Naiv sei eine Kandidatur, geradezu infantil, wenn man praktisch
keine Chancen auf Realisierung sehe – so meint eine fast gleichaltrige,
langjährige Bekannte auf meinem Geburtstag, als wir auf mein Projekt „Einzelbewerbung
2013“ zu sprechen kommen. Und sie steht ja nicht allein, den meisten verschlägt’s
fast die Sprache oder sie sagen, wie auf einen bedingten Reflex „Das geht ja
gar nicht!“ Mein Sohn ist etwas gnädiger, verbietet mir allerdings, in einem
bestimmten Haus vorbeizuschauen. Da wohnen wohl Bekannte.
Drum muss ich ein wenig erläutern, dass manchmal der Weg das
Ziel ist, wieso auch eine unerhörte Kandidatur demokratisch fruchtbar, ja eine
Dienstleistung für die nicht kandidierende Mehrheit ist.
Im Jahr 1981 kamen zwei Mitglieder der Jungsozialisten
Basel-Stadt auf die Idee, eine Volksinitiative zur Abschaffung der Schweizer Armee zu
lancieren; dies führte zu der i.J. 1982 gegründeten „Gruppe
für eine Schweiz ohne Armee / GSoA“. Außenstehende räumten dem Projekt Null
Chancen ein und zweifelten vernehmlich am Verstand der Initiatoren: Mit
größeren Erfolgsaussichten könne man im Vatikanstaat vorschlagen, den Papst zu
vertreiben. Im Herbst 1986 wurde die Initiative eingereicht. Die Bundeskanzlei
stellte 111.300 gültige Unterschriften fest. Die Abstimmung fand am Wochenende
vom 25./26. November 1989 statt. Bei der für Schweizer Verhältnisse außergewöhnlich
hohen Stimmbeteiligung von 69,18 % stimmten 35,6 % der Abstimmenden
für die Abschaffung der Armee (1.052.442 Ja-Stimmen gegen 1.904.476 Nein-Stimmen).
In den Kantonen Jura und Genf wurde die Initiative sogar angenommen. Das
überraschende Resultat beeinflusste die nachfolgenden Reformen der Schweizer
Armee und war Ausdruck eines markanten Bedeutungsverlusts des Militärs in der
Gesellschaft (Daten und ein Teil des Textes sind den o.g. Wikipedia-Artikeln
entnommen, der Artikel zur GSoA führt weitere Inititiativen auf).
Kurz gefasst: Über die Initiative hatten die Schweizer vor
/ bei dem laufenden Referendum erhitzt debattiert, in Gaststätten, Straßenbahnen
und an Küchentischen. Sie hatten sich zu einem sperrigen Thema intensiv gegenseitig
professionalisiert – und ebenso die Politiker, die meisten zum ersten Mal. Diese
Lehre gilt für Volksabstimmungen, Direktkandidaturen wie für den demokratischen
Prozess überhaupt: Alles, was eine nachverfolgbare Debatte fördert, was Mut
macht, eine Meinung zu äußern und eine politische Positionierung zu „veröffentlichen“,
alles das schafft demokratischen Mehrwert, und zwar unabhängig davon, wer am
Ende die meisten Stimmen eingesammelt hat. Der Prozess zählt – gerade in einer
politischen Gemengelage, die das Bewahren des Bewährten und das Wählen der
Gewählten gerne im Schilde führt. Eine kleine Ergänzung beim Blick über die Grenzen:
Österreichs Bürger haben sich in einer Volksbefragung
zu Beginn 2013 gegen die Umwandlung des Bundesheers in eine Berufsarmee
ausgesprochen; Vorbild für den Prozess war dabei eher
die Schweiz als Deutschland. Wer hat’s erfunden?
Vor mehr als 20 Jahren las in einem Artikel über den südindischen
Bundesstaat Kerala etwas, was ich zu einer grund-demokratischen Kultur zählen
möchte, das ich mir andererseits im nüchtern-kühlen Deutschland gar nicht
recht vorstellen kann: Arbeiter einer Zigarren-Manufaktur haben ein
Freistellungssystem eingerichtet, bei dem ein Teil ihrer Akkord-Zulagen einem
von ihnen zugute kam. Und der – er wurde, wenn ich mich recht erinnere, „Johnny
the radio“ genannt – las den anderen bei der Arbeit die aktuellen Nachrichten der
dortigen Tageszeitungen vor. Eine unmittelbarere und transparentere Finanzierung
der politischen Willensbildung kann man sich kaum vorstellen.
Also: Der Weg ist das
Ziel. Bangemachen gilt nicht. Und hinsichtlich meiner Einmischung in den
letzten Bürgermeisterwahlkampf ist mindestens dies breit gelobt worden: Die frischen
Beiträge zu einem ansonsten rituellen, fest programmierten Debattenverlauf, ein
bisschen backstage-Information, Farbe und demokratischer Unterhaltungswert –
und wohl auch ein kleiner Einfluss auf das Ergebnis. Das sollte reichen. Und
ganz nebenbei: Mein Wahlkampf hatte 2009 mit einem Einsatz von ca. 2.000€ (= im
Wesentlichen Druckkosten für Visitenkarten und ein Programm) 10,9% der Stimmen geholt.
Für gleiche Effizienz hätte die Kampagne der obsiegenden CDU nicht über 8.000€
kosten dürfen. Es war aber wohl sehr deutlich mehr, was dort in der Kriegskasse
lag und auch verpulvert wurde. Der Nachhaltigkeitspreis für den Ansatz, der die
Ressourcen und das Steueraufkommen am besten schont und gleichzeitig persönlich
am meisten Spaß bereitet, gebührt damit mir. So will ich es gerne weiter
halten.
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