Freitag, 25. Oktober 2013

Klappe halten! Oder: Dein Dienst, das unbekannte Wesen

Jetzt wird’s ganz bunt. Gestern noch hatte der deutsche Außenminister den amerikanischen Botschafter einbestellt, um das Missfallen der Bundesregierung über das vermutliche Abhören des Kanzler-Handys auszudrücken. Verbündete sprechen untereinander sonst eher in der Art der manierierten Grußformel „beehre mich, die Versicherung meiner vorzüglichsten Hochachtung erneuern zu dürfen“ und die Einbestellung eines US-Botschafters hat’s wohl seit Kaisers Zeiten nicht mehr gegeben. Das Auswärtige Amt wird es genau wissen, da führt man ganz alte Akten. Nach heutigen Meldungen warnen nun die USA alle Staaten davor, dass sensible Daten öffentlich werden könnten: Die beteiligten ausländischen Dienste würden jetzt nacheinander vom Büro des US-Geheimdienstdirektors James Clapper über möglicherweise kritische und sicherheitsgefährdende Enthüllungen informiert. Offenbar wüssten viele Regierungen gar nicht so genau, wie die grenzüberschreitende Kooperation der Nachrichtendienste so liefe oder: Was die eigenen Schlapphüte alles so mit den verbündeten Schlapphüten treiben würden. Und da sei eben manches wirklich geheim. Die Parole lautet dann in Klartext auch: "Klappe halten!"
Also zuerst einmal: Die Anruf-Aktion des Geheimdienstdirektors mag ja der realen Hackordnung der Staatengemeinschaft entsprechen; jenseits des Atlantiks fand man wohl die deutsche wie auch die voran gegangene französische, mexikanische und brasilianische Reaktion auf die Enthüllungen arg dégoûtant. Quod licet Iovi, non licet bovi. Aber läuft das hier im Ergebnis nicht ungefähr so, wie wenn der Erpresser gegenüber seinem Opfer durch die Zähne zischt „Keine Polizei, keine Presse!“? Drückt das nicht ein sehr von den Bürgern entrücktes pragmatisches, man kann auch sagen post-demokratisches Verständnis von Freiheit aus? Und könnte es sein, dass die Dienste solch ein Eigenleben führen, dass sie nicht nur die Kommunikation von Oppositions-Abgeordneten überwachen (und dann wohl auch brüderlich mit anderen Diensten teilen), sondern vielleicht sogar beim Abhören der eigenen Kanzlerin Schmiere gestanden haben? Dann könnte man ja fast glauben, was die Kanzlerin im Wahlkampf sagte: Sie habe keine Informationen über die Aktivitäten der NSA. Und Kanzleramtsminister Pofalla, als er im August die ganze Affäre für beendet erklärt hatte. Sie wussten es halt nicht besser. Keiner hat es ihnen gesagt.
Am Bild vom tragenden T der Geostrategie, das ich in einem voran gegangenen Post gezeichnet habe, da könnte wirklich etwas dran sein: Dass nämlich entscheidende und sogar schicksalhaft fortwirkende Weichen nicht in nachverfolgbarer demokratischer Kontrolle gestellt werden, sondern auf der stark ausgeprägten Waagerechten zwischen den Administrationen, in Gruppierungen mit einem besonderen Selbstbewusstsein hoher Professionalität, Diskretion und Autonomie. Deutsche Dienste haben essentielle Beiträge in Konflikten geliefert, an denen Deutschland nach offizieller Darstellung selbst überhaupt nicht beteiligt war, etwa Zielkoordinaten im Irak-Krieg oder – letzte und m.E. besonders erschreckende Enthüllung – Informationen über sowjetische Operationen in Afghanistan, in freundschaftlicher Kooperation mit und unter Förderung der noch „jungen“ Mudschahidin während der so genannten Operation Sommerregen. Die letztere lief noch dazu unter der Legende "humanitärer Hilfe" und war dann sogar geeignet, die Tarnung, nämlich tatsächliche Organisationen der humanitären Hilfe, zu diskreditieren. Exkurs: Das Rote-Kreuz-Mimikri von BND und Militär passt im Grunde auch schlecht zu dem heute ständigen Vorwurf, Aufständische würden sich feige in/hinter der Zivilbevölkerung verstecken. Exkurs Ende. Für die Aktion Sommerregen gab's in der Folge sogar noch ein Bundesverdienstkreuz. M.E. müssten wir dagegen sehr genau zu prüfen, ob die Operation überhaupt mit deutschem Recht vereinbar war. Ich zitiere aus einem auch im Übrigen sehr lesenswerten online-Artikel der WELT, der zumindest die richtige Frage stellt:
"In Zeiten, in denen weltweit über die Befugnisse von Geheimdiensten diskutiert wird, stellt sich die Frage, warum der Einsatz des BND in einem Kriegsgebiet der Sowjets ohne parlamentarische Zustimmung erfolgen konnte. Doch die Rechtslage ist einfach: Der BND war auch schon damals im Ausland nicht an das Legalitätsprinzip gebunden. Der Einsatz erfolgte mit Einverständnis der damaligen Bonner Regierung – erst der des Kanzlers Helmut Schmidt, dann der seines Nachfolgers Helmut Kohl."
Ich bezweifele sehr, dass die Rechtslage tatsächlich einfach ist, dass die Dienste im Ausland nicht an das Legalitätsprinzip gebunden wären und dann de facto über der Verfassung stehen sollten; dann wären sie tatsächlich ein Staat im Staate oder schlimmer noch: eine Art globaler Geheimbund, quasi legibus absolutus. Bei der Operation Sommerregen einmal ganz abgesehen davon, dass dort auch Sondereinsatzkräfte bzw. Elitesoldaten der Bundeswehr vor Ort mitgewirkt hatten, für die kann das angebliche Schlapphut-Privileg auf keinen Fall gelten.
Wir sollten bei den sehr erheblichen Zweifeln an der Vorgehensweise der Dienste nicht zur Tagesordnung übergehen und ich hoffe, dass unsere Kanzlerin nicht die Klappe hält. Und auch Ronald Pofalla nicht. Der trägt in den nun laufenden Koalitionsverhandlungen viel Verantwortung, direkt nach der Kanzlerin: Mitglied von großer Runde, kleiner Runde und Steuerungsgruppe. Eine spezielle Fach-Arbeitsgruppe für die Dienste gibt es naturgemäß nicht; das Thema wird sicher in der AG Auswärtiges, Verteidigung und Entwicklungszusammenarbeit mehr oder weniger öffentlich mitbehandelt - da ist Thomas de Maizière der Platzhirsch der CDU/CSU, immerhin auch ehemaliger Kanzleramtsminister, und Frank-Walter Steinmeier mit seinen eigenen Kanzleramts- und Dienste-Erfahrungen für die SPD. Schau'n wir mal, wie viel neue Legalität für die Dienste dabei herauskommt.

Zum Schluss noch ein erbaulicher Griff in den Zettelkasten, recht genau 50 Jahre zurück. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte damals gerade unter Verstoß gegen das Telefongeheimnis Abhörmaßnahmen durch alliierte Dienststellen vornehmen lassen. Hermann Höcherl / CSUBundesminister des Innern unter Adenauer und Erhard, sagt dann Anfang September 1963 auf den Vorwurf des klaren Verfassungsverstoßes u.a. die geflügelten Worte "Die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unterm Arm herumlaufen." Siehe dazu auch den Original-Spiegelartikel v. 18.9.1963 sowie den Artikel in html und mit dem damaligen Titelbild. Wie sich die Bilder im Grunde doch gleich bleiben. Und wem das Grundgesetz nicht passt, der kann es ganz legal ändern. Andernfalls die eigene Praxis.

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