Dienstag, 17. September 2013

Der Guido lebt – die Wahl ist tot

Guido Westerwelle hat den Bonnern nicht die Rückkehr der Hauptstadt versprochen. Nicht mal seine eigene, denn er will in Berlin bleiben und dort tapfer die Bonner vertreten; das mag ja auch in mehrfacher Hinsicht ein Anreiz sein. Aber seit der Bayern-Wahl und seit dem krachenden Rauswurf der FDP aus der Vertretung der städtischen & ländlichen Bajuwaren muss man plötzlich um den Berliner Außenposten Westerwelle bangen – was es furchtlos zu verhindern gilt. Nun ist relativ wenig Zeit für feingliedrige Sprachregelungen und so soll nun ganz ungeschminkt im Rahmen einer Zweitstimmenkampagne bundesweit für so genannte Stimmenverteilungs-Vereinbarungen nach dem Vorbild Bonns geworben werden, mag das hier und da auch noch ein wenig schamhaft heruntergespielt werden.
 
Ein neues anwaltliches Geschäftsmodell? Vielleicht. Ziel ist es, die Wähler zu einem für das Wahlergebnis entscheidenden Stimmensplitting zu führen: Potenzielle Wähler der CDU, die sonst die Erst- und die Zweitstimme nach ihrer politischen Präferenz beide an die CDU geben würden, wählen nun nur mit der Erststimme die CDU, geben die Zweitstimme aber der von der 5%-Hürde handhaft bedrohten FDP. Und im Gegenzug wählen auch die FDP-Wähler nicht mehr sortenrein, sondern ebenfalls per Erststimme CDU – die dann auch wieder auf diverse Überhangmandate hoffen kann – und mit der Zweitstimme das, was sie immer schon wählen wollten: Good old Genschman und die FDP. Es kommt dann tendenziell zu einem Parlament, das die bei den Wähler/innen (ohne die Stimmenverteilungsverträge) aktuellen politischen und thematischen Präferenzen eben nicht repräsentiert. Aber summa summarum bleibt es in der Familie bzw. in derjenigen Koalition, die die Parteispitzen vor der Wahl gemeinsam angepeilt haben.

Warum halte ich das Ganze, das sich so nah am Eichstrich unserer Demokratie abspielt, nur für so halbseiden und manipulativ, für ein offenes Umgehungsgeschäft zu Lasten unserer 5%-Klausel in § 6 Abs. 3 Bundeswahlgesetz? Warum denke ich bei Strategien, die so durchscheinend sind wie das erstaunliche Beck’sche Dünndruckpapier, instinktiv an Mauschelei und Winkeladvokatur? Exkurs: Wobei sich letzteres vom sprachlichen und sozialen Milieu längst frei gemacht hat. Denn die Winkeladvokatur leitete sich ursprünglich nicht von juristischen Winkelzügen ab, sondern vom Anwaltsproletariat, das in kleinen Winkeln hauste (heute noch im Niederländischen „het winkel“, das kleine Ladengeschäft) und das gerade die hoffnungslosen Fälle annehmen musste. Hier dagegen sprechen wir eher von Anwaltsfirmen, an besten Adressen, in Großraumbüros, blendend vernetzt und durchgehend bestens alimentiert. Exkurs Ende.
 
Ich wohne wohl nicht nahe genug an der Nomenklatura dieser Republik, um das als Ausdruck blendender Staatskunst zu verstehen. Habe sowieso Probleme mit politischen Verträgen, gerade auch mit Koalitionsverträgen, die von vielen heute schon höher und bindender gehandelt werden als selbst die Verfassung ("XYZ muss jetzt realisiert werden; steht doch in der Koalitionsvereinbarung!"). Apropos Verfassung: Der einzige im Grundgesetz konkret genannte Auftrag der Parteien ist die Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes, Art. 21 Abs. 1. Damit waren allerdings, wenn ich mich recht erinnere, keine Stimmenverteilungsverträge gemeint, sondern die Qualifizierung der Bürger/innen zur Bewertung und Mitgestaltung politischer Fragen. Ansonsten steht dort, die Parteien sollen sich vorsehen, nicht die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen. Ja: Im Grundgesetz reicht das "Beeinträchtigen", verbunden mit der Drohung des Parteiverbots. Und beeinträchtigt darf man sich hier schon fühlen, stark sogar.

Erreicht den Hof mit Müh’ und Not,
der Guido lebt, die Wahl ist tot.

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