Jetzt wird’s ganz bunt. Gestern noch hatte der
deutsche Außenminister den amerikanischen Botschafter einbestellt, um das Missfallen der Bundesregierung
über das vermutliche Abhören des Kanzler-Handys auszudrücken. Verbündete
sprechen untereinander sonst eher in der Art der manierierten Grußformel „beehre mich, die Versicherung meiner
vorzüglichsten Hochachtung erneuern zu dürfen“ und die Einbestellung eines US-Botschafters hat’s wohl
seit Kaisers Zeiten nicht mehr gegeben. Das Auswärtige Amt wird es genau
wissen, da führt man ganz alte Akten. Nach heutigen Meldungen warnen nun die USA
alle Staaten davor, dass sensible Daten öffentlich werden könnten: Die
beteiligten ausländischen Dienste würden jetzt nacheinander vom Büro des
US-Geheimdienstdirektors James Clapper über möglicherweise kritische und
sicherheitsgefährdende Enthüllungen informiert. Offenbar wüssten viele
Regierungen gar nicht so genau, wie die grenzüberschreitende Kooperation der
Nachrichtendienste so liefe oder: Was die eigenen Schlapphüte alles so mit den
verbündeten Schlapphüten treiben würden. Und da sei eben manches wirklich geheim.
Die Parole lautet dann in Klartext auch: "Klappe halten!"
Am Bild vom tragenden
T der Geostrategie, das ich in einem voran gegangenen Post gezeichnet habe,
da könnte wirklich etwas dran sein: Dass nämlich entscheidende und sogar
schicksalhaft fortwirkende Weichen nicht in nachverfolgbarer demokratischer
Kontrolle gestellt werden, sondern auf der stark ausgeprägten
Waagerechten zwischen den Administrationen, in Gruppierungen mit einem
besonderen Selbstbewusstsein hoher Professionalität, Diskretion und
Autonomie. Deutsche Dienste haben essentielle Beiträge in Konflikten
geliefert, an denen Deutschland nach offizieller Darstellung selbst überhaupt
nicht beteiligt war, etwa Zielkoordinaten
im Irak-Krieg oder – letzte und m.E. besonders erschreckende
Enthüllung – Informationen über sowjetische Operationen in Afghanistan, in
freundschaftlicher Kooperation mit und unter Förderung der noch „jungen“ Mudschahidin während
der so genannten Operation
Sommerregen. Die letztere lief noch dazu unter der Legende
"humanitärer Hilfe" und war dann sogar geeignet, die Tarnung,
nämlich tatsächliche Organisationen der humanitären Hilfe, zu diskreditieren. Exkurs: Das Rote-Kreuz-Mimikri von BND und Militär passt im Grunde auch schlecht zu dem heute ständigen Vorwurf, Aufständische würden sich feige in/hinter der Zivilbevölkerung verstecken. Exkurs Ende. Für die Aktion Sommerregen gab's in der Folge sogar noch ein Bundesverdienstkreuz. M.E. müssten wir dagegen sehr genau zu prüfen, ob die Operation überhaupt mit deutschem Recht
vereinbar war. Ich zitiere aus einem auch im Übrigen sehr lesenswerten online-Artikel
der WELT, der zumindest die richtige Frage stellt:
Wir sollten bei den sehr erheblichen Zweifeln an der Vorgehensweise der Dienste nicht zur Tagesordnung
übergehen und ich hoffe, dass unsere Kanzlerin nicht die Klappe hält. Und auch Ronald Pofalla nicht. Der trägt in den nun laufenden Koalitionsverhandlungen viel Verantwortung, direkt nach
der Kanzlerin: Mitglied von großer Runde, kleiner Runde und Steuerungsgruppe.
Eine spezielle Fach-Arbeitsgruppe für die Dienste gibt es naturgemäß nicht; das Thema
wird sicher in der AG Auswärtiges, Verteidigung und Entwicklungszusammenarbeit mehr oder weniger öffentlich mitbehandelt - da ist Thomas de Maizière der Platzhirsch der CDU/CSU, immerhin
auch ehemaliger Kanzleramtsminister, und Frank-Walter Steinmeier mit seinen
eigenen Kanzleramts- und Dienste-Erfahrungen für die SPD. Schau'n wir mal, wie
viel neue Legalität für die Dienste dabei herauskommt.
Zum Schluss noch ein erbaulicher Griff
in den Zettelkasten, recht genau 50 Jahre zurück. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte damals gerade
unter Verstoß gegen das Telefongeheimnis Abhörmaßnahmen durch alliierte
Dienststellen vornehmen lassen. Hermann Höcherl / CSU, Bundesminister des Innern unter Adenauer und Erhard, sagt dann Anfang September 1963 auf den Vorwurf des klaren
Verfassungsverstoßes u.a. die geflügelten Worte "Die Beamten können
nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unterm Arm herumlaufen."
Siehe dazu auch den Original-Spiegelartikel
v. 18.9.1963 sowie den
Artikel in html und mit dem damaligen Titelbild. Wie
sich die Bilder im Grunde doch gleich bleiben. Und wem das Grundgesetz nicht passt, der kann es ganz legal ändern. Andernfalls die eigene Praxis.
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