Na, dachte ich, da wäre ich mit meinem do-it-yourself-Wahlprojekt sicher eine Bereicherung, vielleicht gar eine Inspiration für junge Demokraten. Also, flugs an die Schulleitung gemailt, zur Illustration diesen Blog und meine homepage verlinkt. "Nö", war im Ergebnis das Ergebnis, die Veranstaltung sei schon lange geplant und man habe auch schon anderen abgesagt. Da fing es an, mich näher zu interessieren: Geht das denn so einfach - zwischen mehreren Kandidaten differenzieren? Sind in einer lebenden Demokratie jedenfalls vor der Stimmenauszählung nicht alle gleich? Oder sind tatsächlich "some pigs ... more equal", wie George Orwell fabulierte, in Animal Farm?
Das "Nö" war letzten Freitag, ich wandte mich gleich an die Kommune, die mich zur Bezirksregierung nach Köln weiter leitete, von dort ging der Wegweiser dann zur Kreiswahlbehörde in Bergisch Gladbach, gleichzeitig Kommunalaufsicht. Tja, und von dort erfuhr ich, alles sei perfekt rechtens. Denn wie der Verwaltungsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg unter Aktenzeichen 9 S 499/11 am 28.11.2011 aufgezeigt habe, sei bei Einladungen zu Podiumsdiskussionen eine Abstufung der Chancengleichheit nach der Bedeutung einer Partei (dann auch eines sonstigen Wahlbewerbers) nicht nur möglich, sondern sogar geboten. Daher sei hier auch keinerlei Anlass für ein Einschreiten gegenüber der Schule zu erkennen.
Lässt man sich das auf der Zunge zergehen, dann schält sich tatsächlich ein neues, diesmal passives Dreiklassenwahlrecht heraus:
- In jedem Fall sind diejenigen Kandidaten zu öffentlichen Podien zuzulassen, deren Partei bei dem letzten Wahlgang für die gleiche Gebietskörperschaft (Bund, Land, Kommune) bereits erfolgreich gewesen sind.
- Zuzulassen sind aber auch solche Bewerber, deren Parteien bereits in anderen Gebietskörperschaften Wahlerfolge hatten und sozusagen "im Kommen" sind, im vorliegenden Fall war es DIE LINKE.
- Ganz, ganz schlechte Karten, jemals aus dem Mus herauszukommen, haben dagegen bei dieser Lesart die Einzelbewerber gem. § 10 Abs. 3 Bundeswahlgesetz: Sie können per definitionem nie als Partei reüssiert haben - und selbst die Chancen, vorher als Einzelbewerber gewählt gewesen zu sein, sind bekanntermaßen gering: Erst- und letztmals im Jahre 1949.
Da läuft irgendetwas sehr schief, gerade wenn die zitierte Entscheidung ausführt, dass der Willensbildungsprozess des Volkes nicht durch staatliche Intervention verzerrt werden dürfe, dass faktische Ungleichheiten nicht verschärft werden dürfen. Dass der Erfolgswert einer Einzelkandidatur bei der Wahlhandlung selbst eher gering ist, das ist sattsam bekannt. Aber ein Ziel einer solchen Initiative ist ja auch, bereits die Debatte während des Wahlkampfes zu bereichern. Das ist zumindest stark eingeschränkt, wenn nicht einmal an Schulen ein halbwegs gleichberechtigtes Forum eingeräumt wird. Die Stärke der Demokratie liegt ja nicht im "Bewahren des Bewährten", sondern in der Ausbildung und Debatte von Innovationen und Alternativen. "Mehr desselben!" ist dann ein sehr schlechter Ratschlag.
Eines kann man aber nach dieser Rechtsprechunng als definitv falsche und dem Wahlrecht widersprechende Formel entlarven, nämlich die immer wieder gerne gebrauchte, so eingängig klingende Formel
"NUR DIE KANDIDATEN DER IM BUNDESTAG
BEREITS VERTRETENEN PARTEIEN!",
BEREITS VERTRETENEN PARTEIEN!",
denn die strikte Abgrenzung der erstgenannten zwei Klassen ist rechtswidrig, das jedenfalls ist der o.g. Entscheidung klar zu entnehmen. Danach müsste die Ablehnung eines Kandidaten der zeitweise sehr hoch gehandelten Alternative für Deutschland zumindest sehr gut begründet werden und bei der ja bereits auf Landesebene vertretenen NPD würde sie ebenfalls nicht leicht fallen. Auch Einzelbewerber nach § 20 Abs. 3 Bundeswahlgesetz, die auf einer anderen Wahlebene - Land, Kommune - bereits ein ansehnliches Ergebnis eingefahren haben, wären nicht zurückzuweisen. In jedem Fall aber hätte es ein Veranstalter je nach thematischer Auslegung der jeweiligen Veranstaltung in der Hand, auch weitere Kandidaten ermessensfehlerfrei zuzulassen - es ist nicht etwa der Ausschluss geboten.
Wie kann man denn Demokratie beweisen, Alternativen zulassen und dennoch eine funktionsfähige Veranstaltung organisieren?
- Man könnte etwa alle Kandidaten informieren und sodann nach dem zeitlichen Eingang der Interesse-Bekundungen gehen.
- Oder man könnte den Kandidaten ihre Plätze zulosen. Schon ein heute noch leidlich bekannter alter Grieche wusste, dass Lose sehr hilfreich gegen Oligarchien sein können.
- Oder - das hielte ich für einen im Grunde höchst erfrischenden Ansatz: Im Falle einer Schulveranstaltung die Schüler mehrheitlich entscheiden lassen, auf wen sie neugierig sind. So würde man sie auch in ihrer wachsenden demokratischen Kompetenz ernst nehmen. Man müsste nur wollen.
Nachtrag:
Habe soeben = 20h beim Verwaltungsgericht Köln einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz eingelegt - für meine Teilnahme auf dem Podium. Die Spannung steigt.
Nachtrag zum Nachtrag:
Beinahe wieder ausgerutscht: Hatte gestern Abend versehentlich das Papier falsch herum auf's Fax gelegt und im Wesentlichen weiße Seiten gefaxt. Eine freundliche Dame im Gericht hat's gesehen und das Problem schnell zurückgefaxt. Das VG hat die Sache nun am Donnerstag-Morgen zur Entscheidung angenommen - und die Spannung steigt weiter.
Und nun der zweite und finale Nachtrag zum Nachtrag:
Das Verwaltungsgericht Köln hat meinen Antrag auf Zulassung zu der Podiumsdiskussion soeben abgelehnt. Schade das! Die Begründung in Kürze:
Die Schule könne die Teilnehmerzahl auf dem Podium aus sachlichen Gründen beschränken. Vor dieser Beschränkung könne sie den potenziellen Teilnehmerkreis aber zunächst einmal sehr weit definieren, sich etwa nicht auf die Erststimmen-Kandidaten (hier: 8) beschränken, sondern alle zugelassenen Parteien einschließlich des Einzelbewerbers (hier: 23) in den Blick nehmen. Unter dieser für eine Schulveranstaltung offenbar viel zu großen Zahl könne sie sodann nach Bedeutung differenzieren, d.h. entsprechend der Wertung in § 5 Abs. 1 S. 3 Parteiengesetz im Wesentlichen orientiert an Ergebnissen vorausgegangener Wahlen zu Volksvertretungen. Hieraus aber ergäbe sich für den Antragsteller kein zu beachtender Vorrang, der den vielen etwaigen anderen Bewerbern rechtlich erfolgreich entgegengehalten werden könnte. Auch Erfolge des Antragstellers im Rahmen von kommunalen Wahlen führten wegen struktureller Unterschiede nicht zu einer anderen Bewertung.
Das Ergebnis ist nun leider ein sehr eindeutiges und es verträgt sich nicht recht mit meinem Demokratieverständnis: Partei-ungebundene Einzelbewerber brauchen nun - eigentlich: dürfen - zu Podiumsdiskussionen, auch und gerade im Schulbereich (!), nicht zugelassen zu werden. Das genuin demokratische Institut der Einzelbewerbung i.S.v. § 20 Abs. 3 Bundeswahlgesetz wird für ein wesentliches Feld der Werbung und Darstellung im Wahlkampf zur faktischen Irrelevanz herabgestuft: Trotz Absolvieren des Unterstützungsverfahrens und trotz der offiziellen Zulassung durch Kreiswahlausschüsse dürfen diese Kandidaten - eigentlich: müssen - von staatlichen Veranstaltern und Institutionen systematisch ignoriert werden. Anm.: Bei privaten Veranstalter und Medien ist die gleichberechtigte Teilhabe ohnehin nicht durchzusetzen. Das Ergebnis wirkt bei der weiter wachsenden Kritik an dem umfassenden Zugriff von Parteiorganisationen auf Staat, Medien und Kultur und bei gleichzeitig zunehmenden Zweifeln an der Problemlösungsfähigkeit der politischen Parteien nun fast schon anachronistisch.
Ob ich Rechtsmittel einlege, das kann ich noch nicht einschätzen - das würde immerhin auch noch ein paar Taler mehr kosten. Aber es war wichtig und richtig, die Sache zum Spruch zu bringen. Nun wird es mich aber noch interessieren zu hören, wer denn am Ende wirklich auf dem Kürtener Podium saß, Kandidaten oder Parteien! Vielleicht kann mir es Herr Bosbach am kommenden Samstag sagen. Dann sehen wir uns voraussichtlich in der Bergisch Gladbacher Fußgängerzone. Falls ich dort zugelassen werde ;-)
Nachtrag 18.9.2013:
Wie ich es angenommen hatte: Auf dem Kürtener Schulpodium am 13.9.2013 haben tatsächlich ausschließlich Kandidaten der Parteien teilgenommen und gerade keine Vertreter der sonst noch bei der Wahl antretenden Parteien ohne eigenen Kandidatenstatus, siehe näher Reportage der Rundschau. Dann hätte das gegenüber dem Verwaltungsgericht angezogene Argument der Schule, nicht nur die Kandidaten seien Zielpersonen gewesen, sondern grundsätzlich alle auf dem Stimmzettel aufgenommenen Parteien tatsächlich nicht zugetroffen - und dann erscheint reichlich willkürlich und auch logistisch gerade nicht zwingend, einen durchaus ernsthaften und thematisch sachverständigen Kandidaten abzuweisen. Na ja: Nach der Wahl ist vor der Wahl!
Denn vorher werde ich wohl keine Schule mehr betreten dürfen - ich erhielt in der Folge noch sehr gleich lautende Absagen für die Wahlinformations-Podien des Gymnasium Wermelskirchen und des AMG Bergisch-Gladbach / Bensberg, beide am 17.9.2013 - und ich gehe mal davon aus, dass die Schüler/innen nicht einmal darüber informiert wurden, dass und warum ein völlig bürgerlicher Kandidat ganz gegen sein Engagement nicht zu sehen und zu fragen war. Schade das, es entspricht nicht ganz dem Ergebnis-offenen demokratischen Leitbild, das m.E. gerade eine deutsche Schule vermitteln muss.
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