Samstag, 1. Februar 2014

Vietnam 3.0 und die 50. Münchner Sicherheitskonferenz

Jetzt hat er es uns schon wieder gesagt, unser erster Bürger, unser Joachim Gauck. Wie schon am letzten Tag der Einheit hat er auch in seiner Eröffnungsrede zur 50. Münchner Sicherheitskonferenz davon geredet: Deutschland und die Deutschen müssen wegen Stärke und Wirtschaftsmacht bei den ständig neuen und sich sogar beschleunigenden Bedrohungen und tödlichen Herausforderungen, wo inzwischen "einzelne so viel Vernichtungskraft kaufen können wie füher nur Staaten, nun dankbar sein und "mehr tun für jene Sicherheit, die [uns] über Jahrzehnte von anderen gewährt wurde". Ja, zwar nimmt er Deutschland auch zunächst ein wenig in Schutz, gegen den Vorwurf "Drückeberger der Weltgemeinschaft zu sein". Denn wir wären ja schon ganz gut bis sogar vorbildlich bei der Entwicklungshilfe, beim Ressourcenschutz, bei der Finanzierung internationaler Organisationen und bei einigen Militäreinsätzen [aber, so muss man im Kontext der Rede folgern, wohl nicht bei ausreichend vielen Einsätzen oder ausreichend robusten]. Anzurechnen wäre uns zwar auch die Kooperation in Europa und die Anstrengung bei der Überwindung der monetären Krisen der jüngsten Zeit [die, wie man anmerken darf, kleine und periphere Staaten viel härter getroffen hat]. Aber die genannten Fleißkärtchen reichen unserem Ersten ganz offenbar nicht und er kleidet das von ihm wahrgenommene Defizit in rhetorische Fragen:


"Tun wir, was wir könnten, um unsere Nachbarschaft zu stabilisieren, im Osten wie in Afrika? Tun wir, was wir müssten, um den Gefahren des Terrorismus zu begegnen? Und wenn wir überzeugende Gründe dafür gefunden haben, uns zusammen mit unseren Verbündeten auch militärisch zu engagieren, sind wir dann bereit, die Risiken fair mit ihnen zu teilen? Tun wir, was wir sollten, um neue und wiedererstarkte Großmächte für die gerechte Fortentwicklung der internationalen Ordnung zu gewinnen? Ja, interessieren wir uns überhaupt für manche Weltgegenden so, wie es die Bedeutung dieser Länder verlangt? Welche Rolle wollen wir in den Krisen ferner Weltregionen spielen? Engagieren wir uns schon ausreichend dort, wo die Bundesrepublik eigens Kompetenz entwickelt hat – nämlich bei der Prävention von Konflikten?

Die Antwort und Benotung folgt auf dem Fuß und ich kann sie nur als ein "mangelhaft", wenn nicht sogar als ein "ungenügend" interpretieren:

"Ich meine: Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substantieller einbringen."

Sehr tief reflektiert hat er - obwohl ich ihm das durchaus zutraue - den komplexen Redetext nach meiner Einschätzung nicht, ich würde ihm darum auch keine bessere Note ausstellen als er Deutschland insgesamt:

So nennt er den deutschen Afghanistan-Einsatz kurz und bündig "notwendig", wagt aber keine Bilanz von Nutzen und Lasten, weder für Afghanistan, noch für Deutschland. Er verweist mehrfach auf die verlässliche Werteorientierung und insbesondere auf den Schutz der Grundrechte, den Deutschland im Schilde führe. Er schreckt aber vor einem Blick auf den massiven Blutzoll zurück, den der Einsatz der afghanischen Zivilbevölkerung abgefordert hat - nach zurückhaltenden Schätzungen 40.000 zivile Tote und ein Vielfaches an Verletzten. Und selbstverständlich gibt es auch keinen Hinweis auf die Katastrophe bei der Bombardierung von Tanklastern am Kundus-Fluss. Er weist auf die besonderen Interessen einer Exportnation an einem offenen Weltmarkt hin, das Interesse an der Erhaltung eines Ordnungsgefüges, das gar noch zukunftsfähig gemacht werden müsse, und weiß: "Deutschland profitiert besonders von der offenen Ordnung der Welt." "Offene Ordnung", das ist in der Wortkombination schon spannend; aber was ich hier erwarten würde, was aber völlig fehlt, das ist die selbstkritische Überlegung: Diese Art von interessierter und schlagkräftiger Ordnung kann man auch als Teil des Problems, als eine wesentliche Ursache bei der Destabilisierung von ganzen Regionen Afrikas prüfen und bewerten; etwa den Preis, zu dem wir hochsubventionierte Lebensmittel auf afrikanischen Märkten anbieten. Und der weit überwiegende Teil genau derjenigen Risiken, auf die wir mit unseren Sicherheitskonzepten antworten wollen, sie sind unmittelbare Auswirkungen einer Globalisierung nach unseren Spielregeln und zu unserem Vorteil.  Man kann das kaum eindrucksvoller aufzählen als im (noch aktuellen) Bundeswehr-Weißbuch 2006 und in seiner Risiko-Analyse, die mit geringügigen Änderungen auch von attac formuliert sein könnte. Wenn wir kämpfen, dann kämpfen wir auch als Zauberlehrlinge, kämpfen gegen selbst induzierte Krisen und Konflikte, auch gegen selbst produzierte und exportierte Waffen.

Zwei Präsidenten im Vergleich ihrer Fragen

Zu einem anderen Fünfzigsten und ebenfalls im München hatte ein anderer Präsident gesprochen; es war die Kommandeurtagung am 10.10.2005 und es ging um das fünfzigjährige Bestehen der Bundeswehr. Präsident war damals Horst Köhler und er stellte in seiner Rede zum speziellen Verhältnis zwischen Volk und Außen- und Sicherheitspolitik außergewöhnlich viele und außergewöhnlich skeptische Fragen: 26 in direkter Rede und noch mehr in indirekter Rede. Typische Beispiele daraus:



"Mich macht nachdenklich: Die Bundeswehr wird von einer Selbstverteidigungsarmee umgebaut zu - was eigentlich? Einer Armee im Einsatz? Einer Interventionsarmee? Der Deutsche Bundestag stimmt mehr als vierzig Mal dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland zu; aber die Deutschen wirken von all dem kaum berührt oder gar beeindruckt. ...

Alle diese Einstellungen mögen gutartig sein; aber zeugen sie nicht auch von einem bedenklichen Mangel an Kenntnissen, an aufgeklärtem Eigeninteresse und an politischem Wirklichkeitssinn? Wenn die Deutschen so wenig vom Ernst des Lebens wissen, auf den die neue Bundeswehr eine Antwort ist, dann werden sie nur schwer einschätzen können, welchen Schutz die neue Sicherheitspolitik verspricht, welche Gefahren sie möglicherweise mit sich bringt, ob der Nutzen die Kosten wert ist und welche politischen Alternativen Deutschland und die Deutschen bei alledem eigentlich haben. Das müssen sie aber einschätzen können, damit sie die nötige demokratische Kontrolle ausüben können, damit sie innerlich gewappnet sind für die kommenden Herausforderungen und damit sie den Dienst ihrer Mitbürger in Uniform zu schätzen wissen und aus Überzeugung hinter ihnen stehen. ...
Darum wünsche ich mir eine breite gesellschaftliche Debatte - nicht über die Bundeswehr, sondern über die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik unseres Landes.

Diese Debatte braucht klare Analysen, welche deutschen Interessen es zu schützen und zu fördern gilt, vor welchen Herausforderungen und Bedrohungen wir dabei stehen, auf welche Ressourcen wir zählen können, wie wir vorgehen und welche Rolle dabei die Bundeswehr übernimmt. Vor allem der Deutsche Bundestag, die Bundesregierung und die politischen Parteien sind gefordert, eine solche Gesamtschau zu entwickeln und den Bürgern vorzustellen. ..." 



Auch Joachim Gauck stellt Fragen, aber es sind deutlich weniger, nur 14, und sie wirken rein rhetorisch nach dem Muster "Wisst Ihr denn noch nicht oder wollt Ihr noch immer daran vorbeisehen, dass... ?". Gauck geht in der Form des Fontalunterrichts, der - wie in der Kirche - eine Gegenrede nicht erwartet, von lange gesicherten Botschaften aus:



"Aus all dem folgt: Die Beschwörung des Altbekannten wird künftig nicht ausreichen! Die Kernfrage lautet doch: Hat Deutschland die neuen Gefahren und die Veränderungen im Gefüge der internationalen Ordnung schon angemessen wahrgenommen? Reagiert es seinem Gewicht entsprechend? Ergreift die Bundesrepublik genügend Initiative, um jenes Geflecht aus Normen, Freunden und Allianzen zukunftsfähig zu machen, das uns Frieden in Freiheit und Wohlstand in Demokratie gebracht hat?
Lassen sie mich ein paar Beispiele in Fragen kleiden: Tun wir, was wir könnten, um unsere Nachbarschaft zu stabilisieren, im Osten wie in Afrika? Tun wir, was wir müssten, um den Gefahren des Terrorismus zu begegnen? Und wenn wir überzeugende Gründe dafür gefunden haben, uns zusammen mit unseren Verbündeten auch militärisch zu engagieren, sind wir dann bereit, die Risiken fair mit ihnen zu teilen? Tun wir, was wir sollten, um neue und wiedererstarkte Großmächte für die gerechte Fortentwicklung der internationalen Ordnung zu gewinnen? Ja, interessieren wir uns überhaupt für manche Weltgegenden so, wie es die Bedeutung dieser Länder verlangt? Welche Rolle wollen wir in den Krisen ferner Weltregionen spielen? Engagieren wir uns schon ausreichend dort, wo die Bundesrepublik eigens Kompetenz entwickelt hat – nämlich bei der Prävention von Konflikten? Ich meine: Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substantieller einbringen.
Wird Deutschland also "mehr Ärger bekommen", wenn es sich einmischt? ..."

Was ist nun das rechte Beispiel für Staatskunst: Köhlers offener oder Gaucks beschlossener Ansatz? Dialog oder Verkündung? Zumindest eines ist sicher: Der Zeitpunkt für Dialog ist in einer Demokratie vor der Wahl. Demokratie lebt davon, dass konkurrierende politische Konzepte zur Wahl gestellt werden, mit für die Bürger/innen verständlichen Analysen und Evaluationen der bisherigen Politik und Konzepten / Werkzeugen für ein in der kommenden Legislaturperiode verbessertes (oder auch, wenn bewährt, bestätigtes) Handlungsprogramm zu dem jeweiligen Politikfeld. Dazu bedarf es einer verständlichen und möglichst unabhängigen Evaluation der bisherigen Missionen nach Ressourcenplanung und Ressourcenverbrauch, nach Erfolgen und Misserfolgen, auch nach Nebenfolgen, speziell solchen mit Grundrechtsrelevanz. Das hat gefehlt und fehlt noch heute. Auch das strategische Papier "Neue Macht, neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch" der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und des German Marschall Fund of the United States (GMF) mit Bearbeitungsstand September 2013, das sich in einzelnen Positionen den Reden Gaucks, von der Leyens und Steinmeiers auf der Münchner Sicherheitskonferenz wiederfindet, enthält keine kritische Analyse oder gar systematische Evaluation des bisherigen Einsatzgeschehens, keine "lessons learnt". Das erweckt den Eindruck, dass die militärische Kooperation als alternativlos oder gar als - in einer fortschreitend unkalkulierbaren weltpolitischen Lage - zwingend zu vertiefen gilt, dass darum eine systematische Prüfung auf Zielerreichung oder Bewährung nicht ansteht, dass dies gar ein ganz unwirtschaftlicher, weil notwendigerweise folgenloser Aufwand wäre.

- wird fortgesetzt ("Was ist der im GG rechtsstaatlich und demokratisch vorgezeichnete Weg?") -

Grundgesetz
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