Geschichtlich bedingt ist unser Staat ausgeprägt "parlamentarisch repräsentativ" (vertretend) aufgebaut. Er kommt nüchtern betrachtet auch ohne tiefen Gedankenaustausch mit den normalen, den nicht parteigebundenen Bürgern gut voran. Und in den Parteien ist das Urteil über politische Kernthemen häufig kleinen Gruppen anvertraut. Dann entscheiden sehr wenige für sehr viele. Ich überspitze, um den Punkt klarzumachen: Deutschland ist eine absolute Republik, eine res publica civibus absoluta, eine von den Bürgern losgelöste Republik.
Nun, die historischen Bedingungen dieser Konstruktion - Angst vor in den Nachkriegsjahren weiterwirkenden totalitären und faschistischen Grundeinstellungen der Bürger - sind nun schon seit Jahrzehnten überwunden und die Bürger sind demokratisch volljährig geworden. Spätestens mit der Wiedervereinigung war auch eine Sollbruchstelle des Grundgesetzes erreicht, das nur ein Provisorium sein wollte, bis sich alle Deutschen eine erwachsene Verfassung geben konnten.
Wie lief die Entwicklung und wo stehen wir heute? War die Bürgerferne des Grundgesetzes eine Vorgabe der Alliierten?
Ein netter Erklärungsversuch, aber grundfalsch. Tatsächlich ist die Distanz schlicht hausgemacht. Die Alliierten hatten im sog. "Frankfurter Dokument I" v. 1.7.1948 ausdrücklich ein Referendum zur Annahme des Grundgesetzes durch die deutsche Bevölkerung gefordert:
(...)
Wenn die Verfassung in der von der Verfassunggebenden Versammlung
ausgearbeiteten Form mit diesen allgemeinen Grundsätzen nicht im Widerspruch
steht (Bezug: föderale Struktur mit Sicherung der Rechte der beteiligten
Länder, angemessene Zentralinstanz, Garantie der individuelle Rechte und
Freiheiten), werden die Militärgouverneure Ihre Vorlage zur Ratifizierung
genehmigen. Die Verfassunggebende Versammlung wird daraufhin aufgelöst. Die
Ratifizierung in jedem beteiligten Land erfolgt durch ein Referendum, das eine
einfache Mehrheit der Abstimmenden in jedem Land erfordert, nach von jedem Land
jeweils anzunehmenden Regeln und Verfahren. Sobald die Verfassung von zwei
Dritteln der Länder ratifiziert ist, tritt sie in Kraft und ist für alle Länder
bindend. (...)
1.
Der Parlamentarische Rat tritt gemäß Dokument I am 1.9.1948 zusammen und führt
die Beratungen über die vorläufige Verfassung der Vereinigten Westzonen durch.
Das Ergebnis seiner Beratungen wird den Namen "Grundgesetz - Vorläufige
Verfassung" (basic constitutional law) tragen. Die Ministerpräsidenten
schlagen die Ratifizierung des "Grundgesetzes - Vorläufige
Verfassung" durch die Länderparlamente vor. Sofern die alliierten
Regierungen auf die Abhaltung einer Volksabstimmung bestehen, erklären sich die
Ministerpräsidenten auch mit dieser Lösung einverstanden.
2. (...)
2. (...)
Im
Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen (...) hat das Deutsche
Volk in den Ländern (...), um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit
eine neue Ordnung zu geben, kraft seiner verfassunggebenden Gewalt dieses
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland beschlossen. (...)
"Wir
begreifen das Wort - provisorisch - natürlich vor allem im geographischen Sinn,
da wir uns unserer Teilsituation völlig bewusst sind, geographisch und
volkspolitisch. Aber strukturell wollen wir etwas machen, was nicht
provisorisch ist und gleich wieder in die Situation gerät: heute machen wir
etwas und morgen kann man es wieder ändern, und übermorgen wird eine neue
Auseinandersetzung kommen. Wir müssen strukturell vielmehr etwas Stabileres
hier fertigzubringen versuchen, auch etwas, das eine gewisse Symbolwirkung hat,
sodass wir den Besatzungsmächten, dass wir auch den Leuten im Osten sagen: wir
sind nun eben auf einem Weg begriffen, dessen Ende noch nicht erreicht
ist."
Soweit zur Abstimmung der Deutschen über die Verfassung selbst, eine Abstimmung, die nach 50 Jahren noch immer aussteht. Ich kann das auch sehr positiv fassen: als bisher aufgesparte Chance, Legitimation zu schaffen und unseren Staat jetzt in uns Bürgern anzusiedeln. Wie wär's?
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