Dritter Oktober in Peenemünde – und sehr viel Feuerwasser
Gerade heute an einem dritten Oktober macht es verblüffend viel Sinn, über Raketen zu sprechen – ich werde das aber in den kommenden Tagen noch etwas komplettieren müssen. Es gibt halt viel zu erzählen.
Das Aggregat – oder "Gerät", wie es Walter Dornberger, militärischer Leiter der Heeresversuchsanstalt Peenemünde in seiner internen Rede vom 9. Juni 1942 zum ersten Versuchsschießen der A4 am 12.6.1942 nannte – das begegnet mir seit vielen Jahren regelmäßig. Ich war etwa 11 Jahre alt, als uns US-amerikanische Verwandte besuchten. Wahrscheinlich waren sie wie auch ich Technikfreaks und Fans von Personen wie Wernher von Braun. Zwei Gastgeschenke gab es für den hoffnungsvollen Nachwuchs: Ein Paar rotbraune Boxhandschuhe, die ich aber nie benutzt habe. Die immerhin noch auf dem Schrank im Kinderzimmer meines Sohnes liegen (der sie ebenfalls nie gebraucht hat). Und eine Spielzeugrakete mit zwei verschiedenen Starteinrichtungen, die verflixt der A4 ähnelte. Bzw. der V2. Denn „Vergeltungswaffe No. 2“ ist ihr nom de guerre, eine bewusst irreführende Schöpfung des Propagandaministers Goebbels, und darunter ist sie noch heute besser bekannt. Meine A4 / V2 funktionierte physikalisch grob ähnlich wie das Original: In der einen Startversion füllte man den Hohlkörper zur Hälfte mit Wasser, pumpte mit einer Luftpumpe Überdruck hinein und löste dann über eine kurze Schnur die Verriegelung an der Pumpe, die gleichzeitig die Starteinrichtung war. Die zweite Version kam dem Vorbild noch etwas näher: Zu der Wasserfüllung im „Aggregat“ kamen Tabletten, die dort eilfertig sehr viel Kohlensäure ausschäumen ließen. Die Starteinrichtung war in den Boden zu stecken – in meinem Fall damals die Wesermarsch unweit des Wasserstraßenkreuzes in Minden/Westf. – und man tat gut daran, zum Auslösen einen längeren Strick zu nutzen. Sonst bekam man die ganze Soße ab, mit heftigen Flecken gratis. Aber beides führte nach ein paar Versuchen zu Steighöhen von 30 bis 40 Metern. Nicht schlecht.
Viele Jahre später habe ich einen Leserbrief geschrieben, den allerersten übrigens in einer langen Reihe von Briefen mit einer kritischen Position zur raumgreifenden Entwicklung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik nach 1992 (die davon tatsächlich veröffentlichten Briefe finden Sie bei Interesse siehe hier: https://www.vo2s.de/mi_leser.htm ).
29.9.1992
Kölner Stadt-Anzeiger; abgedruckt 2.10.1992
Militär; Absage der "V 2 - Gedenkfeier" in Peenemünde (Kölner
Stadt-Anzeiger. v. 29.9.1992)
„Hätten wir am Deutschlandtag die Schöpfer der V 2 hochleben lassen, hätten wir auch die der Scud mitgefeiert. Die Scud ist wie die Mehrzahl der heute weltweit ausgerichteten Trägersysteme legitimer Nachfahre der V 2. Scud und V 2 sind brutale Massenvernichtungswaffen, die unter einem verantwortungslosen Regime bewußt zum Schaden der Zivilbevölkerung eines anderen Landes entwickelt und eingesetzt worden sind.
Demgegenüber ist der vorgebliche Kontext ziviler (!) Raumfahrtforschung, der etwa den jungen Wernher von Braun begeistert und geblendet haben mag, als Begründung eines V 2 - Festes geradezu absurd. Die Forschung hat sich gegen diese Wirtschaftsidee im doppelten Sinne auch ausdrücklich verwahrt.
Der Vorschlag war, wenn auch der count-down schweren Herzens in letzter Sekunde abgebrochen wurde, bereits eine verheerende Wunderwaffe gegen das Ansehen des neuen Deutschland im Ausland und unserer Repräsentanten im Inland.“
Tatsächlich hatte es diesen sehr ernstgemeinten Vorschlag gegeben. Am „Tag der Einheit“ des Jahres 1992, der im Datum (zufällig) mit dem ersten erfolgreichen Start einer A4 am 3.10.1942 mit einer Gipfelhöhe von 85 km zusammenfiel, einen besonderen Festakt zur Entwicklung eben dieser Trägertechnologie auszurichten. Kurzer Sprung in die Jetztzeit: Das wäre etwa so, als würde man den vielbesprochenen Taurus- Marschflugkörper als legitimen Nachfahren der Flügelbombe V1 hochleben lassen (der er tatsächlich ist). Wir werden im Folgenden sehen, wie eng beide Enntwicklungen – V1 und V2 – zusammenhängen. Zunächst aber nochmal zurück zum Spielzeug: Leider ist es im Laufe der Jahre irgendwann von einem verständnislosen (oder: sehr verständnisvollen) Familienmitglied entsorgt worden. Aber ich habe es vor Kurzem im Bonner Haus der Geschichte wieder gefunden, als Teil einer Ausstellung von Devotionalien des Raumfahrtzeitalers der 50er und 60er Jahre in deutsche Jungenszimmern, unter den strengen Augen von Perry Rhodan:
A4/V2 to be continued:
Ein Schul-Besuch im Deutschen Museum München in den 60ern (mit der A4 im Treppenaufgang), frühe Selbst-Tests mit Unkraut-Ex und Zucker, das Air- & Space Museum Washington (wo V1, V2 und die erste Stufe der Saturn V quasi als Vater, Mutter und Kind firmieren), das Museum Peenemünde in diesem Jahr (wo man lernen kann, dass die V2 eigentlich mit Branntwein und Steinkohle flog und dass ein paar Prozesse vor Ort auf eine verrückte Weise nachhaltig waren) und die folgende, aber noch nicht ganz beendete Suche nach meinen Familienwurzeln in Turze/Horst im heutigen Polen.
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