Freitag, 3. Oktober 2025

Dritter Oktober in Peenemünde – und sehr viel Feuerwasser

 

Dritter Oktober in Peenemünde – und sehr viel Feuerwasser

Gerade heute an einem dritten Oktober macht es verblüffend viel Sinn, über Raketen zu sprechen – ich werde das aber in den kommenden Tagen noch etwas komplettieren müssen. Es gibt halt viel zu erzählen.

Das Aggregat – oder "Gerät", wie es Walter Dornberger, militärischer Leiter der Heeresversuchsanstalt Peenemünde in seiner internen Rede vom 9. Juni 1942 zum ersten Versuchsschießen der A4 am 12.6.1942 nannte – das begegnet mir seit vielen Jahren regelmäßig. Ich war etwa 11 Jahre alt, als uns US-amerikanische Verwandte besuchten. Wahrscheinlich waren sie wie auch ich Technikfreaks und Fans von Personen wie Wernher von Braun. Zwei Gastgeschenke gab es für den hoffnungsvollen Nachwuchs: Ein Paar rotbraune Boxhandschuhe, die ich aber nie benutzt habe. Die immerhin noch auf dem Schrank im Kinderzimmer meines Sohnes liegen (der sie ebenfalls nie gebraucht hat). Und eine Spielzeugrakete mit zwei verschiedenen Starteinrichtungen, die verflixt der A4 ähnelte. Bzw. der V2. Denn „Vergeltungswaffe No. 2“ ist ihr nom de guerre, eine bewusst irreführende Schöpfung des Propagandaministers Goebbels, und darunter ist sie noch heute besser bekannt. Meine A4 / V2 funktionierte physikalisch grob ähnlich wie das Original: In der einen Startversion füllte man den Hohlkörper zur Hälfte mit Wasser, pumpte mit einer Luftpumpe Überdruck hinein und löste dann über eine kurze Schnur die Verriegelung an der Pumpe, die gleichzeitig die Starteinrichtung war. Die zweite Version kam dem Vorbild noch etwas näher: Zu der Wasserfüllung im „Aggregat“ kamen Tabletten, die dort eilfertig sehr viel Kohlensäure ausschäumen ließen. Die Starteinrichtung war in den Boden zu stecken – in meinem Fall damals die Wesermarsch unweit des Wasserstraßenkreuzes in Minden/Westf. – und man tat gut daran, zum Auslösen einen längeren Strick zu nutzen. Sonst bekam man die ganze Soße ab, mit heftigen Flecken gratis. Aber beides führte nach ein paar Versuchen zu Steighöhen von 30 bis 40 Metern. Nicht schlecht.

Viele Jahre später habe ich einen Leserbrief geschrieben, den allerersten übrigens in einer langen Reihe von Briefen mit einer kritischen Position zur raumgreifenden Entwicklung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik nach 1992 (die davon tatsächlich veröffentlichten Briefe finden Sie bei Interesse siehe hier: https://www.vo2s.de/mi_leser.htm ).

29.9.1992
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt 2.10.1992
Militär; Absage der "V 2 - Gedenkfeier" in Peenemünde (Kölner Stadt-Anzeiger. v. 29.9.1992)

„Hätten wir am Deutschlandtag die Schöpfer der V 2 hochleben lassen, hätten wir auch die der Scud mitgefeiert. Die Scud ist wie die Mehrzahl der heute weltweit ausgerichteten Trägersysteme legitimer Nachfahre der V 2. Scud und V 2 sind brutale Massenvernichtungswaffen, die unter einem verantwortungslosen Regime bewußt zum Schaden der Zivilbevölkerung eines anderen Landes entwickelt und eingesetzt worden sind.

Demgegenüber ist der vorgebliche Kontext ziviler (!) Raumfahrtforschung, der etwa den jungen Wernher von Braun begeistert und geblendet haben mag, als Begründung eines V 2 - Festes geradezu absurd. Die Forschung hat sich gegen diese Wirtschaftsidee im doppelten Sinne auch ausdrücklich verwahrt.

Der Vorschlag war, wenn auch der count-down schweren Herzens in letzter Sekunde abgebrochen wurde, bereits eine verheerende Wunderwaffe gegen das Ansehen des neuen Deutschland im Ausland und unserer Repräsentanten im Inland.“

Tatsächlich hatte es diesen sehr ernstgemeinten Vorschlag gegeben. Am „Tag der Einheit“ des Jahres 1992, der im Datum (zufällig) mit dem ersten erfolgreichen Start einer A4 am 3.10.1942 mit einer Gipfelhöhe von 85 km zusammenfiel, einen besonderen Festakt zur Entwicklung eben dieser Trägertechnologie auszurichten. Kurzer Sprung in die Jetztzeit: Das wäre etwa so, als würde man den vielbesprochenen Taurus- Marschflugkörper als legitimen Nachfahren der Flügelbombe V1 hochleben lassen (der er tatsächlich ist). Wir werden im Folgenden sehen, wie eng beide Enntwicklungen – V1 und V2 – zusammenhängen. Zunächst aber nochmal zurück zum Spielzeug: Leider ist es im Laufe der Jahre irgendwann von einem verständnislosen (oder: sehr verständnisvollen) Familienmitglied entsorgt worden. Aber ich habe es vor Kurzem im Bonner Haus der Geschichte wieder gefunden, als Teil einer Ausstellung von Devotionalien des Raumfahrtzeitalers der 50er und 60er Jahre in deutsche Jungenszimmern, unter den strengen Augen von Perry Rhodan:



 

A4/V2 to be continued: 

Ein Schul-Besuch im Deutschen Museum München in den 60ern (mit der A4 im Treppenaufgang), frühe Selbst-Tests mit Unkraut-Ex und Zucker, das Air- & Space Museum Washington (wo V1, V2 und die erste Stufe der Saturn V quasi als Vater, Mutter und Kind firmieren), das Museum Peenemünde in diesem Jahr (wo man lernen kann, dass die V2 eigentlich mit Branntwein und Steinkohle flog und dass ein paar Prozesse vor Ort auf eine verrückte Weise nachhaltig waren) und die folgende, aber noch nicht ganz beendete Suche nach meinen Familienwurzeln in Turze/Horst im heutigen Polen.

Montag, 15. September 2025

Aschermontag

Aschermontag

Nun das Ergebnis der Kommunalwahl in Burscheid. Es ist vielleicht nicht ganz so grundstürzend ausgefallen wie auf dem folgenden Cartoon. Ich hatte ihn vor vielen Jahren zum Wellenfreibad gezeichet. Dieses Bad hatte Burscheid nach der sehr verführerischen Landes-Ausschreibung neuer Fördermittel flugs geplant; es ist dann aber - unter Abschreiben sehr erheblicher Planungskosten - zu unserem Glück rechtzeitig von der Tagesordnung verschwunden. Zum Verständnis noch: Damals hatte es noch die kommunale Doppelspitze aus Bürgermeister und Stadtdirektor gegeben - während des aktuellen Wahlkampfs hatten sich übrigens sehr viele Bürger*innen genau diese Teilung von professioneller Verwaltung und politischer Repräsentanz zurückgewünscht, m.E. ganz zu Recht.


Aber das 2025er Wahlergebnis ist eben doch heftig: Die AfD zieht aus dem Stand gesprungen mit stolzen 5 Sitzen in den nun - wegen sehr vieler Direktmandate der CDU und daraus folgender Ausgleichsmandate - auf 44 Sitze weiter angeschwollenen (und nochmals teureren) Stadtrat ein. Für ihre 10,54% hatte sie nicht einmal ernsthaft werben müssen; der Bundestrend hatten ihnen genug Luft unter die Flügel geblasen. Es war auch kein lokales oder auch nur ein aktuelles regionales Programm bekannt. Oder: Ich hatte es trotz intensiver Suche nirgendwo gefunden. Nur etwa das ambitionierte Programm der D'dorfer AfD, das gleich die ersten und dann meistgelesenen sechs Abschnitte den Problemen von Migration widmet. Die einführenden und einheizenden Kapitel sind dort überschrieben mit "Zuwanderung-Asyl-Assimilation / Asyl / Abschiebungen abgelehnter und krimineller Asylbewerber / Reduzierung der Anreize für 'Wirtschaftsmigranten' / Islamisierung stoppen / Kriminalität und Sicherheit" (https://afd-duesseldorf.de/files/docs/party-platforms/Broschuere_Kommunalwahlprogramm.pdf). Und dazu gibt es eben auch die im Bundesprogramm enthaltenen detaillierten Passagen auf S. 100ff zu Migration und Remigration (https://www.afd.de/wp-content/uploads/2025/02/AfD_Bundestagswahlprogramm2025_web.pdf). Es wäre sehr verwunderlich, wenn dies künftig nicht auch in Burscheid Gegenstand von gezielten politischen Anträgen und Stellungnahmen würde.

Auch das Gesamtbild zeigt einen nochmals weiteren Ruck nach rechts: Geht man nach den altgewohnten Segmenten und Richtungen, dann zeigt sich das Mitte-Links-Spektrum im Rat noch weiter marginalisiert. SPD und Grüne (die LINKE hatte es schon vor 5 Jahren nicht in den Rat geschafft) stellen nun nur noch weniger als ein Drittel der Deputierten (SPD: 15,3% und 7 Sitze, Grüne: 14,8% und 6 Sitze). Und die konservativen bis ultra-konservativen Vertreter kommen auf insgesamt 31 Stimmen. Allein die Fraktionen von CDU und BfB, aus derselben christdemokratischen Wurzel entsprungen, besetzen mehr als die Hälfte der Burscheider Sitze, nämlich 24, verteidigen damit ihre Lufthoheit über den Ratstischen.

Was mich daran ganz entscheidend stört: 

Es ist doch gerade die massive Problemlage der Kommunen, die die toxische Unzufriedenheit ganz wesentlich mitverursacht - die ständige Finanznot, die rundum klaffenden Lücken, die marode Infrastruktur. Aber genau das war weder bei der diesjährigen Bundestagswahl noch bei dieser Kommunalwahl ein strategisches Thema, kein großes, nicht einmal ein kleines. Man hat auch keine realistischen Wege debattiert, die Kommunen insbesondere an den stabilen Steuerarten - Umsatzsteuer, Mehrwertsteuer - auskömmlich zu beteiligen. Anstelle eben der hoch volatilen Gewerbesteuer. Die man so leicht gestalten kann. Mit der sich die Kommunen qua Steuer-Dumping inzwischen auch schon gegenseitig kannibalisieren. Siehe Monheim, siehe Leverkusen. 

Das ist halt unsere Lebenslüge: Genau hier auf der lokalen Ebene berühren die Bürger*innen den Boden, machen ihre Erfahrungen mit schwärenden Defiziten. Aber die übergeordneten staatlichen Etagen boykottieren seit Jahrzehnten eine planbare Finanzaustattung der Kommunen, verweisen die notleidenden Städte auf altbekannte weiße Salbe, etwa auf die großvolumigen Programme der Städtebauförderung mit viel Beton darinnen. Das aber begünstigt die modernen Ratten-Rennen an die Goldtöpfe von Bund und Land. Das schafft und alimentiert ferner ein Paradies für die inzwischen völlig unverzichtbaren Projektentwickler und Investoren. Will sagen: für die besonders systemintelligenten und automatisiert mit-geförderten Rattenfänger. Und es abortiert die emanzipierte und kompetente kommunale Selbstverwaltung und gleichzeitig die Bürgermitwirkung flächendeckend. Das wiederum begünstigt Frust und autoritäre Strömungen und Wahlerfolge wie oben beschrieben. Shit has happened.

Nun aber zu meinem persönlichen Ergebnis: 

Mein Stadtteil-Mandat als Unparteiischer habe ich leider nicht verliehen bekommen, ebensowenig wie schon bei meinem Versuch in 2009. Es waren am Ende 10,6% der Stimmen. Mein Burscheider Wahlkreis Nr. 7 ging wie seit Menschengedenken an den CDU-Vertreter, der mit 32,96% mehr als das Dreifache holte - absolut klare Sache, übrigens auch ohne größere Klimmzüge. Wenn ich mich damit trösten darf: In meinem Wahlbezirk war die Wahlbeteiligung etwas überdurchschnittlich (60 gegenüber im Schnitt 57%, beides aber eigentlich ein Armutszeugnis oder auch: ein Gradmesser für eine als niedrig wahrgenommene Relevanz) und das Ergebnis der AfD blieb unterdurchschnittlich. Tatsächlich hatte ich am Ende doppelt so viele Stimmen erjagt wie die konkurrierende Parteibewerberin der FDP - und immerhin etwas mehr als der Ortsdurchschnitt der AfD. Oder: Hochgerechnet auf die gesamte Stadt hätte ich nun den reizenden Komfort, mich auf 5 Ratssitzen zur Ruhe bzw. quer zu legen. Gut, das Extrapolieren ist hier nicht realistisch - ich habe mir schon in meinem Bezirk die Hacken abgelaufen und die Gesamtfläche mit ausgeprägtem Streusiedlungs-Charakter wäre für Einzelbewerber doch sehr starker Tobak. Dann vielleicht nur zwei Sitze ;-)

Aber insgesamt: Ich stehe weiterhin draußen vor der Türe und lausche. APO bleibt APO. Keine Gelegenheit, mich zu entzaubern. Und nach der Wahl ist ja immer vor der Wahl. Schau'n-mer-mal, wie der Kaiser immer so sagte.