„Soldaten
gegen Abzug“ lautet eine sehr irritierende Überschrift auf der Deckseite des Kölner
Stadt-Anzeigers v. 5.8.2013. Haben sich nun die deutschen ISAF-Soldaten in
Kundus im pastell-farbenen Abendlicht zusammengesetzt und gemeinsam
beschlossen, doch lieber noch ein wenig dort zu bleiben? Wer dann etwas genauer
nachliest, insbesondere im Artikel „Gegen vollständigen Abzug“ auf S. 5 des
Anzeigers, der erfährt: Dies ist die in einem Presse-Interview geäußerte Positionierung
des Bundesvorsitzenden des Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberst Ulrich Kirsch;
hier eine inhaltlich entsprechende Version der Berliner
Zeitung im Internet.
Irritierend
aber bleibt die Angelegenheit doch sehr. Hat nicht noch im Mai
Verteidigungsminister de Maizière den Oppositionsführer Steinbrück darin
bestärkt, die Bundeswehr insgesamt aus dem Wahlkampf herauszuhalten, und zwar
hinsichtlich des organisatorischen Umbaus ebenso wie hinsichtlich der
Auslandseinsätze, siehe http://www.presseportal.de/pm/55903/2468313/waz-verteidigungsminister-de-maizi-re-sicherheitspolitik-aus-dem-wahlkampf-heraushalten. Und dabei führte de Maizière
ja auch eine altbewährte Wahlkampfstrategie fort: Der frühere Außenminister
Kinkel hatte schon im September 1993 im Wahlkampf zum 12. Deutschen Bundestag freimütig
bekannt (zur Erinnerung: es steht jetzt die Wahl zum 18. Bundestag an), und
zwar auf die Frage, ob er eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einer
Debatte mit den Wählern vorziehen würde: „Ich
möchte wirklich ungern mit diesem Thema in 20 Wahlkämpfe gehen, weil das
Deutschland schadet. Und das sagt der Außenminister, der ja in der Praxis
täglich verhandeln muss und sieht, wie sehr wir nach diesem Themenkreis gefragt
werden, nicht weil wir Außenpolitik militarisieren wollen, sondern einfach
deshalb, weil von uns erwartet wird als 80-Millionen-Volk, dass wir wie andere
auch uns an der Friedenssicherung beteiligen.“, siehe näher Mitschrift des n-tv-Interviews
v. 10.9.1993 unter der Paginierung S. 39. So blieb es hinfort: Auch in den
folgenden Wahlkämpfen wurde das Thema nach Kräften untertunnelt, jedenfalls von
den wesentlichen Parteien. Zumal man mit „out-of-area“ schon lange keine
Blumentöpfe mehr zu gewinnen wusste, wo die Bürger/innen speziell den Afghanistan-Einsatz
über mehrere Jahre bereits in klarer demoskopischer Mehrheit ablehnten.
Und
nun stellt der Bundesvorsitzende Kirsch den publizistisch so gut eingeführten „Abzugstermin
2014“ lauthals in Frage. Noch dazu, indem er die zentrale Voraussetzung für
siegreiche Pressemittelungen der Zukunft kurzerhand in Stücke sprengt – das
Narrativ von einer erfolgreichen „Afghanisierung“ des ISAF-Einsatzes, dessentwegen
wir uns nun zufrieden zurücklehnen und uns auf Ausbildung von afghanischen
Soldaten und Ordnungshütern zurückziehen könnten, und die vielleicht am Ende nach
Sonthofen verlagern könnten. „Die
Sicherheitslage“, so Kirsch in dem Interview, „kann einen ängstigen. Zu sagen, wir bräuchten nach 2014 keine
Kampftruppe in Afghanistan mehr, mag wahltaktisch schön sein, entspricht aber
nicht der Realität. Wir brauchen eine solche Kampftruppe auch nach 2014
allemal, um hoch beweglich auf Krisen reagieren zu können, die in dieser
wackligen Sicherheitslage ganz schnell entstehen.“ Und er wird noch
deutlicher, nennt das Problem der Soldaten, das bereits beim hastigen Abzug des
deutschen UNOSOM-Kontingents aus der gesicherten Stellung in Belet Huen i.J. 1994
ein Szenario gewesen war: Die Kampftruppe sei auch notwendig, „um gegebenenfalls unsere eigenen Leute
herauszuholen.“
Was
ist nun richtig? Wenn die Mehrheit der Bürger/innen den Afghanistan-Einsatz für
gescheitert hält, dann ist das mehr als ein diffuses Bauchgefühl. Der ehemalige
Bundeswehr-Generalinspekteur Harald Kujat hatte genau das bereits im Oktober
2011 als Klartext geäußert, s. http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/ex-generalinspekteur-kujat-erklaert-afghanistan-einsatz-fuer-gescheitert/4694744.html.
Der Einsatz habe den
politischen Zweck erfüllt, Solidarität mit den USA zu üben. „Wenn man aber das
Ziel zum Maßstab nimmt, ein Land und eine Region zu stabilisieren, dann ist
dieser Einsatz gescheitert.“
Zugegeben, es ist für
Wahlkampfmanager eine extrem ungemütliche Situation, mit Lebenslügen aufräumen zu
müssen – oder dazu auch nur eine ergebnisoffene Debatte zu riskieren. Aber genau das
ist das demokratische Prinzip; ich bin auch nicht wirklich für das Wohlbefinden der Wahlkampfmanager zuständig, eher im Gegenteil. Und der derzeitige Bundesvorsitzende Kirsch
sollte sich an eine Überlegung seines Vorgängers Gertz erinnern, der vor vielen
Jahren bereits an ein Bundeswehraufgabengesetz und eine ergänzende Klarstellung
im Grundgesetz gedacht hatte, freilich seinerzeit im Zusammenhang mit den damals
heiß diskutierten Binnen.-Einsätzen der Bundeswehr, siehe Interview mit dem
DeutschlandRadio v. 16.3.2004 http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/247793/.
Vor vielen Jahren hat der inzwischen verstorbene Karl Otto Hondrich
das verstörende Buch „Lehrmeister
Krieg“ vorgelegt. Hondrich ist mir alles andere als ein Vorbild, zumal er nach meinem Verständnis darwinistische
Erklärungsmodelle bei Völkern wie Individuen deutlich überschätzt und seine Ideenwelt durchaus auch der
Fremdenfeindlichkeit als Bezugspunkt dienen könnte. Aber in einem gebe ich ihm
völlig Recht: Aus militärischen Entwicklungen nichts lernen zu wollen oder zu
können, sich dann wie zwanghaft immer mehr desselben vorzunehmen, das kann nur zu immer mehr
Enttäuschungen und Verlusten führen. Darum ist jetzt Zeit für eine offene
Evaluation und gesellschaftliche Debatte der bisherigen Missionen, zumindest
für einen verlässlichen Fahrplan dahin.
Ich werde der Partei meine Zweitstimme
geben, die genau das seriös verspricht. Nur ein eher unerheblicher Punkt für eine verantwortungsvolle Wahlentscheidung? Ca. 20.000 zivile Tote in Afghanistan, darunter auch der Kundus-Zwischenfall als Einzelfall mit der höchsten bekannten Opferzahl (!), die sind aus meiner Sicht kein kollateraler Schaden, den man neben den Vorteilen und Erträgen dieses Einsatzes - welche genau wären das aus heutiger Sicht? - getrost ausblenden dürfte. Meine Meinung.
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