Sonntag, 11. August 2013

„Soldaten gegen Abzug“

„Soldaten gegen Abzug“ lautet eine sehr irritierende Überschrift auf der Deckseite des Kölner Stadt-Anzeigers v. 5.8.2013. Haben sich nun die deutschen ISAF-Soldaten in Kundus im pastell-farbenen Abendlicht zusammengesetzt und gemeinsam beschlossen, doch lieber noch ein wenig dort zu bleiben? Wer dann etwas genauer nachliest, insbesondere im Artikel „Gegen vollständigen Abzug“ auf S. 5 des Anzeigers, der erfährt: Dies ist die in einem Presse-Interview geäußerte Positionierung des Bundesvorsitzenden des Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberst Ulrich Kirsch; hier eine inhaltlich entsprechende Version der Berliner Zeitung im Internet.

Irritierend aber bleibt die Angelegenheit doch sehr. Hat nicht noch im Mai Verteidigungsminister de Maizière den Oppositionsführer Steinbrück darin bestärkt, die Bundeswehr insgesamt aus dem Wahlkampf herauszuhalten, und zwar hinsichtlich des organisatorischen Umbaus ebenso wie hinsichtlich der Auslandseinsätze, siehe http://www.presseportal.de/pm/55903/2468313/waz-verteidigungsminister-de-maizi-re-sicherheitspolitik-aus-dem-wahlkampf-heraushalten. Und dabei führte de Maizière ja auch eine altbewährte Wahlkampfstrategie fort: Der frühere Außenminister Kinkel hatte schon im September 1993 im Wahlkampf zum 12. Deutschen Bundestag freimütig bekannt (zur Erinnerung: es steht jetzt die Wahl zum 18. Bundestag an), und zwar auf die Frage, ob er eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einer Debatte mit den Wählern vorziehen würde: „Ich möchte wirklich ungern mit diesem Thema in 20 Wahlkämpfe gehen, weil das Deutschland schadet. Und das sagt der Außenminister, der ja in der Praxis täglich verhandeln muss und sieht, wie sehr wir nach diesem Themenkreis gefragt werden, nicht weil wir Außenpolitik militarisieren wollen, sondern einfach deshalb, weil von uns erwartet wird als 80-Millionen-Volk, dass wir wie andere auch uns an der Friedenssicherung beteiligen.“, siehe näher Mitschrift des n-tv-Interviews v. 10.9.1993 unter der Paginierung S. 39. So blieb es hinfort: Auch in den folgenden Wahlkämpfen wurde das Thema nach Kräften untertunnelt, jedenfalls von den wesentlichen Parteien. Zumal man mit „out-of-area“ schon lange keine Blumentöpfe mehr zu gewinnen wusste, wo die Bürger/innen speziell den Afghanistan-Einsatz über mehrere Jahre bereits in klarer demoskopischer Mehrheit ablehnten.

Und nun stellt der Bundesvorsitzende Kirsch den publizistisch so gut eingeführten „Abzugstermin 2014“ lauthals in Frage. Noch dazu, indem er die zentrale Voraussetzung für siegreiche Pressemittelungen der Zukunft kurzerhand in Stücke sprengt – das Narrativ von einer erfolgreichen „Afghanisierung“ des ISAF-Einsatzes, dessentwegen wir uns nun zufrieden zurücklehnen und uns auf Ausbildung von afghanischen Soldaten und Ordnungshütern zurückziehen könnten, und die vielleicht am Ende nach Sonthofen verlagern könnten. „Die Sicherheitslage“, so Kirsch in dem Interview, „kann einen ängstigen. Zu sagen, wir bräuchten nach 2014 keine Kampftruppe in Afghanistan mehr, mag wahltaktisch schön sein, entspricht aber nicht der Realität. Wir brauchen eine solche Kampftruppe auch nach 2014 allemal, um hoch beweglich auf Krisen reagieren zu können, die in dieser wackligen Sicherheitslage ganz schnell entstehen.“ Und er wird noch deutlicher, nennt das Problem der Soldaten, das bereits beim hastigen Abzug des deutschen UNOSOM-Kontingents aus der gesicherten Stellung in Belet Huen i.J. 1994 ein Szenario gewesen war: Die Kampftruppe sei auch notwendig, „um gegebenenfalls unsere eigenen Leute herauszuholen.“

Was ist nun richtig? Wenn die Mehrheit der Bürger/innen den Afghanistan-Einsatz für gescheitert hält, dann ist das mehr als ein diffuses Bauchgefühl. Der ehemalige Bundeswehr-Generalinspekteur Harald Kujat hatte genau das bereits im Oktober 2011 als Klartext  geäußert, s. http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/ex-generalinspekteur-kujat-erklaert-afghanistan-einsatz-fuer-gescheitert/4694744.html. Der Einsatz habe den politischen Zweck erfüllt, Solidarität mit den USA zu üben. „Wenn man aber das Ziel zum Maßstab nimmt, ein Land und eine Region zu stabilisieren, dann ist dieser Einsatz gescheitert.“

Zugegeben, es ist für Wahlkampfmanager eine extrem ungemütliche Situation, mit Lebenslügen aufräumen zu müssen – oder dazu auch nur eine ergebnisoffene Debatte zu riskieren. Aber genau das ist das demokratische Prinzip; ich bin auch nicht wirklich für das Wohlbefinden der Wahlkampfmanager zuständig, eher im Gegenteil. Und der derzeitige Bundesvorsitzende Kirsch sollte sich an eine Überlegung seines Vorgängers Gertz erinnern, der vor vielen Jahren bereits an ein Bundeswehraufgabengesetz und eine ergänzende Klarstellung im Grundgesetz gedacht hatte, freilich seinerzeit im Zusammenhang mit den damals heiß diskutierten Binnen.-Einsätzen der Bundeswehr, siehe Interview mit dem DeutschlandRadio v. 16.3.2004 http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/247793/.


Vor vielen Jahren hat der inzwischen verstorbene Karl Otto Hondrich das verstörende Buch „Lehrmeister Krieg“ vorgelegt. Hondrich ist mir alles andere als ein Vorbild, zumal er nach meinem Verständnis darwinistische Erklärungsmodelle bei Völkern wie Individuen deutlich überschätzt und seine Ideenwelt durchaus auch der Fremdenfeindlichkeit als Bezugspunkt dienen könnte. Aber in einem gebe ich ihm völlig Recht: Aus militärischen Entwicklungen nichts lernen zu wollen oder zu können, sich dann wie zwanghaft immer mehr desselben vorzunehmen, das kann nur zu immer mehr Enttäuschungen und Verlusten führen. Darum ist jetzt Zeit für eine offene Evaluation und gesellschaftliche Debatte der bisherigen Missionen, zumindest für einen verlässlichen Fahrplan dahin. 

Ich werde der Partei meine Zweitstimme geben, die genau das seriös verspricht. Nur ein eher unerheblicher Punkt für eine verantwortungsvolle Wahlentscheidung? Ca. 20.000 zivile Tote in Afghanistan, darunter auch der Kundus-Zwischenfall als Einzelfall mit der höchsten bekannten Opferzahl (!), die sind aus meiner Sicht kein kollateraler Schaden, den man neben den Vorteilen und Erträgen dieses Einsatzes - welche genau wären das aus heutiger Sicht? - getrost ausblenden dürfte. Meine Meinung.

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