Dienstag, 14. Mai 2013

Wer hat's erfunden?



Naiv sei eine Kandidatur, geradezu infantil, wenn man praktisch keine Chancen auf Realisierung sehe – so meint eine fast gleichaltrige, langjährige Bekannte auf meinem Geburtstag, als wir auf mein Projekt „Einzelbewerbung 2013“ zu sprechen kommen. Und sie steht ja nicht allein, den meisten verschlägt’s fast die Sprache oder sie sagen, wie auf einen bedingten Reflex „Das geht ja gar nicht!“ Mein Sohn ist etwas gnädiger, verbietet mir allerdings, in einem bestimmten Haus vorbeizuschauen. Da wohnen wohl Bekannte.
Drum muss ich ein wenig erläutern, dass manchmal der Weg das Ziel ist, wieso auch eine unerhörte Kandidatur demokratisch fruchtbar, ja eine Dienstleistung für die nicht kandidierende Mehrheit ist.

Im Jahr 1981 kamen zwei Mitglieder der Jungsozialisten Basel-Stadt auf die Idee, eine Volksinitiative zur Abschaffung der Schweizer Armee zu lancieren; dies führte zu der i.J. 1982 gegründeten „Gruppe für eine Schweiz ohne Armee / GSoA“. Außenstehende räumten dem Projekt Null Chancen ein und zweifelten vernehmlich am Verstand der Initiatoren: Mit größeren Erfolgsaussichten könne man im Vatikanstaat vorschlagen, den Papst zu vertreiben. Im Herbst 1986 wurde die Initiative eingereicht. Die Bundeskanzlei stellte 111.300 gültige Unterschriften fest. Die Abstimmung fand am Wochenende vom 25./26. November 1989 statt. Bei der für Schweizer Verhältnisse außergewöhnlich hohen Stimmbeteiligung von 69,18 % stimmten 35,6 % der Abstimmenden für die Abschaffung der Armee (1.052.442 Ja-Stimmen gegen 1.904.476 Nein-Stimmen). In den Kantonen Jura und Genf wurde die Initiative sogar angenommen. Das überraschende Resultat beeinflusste die nachfolgenden Reformen der Schweizer Armee und war Ausdruck eines markanten Bedeutungsverlusts des Militärs in der Gesellschaft (Daten und ein Teil des Textes sind den o.g. Wikipedia-Artikeln entnommen, der Artikel zur GSoA führt weitere Inititiativen auf).

Kurz gefasst: Über die Initiative hatten die Schweizer vor / bei dem laufenden Referendum erhitzt debattiert, in Gaststätten, Straßenbahnen und an Küchentischen. Sie hatten sich zu einem sperrigen Thema intensiv gegenseitig professionalisiert – und ebenso die Politiker, die meisten zum ersten Mal. Diese Lehre gilt für Volksabstimmungen, Direktkandidaturen wie für den demokratischen Prozess überhaupt: Alles, was eine nachverfolgbare Debatte fördert, was Mut macht, eine Meinung zu äußern und eine politische Positionierung zu „veröffentlichen“, alles das schafft demokratischen Mehrwert, und zwar unabhängig davon, wer am Ende die meisten Stimmen eingesammelt hat. Der Prozess zählt – gerade in einer politischen Gemengelage, die das Bewahren des Bewährten und das Wählen der Gewählten gerne im Schilde führt. Eine kleine Ergänzung beim Blick über die Grenzen: Österreichs Bürger haben sich in einer Volksbefragung zu Beginn 2013 gegen die Umwandlung des Bundesheers in eine Berufsarmee ausgesprochen; Vorbild für den Prozess war dabei eher die Schweiz als Deutschland. Wer hat’s erfunden?

Vor mehr als 20 Jahren las in einem Artikel über den südindischen Bundesstaat Kerala etwas, was ich zu einer grund-demokratischen Kultur zählen möchte, das ich mir andererseits im nüchtern-kühlen Deutschland gar nicht recht vorstellen kann: Arbeiter einer Zigarren-Manufaktur haben ein Freistellungssystem eingerichtet, bei dem ein Teil ihrer Akkord-Zulagen einem von ihnen zugute kam. Und der – er wurde, wenn ich mich recht erinnere, „Johnny the radio“ genannt – las den anderen bei der Arbeit die aktuellen Nachrichten der dortigen Tageszeitungen vor. Eine unmittelbarere und transparentere Finanzierung der politischen Willensbildung kann man sich kaum vorstellen.

Also: Der Weg ist das Ziel. Bangemachen gilt nicht. Und hinsichtlich meiner Einmischung in den letzten Bürgermeisterwahlkampf ist mindestens dies breit gelobt worden: Die frischen Beiträge zu einem ansonsten rituellen, fest programmierten Debattenverlauf, ein bisschen backstage-Information, Farbe und demokratischer Unterhaltungswert – und wohl auch ein kleiner Einfluss auf das Ergebnis. Das sollte reichen. Und ganz nebenbei: Mein Wahlkampf hatte 2009 mit einem Einsatz von ca. 2.000€ (= im Wesentlichen Druckkosten für Visitenkarten und ein Programm) 10,9% der Stimmen geholt. Für gleiche Effizienz hätte die Kampagne der obsiegenden CDU nicht über 8.000€ kosten dürfen. Es war aber wohl sehr deutlich mehr, was dort in der Kriegskasse lag und auch verpulvert wurde. Der Nachhaltigkeitspreis für den Ansatz, der die Ressourcen und das Steueraufkommen am besten schont und gleichzeitig persönlich am meisten Spaß bereitet, gebührt damit mir. So will ich es gerne weiter halten.

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