Zweierlei
muss ich noch schnell erklären, bevor Sie mich wählen. Darauf werde ich häufig
angesprochen und beides adressiert auch ein Leserbrief, den die Frankfurter Allgemeine abgedruckt hatte, und unter Vermeidung
von Schamesröte für Selbstlob muss ich sagen, dass er einer meiner besseren war, siehe den vorangegangenen Post.
Erstens: Wieso
eigentlich meine ich, dass die deutsche Praxis der Auslandseinsätze seit zwei
Jahrzehnten gegen unsere Verfassung verstößt? Und zweitens: Warum halte ich
Wehrpflicht für so eine tolle Idee? Wo alle anderen sich offenbar freuen, dass
sie die Wehrpflicht endlich los sind.
Zur ersten
Frage, zur Verfassungswidrigkeit der Auslandseinsätze: Das müssten doch schon
viele andere meiner Zunft erkannt und dann laut herausposaunt haben, gerade die
Spezialisten in Regierung, Parlament & Justiz und die vielen Gelehrten für
Staatsrecht. Ja, das ist in der Tat verblüffend – aber ich meine, unter
bestimmten Rahmenbedingungen gilt auch das geschriebene Verfassungsrecht nicht
mehr so besonders viel und es kommt geradezu staatsmännisch herüber, wenn man
politisch flexibel auf neue Herausforderungen reagiert und das Volk
entschlossen zu neuen Ufern führt, geschmeidig in kleinen Schritten, wo es
nottut. Karl Lamers der Ältere war so ein Politiker und ein strategischer Fuchs
der Neunziger Jahre.
Fangen wir
mit den einfachen Fakten an. Die Aufgaben
der Bundeswehr haben sich ganz unzweifelhaft seit dem Ende der Blockkonfrontation
massiv verändert. Auch nach 1990 gab es noch mehrfache signifikante
Änderungen der militärischen Doktrin – etwa nach nine eleven – und daraus
folgten auch einschneidende Änderungen von Umfang, Fähigkeiten, Organisation,
lokaler Verteilung und Ausstattung der Streitkräfte. Diese Änderungen setzen
sich unter erheblichem Mitteleinsatz und perspektivischen Beschaffungen bis in
die aktuelle Zeit fort. U.a. dieser Prozess dürfte Herrn de Maiziére zu der m.E.
sehr undemokratischen Parole veranlasst haben, die Bundeswehr aus dem Wahlkampf
herauszuhalten. Mit einem etwas anderen Zungenschlag hatte der damalige
Außenminister das gleiche Debatten-Moratorium schon vor der 1994er Wahl
gefordert: Er müsse schließlich tagtäglich mit anderen Regierungen und
Organisationen über die wachsenden Erwartungen zu deutschen Auslandseinsätzen
verhandeln und könne darum damit nicht „in zwanzig Wahlkämpfe gehen“.
Also:
Einerseits eine völlig offensichtliche Funktionsänderung des zentralen
Instruments der deutschen auswärtigen Gewalt – weg von einer Verteidigungsarmee
im Wartestand hin zu einer krisen- und konfliktbehandelnden Armee im Einsatz,
mit nicht nur potenziellem, sondern jahrelang erlebtem Eingriff die Grundrechte
sehr vieler Individuen, von Soldaten ebenso wie von Zivilisten. Nehmen wir nur
ein Grundrecht, das Lebensrecht aus Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes, ein sehr
zentrales Grundrecht, weil es die Ausübung aller anderen Grundrechte erst
garantiert, also im Grunde in sich trägt. Allein im Rahmen des ISAF-Einsatzes
in Afghanistan sind nach seriösen Schätzungen mehr als 40.000 Zivilisten jedes
Alters und Geschlechts getötet worden. Darunter war auch der am stärksten
einschneidendende Einzelfall, die Bombardierung von zwei Tanklastern in einer
Furt des Kundus, bei der mehr als 100 Menschen verbrannten, und dieser Eingriff
wurde von einem deutschen Offizier ausgelöst.
Anderseits ist bei den rechtlichen
Grundlagen für solche Eingriffe ist kein einziger Federstrich zur rechtsstaatlichen
Änderung der Aufgaben zu erkennen, nicht im an allen maßgeblichen Stellen völlig unveränderten Grundgesetz,
aber auch nicht in Gesetzen unterhalb unserer Verfassung. Halt, ruft da jemand:
Wie steht es mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz? Sehr aufmerksam verfolgt,
aber das Parlamentsbeteiligungsgesetz kam zum einen mit einer gehörigen
Verzögerung nach den ersten Auslandseinsätzen i.J. 1992. Entscheidend ist aber:
Das Parlamentsbeteiligungsgesetz regelt keine einzige Fallgruppe (wie z.B.
Evakuierung von Staatsbürgern aus lebensbedrohlichen Situationen im Ausland,
Sicherung von Importen oder Exporten). Es ist ein bloßes Verfahrensgesetz und
fixiert das bereits vom Verfassungsgericht i.J. 1994 geforderte Verfahren der
konstitutiven Zustimmung des Parlaments zu Auslandseinsätzen auf Vorschlag der
BReg. Auch diese Entscheidung hatte im Übrigen keinen neuen Tatbestand für den
Einsatz von Streitkräften definiert, also keine Fallgruppen, in denen und nur
in denen der Staat militärische Gewalt in Abwägung zu verletzten Grundrechten
anordnen könnte. Genauer: In keiner Zeile dieses ansonsten sehr ausführlichen
Urteils sind Grund- oder Menschenrechte auch nur angesprochen. Anzumerken ist:
Das Urteil, das bis heute der wesentliche Bezugspunkt der raumgreifenden neuen
deutschen Außenpolitik ist, wurde nicht einmal mit der Mehrheit der
entscheidenden Richter gefällt: Wegen der besonderen Verfahrenskonstellation hatte
damals ein vier-zu-vier-Patt ausgereicht („un-entschieden“ könnte man auch
sagen), um den seinerzeitigen Antrag der SPD und der FDP abzulehnen und gleichzeitig
eine völlig neue Rechtsfigur, nämlich die sogenannte „konstitutive Zustimmung
des Bundestages zu Auslandseinsätzen“ einzuführen. Die Mehrheit der
Kommentatoren hat diese Entscheidung denn auch als grundsätzlich unzulässige –
wenn auch für die Bündnispolitik praktische und damit im Ergebnis doch wieder
schlaue – Rechtsetzung durch das Bundesverfassungsgericht gedeutet, als
Überschreiten der nach dem Grundgesetz nur rechtsauslegenden
Kompetenzen. Oder: Der Zweck heiligt die Mittel.
Und was
verlangt die Verfassung? Eigentlich etwas sehr Klares. Gem. Art 2 Abs. 2 des Grundgesetzes kann in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nur
auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden – und Art. 19 Abs. 1 des Grundgesetzes
sagt ebenso klar, dass dieses Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall
gelten muss, und dass es die eingeschränkten Grundrechte ausdrücklich nennen
muss. All das – und die besondere Prominenz des ersten Abschnitts des Grundgesetzes
ist die Folge der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft – und gerade Art. 19
habe ich im Staatsrechtsunterricht als nachhaltige Vorsorge gegen die Selbstentmachtung
des deutschen Parlaments durch ein Gesetz wie das Ermächtigungsgesetz erläutert
bekommen.
Daraus leite
ich ab und das dürfte die völlig herrschende Rechtsauffassung deutscher
Juristen vor 1990 gewesen sein: Vor jedem Auslandseinsatz der Bundeswehr hätte ein Bundeswehraufgabengesetz erlassen werden müssen, win Gesetz also, das die ggfs. über Verteidigung
hinausreichenden neuen Aufgaben klar und abschließend regelt. Und vorausgehend zu einer solchen
Regelung hätte es eine gesamtgesellschaftliche Debatte zu genau diesen neuen
Aufgaben geben müssen. Zum Vergleich: Als die Notstandsgesetze anstanden - Gesetze, die weit weniger einschneidende Eingriffe in zentrale Grundrechte erlauben als die militärische Praxis der letzten 20 Jahre - damals gab es Hearings, Demonstrationen und eine merkbare außerparlamentarische Politikbildung. Heute: tiefes Schweigen im Walde, das keine Partei stören will und das kaum jemanden stört. Und mit dem Namen Farah Abdullah werden die allerwenigsten Deutschen etwas anfangen können; der Name steht auch auf keinem Denkmal - dazu braucht es offenbar einen historisch größeren Abstand. Farah Abdullah hieß der junge Somali, der beim Bewachen des Feldlagers in Belet Huen erschossen worden war, i.J. 1993 während der Militärmission UNOSOM II. Soweit bekannt war er das erste zivile Opfer eines militärischen Einsatzes mit deutscher Beteiligung durch deutsche Soldaten - damals wie später noch mehrfach in Afghanistan wurde der Vorfall durch Blutgeldzahlung an die Großfamilie "gesühnt".
Nun zu der
zweiten Frage, der Wehrpflicht. Die Mitwirkung an einem militärischen Einsatz
ist umso leichter zu beschließen, umso weniger Rückkoppelung in die
nächstfolgenden Wahlen zu erwarten steht. Nach dem Vietnamkrieg haben die USA
die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft; Soldaten sind erfahrungsgemäß auch dann
zu finden, ausreichend attraktive Bedingungen vorausgesetzt. Ich halte die
Wehrpflicht nicht für per se sinnvoll, zumal derzeit kein Fall der
Landesverteidigung zu erwarten steht. Aber ich sehe die Wehrpflicht als
effiziente Fußfessel für ambitionierte deutsche Außen- und Sicherheitspolitiker,
die gerne mit der Haut anderer mutig sind. Und diese Rückkoppelung ist umso
wichtiger, so lange die Einsatzgründe so diffus bleiben wie heute, wo die
juristisch nicht definierten Begriffe von „Krise“ und „Konflikt“, schlimmer
noch: von „Konflikt-Vorsorge“ zu auslösenden Bedingungen eines
Auslandseinsatzes gemacht werden.
Also: Die
Gründe für den Einsatz der Bundeswehr müssen trennscharf festgelegt werden –
und solange dies nicht der Fall ist, sollten auch Wähler aller Bundestagsparteien
dort sein, wo es wehtun kann oder wo man anderen wehtun kann, auch final.
Siehe dazu auch die fünf im letzen Post mit abgedruckten Leserbriefe.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen