess."

Dem ist nichts hinzuzufügen. Und wird man mit einer aufgewärmten, in Düsseldorf ja schon einmal vorgelegten Begründung erneut eine auskömmliche Förderung abgreifen können? Bei großer Konkurrenz, die noch gar nichts bezogen hatte? Und bei inzwischen viel engeren staatlichen Finanzen? Und bei heute ganz anderen Sorgen, wie etwa der subventionsbedürftigen Energieversorgung der Industrie? Eher zweifelhaft, jedenfalls derzeit nicht seriös zu beantworten.

Ein klein wenig Hoffnung besteht immerhin, was die Bürgernähe anbetrifft: 

Zur Planung für die Altstadt sollen wir Bürger*innen nun viel intensiver einbezogen werden. Auch wenn sich das Verfahren nach einem extrem abrupten Start - Ankündigen der ISEK-Bürgerveranstaltung mit einem Vorlauf < 2 Wochen! - nun schon weiter und weiter verzögert, nun deutlich über den Wahltermin hinaus. Aber es mag doch kommen. Vielleicht kann man dafür für die Zukunft die sehr bodenständigen und für alle Bürger*innen sehr früh transparenten Schweizer Baugespanne oder Bauprofile kopieren, die schon weit vor der Realisierung den konkreten Raumeindruck einer Planung an Ort und Stelle für jung und alt gut sichtbar präsentieren. Für den geplanten Riegel an der Friedrich-Goetze-Straße (IEHK S. 136, unten in Blau) denke schon mal ein wenig voraus:

 

Und wenn der Riegel dann wirklich in so raumgreifenden Konturen realisiert würde. Und wenn man an stark heruntergekommene Shopping-Center in Leverkusen oder anderswo denkt: Dann könnte sehr viel alter Zement irgendwann auch so aussehen (illustriert mit Versatzstücken des Atlantikwalls und regionalen Graffiti): 

Unser Linden-Center mag - bald von einer schlagkräftigen "Neuen Mitte" in der Montanusstraße kannibalisiert - irgendwann sehr ähnlich anmuten. Ähnlich dann übrigens auch wie das "Stapel-Center" in Altena, unserer IEHK-Muster-Stadt, einer etwas früher von unserem Düsseldorfer Projektentwickler befruchteten Location. Das Stapel-Center steht schon seit vielen Jahren zum größten Teil leer. U.a. deswegen: Potenzielle Nach-Nutzer scheuen die dortige Tiefgarage als geschäftsschädigend. So wie der Teufel das Weihwasser. Merke: Eine Tiefgarage, wie sie ähnlich nun auch in den Plänen für unsere ganz "Neue Mitte" steckt. 

Klug könnte sein, aus den Fehlern anderer gratis zu lernen. 

 

 


 


 

Mittwoch, 20. August 2025

Ratlose Kannibalen am Mittelrhein

 

Ratlose Kannibalen am Mittelrhein

Der Kölner Stadt-Anzeiger berichtet am 19.8.2025 über Ergebnisse einer aktuellen Untersuchung der Gemeineprüfungsanstalt zur Leverkusener Finanzkrise (Thomas Käding: „Wo Leverkusen nicht gut verwaltet wird“, Lokalausgabe Leverkusen v. 19.8.2025, S. 21). Der Artikel geht auch auf die Gewerbesteuer-Problematik ein und auf den in Leverkusen im Rahmen der Finanzkrise massiv abgesenkten Hebesatz: Der durchschnittliche Wert für kreisfreie Städte liegt bei 484 Punkten, Leverkusen ist nnun bei knapp der Hälfte angekommen, bei derzeit 250 Zählern. 

Das systemintelligente Ziel: Nach durch den Strukturwandel bedingten massiven Ausfällen bei den traditionell großen Betrieben und Gewerbesteuer-Zahlern will man nun als Ersatz möglichst viele kleine und mittlere Betriebe nach Leverkusen locken, und sei es auch núr in Leverkusener Briefkästen; für die kleinen Kästen braucht es ja auch recht wenig Infrastruktur. Ist das nun empfehlenswert, würde es - um den kategorischen Imperativ zu bemühen - als generelle Strategie eines Gemeinwesens oder als Norm taugen? Der Bericht lässt das elegant offen und zieht sich so aus der Affäre: 

"Eine Erhöhung des Hebesatzes könnte zusätzliche Einnahmen bringen, würde jedoch auch Unternehmen belasten, was sich nnegativ auf die lokale Wirtschaft auswirken könnte. Ein niedriger Hebesatz ist zwar unternehmerfreundlicher, könnte jedoch die finanzielle Stabilität der Stadt gefährden, die durch die Haushaltssperre und die Konsolidierungsmaßnahmen ohnehin unter Druck steht." (Zitat nach o.g. Artikel im KStA). 

Also: Es kann so sein oder auch so? Was bitte soll man aus dieser Indifferenz machen? Ich denke, die Gemeindeprüfungsanstalt hat die Problemstellung bei Weitem nicht ausgeleuchtet, speziell nicht den Handlungs- und Folgedruck, den ein massiv abgesenkter Hebesatz auf Nachbargemeinden ausübt - die sind vom Strukturwandel prinzipiell nicht weniger betroffen und müssen ebenso "ihr Buch rund kriegen".. 

Seit Jahrzehnten schwärt in unserer Region das Problem finanziell schwachbrüstiger, wenn nicht schwindsüchtiger Kommunen, die die Atemöffnung knapp über Wasser halten, typischerweise mit teuer eingeworbenen Fördermitteln des Bundes und/oder des Landes, mit dynamisch zunehmendem, natürlich nicht sozialversicherungspflichtigem Ehrenamt und mit lähmender Baisse bei den freiwilligen, d.h. bei den gestaltenden Aufgaben, insbesondere: Kultur. Bei Wahlen spielt dieses eigentlich erstrangige Thema dann aber verrückterweise keinerlei Rolle, nicht bei den gerade zurückliegenden Bundeswahlen, dito nicht bei den gerade laufenden Kommunalwahlen. Bei denen dann in Burscheid auch für mehr Ehrenamt geworben wird (sic!). Notwendig wäre eine grundlegend neue Steuer-Struktur, die die Kommunen an besser planbaren Steuerquellen beteiligt; keine nachhaltige Lösung wäre - das wird hier und da zaghaft ins Gespräch gebracht - eine Entschuldung der am ärgsten belasteten Kommunen. Und vermutlich müssten wir auch über Prioritäten bei den Bedarfen und Ausgaben des Gesamtstaates sprechen - Panzer vs. Energie vs.  Umwelt vs. Sozialausgaben vs. Schulen etc. Darum mein nachfolgender Leserbrief an den Stadt-Anzeiger:

Zur Gewerbesteuer offenbart die Gemeindeprüfungsanstalt erstaunliche Einsichten: Ein Erhöhen vom heutigen Leverkusener Mini-Niveau könne das Aufkommen erhöhen – oder aber die Wirtschaft zu sehr belasten. Na toll! Kein Wort dazu, dass das von Monheim vorgemachte und von Leverkusen unlängst nachgeahmte Steuer-Dumping die Nachbarschaft rücksichtslos kannibalisiert, dass es tendenziell zu immer niedrigeren Erträgen auf breiter Front führt. Und zu immer mehr Abhängigkeiten von Förderungen, zu sachfremden Einflussnahmen und zu cleveren Deals aller Art. Das ist die von dem Psychotherapeuten Paul Watzlawick genial beschriebene „Anleitung zum Unglücklichsein“ in der besonderen Ausprägung des „Mehr desselben“.

Seien wir ehrlich: Eine Abkehr der Gemeindefinanzierung von der Gewerbesteuer, die gerade in Zeiten des Strukturwandels hoch volatil und zu leicht zu manipulieren ist, sie ist seit Jahrzehnten überfällig. Aber weder Bundes- noch Landespolitiker wollen auf ihren komfortabel abgesicherten Teil der Staatsknete verzichten. Machen Sie mal die Probe auf’s Exempel: Fragen Sie in den kommenden vier Wochen Ihre Kommunalwahl-Kandidaten nach deren speziellen Initiativen zur nachhaltigen Gemeindefinanzierung. Fügen Sie vielleicht noch hinzu: Genau hier berühren die Bürgerinnen und Bürger den Boden. Und genau hier entscheidet sich, ob die bürgerliche Mitte sicher, zufrieden und stabil bleibt.

P.S.

Paul Watzlawick analysiert in seiner "Anleitung zum Unglücklichsein" eine Beharrlichkeit, die in immer weitere Verstrickung führt, treffend unter "Mehr desselben". Das Syndrom, das er ebenso einfühl- wie unterhaltsam beschreibt, ist das einer doppelten Blindheit:

"Erstens dafür, dass die betreffende Anpassung eben nicht mehr die bestmögliche ist, und zweitens dafür, dass es neben ihr schon immer eine Reihe anderer Lösungen gegeben hat, zumindest nun gibt. Diese doppelte Blindheit hat zwei Folgen: Erstens macht sie die Patentlösung immer erfolgloser und die Lage immer schwieriger, und zweitens führt der damit steigende Leidensdruck zur scheinbar einzig logischen Schlussfolgerung, noch nicht genug zur Lösung getan zu haben. Man wendet also mehr derselben "Lösung" an und erreicht damit genau mehr desselben Elends." (Paul Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein [1983], Piper: 4. Aufl. 2023, S. 27ff; unten folgend: das Frontispiz dieser Ausgabe).


 

Samstag, 12. Juli 2025

Spahn-Sinn, Wahn-Sinn

Spahn-Sinn, Wahn-Sinn

Anknüpfend an den letzten Blog-Post: Was hat eine „Geh-auf-Nummer-Sicher“-Wahlpräferenz vor Ort mit der allgemeinen Gemütsverfassung im Lande zu tun – und wodurch ist dieses kollektive Gemüt gekennzeichnet? Vorsicht, Lektüre von > 10 Minuten, mit dem Risiko des Meinungsaustauschs! Nun:

Sicherheit

Ohne die alles nichts sei – das könnte unser Wort des Jahres 2025 werden. Sicherheit, die man mit einer halben Billion Schulden für Aufrüstung erst noch herstellen will, mit ungewissen Folgen für alle anderen zentralen Staatsziele. Sicherheit in wesentlichen Teilen durch Granaten, Panzerhaubitzen, Marschflugkörper. Wie ehedem. Vielleicht auch durch atomare Rüstung, die bereits Adenauer so sexy fand. 1957, noch keine 12 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki. 2025: Warum nicht auch wir, wenn – zumindest angeblich – jetzt sogar die Perser danach streben? 

Exkurs: Wobei es ja Japan nur deshalb unmenschlich getroffen hatte, weil die allerersten offiziellen Adressen des Manhattan-Project, die Industrieregionen Ludwigshafen und Mannheim als angepeilte Einsatzziele zu schnell aufgegeben hatten, sozusagen. Aber vielleicht ist alles ja sowieso gar nicht so schlimm: General Lesley Groves, der militärische Leiter des Manhattan-Projekts, hatte ja bei einer Kongress-Anhörung nach dem Krieg zu den Folgen der Verstrahlung nach Abwurf zweier Atom-Bomben treuherzig versichert: "In fact, they say, it's a rather pleasant way to die." Exkurs Ende

Der Kölner Stadt-Anzeiger hat am 30.6. mit Jens Spahns Impuls für eine atomare Mitwirkung und vielleicht eigene nukleare Aufrüstung aufgemacht. „Wir müssen“, so wird dort Spahn zitiert, „über eine deutsche oder europäische Teilhabe am Atomwaffen-Arsenal Großbritanniens und Frankreichs reden, möglicherweise auch über eine eigene Teilhabe mit anderen europäischen Staaten.“ Im weiteren Verlauf der KStA-Ausgabe vom 30.6. haben die Leser*innen dann noch Teil an einem für mich extrem zynischen Interview des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler; seine Kernthese ist: Diplomatie habe als Mechanismus zur Deeskalation ausgedient – sichtbare Wirkung würden ausschließlich Drohung und Machtpolitik zeigen. Bereits die Überschrift drückt die finale Bedeutungslosigkeit zwischenstaatlicher Konfliktlösung  aus: „Es gibt keinen Hüter der Regeln“. Herfried Münkler ist zudem der Überzeugung: Sofern der Weltfriede früher gewahrt worden wäre, wäre dies nicht das Verdienst der VN, sondern der USA als des zeitweisen Hegemons. Oder kurz gesagt: Might makes it right. In der Schule hatten wir es noch anders gelernt. 

Unsicherheit

Lassen wir einmal dahinstehen, ob Spahn in der Rolle eines Dr. Seltsam gerade von eher persönlichen Problemen ablenken wollte. Oder ob der bereits emeritierte Professor Münkler mit seinen bekannt steilenThesen spielerisch neue Resonanz erzeugen wollte. Beide Äußerungen fallen in eine Phase ohnehin großer Unsicherheit, wo jahrzehntelang gewohnte Leitbilder, Vorbilder und Loyalitäten bröckeln wie trockene Sandburgen auf Juist in Sonne und Wind. Wo wir die völlig realen Risiken einer sich galoppierend verändernden Umwelt, die jeder tagtäglich etwa bei einem Waldspaziergang unmittelbar anfühlen kann, schnellstens verdrängen sollen. Weil doch dafür angeblich weder Zeit noch Geld da ist. Oder auf absehbare Zeit verfügbar sein wird. Sodann erklärt nassforsch ein deutscher Nachrichtendienst: Russland werde in weniger als 10 Jahren in der Lage sein, den europäischen Westen militärisch herauszufordern. Und gleich zu überrollen. Wohlgemerkt: Nicht erklärt ist, dass Russland genau das tun werde und zu welchem rationalen Vorteil Russland auf diese Idee verfallen könnte. Und wohlgemerkt dozieren hier Dienste, die seinerzeit den bevorstehenden Kollaps der DDR oder einen miesen Zustand seiner Infrastruktur gerade nicht vorhergesehen hatten, ebenso wenig später die bevorstehende Implosion der vom Westen über Jahrzehnte wohlgenährten afghanischen Ghani-Administration. Alles das kam ja auch massiv überraschend! 

Aber unser Feindbild im Osten war schon in den Zwanzigern des 20. Jahrhunderts gut bekannt und es ist nun extrem leicht wieder mit Angst aufzuladen. Darf man nicht verpassen. Wie mit dem Mottowagen des Kölner Karnevals vom Februar 2023, der Putin als blutrünstigen Nosferatu darstellte, siehe etwa https://www.ksta.de/koeln/karneval-in-koeln/fleischwolf-nosferatu-blutbad-karneval-sendet-eindeutige-botschaft-gegen-wladimir-putin-467543 . Besonders clever sind dabei die recycelten Symbole auf der Brust: Hammer & Sichel. Damit die Leute das auch wirklich schnell verstehen: Alles wie früher; gehe zurück auf Los! 


Ostpolitik

Vielleicht aber können mehr Einfühlungsvermögen und eine dialogbasierte Politik, wie sie Bahr und Brandt mit ihrer Ostpolitik entwickelt hatten, auch heute weiterführen. Konkrete Vorschläge hat dazu Winfried Böttcher („Russland – die Ukraine – der Westen“, 2022) formuliert, den dankenswerterweise auch der Stadt-Anzeiger in Gastkommentaren zu Wort kommen lässt. In die gleiche Richtung zielt das im Juni 2025 veröffentlichte, m.E. heutzutage ebenso überraschende wie dankenswerte "Manifest" der Friedensgruppen der SPD, dazu noch unten.

Vorbereiten mag darauf eine eher einfache Überlegung: Die USA dominieren und kontrollieren nach ihrer nach wie vor hochgehaltenen Monroe-Doktrin ihren Kontinent, Norden und Süden, militärisch und wirtschaftlich. Wären sie dort mit einer Entwicklung wie in Osteuropa nach 1990 konfrontiert, z.B. durch chinesischen Einfluss, dann wäre das militärische Schützen ihrer wohlverstandenen Interessen ohne Zweifel für uns äußerst naheliegend und nachvollziehbar Aber ebenso wie den Amerikanern in den 50er Jahren sollten wir auch den Russen eine Dominotheorie zutrauen und zubilligen sowie das präventive Sichern ihres Glacis oder ihres cordon sanitaire. Präventive Sicherheit war übrigens ein zentrales Motiv der westlichen Sicherheitsdoktrin nach 1990, umgesetzt durch Einsätze "out of area" aka Auslandseinsätze, in einem zeitlich wie räumlich erweiterten Einsatzgebiet. Weiterführend ist hier auch der Spiegel-Bestseller des sehr erfahrenen Auslandskorrespondenten und anerkannten Experten der foreign relations Tim Marshall a.d.J. 2015 „Die Macht der Geographie“. Gleich im ersten Kapitel legt er die besondere Verwundbarkeit - und Reizbarkeit - Russlands durch die niedrigschwellige Topographie der nordeuropäischen Tiefebene dar. Ich zitiere aus demVorwort: „Wladimir Putin bezeichnet sich als religiösen Menschen, als engagiertes Mitglied der Russisch-Orthodoxen Kirche. Es könnte also gut sein, dass er, wenn er abends zu Bett geht, seine Gebete spricht und Gott fragt: ‚Warum hast Du nicht ein paar Berge in die Ukraine gestellt?‘ “ 

Wir sollten zumindest erwägen: Russland - nicht etwa nur Putin - kennt die Geschichte der ganz realen großen Invasionen aus dem Westen, von Napoleon bis Hitler, kennt den jeweiligen massiven russischen Blutzoll höchst genau, bei noch lebenden Zeitzeugen. Und Russland kann das kontinuierliche Erweitern der ökonomischen und militärischen Sphäre des Westenns nach 1989 nicht als geopolitisch vertrauenerweckend deuten.

Das sollten wir zumindest mit einkalkulieren: Auch wir bzw. unsere Militärorganisation haben durch nassforsches Verhalten, nicht zuletzt durch - nach Kündigung der Überlassung an Russland - einen auf der Krim anstehenden NATO-Kriegshafen sehr wesentliche Ursachen für die Eskalation der letzten Jahre gesetzt. Hans-Dietrich Genscher hatte 1989 genau vor einer solchen invasiven Politik ausdrücklich gewarnt. Auch dass wir durch massive Waffenlieferungen den Tod und die Verletzung von Menschen vor Ort hunderttausendfach kausal verursacht haben – ohne uns selbst zu exponieren, auch das ist für vermutlich zwei Drittel der Menschheit keine Ruhmestat. Sehr nüchtern betrachtet: Die NATO ist kein Chor zarter Friedenswahrer, sondern eine beinharte und hocheffiziente Drehscheibe für Deals und Waffen aller Art. Für Geschäfte, die nicht einnmal einen privaten Markt und Wettbewerb brauchen, sondern die sehr verlässliche Staaten als Zahler oder Garanten im Visier haben. Oder: Die NATO ist ein heute wieder stolz geschwellter Interessenvertreter genau jenes military-industrial complex, den der scheidende US-amerikanische Präsident Eisenhower warnend in seiner Abschiedsrede v. 17.1.1961 als vitale Gefahr für die Demokratie charakterisiert hatte – mit der profunden Erfahrung eines Weltkriegsgenerals und amerikanischen Präsidenten, siehe etwa https://www.archives.gov/milestone-documents/president-dwight-d-eisenhowers-farewell-address .

Verunsicherung

Tatsächlich prägt heute eine tiefe Verunsicherung die „westlichen“ Staaten, Angst vor den schnell wachsenden Rissen in einem altgewohnten militärischen, ökonomischen, ökologischen und sozialen Sicherheitssystem. Man könnte auch sagen: Eine diffuse Angst vor der Umwertung aller Werte, wie sie einmal Nietzsche formuliert hatte und wie sie – in Teilen – auch die DDR-Bürger*innen bei der Wiedervereinigung erlebt hatten.

In den unten beigefügten Leserbriefen habe ich versucht, nüchtern auf Angstmache und Ängste zu reagieren. Wenn Sie möchten, dann finden Sie das weiter aufgespannt auf meiner Homepage, nämlich alle meine Leserbriefe der letzten Jahre, aber auch gesondert diejenigen, die über die Jahre zur Außen- und Sicherheitspolitik abgedruckt bzw. veröffentlicht worden sind = https://www.vo2s.de/mi_leser.htm . Immerhin ist damit auch ein wenig nationale und internationale Standortwerbung für Burscheid verbunden.

Sie werden sehen, ebenso wie das im Juni 2025 veröffentlichte SPD-Manifest für Friedenspolitik statt Aufrüstung trete ich eher für das Sprechen als für das Schlagen ein, und ich sehe genau dafür auch sehr viele bisher ungenutzte Chancen. Aber hier zunächst meine letzten drei Briefe zum Thema:

(2025/56) 30.6.2025
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 8.7.2025
Spahn zur atomaren Bewaffnung Deutschlands: Bericht „Scharfe Kritik an Spahns Vorstoß zu Atomwaffen“ u. Harald Stuttes Interview mit Herfried Münkler „Es gibt keinen Hüter der Regeln“ (Ausgabe v. 30.6.2025 auf S. 1 u. 9)

Jens Spahn und Herfried Münkter liegen voll im globalen Trend: Das Sprechen habe sich als zwecklos erwiesen – sich schlagen oder jedenfalls schlagen können, das sei das Gebot nicht nur der Stunde, sondern der absehbaren Zukunft. Regeln – wer bitte braucht das denn noch? Und Werte sind am besten an ihrem Barwert zu messen. Das erinnert mich an Barry McGuires schauerlichen 1965er Hit mit diesen markanten Zeilen „But you tell me over and over and over again, my friend, how you don’t believe we’re on the eve of destruction“.

Eine solche Vision mag für den sprichwörtlichen "player with the biggest stick“ Sinn machen. Aber genau den wird es, wie es Münkler sicherlich richtig einschätzt, auf absehbare Zeit nicht mehr, vielleicht auch nie mehr geben. Alles das ereignet sich in einer zunehmend engen, knappen und mit Energie-Technik und explosiven Knowhow im Expresstempo aufgeladenen Welt. In wenigen Jahren mag es dann schulterzuckend heißen: Dumm gelaufen!

Quelle etwa:

Dipesh Chakrabarty befasst sich in seiner hervorragend belegten Betrachtung „The Climate of History in a Planetary Age“ mit der ggf. sehr engen zeitlichen Begrenzung unseres gegenwärtigen „Anthropozäns“. Auf S. 172 zitiert er sehr zustimmend:

A critical unknown,“ to recall the words of Langmuir and Broecker we have already encountered in chapter 3 (Langmuir & Broecker, How to Build a Habitable Planet: The Story of Earth from the Big Bang to Humankind, Princeton 2012) „is the fraction of planetary lifetime that a technological civilization exists. Does such a civilization self-destruct in a few hundred years or last millions of years? For such a civilization to last, the species … must sustain planetary hability rather than ravage planetary resources.

Für die erstgenannte Alternative ("just a few hundred years of anthropocene") spricht das bekannte SETI-Paradox: Wonach die völlige Ergebnislosigkeit der jahrzehntelangen, höchst aufwändigen Suche nach extraterrestrischer Intelligenz – trotz der astronomisch heute sehr gut belegten Annahme einer großen Anzahl habitabler Welten - am schlüssigsten mit der vergleichsweise rapide zu erwartenden Selbstauslöschung aller technischen Zivilisationen zu begründen ist. Und diese Wahrscheinlichkeit nimmt derzeit wohl exponentiell zu.

Es sei denn: Wir finden zu einem Verhandlungsansatz zurück, wie ihn etwa Egon Bahr und Willy Brandt in ihrer seinerzeit revolutionären Ostpolitik erfolgreich angewandt haben und der heute das u.a. von Ralf Stegner, Norbert Walter-Borjans und Rolf Mützenich gezeichneten SPD-Friedens-Manifest von Juni 2025 kennzeichnet (Wortlaut z.B. unter https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/spd-manifest-russland-100.html) – bedauerlicherweise ist dies aber selbst in der traditionell Diplomatie-freundlichen SPD nun hoch umstritten.

 (2025/55) 29.6.2025
DIE ZEIT, veröffentlicht im Internet-Angebot der ZEIT am 3.7.2025
https://www.zeit.de/leserbriefe/2025/27
NATO-Gipfel; Leitartikel „What the f****!“ von Anna Sauerbrey (Ausgabe No. 27 v. 26.6.2025, S. 1)

What the f****? Offenbar besitzt Europa weder das Souveräne eines Netanjahu noch die Chuzpe eines Putin, um Donald Trump zu berechnen und zu manipulieren. Es sei denn: Wir werten es als ausgebuffte Strategie unserer höchsten Repräsentanten, den Speichel fässerweise zu lecken, Schutzgeld in Schiffsladungen zu geloben und sich gleichzeitig zu gerieren, als ersetze die Nato künftig VN und Sicherheitsrat, im Zweifel ohne jede hinderliche demokratische, rechtsstaatliche oder völkerrechtliche Bindung. Alles das aber, um den alten Narziss nun auf neue, grundstürzende und gerade für uns nützliche Wege zu locken?  

Vielleicht leide ich auch nur unter einer finalen kognitiven Dissonanz. Mein kleiner Trost: Zumindest 6 Milliarden Humanoide außerhalb des christlichen Abendlandes dürften es sehr ähnlich sehen, als demoralisierenden Rücksturz in ein finsteres Erdmittelalter, Jahrmillionen vor jeder Aufklärung. Als Zeitenrückwende. Aber immerhin mit strammer Führung.

(2025/54) 26.6.2025
Kölner Stadt-Anzeiger, abgedruckt 3.7.2025
NATO-Gipfel; Heiko Sakurais Cartoon „Der Nato-Gipfel huldigt Donald Trump“ und Kristina Dunz‘ Leitartikel „Zeit für eine neue Nato“  (Ausgabe v. 26.6.2025, S. 4)

Heiko Sakurai persifliert es zu Recht: Der Kotau kann nicht das Ritual einer Wertegemeinschaft sein. Und Kristina Dunz formuliert es zu Recht: Die Nato braucht speziell in ihrer europäischen Mehrheit entscheidend mehr Resilienz und Eigenverantwortung. Was dann Schritt für Schritt eigene Ressourcen in der Waffentechnik erfordert, aber zumindest ebenso einen selbstbestimmten Weg beim Austarieren von Abschreckung und Diplomatie, orientiert am Völkerrecht.

Es bleibt die Gretchenfrage

Unter dem Strich: Wir sollten uns fragen, welcher Plan die längere Lebensdauer unserer Zivilisation sichert: (1) Ohne sichtbares Ende aufrüsten? Bis Russland und alle etwaigen weiteren Systemgegner ermattet oder entmutigt aufgeben?  Oder (2) einen Dialog beginnen, mit dem Ziel beiderseitiger Vorteile? Ich weiß, hier kommt stereotyp der Vorwurf: Putin wolle doch gar nicht verhandeln; wir hätten es doch oft genug im Guten versucht. Haben wir? Auch nur ein einziges Mal?