Samstag, 2. Dezember 2017

Lavamat – zu wenig und zu viel Kohle



Besser, ich wasche mir die Hände in den nächsten Tagen nicht mehr. Es gibt noch mehr Schwarz als das in alten Philips-Bandgeräten oder im Ansaugtrakt eines KIA Sportage - siehe dazu meine zuvor verlinkten letzten Posts.

Gestern Nachmittag stellte unsere etwas betagte Waschmaschine das Schleudern ein. Zu allen gesondert abrufbaren Funktionen – Abpumpen, Schleudern – nur noch ein missmutiges Brummen und Stillstand der Wäschepflege. Rückseite aufgeschraubt, hineingeleuchtet: Der Antriebsriemen vom Motor zur Trommel ist okay; an einer Motorseite ist der Boden deutlich schwärzer. Mal wieder was mit Kohle offenbar. Nach Ausbau des E-Motors (geht relativ einfach durch Herunterschieben des Antriebsriemens (dabei diesen leicht in Laufrichtung verschieben), durch Lösen von vier Schrauben und behutsames Herausklopfen aus der weißen Kunststoff-Halterung (mein Rat: Vorsichtshalber ein passendes Brett oder dergleichen unter den Motor legen/klemmen, damit die Schrauben entlastet sind und der Motor auch nicht ruckartig zu Boden geht; das folgende Bild bitte in Gedanken nach links drehen - weiß der Geier, warum blogger es beim Hochladen so schwindelerregend abgegekippt hat)

Bild gedanklich um 90 Grad nach links drehen ;-)
und nach Ausbau der Kohlenträger die klare Diagnose: Eine Kohlebürste schimmert noch adrett metallisch – diese hatte noch ein paar Monate Zeit. 

links: läuft / rechts: ausgelaufen
Die zweite dagegen ist noch einige Millimeter kürzer und auch recht verkokelt diese Kohle hatte gerade ihr Letztes gegeben, als sie von ihrer endlichen Zuleitung vom Kollektor abgehoben wurde. Anm.: Die Kohlenträger können Sie mit je zwei Kreuzschlitzschrauben lösen und herausnehmen, aber dazu immer das genau passende Bit wählen und wegen des dort recht eng bemessenen Arbeitsraums eine möglichst schmale Bitaufnahme (oder natürlich gleich einen genau passenden Schraubenzieher). Denn wenn die Schraube mal verwürgt ist, dann hat man/frau ein größeres Problem.
Nun den Ersatz suchen, ggf. bei einem gut sortierten Elektrofachgeschäft bzw. Elektro-Installateur oder auch im Internet. Die Kohlen selbst haben im Grunde ein Standard-Maß (5 x 12,5 x ca. 40 mm; geeignet für einen Kohlenträger von 57 mm Länge) und werden unter diversen Marken wie AEG, Bosch, Privileg etc. verbaut. Bei den Trägern gibt es allerdings Unterschiede. Manche – wie meine beiden – sind mit „R“ gekennzeichnet, manche für einige andere Waschmaschinen mit „L“. Ich gehe davon aus, dass dies nicht etwa auf „rechts“/„links“ am Motor angebracht hinweist, sondern auf „rechtsdrehender“/ „linksdrehender“ Motor; es macht damit einen ganz wesentlichen Unterschied und keinesfalls sollte man die falschen oder gemischte Träger verbauen! Sonst läuft es sehr schlecht und/oder sehr kurz.
Im Grunde spielt das aber für mein Problem gar keine Rolle, für die meisten anderen Kohlebürsten-Affären gestresster Waschmänner oder -frauen ebensowenig. Denn verbraucht sind typischerweise ausschließlich die Kohlebürsten selbst, nicht etwa die Träger, und die Kohlenbürsten für sich sind im Grundzustand nicht chiral bzw. spiegelsymetrisch; sie eignen sich daher sowohl für "R"- wie auch für "L"-Träger. (Anm.: Nur wenn sie bereits eingelaufen sind und im Ausnahmefall nochmals eingebaut werden sollten, dann nur auf derjenigen Motorseite, an der sie sich schon eingewöhnt hatten!) Die Träger wiederum bestehen aus zwei schwarzen Kunststoff-Schalen, die senkrecht zur Längsachse der Kohlen sehr elegant, fast unmerklich ineinander gesteckt sind, und aus einer dazwischen eingelegten Messingführung für die eigentliche Kohlebürste und ihre Andruckfeder. Ein Austausch allein der Kohlen ist wirklich überhaupt kein Problem. Im folgenden Bild: Linkerhand die vier demontierten Elemente einer Bürsten-Einheit, rechts ein noch zusammengebautes Element, siehe dort auch das oben erwähnte "R" etwas oberhalb der Mitte, das für meine Waschmaschine typisch ist. 

links: die vier Teile einer Kohlebürsten-Einheit demontiert
rechts: noch zusammenhängend; zum aufgeprägten "R" siehe Text oben

Dass zumeist nur die eigentlichen Kohlen auszutauschen wären, das hindert aber etwa AEG nicht daran, über seine Serviceseite https://shop.aeg.de/ als Kohlebürsten die gesamte Einheit feilzubieten, und zwar zum einmaligen Angebotspreis von 52 €, siehe bei Bedarf unter https://shop.aeg.de/W%C3%A4schepflege/Waschmaschinen/Motoren-%26-Pumpen/FHP-Kohleb%C3%BCrste-f%C3%BCr-Waschmaschinen/p/4006020327
Wenn man/frau dagegen nur die reinen Kohlebürsten ersetzt, dann ist viel teures Geld zu sparen und man/frau schont dabei auch noch ein wenig die Umwelt, der man/frau ansonsten die alten Kohleträger zur weiteren Sorge anempfehlen müsste. Wer im Internet etwa unter der Siemens-Spezifikationsnummer 154740 sucht oder halt unter dem jeweils eigenen Waschmaschinen-Typ, der findet schnell diverse Angebote unter 10 €
Zur Erbauung: Ich fand auch eine interessante Offerte zu 62,75 €, und zwar nur für die Kohlebürsten, nicht etwa inklusive Träger (!!!). Dafür wird allerdings mit kostenloser Lieferung geworben (na ja, das Porto könnte bei diesem Preis auch locker drin sein). Derzeit ist der Artikel dort aber nicht auf Lager. Zum Glück, möchte ich meinen, für so viel Kohle!



Ach ja, und zwischendurch kommt noch verschärfte Surfer-Freude auf: Während ich gerade die notwendigen und hinreichenden Kohlen google und auch schon fündig werde, da poppt ebenso fröhlich wie ungefragt ein Gewinnspiel auf: Unter dem Header „Mitgliedschaftsbelohnungen / Sign in“ werde ich plötzlich gegrüßt per „Herzlichen Glückwunsch Deutsche Telekom AG Nutzer, Sie haben heute Glück!“ Ohne viel Federlesens verlässt der Bot auch schon die Ebene der förmlichen Anrede und schwenkt um auf ein fraternisierendes, gleichzeitig zur Eile drängendes „Du hast nur 3 Minuten und 2 Sekunden, um die drei Fragen zu beantworten, bevor ein anderer glücklicher Besucher das Geschenk erhält. Viel Glück!“ Frage Nr. 1 von dreien lautet, mich schauert's: „Wer hat Microsoft gegründet?“ Ermunternd fügt der Bot noch an, in welch’ trostloser Minderheit die Nicht-Wisser vegetieren: „97% richtig beantwortet“ und bietet sodann eine trifold choice zwischen Bill Gates / Mark Zuckerberg / Warren Buffett, schiebt sicherheitshalber auch noch den begeisterten Tweet eine attraktiven jungen Dame nach, die an der Supermarkt-Kasse ihr Alter angeben müsste: „Ich war mir nicht sicher, ob das wirklich wahr ist oder nicht, aber ich habe heute tatsächlich mein iPhone 7 erhalten!“ Ich weiß, der Bot will nur mein Bestes und sein eigenes Glück, also meine Daten, und investiere die drei Minuten in tiefe Selbstversenkung, um endlich an meine Kohlen zu kommen.
Indessen: Auch als ich beim Schürfen nach Glück und/oder Smartphones nur noch 0 Minuten und 0 Sekunden übrig habe, als ich quasi schon über den Abgrund hinausgeschritten bin, da kann ich meinen Browser nicht mal mehr per leftwards arrow dazu verleiten, auf diejenige Seite zurück zu springen, die ich vor dem einschmeichelnden Versprechen des heiligen Bot angewählt hatte. Ich muss dämlicherweise über die Historie gehen. Aber: Strafe muss halt sein, bei so unerhörter digitaler Verweigerung. Weiß der Schöpfer, wie viele Megawattstunden Bill Gates' Nachfolger und/oder die Bundespost-Nachfolger über solch’ plumpvertrauliche Spielchen Tag um Tag als CO2 in den Himmel blasen lassen! Sogar aus gasförmiger Kohle kann man noch viel Kohle machen. Anm.: Wäre das Internet ein Land, es hätte den sechstgrößten Energieverbrauch auf Erden, siehe dazu z.B. https://www.swr.de/natuerlich/stromfresser-internet-wie-viel-energie-braucht-das-netz/-/id=100810/did=14939750/nid=100810/17wfi2i/index.html.

Falls mich jetzt jemand zart drauf hinweisen will: Ja, ich weiß, auch ich bin gerade digital unterwegs, schaffe mit bei diesem globalen Stoffwechsel von Daten auf Watt, von Watt auf Klimagase. Bin voller Elan mit dabei, den viele Millionen Jahre währenden Prozess - im Falle des Erdzeitalters Karbon  allein ca. 50 Mio. Jahre - des pflanzlichen Fixierens von atmosphärischem Kohlendioxid in wenigen hundert Jahren zurückzudrehen. Und damit zurückzufinden zu einem IQ, der zur Zeit des Karbons - in heutigen Maßstäben gemessen - deutlich unter dem Wert 1 gelegen hätte. Tröste mich damit, das es hier für einen guten Zweck sein soll. Aber genau das sagen auch alle anderen mit IQ > 1 ...

Die Fortsetzung 

Tja, meist gibt es eine Geschichte hinter der Geschichte oder - das wäre hier genauer - eine Geschichte nach der Geschichte. Die hoffentlich inzwischen wieder Geschichte ist. Doch zurück in den Waschkeller:

Zwei Tage war ich meiner Frau Held. Dann stellte die frisch reparierte Waschmaschine den Dienst schon wieder ein. Wortlos und als sie noch randvoll Wasser war. Welch' trübe Fluten sich dann, zur Vorbereitung neuer Arbeit, über den Kellerboden Richtung Abfluss verflüchtigen mussten. Meine nächsten Schritte: Ich habe die o.g. Kohlen gleich wieder rausgerupft; allerdings hauptsächlich deswegen, weil sie ein, wie ich bauchgefühlsmäßig fand, seltsam sirrendes Geräusch abgegeben hatten und ich ihnen dann nicht mehr so recht traute. Im Internet hatte der Anbieter mit einer "Sandwich"-Struktur geworben = Zonen unterschiedlicher Materialhärte, die sich wohl positiv auf die Standfestigkeit auswirken sollten. Beim näheren Betrachten des Kollektors hatte es allerdings den (ggf. subjektiven) Anschein, dass dafür dort die Abnutzung höher war - und den Kollektor kann man halt schlecht oder gar nicht tauschen. Dann beim Elektriker meines Vertrauens gegen 25€ (das Dreifache!) die Kohlen gekauft, die - wie er fröhlich sagte - immer gerne einbaut. Das Einbauen machte dann aber gar keinen Spaß: Während meine Billig-Kohlen absolut maßgerecht gewesen waren und geradezu in den Träger hineingeflutscht waren, waren die Anschlusslaschen der heiß empfohlenen Kohlen ca. 0,4 mm zu breit für die Ihnen zugedachte Aufnahme und ich musste ca. 30 Min. daran herumfeilen, bis sie sich zu integrieren bequemten. Alles wieder eingebaut, gleichzeitig noch einen Gummifaltenbalg ersetzt, der seit einiger Zeit ein wenig inkontinent war. Sehr unbefriedigend aber: Alles das hatte logisch eigentlich noch gar nichts mit der oben beschriebenen Ausfallerscheinung zu tun. Auch an der Laugenpumpe, die bürstenlos und im Grunde unkaputtbar arbeitet, war nichts besonderes festzustellen, insbesondere kein etwa sperrender Gegenstand im Pumpengehäuse. Was bitte hatte dann die Maschine zum Stehen gebracht? Habe dann noch das Siphon in dem Abwasserrohr gecheckt, durch das die Maschine nach dem Waschvorgang gelenzt wird. Ebenfalls: Nichts festzustellen. Wie die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos.

Dann, aber eher hilflos oder zufällig, versuche ich mal in das Abwasserrohr hineinzupusten. Und damit lande ich einen Glückstreffer: Zunächst etwas größerer Widerstand, dann praktisch keiner mehr. Und damit klärt sich das Schadensbild nach dem Motto "Der Teufel ist ein Eichhörnchen!" und Folgendes war der mutmaßliche Ablauf: Das Abwasserrohr verläuft (eigentlich: verlief) über ca. drei Meter mit geringem, aber vermutlich völlig DIN-gerechtem Gefälle in Richtung Hausentwässerung. Der Anschlussstopfen der Waschmaschine wird an der Wand durch eine senkrecht verlaufende Plastikklaue gehalten - und hatte sich im Laufe der Jahre unbemerkt um diverse Zentimeter nach unten verschoben, mit der Folge, dass statt Gefälle nun ein kaum sichtbarer Durchhänger oder Bauch ausgebildet hatte. In diesem Bauch hatten sich mit der Zeit offenbar Waschrückstände bis hin zu einem Propfen angesammelt - und das schlichte Flügelrad der Laugenpumpe, das wohl höchstens einen Meter Wassersäule stemmen kann, war zunehmend überfordert. Das Ganze dürfte den Motor schon länger über Gebühr belastet haben, mit der Folge beschleunigten Kohlenverschleißes. Also: Was ich als Ursache des Übels angesehen hatte - die abgebrannten Kohlen - das war selbst schon die Folge eines anderen Problems. Shit happens. Nun läuft sie wieder. Ohne sirrende Kohlen. Und völlig kontinent.

Vorerst bin ich wieder Held.


Mittwoch, 29. November 2017

Drosselklappe oder: heart of darkness


Das schwärzeste Schwarz meines Lebens, dachte ich, hätte mir Philips mit seiner Gummi-Pest beschert. Bis vor ein paar Tagen im Armaturenbrett unseres KIA Sportage eine kleine Lampe erst hin und wieder, dann dauerhaft zu glimmen begann; es ist eine Lampe, die eine Vielzahl von Motorstörungen anzuzeigen vermag. Gleichzeitig begrenzte unser Motor sein Leistungsangebot auf maximal 3.000 rpm. In jedem Gang. Der in der Werkstatt per Tester ausgelesene Fehlercode P2113 besagte fast harmlos klingend: „Positionssensor B – minimale Endposition nicht i.O.“. Tja, so sagte man mir auf nähere Nachfrage, das könne bedeuten, dass die Drosselklappe defekt und auszuwechseln wäre. Kostenschätzung: etwa 800 €. Nein, so hieß es auf meine Nachfrage, daran sei eigentlich auch wenig zu reparieren; typischerweise wäre die Elektronik der Drosselklappensteuerung nach einiger Zeit verkokt und/oder verölt – durch diese Klappe wird nämlich auch Abgas in die Verbrennungsräume zurückgeführt, um die NOx-Werte zu mindern – und das Bauteil gebe es auch nur als Ganzes, nicht etwa die Elektronik gesondert. Es könnten aber durchaus auch noch weitere Teile defekt und auszuwechseln sein, etwa das Abgasrückführungs-Ventil, das nach einiger Laufleistung ebenso zum Verkoken neige; dieses Ventil sei zwar als reines Ersatzteil billiger, aber es sei viel schwerer einzubauen – Kostenschätzung: etwa 600 €.
Nun – unser Sportage ist lockere 205.000 gelaufen, soviel Geld wollten wir nicht noch hineinhängen, in einen Diesel zumal, von dem niemand weiß, wann den wer noch kaufen wollen wird. Drum hole ich mal das Werkzeug heraus. Zum Glück liegt die Drosselklappe sehr gut zugänglich unter dem Motor-Abdeckschild, direkt zwischen dem querliegenden Zylinderblock und dem Ventilator.
 

Die Klappe: Oben noch an Ort und Stelle, unten im ausgebauten Zustand:

Dabei eröffnet sich ein interessanter Einblick in den weiterführenden Ansaugkanal: Der ist nach den 200 Tkm zu mindestens 10% seines Querschnitts mit tiefschwarzem Ölkohlenschmier angefüllt. Vor wenigen Tagen habe ich zufällig in Jena einen Stukkateur-Spachtel gekauft (in einem dieser fast ausgestorbenen Haushaltswaren-Geschäfte mit mindestens 10 Regalmetern prächtigem Werkzeug); mit diesem Spachtel kann man die kohlige Pracht wunderbar herausschaben.
heart of darkness

darkness


Interessant wird es auch beim Öffnen der Drosselklappen-Steuerung. Wie vorausgesagt: völlig verölt - hier zwei Bilder nach dem Motto vorher/nachher:

unten: low carb
Nachher meint: Mit Terpentinersatz und zehntausend Wattetupfern von öliger Sauce gesäubert treten nun auch SMD's etc. wieder zu Tage. Vorsicht: die erst im unteren Bild (Mitte) gut sichtbaren sieben feinen Drähtchen haben den Querschnitt von Fliegenbeinen, sie sollten also höchstens mit einem weichen Pinsel gereinigt werden; sie sind ggf. nach der Reinigung auch wieder vorsichtig so zu positionieren, dass kein Masseschluss droht.

Eine vergrätzte Anmerkung: Ich bin ein Gegner der Todesstrafe. Konstruktionen wie diese könnten mich allerdings dazu verleiten, für bestimmte Ingenieure (nicht etwa Koreaner - denn jedenfalls die Drosselklappeneinheit hat keinen Migrationshintergrund; außen prangt "Siemens VDO") Ausnahmen zu tolerieren. Tatsächlich hätte man das Risiko eines Verölens der Elektronik deutlich herabsetzen können, hätte man diesen Teil der Steuerung nur oberhalb der Drosselklappe angeordnet, meinetwegen auch seitlich; Platz genug ist vorhanden. Aber schräg darunter, dabei dann auch unter der ständig bewegten Welle der Drosselklappe, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Öl der Schwerkraft folgend entlang der Klappen-Welle und vorbei an einem vermutlich sterblichen Simmering zur Elektronik gelangt, mit zunehmender Zeit beträchtlich, zumal auch zwischen der Mechanik und der Elektronik keinerlei Trennung wie etwa eine Membrane vorgesehen ist. Für mich sieht es wie eine Sollbruchstelle - oder Sollschmierstelle - aus, und das stimmt verstimmt. Fachsprachlich könnte man das Ganze als geplante Obsoleszenz deuten, ein wichtiges Hormon einer Konsum-abhängigen, aber auf Sicht nicht nachhaltigen Ökonomie. Den ökologischen Rucksack dieser Einheit mit viel Aluminium, einigem Kupfer und diversen seltenen Erden in der Elektronik schätze ich auf deutlich > 100 kg. Die Aussichten auf ein reales Recycling - ganz oder in Teilen - dürften dabei höchst gering sein: Nach Aussagen mehrerer Werkstätten werden bei Funktionsproblemen typischerweise keine Austauschteile, sondern eben Neuteile verbaut - wohl auch, um auf "Nummer sicher" zu gehen und späteren Reklamationen vorzubeugen. Anm. dazu: Tatsächlich sind an dieser Drosselklappeneinheit die mechanisch/elektrische Verstellung und die Elektronik zwei voneinander leicht trennbare, individuelle Baugruppen - lediglich vier Torxschrauben sind herauszudrehen - und nur im absoluten Ausnahmefall werden einmal beide Konponenten gleichzeitig defekt werden.


Zurück zu meinem Fall: Alles gut gereinigt wieder zusammengebaut, die Batterie für ca. 5 Minuten abgeklemmt (das soll helfen, damit der Wagen seine Sensoren neu erkennt und vorhandene Einstellungen resetted), gestartet - unser Sportage springt ohne Probleme an und läuft wieder rund; bei der Probefahrt ist die Leistung auch wieder adäquat - die Grenze von 3.000 rpm, die offenbar durch ein Notlaufprogramm vorgegeben war, ist wieder aufgehoben. Die Kontrolllampe für die Motorsteuerung hält sich vornehm zurück. Etwas irritierend ist noch die Verbrauchsanzeige, die nun Werte um die 15 Liter / 100 km meldet. Ich hoffe, das ist nur ein anfänglicher Messfehler nach dem Reset; nach der fühlbaren Motorcharakteristik müsste die Maschine eigentlich runder, leichter und sparsamer laufen.

Gut - ich weiß nicht, wie lange die Sache hält - beim Schwarz meiner Finger kalkuliere ich 2 - 4 Tage.


Aber es gibt jedenfalls neue Hoffnung. Und das waren die drei Stunden Bastelei (bei glücklicherweise gutem Wetter) und die verkohlten Finger (ging mit Spülmittel dann schon mal zu 90% wieder ab) wert. Schau'n wir mal!

Samstag, 18. November 2017

Philips 4307: bejahrt, aber richtig schön



Eine gute Bekannte weiß: Ich bastle und repariere gerne. Sie trägt mir ein Tonbandgerät aus den späten Sechzigern an; das gibt leider schon lange keinen Mucks mehr von sich. Und sie hat noch diverse Bänder aus der wilden Zeit, als alles auch noch nicht so chic – und manchmal steril – digital klang. Mal sehen:
1. Die Familien-Anamnese:
Die in den frühen Sechzigern von Philips gebauten Geräte waren noch weit entfernt von den späteren „High Fidelity“-Bandmaschinen. Das Modell 4307 hat zwar schon einen Viertelspurkopf, kann aber kein Stereo (eine Verstärkerstufe gespart), es hat keinen Bandzugskomparator (eines der Zauberworte, mit denen sich junge Männer dieser Ära beim small talk als Wissende ausgaben), hat auch keine Endabschaltung und das Band läuft immer mit der gleichen Geschwindigkeit, nämlich 9,5 cm/sec. Ein und der gleiche Motor ist darin allzuständig – für den Capstan-Antrieb (die schmale Achse über einem relativ großen Schwungrad, an die eine Andruckrolle das Band presst und damit unabhängig vom Aufwicklungsradius der aufnehmenden Bandspule mit gewissem Gleichlauf transportiert), für das Vor- und Zurückspulen und auch für den zusätzlichen Zug der aufnehmenden Bandspule (für ein kontrolliert festes Aufwickeln), wobei eine Rutschkupplung die jeweils je nach Spulenfüllung wechselnden Geschwindigkeitsdifferenzen aufnimmt. Der bürstenlose Motor hält typischerweise ewig, auch die erstaunlich einfache Elektronik


wird selten ein Problem werden; allenfalls die Elektrolytkondensatoren könnten chemisch bedingte Alterungserscheinungen zeigen – das kann man dann aber zumeist äußerlich identifizieren und gezielt beheben. Eine weitere Schwachstelle sind durch Zeitablauf und/oder durch widrige Lagerbedingungen oxidierte Reibflächen der Dehwiderstände aka Potentiometer, insbesondere des für die Lautstärke zuständigen Potis. In sehr vielen Fällen behebt sich dieses Problem fast von selbst, wenn man während des Betriebs des Tonbandgeräts die Potis mehrfach herauf- und herunterregelt, ggf. dabei auch ein wenig achsialen Zug und Druck appliziert (sensibel, nicht mit dem Hammer!). Teils ist die Funktion nachher wieder stabil, teils bleibt ein etwas labiler Zustand, dem man hin und wieder nachhelfen (neudeutsch: nudgen) muss, ggfs. muss man sich auch mit leicht krächzenden Tonstörungen anfreunden. Vintage halt. Wie wir.


Die recht robuste Mechanik dieses Geräts – und einiger folgender Baumuster wie des RK25 und RK37 etc. – hat allerdings ein sehr, sehr unschönes Problem eingebaut: Elastische Komponenten wie insbesondere Treibriemen und Bremsgummis, auch in den o.g. Rutschkupplungen, können sich nach einigen zehn Jahren zu einer zähflüssigen Creme


zersetzen, mit einer Viskosität zwischen Nutella und Marmelade und einem Lichtschutzfaktor, der selbst den beliebten Schoko-Brotaufstrich noch um das Tausendfache schlägt.
2. Erstuntersuchung dieses Geräts
-        Bei Einschalten normales Motorgeräusch und
-        der rechte Bandteller läuft (ohne Drücken von „Abspielen“) kontinuierlich mit, bei allerdings nur geringem Drehmoment.
-        Der linke Bandteller ist ungebremst bzw. frei beweglich; wenn man ihn dreht, läuft das Bandzählwerk mit (was es soll).
-        Die Capstan-Welle steht still (sie sollte kontinuierlich vom Einschalten bis zum Ausschalten des Geräts rotieren); Tasten „Schneller Vorlauf“ und „Schneller Rücklauf“ zeigen keinerlei Reaktion bei den beiden Bandtellern. Taste „Abspielen“ führt immerhin die Andruckrolle unter Druck an die Capstan-Welle.
-        Nach dem Einlegen eines Bandes und Drücken der Taste „Abspielen“ zunächst keine Wirkung, nach mehrfachem Vor- und Zurückdrehen des Lautstärke-Drehreglers erste Töne und bei langsamem Durchziehen eines Bandes auch Jaul-Töne aus dem Lautsprecher (mehr als Jaulen ist bei diesem irregulären Bandtransport auch nicht zu erwarten ;-)
-        Auf dem Tonkopf keine sichtbaren Anlagerungen und auch keine (durch jahrelangen Dauer-Gebrauch eingeschliffenen) Riefen; Löschkopf leicht verdreckt, im Übrigen eher geringe Verschmutzung.
-        Von den eloxierten Aluminiumflächen, mit denen das Kunststoff-Gehäuse (durchaus hochwertig anmutend) beplankt ist, haben sich einige teils gelöst, dito auf den Bandtellern. Das Gehäuse ist etwas verschmutzt, Holzflächen (seitliche Flanken) sind ein wenig stumpf; die chromfarbene Blende um die Bedienungstasten ist locker.
Erste Diagnose
-        Elektronik/Elektrik/Mechanik sind im Wesentlichen in Ordnung.
-        Von den mehreren Riemen des Geräts ist wohl nur (oder: ausgerechnet) der Hauptreibriemen defekt sowie die Kupplungen in den Bandtellern
3. Befund nach Öffnen, Therapie
Haupttreibriemen
Der Hauptreibriemen hat sich hier tatsächlich zu einer trägen Masse verflüssigt und hat sich auf der Oberseite des Metallchassis zur ewigen Ruhe gebettet. Man kann es noch ein wenig nachvollziehen bei der kleinen Bürste, durch die der Riemen kontinuierlich läuft: Von der Bürste getragen sind die Reste des Riemens noch auf luftigem Niveau – und links und rechts davon ist er müde abgesackt, hält sich ansonsten nur noch elend in der Nut der weißen Umlenkrolle, die man im folgenden Foto am oberen Bildrand sieht.

Das heißt nun: Alle Reste sorgsam mit einem geeigneten Werkzeug (z.B. mit einem schmalen Federmesser, gut geeignet ist auch ein Stukkateur-Spachtel mit abgewinkeltem Griff und einer flachen sowie einer spitz zulaufenden Klinge) mechanisch abtragen, insbesondere natürlich aus den Nuten beider Umlenkrollen und aus den Nuten des Schwungrades und des Antriebsmotors; sodann die Reste mit geeignetem Lösungsmittel entfernen (ich benutze Isopropyl-Alkohol, gibt’s in Apotheken, z.B. zur Desinfektion und zum Bereiten von kühlenden Umschlägen),

insbesondere aus den Nuten so gut wie es geht. Bei den Nuten hilft bisweilen auch eine in Alkohol getauchte Schlinge aus ca. 3 mm starkem Bindfaden, unter der man etwa die Umlenkrollen durchdrehen kann.  (Einmal-)Handschuhe sind dabei immer eine gute Idee, denn der verweichlichte Gummi haftet wie der Teufel. Man kann sich die Arbeit etwas erleichtern, wenn man die befallenen Teile kühlt und damit die Viskosität des zähen Pech-Schleims wieder ein wenig heraufsetzt, etwa mit Vereisungsspray oder durch Herunterkühlen (wohl meist kleinerer Teile) im Kühlfach oder in der Kühltruhe. Zum abschließenden Reinigen der Hände etc. eignet sich ein starkes Spülmittel und (recht) heißes Wasser; nach meiner Erfahrung seltsamerweise hilft das aber weniger auf den o.g. Geräteteilen.
Ersatzriemen gibt es von verschiedenen Anbietern im Internet; die Preise sind jeweils ähnlich (Größenordnung 20 €). Wichtig nur: jedenfalls für den Haupttreibriemen einen Vierkant-Querschnitt wählen, nicht einen (billiger angebotenen) kreisförmigen Querschnitt – denn nur das quadratische Profil fügt sich vollflächig in die Philips-Nuten ein und garantiert die definierte Kraftübertragung. Anm.: Wenn das Gerät schon einmal geöffnet ist, dann sollte man zur Sicherheit auch alle Riemen tauschen – in meinem Fall eben auch diejenigen für das Bandzählwerk und für den Vorlauf des rechten Bandtellers; sie waren grundsätzlich noch intakt, allerdings leicht erschlafft.
Kupplungen in den Bandtellern
Die Bandteller liegen mit einer definiert gleitenden Filzfläche (wenn man so will: mit einer ersten Kupplung) auf einer (zweiten) Kupplung aus zwei ineinander ruhenden flachen Kunststoff-Schalen auf. Zwischen diesen zwei Schalen liegen vier kleine Gummi-Zungen; diese Zungen sperren die beiden Schalen in jeweils einer Drehrichtung gegeneinander, in der anderen Richtung sollen die Schalen (weitgehend) frei gegen einander rotieren können, insbesondere beim schnellen Vor- und Rücklauf. Oder auch: Die Kupplungen sind so etwas wie mechanische Dioden.
Leider teilen die o.g. Zungen häufig das Schicksal des Haupttreibriemens – sie zersetzen sich zu zähflüssigem Lakritz.

Also auch hier: Säubern und ersetzen. Dazu müssen die beiden Wellen der Bandteller von unten gelöst werden; beim linken Teller ist unten zusätzlich die Rolle für den Antrieb des Zählwerkes abzuziehen; beim rechten Teller kommt man leider erst nach Demontage des Motors an den Sicherungsring der Welle (alles das ist aber mit etwas Geduld und normaler Werkzeugausstattung zu stemmen ;-). Ich habe die neuen Zungen dann aus Sohlen-Gummi zugeschnitten und eingepasst – das geht, weil die Kupplung kein spezifisches Drehmoment liefern muss, sondern nur quasi digital „Sperren“ und „Durchrutschen“, das kann man recht gut von Hand überprüfen (auf dem folgenden Bild sehen Sie unten unten die Kupplung des linken Bandtellers von unten gesehen; hier zeigen die Zungen nach rechts; bei der Kupplung des rechten Bandtellers sind sie von unten gesehen nach links ausgerichtet, sperren also in die andere Drehrichtung - im Bild fehlen auch noch zwei der vier Zungen).

Es muss nicht das Sohlen-Gummi sein, das ich gerade bei der Hand hatte. Mindestens ebensogut, wenn nicht besser taugt die (meinetwegen auch gebrauchte) Gummilippe eines Scheibenreinigers oder etwas Ähnliches. Auf Youtube gibt es aber noch eine geniale andere Lösung zu bestaunen (https://www.youtube.com/watch?v=AndVoOon-xY): Dort ist jemand auf die Idee gekommen, statt der Zungen vier standardmäßige Gummi-O-Ringe in die vorgesehenen Aufnahmen hinein zu drücken (als Dimension ist dort genannt: „¾ diameter“, wohl in Zoll); auch das scheint gut zu funktionieren.
Pausenbremse, Reinigungsbürste
Zersetzt war ebenfalls die kleine Gummifahne, die bei Betätigen der „Pause“-Taste auf den linken Bandteller zu-rückt und diesen „in Pause“ fixiert. Ersatz wie bei den o.g. Kupplungen = Selbstzuschnitt aus Sohlengummi, es kommt hier nicht auf den Zehntelmillimeter an. Für die Rekonstruktion der völlig verklebten Reinigungsbürste, durch die Haupttreibriemen läuft, musste ein flacher Borstenpinsel mittlerer Größe dran glauben - die Bosten prophylaktisch mit einem Gummiring zusammenhalten und dann in der Falz der alten Bürste mit der Zange einquetschen.
Lockere Chromblende
Möglicherweise bei einer früheren Wartung sind die beiden Muttern/Gegenhalte der zwei Schrauben verschwunden, die die Chromblende fixieren. Lösung: zwei kleine Streifen aus 0,8 mm Alu-Blech mit passender Bohrung versehen und hinter den entsprechenden Gehäuse-Öffnungen leicht verkanten, Schrauben vorab in die Alustreifen eindrehen - zum Ausbilden d. Gewindes - und bei der Gesamtmontage von außen vorsichtig anziehen (im folgenden Bild: Bildmitte, ca. im oberen Drittel). Noch ein kleiner Nachtrag: Die Philips-Konstrukteure haben hier einen kleinen Scherz oder auch eine Art Falltüre eingebaut. Wer das Gerät als Laie zu öffnen versucht, dreht typischerweise auch mal an den beiden kleinen Schräubchen, die die Zierblende fixieren. Die Folge: Es verabschiedet sich mit kaum merklichem Klacken - Albtraum jedes Heimwerkers - der Gegenhalt = zwei kleine Vierkant-, manchmal auch Sechskantmuttern geradewegs nach innen/unten; die Schräubchen führen danach b.a.w. ein sehr freies Leben. Tatsächlich aber lässt sich die Deckplatte des Gehäuses völlig ohne Arbeit an diesen Schräubchen problemlos aus- und wieder einbauen. Man muss nur gleichzeitig die Aufnahme- und die Pausentaste bis zum Einrasten drücken - sofort ergibt sich ausreichender Raum zum Abheben des Deckels. Wer weiß denn sowas? Und die kleinen Muttern findet man dann, wenn's gut geht, im Gerät wieder, locker angeheftet an den Lautsprecher-Magneten ;-)


Aluminiumflächen
Neu verklebt. Geeignet ist u.a. ein Spezialkleber, mit dem man auch Marley-Kunststoff-Dachrinnen stabil verbinden kann. Kleber vorsichtig mit Federmesser auf die leicht angehobene Metall-Seite auftragen, einmal zusammendrücken, wieder lösen und nach 30 sec. endgültig zusammenpressen. UHU oder dergleichen tun’s vermutlich ähnlich gut.
Zusätzlich: Gummidämpfer
Beim Herausheben des Metallchassis aus dem Kunststoffgehäuse zeigt sich der Zahn der Zeit leider noch andernorts: Das Chassis ruht vibrationsgedämpft in vier normalerweise elastischen Gummitüllen, die einerseits auf vier aus dem Boden ragenden Stegen aufliegen und nach oben vom Gehäusedeckel begrenzt werden, durch den hindurch die vier con oben sichtbaren Chromschrauben alles zusammenhalten. Diese Tüllen zerbröselten teils bereits bei der Demontage, der Rest sah jedenfalls traurig und sehr unflexibel aus (siehe voriges Bild: oben rechts). Diese Tüllen haben von der Seite her betrachtet die Gestalt eines liegenden „H“. Originalen Ersatz habe ich nicht gefunden, auch nichts Ähnliches im Internet. Ich habe mir dann so geholfen: Auf die aus dem Boden ragenden Stege (oder, wenn Sie so wollen: Stalagmiten) bzw. auf die an deren oberen Ende daraus herausragenden Messingröhrchen mit Innengewinde habe ich jeweils eine Scheibe aus Sohlengummi mit passender Bohrung aufgesteckt, desgleichen nach Einlegen des Metallchassis noch über diesem, insgesamt also acht solcher Scheiben. Wichtig aber noch: Noch vor dem Auflegen der oberen Gummischeiben habe ich – das wurde dann der Querstrich in dem liegenden „H“ – noch aus einem passenden Gummischlauch aus einem alten Kosmoskasten jeweils 2 mm hohe Gummiringe geschnitten (voriges Bild: Mitte rechts, rot) und in die ringförmige Aussparung zwischen Metallchassis und Messingröhrchen eingelegt – damit entsteht ein definierter Seitenhalt und das Metallchassis kann sich auch bei senkrechter Lagerung des Tonbandgerätes nicht gegenüber dem Gehäuse verschieben. Klingt jetzt vielleicht etwas kompliziert, soll es aber nur erleichtern, falls Sie wegen des gleichen Problems wie ich improvisieren müssen – und dann das Unvorhergesehene bewältigen ;-)

Noch ein Bild kurz vor dem finalen Zusammenschrauben:

Ergebnis nach allem:
Das Tonband lebt wieder, höre etwa das Beispiel ganz am Ende. Es hat auch einen eleganten, fast wieder jugendlichen Charme. Es singt vielleicht direkt nicht in der „high fidelity“ einer Bandmaschine oder gar eines modernen MP3-Players, aber doch noch immer ganz attraktiv – damals kannte man es auch nicht anders und liebte es so; manche beten diesen Sound noch heute an. Nebenbei ist das Gerät eine richtige optische Schönheit, mit seinen seitlichen Flanken mit echtem Holzfurnier, das noch dazu nach guter alter Schreinerart in einander spiegelndem Mustern aufgebracht ist (habe mit Antikwachs aufgefrischt),

und mit seinen dezent abgetönt eloxierten Alu-Oberflächen on top (Reinigung einfach mit intensivem Spülmittel, ohne Schleifmittel-Anteile). Philips hatte damals einiges für’s Styling getan – und war bei der Technik zumindest Preisklassen-Durchschnitt.
Nach dem Reinheitsgebot einer wachstumsorientierten Marktwirtschaft mag es ja vielen völlig hirnrissig erscheinen, ein so altes und in jeder Hinsicht verstaubtes Gerät zu reanimieren. Nur – mir macht es Spaß, technische Rätsel und Problemstellungen aufzulösen, so wie anderen ein Sudoku oder dergleichen Entspannung verschafft. Und ich finde es jammerschade, ein Artefakt, wie es nun einmal auch ein betagtes Tonbandgerät ist, mit all seinen verbauten Teilen und Stoffen und mit all seinen spezialisierten Potenzialen – hier: besondere Datenträger auszulesen – in die Tonne zu treten. Ich denke, das ergibt auch ein wenig Nachhaltigkeit, technische Geschichtspflege und Entschleunigung.
Und: Wenn wir uns gesellschaftlich über maintainance mehr Gedanken machen würden, hätten wir vermutlich auch kein Problem wie das der Leverkusener Rheinbrücke – und mit viel anderer Infrastruktur, die trotz oder wegen schwarzer Nullen unbemerkt vor die Hunde geht. In einem folgenden Post stelle ich weitere Beispiele glücklicher Wiederbelebungen vor - vielleicht macht es Mut und/oder Spaß ;-)

Donnerstag, 16. November 2017

Zwei bricked tablets im Tri-Café



Am 29. März 2012 kaufe ich bei unserem Haus- und Hof-Discounter – dem mit den vier Buchstaben, deren erster nicht „L“ ist – für meine Einzige und Beste das erste tablet unseres Familienlebens, für einen Euro weniger als 400 €, von dem tatsächlich guten chinesischen Zulieferer Lenovo, hier aber unter der Haus- und Hofmarke MEDION vertrieben. LIFETAB heißt das schöne Teil mit dem MEDION-Produktcode MD99100 entsprechend dem Lenovo-Modell P9516. „LIFETAB“ soll wohl so etwas verheißen wie „Tablet für’s Leben“, vielleicht auch „lebendiges tablet“. MEDION, so steht es proudly presenting vorne auf der adretten Verpackung, hatte gerade erst, nämlich für das Jahr 2011, den „Plus X Award“ erobert. Dieser Preis wird für die „innovativste Marke im Bereich IT und Gaming-Hardware“ ausgelobt. Na toll!
Tja – den Schriftzug „MEDION“ anzeigen, das ist seit zwei Jahren allerdings genau das Einige, was dieses schicke tablet noch beherrscht: Es startet noch, und zwar genau bis zu diesen Großbuchstaben, und dabei friert es ein, ist „bricked“, wie es im Jargon der einschlägigen Foren von Leidensgenossen heißt. Will sagen „ist genau so aktiv ...“ oder „ist genau so viel wert … wie halt ein Ziegelstein“ - another brick in the wall des gigantisch aufwachsenden und rund um die Erde verteilten globalen Techno-Schrotts. Denn leider verfügt dieses tablet nicht über das gute alte Stecknadel-Loch für einen hardware-reset, mit dem man ein verwirrtes Gerät typischerweise in den Werksauslieferungszustand zurück versetzen konnte. Jegliche Umgebungsreize wie auch verschiedene im Internet angepriesenen Klammergriffe, z.B. gleichzeitiges Drücken der Einschalt- und anderer Tasten, oder Geheimtipps wie das Trennen von der Stromversorgung und Neuaufladen bei Vollmond (war jetzt ein bekümmerter Scherz) führen keinen Zehntelmillimeter weiter. In einem der Opfer-Foren lerne ich: Selbst verzweifelte Handlungen wie das mehr oder weniger gewaltsame Öffnen des tablet, gefolgt vom physischen Trennen und Wieder-Anschluss des Akkus bringen genau gar nichts, zeitigen insbesondere kein Stein-Erweichen. Es soll wohl bis zur nächsten Steinzeit bei dem werbenden Schriftzug „MEDION“ bleiben – aus verbraucherpsychologischer Sicht ein Tiefpunkt des Marketing. Da ist das tablet übrigens auch sehr verlässlich und entspricht mustergültig dem Verpackungsversprechen "Lange Akku-Laufzeit", denn es präsentiert die frohe MEDION-Kunde auch noch nach Monaten, ohne Nachladen. Meine Anmerkung für den Hersteller: Kunden-tröstlicher wäre an dieser Stelle eine wie folgt leicht ergänzte Anzeige:
It’s no miracle – it’s a
MEDION
“ ;-)
Zur Zeit des Durchsinterns unseres smarten Flach-Computers sind die Gewährleistungs- und Garantiezeiten naturgemäß schon ein paar gute Monate lang abgelaufen. Drum frage ich beim MEDION-Service unter genauer Beschreibung des Sachverhalts arglos an: „Was würde denn in den MEDION-Fachwerkstätten ein reset kosten?“ MEDION vergibt sofort eine Anfrage-Nummer, meldet sich in der Folge aber erstmal nicht. Auf meine Nachfrage schreibt MEDION dann fröhlich, man sei glücklich, dass das Problem gelöst werden konnte – ich wusste jetzt nicht, welches Problem, denn meines jedenfalls war es meines Wissen nicht. Auf weiteres Nachhaken freute man sich treuherzig, mir ein brandneues tablet zu einem schönen Preis anbieten zu können.
Genau das will ich aber gerade nicht: Ich sehe überhaupt nicht ein, eine prinzipiell gesunde hardware mit einem ökologischen Rucksack von ca. 200 kg einfach in die Elektronik-Schrott-Tonne zu treten. Um es ein wenig begreif-lich zu machen: Ich müsste dabei ca. 200 kg heben oder treten – denn etwa soviel wiegt der „ökologische Rucksack“ eines tablet. Der ökologische Rucksack drückt aus, wie stark die Herstellung, Nutzung und Entsorgung eines Produkts die Umwelt belasten. Um ihn zu füllen, zählt man alle der Umwelt entnommenen Materialien zusammen, die im gesamten Lebenszyklus des Produkts bewegt werden (siehe nähere Erläuterungen http://www.bne-bw.de/fileadmin/resources/service/publikationen/themenhefte/Themenheft_Ressourcen.pdf, siehe ferner zu Energiebedarf und CO2-Intensität der smartphone-Produktion https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/s01981_greenpeace_report_10_jahre_smartphone.pdf). Für ein Handy nimmt man gemeinhin ein (durchschnittliches) Rucksackgewicht von ca. 75 kg an, für ein Notebook schon etwa 430 kg – unser tablet dürfen wir dann mit den oben genannten ca. 200 kg m.E. halbwegs verlässlich extrapolieren.
Weiter im Text: Alle meine kleinen Verbraucher-Vorstöße konnten MEDION auch in der Folge nicht dazu verführen, mal nur eine Preisschätzung für die erforderliche Reparatur zu nennen. Sehr verwunderlich, denke ich, denn es hätte hier ja nur eine rein Software-bezogene Behandlung sein müssen und das hätte nicht einmal das Öffnen des tablet erfordert. Die Problemlage müsste MEDION auch ausweislich einer breiten, sogar globalen Internet-Präsenz des bricked MD99100 bestens vertraut sein.
Vor ein paar Tagen ziehe ich nun mit unserem von allen Geistern verlassenen tablet in das Reparatur-Café Burscheid. Das ist eine sehr geniale Initiative, die abwechselnd im Tri-Café an der Burscheider Bürgermeister-Schmidt-Straße und im Hilgener Alten Bahnhof aktiv ist: In regelmäßigen Abständen kann man von erfahrenen Hand- und/oder Heimwerkern Hilfe zur Reparatur der verschiedensten Alltags-Gegenstände bekommen, seit Neustem auch für Elektronik. Dazu gibt’s noch nach Wunsch Herzhaftes, Süßes und/oder Getränke – alles auf Spendenbasis. Es kommen wohl auch einige dankbare Spenden zusammen. Denn schon zur Mittagszeit ist das dezent bereit gestellte Sparschwein von Geldscheinen glücklicher Besucher so gespickt und gemästet, dass man ihm Weiteres nicht mehr von oben, sondern nur noch von unten zuführen kann, rektal sozusagen.
Ich rücke mit drei Sorgen/Fragen an – mit besagtem tablet, sodann mit einem per Überspannung gehimmelten Kinder-Kassetten-Recorder meiner Enkel und schließlich mit einem Hobel, den ich für einen do-it-yourself geschreinerten Waschtisch-Unterschrank brauche, den ich aber noch nicht recht anzuwenden weiß. Andere kommen mit einem Plattenspieler, der partout seinen Teller nicht mehr drehen will, mit einer etwa metergroßen Kaffeemühle (wie man sie z.B. aus der Dallmayr-Kaffeehaus-Werbung kennt), die zunächst überhaupt nichts tut, dann mit behutsamer Hilfe zum Leben erwacht, aber zunächst noch im 10-Sekunden-Takt Siesta macht, mit defekten alten Fahrrädern und mit vielen anderen Geräten, bei denen der moderne Menschenverstand sagen würde: „Vergiss es!“ Oder bei denen ein Händler oder auch ein Handwerker ohne weitere Prüfung Neuware einschmeichelnd empfehlen würde. „Wäre doch billiger. Selbst das Nachsehen kostet auf jeden Fall mehr. Und Sie haben Garantie!
Der Elektronik-Spezialist im Parterre hört sich geduldig meine tablet-Geschichte an, schaut auch im Internet nach und macht dann notgedrungen ein etwas gequältes Gesicht: „Tja, das dürfte wirklich ein Problem sein. Hardware-reset scheidet wohl tatsächlich aus. Bei diesem tablet ist das Booten ins Stock-Recovery geblockt; das kann man höchstens mit tiefen Android-Programmier-Kenntnissen was ausrichten.“ Das ist in etwa auch das, was in den einschlägigen Foren ausgetauscht wird – für mich allerdings, der höchstens noch ein bisschen BASIC-Programmierung drauf hat, ist es Lichtjahre zu hoch. Ich danke sehr und gehe mit meinem nächsten Problem – ausgebrannter Kassettenrecorder – in die erste Etage. An den Überspannungs-Folgen ist leider gar nichts mehr zu machen, der Verstärker ist tatsächlich geröstet und beim allerbesten Willen nicht wieder herzustellen. Vielleicht auf dem nächsten Flohmarkt einen ähnlichen Kinder-Recorder suchen und dann schlicht die Leiterplatte transplantieren, damit für die Enkel das vertraute look&feel erhalten? Werde ich versuchen. Aber der gleiche freundliche Hand- oder Heimwerker, der zufällig oder gar nicht zufällig aus einer Tischlerfamilie stammt, kann mir bei meinem Hobel-Problem wunderbar weiterhelfen – womit sich der Besuch des Reparatur-Cafés mehr als gelohnt hat.

Dann aber kommt noch das Verblüffende, eigentlich extrem Unwahrscheinliche. Oder aber im Gegenteil das überzeugende Indiz, dass hinter meinem tablet-Ärger doch so etwas wie System steckt oder jedenfalls eine strukturelle Problematik: Nach einer geglückten Reparatur des eingangs erwähnten Plattenspielers – der Besitzer strahlt nach 15 Minuten Bangen und Hoffen über alle Wangen – kommt an den gleichen Tisch ein ratsuchender Bürger mit einem tablet; der Elektronik-Spezialist von unten hat ihn als letzte Rettung hinauf zu den hier werkelnden älteren Kollegen geschickt. Sie dürfen jetzt raten. Es ist ein MEDION MD99100 und es ist seit einigen Wochen ebenso „bricked“ oder versteinert wie unseres.

Der einzige Unterschied: Statt meiner wie eingemeißelten Instant-Anzeige "MEDION" ist es dort ebenso zutreffend wie nutzlos halt mal der Schriftzug "LIFETAB", bei dem das tablet im Booten einfriert. Dieser unglückliche Besitzer hat schon einen ähnlichen Weg hinter sich wie ich, ist sogar schon einen Schritt weiter gegangen: Er hatte sein tablet geöffnet und versuchsweise den Akku abgeklemmt.

Wie wir das auch sonst häufig und erfolgreich zu tun gelernt haben – Netzstecker ziehen, etwas abwarten, wieder einschalten. Unser heimatlicher Fernseh-Receiver/Recorder oder auch unser WLAN-Router verlangen geradezu danach, wenn sie sich mal wieder aufgehängt haben. Wie oben beschrieben, ist bei genau diesem tablet aber auch dies leider keine indizierte Behandlungsmethode. Noch etwas mutloser geht der (andere) tablet-Besitzer von hinnen, sagt allerdings, dem Hörensagen nach gebe es in der Düsseldorfer Altstadt einen kleinen Laden, der sich auf die (Wunder-)Heilung solcher tablets spezialisiert habe. Den wolle er nun als Nächstes aufsuchen. Viel Glück!
Was mich im Grunde am meisten irritiert: Den Konsum- und Marktgesetzen folgend müsste MEDION – zumindest auf Druck des o.g. Haus- und Hoflieferanten – unseren Kundenfrust über so wenig Nachhaltigkeit scheuen, so wie der Teufel das Weihwasser. Wer schon nach wenigen Nutzerjahren so viel Geld abschreiben muss, nur weil ein reset nicht zustande kommt, wer vielleicht gar wichtige Daten / Fotos auf Nimmerwiedersehen verliert, der wird mit einiger Wahrscheinlichkeit beim Nachfolgemodell einen anderen Händler oder ein anderes Label aufsuchen. Was wir dann tatsächlich auch getan haben – übrigens nicht nur im Falle unseres tablet, sondern ebenso bei einem Fernseh-Receiver/Recorder der gleichen Marke. Der hatte sich nach (man möchte sagen: immerhin) vier Nutzungsjahren endgültig von seinen SAT-Antennen abgemeldet und ließ sich durch nichts, nicht einmal durch das Aufspielen neuer firmware dazu verleiten, wieder auf Empfang zu gehen.
Zurück zum noch brachliegenden tablet: Habe mir inzwischen ein Handbuch zur Java- bzw. Android-Programmierung besorgt. Denn ich sehe nach wie vor nicht ein, ohne Gegenwehr 400 Öcken abzuschreiben und das tablet in die Tonne zu treten. Wenn ich beim Reanimieren erste Lebenszeichen feststelle, werde ich es hier melden und ebenso an das famose o.g. Reparatur-Café. Denn das ist wirklich eine geniale Idee – die praktischen Erfahrungen vieler zum Erhalt objektiv wertvoller oder jedenfalls ans Herz gewachsener Artefakte zusammen zu schließen. Und das Reparatur-Café ist eine hervorragende Informations- und Kommunikationsbörse, gerade für vorgerückte Altersklassen. Am Kaffeetisch sprechen wir über die frappierend geringe Halbwertzeit von technischem know how. Dass etwa die USA bereits ca. sieben Jahre nach dem letzten Mondflug i. J. 1972 im Rahmen des Apollo-Programms nicht mehr in der Lage waren, eine SATURN VB zu bauen: Die Zulieferer-Firmen waren teils auseinandergefallen, Wissensträger waren nicht mehr verfügbar, Datenträger mit Konstruktions-, Bedienungs- und Test-Details waren nicht mehr auslesbar, teils auch mangels funktionsfähiger Bandlaufwerke. Es hätte eine vollständige Neu-Konstruktion verlangt. Und dafür war naturgemäß keine Staatsknete mehr verfügbar – das politisch aufgeladene Mond-Rennen war ja schon mit der erfolgreichen Mission Apollo 11 am 20./21.7.1969 gewonnen; man höre noch den legendären, nicht mal patriotischen („… mankind“) Spruch von Neil Armstrong. Der Rest war eigentlich nur noch Nachspiel, auch wissenschaftlich von begrenztem Wert.
Tja, sagt einer der Beteiligten, im Grunde wären die hilfreichen Hand- und Heimwerker des Reparatur-Café ja auch solche Typen wie das Urgestein aus dem Kinofilm „Space Cowboys“ – dort ging es um einen wild gewordenen waffenbestückten Satelliten, der nur von vier Leuten mit Erfahrung in alten Programmier- und Steuerungstechniken zur Räson gebracht werden konnte, von „Oldies but Goldies“. Das ist irgendwie sehr tröstlich. Und in den letzten Tagen habe ich, auch ermutigt durch das Reparatur-Café, mit großer Genugtuung ein Philips-Tonbandgerät N4307 aus den Sechzigern wieder zum Singen gebracht; es hatte unter der für diese Baujahre notorischen Gummi-Pest gelitten und keinen einzigen Ton mehr herausgebracht. Ca. vier Stunden Arbeit und teils recht schwarze Finger – und eine gute Bekannte kann nun die damaligen Songs wieder im angestammten Sound hören, von einem Gerät mit auch bemerkenswert aufwändigem Design, mit dezent unterschiedlich eloxierten Alu-Oberflächen und mit Gehäuseflanken in Echtholz! Einzelheiten in einem gesonderten Blog.

Samstag, 23. September 2017

Bundestagswahl 2017 – Liberale & Verteidigungspolitik




Ich weiß, ich bin mit meinen Posts zu FDP und AfD arg spät dran. Aber es gibt ja noch ein paar Unentschlossene, wie man hört.

Morgen ist Wahl – und was sagen die Wahlprogramme zur vergangenen, gegenwärtigen und beabsichtigten Rolle der Bundeswehr? Gibt es schlüssige Analyse zu bisherigen Einsätzen? Alles gut? Gibt es lessons learnt? Oder eher frischen, unbekümmerten Mut für morgen? Gibt es etwa kritische Betrachtungen zu vielleicht auch selbstgesetzten Ursachen der massiven Flüchtlingswellen Mitte der Neunziger Jahre und der neueren Zeit? Immerhin spielen die innere Sicherheit und eine offenbar nicht stabiler gewordene Weltlage in diesem Wahlkampf eine wesentliche Rolle und gerade die FDP verspricht frisches Denken.

Meine Prüfsteine für die Wahlprogramme sahen wie folgt aus – und ich versuche, sie auf die einzelnen Programme loszulassen, werde die jeweiligen Programm-Passagen mit jeweiligen Klammer-Angaben (Seite/Absatz) zitieren, und soweit angezeigt, im Wortlauf wiedergeben:
1.      Rechenschaft / Analyse
Gibt es eine nachvollziehbare Rechenschaft zu früheren bzw. laufenden Einsätzen, insbesondere in Somalia, auf dem Balkan, in Afghanistan oder Südsudan? Gibt es ansatzweise eine Betrachtung zum etwaigen Kontext zwischen nicht erfolgreichen Auslandseinsätzen, auch von Partnern, und zunehmender Destabilisierung, wachsendem Extremismus und Fluchtbewegungen, z.B. zu Afghanistan, zum Irak, zu Libyen oder zu den Balkanstaaten?
2.      Gesetzesvorbehalt vs. ad hoc
Nennt das Programm konkrete, vorhersagbare, ggf. justiziable Kriterien für Auslandseinsätze? Stellt es eine gesetzliche Regelung von Einsatzgründen in Aussicht, z.B. in Gestalt einer Anpassung des Grundgesetzes bzw. des Erlasses eines Bundeswehraufgabengesetzes?
3.      NATO / VN; Risiken und Interessen
Welchen Stellenwert haben NATO und VN? Was sind die relevanten Risiken und Interessen aus deutscher Sicht?
4.      Wehrverfassung
Gibt es Strategien für die Rekrutierung junger Soldaten bzw. eine Position zur Frage Berufsarmee oder Wehrpflicht? Thematisiert das Programm radikale Umtriebe?
5.      Organisation / Haushalt
Trifft das Programm Aussagen zur Organisation und Ausstattung der Bundeswehr? Wie ist dies ggf. begründet?

Ich habe mich auf die – auch in der derzeitigen öffentlichen Debatte – gewichtigeren Wahlbewerber konzentriert und diese in der Reihenfolge der Ergebnisse bei der 2013er Wahl behandelt, also in dieser Folge: CDU/CSU (41,5%), SPD (25,7%), DIE LINKE (8,6%), BÜNDNIS’90/DIE GRÜNEN (8,4%), FDP (4,8%), AfD (4,7%).
Hier folgt nun der fünfte Post, nämlich zur Programmatik der FDP, wie sie am 17.5.2017 veröffentlicht wurde und über diesen Link heruntergeladen werden kann: https://www.fdp.de/sites/default/files/uploads/2017/08/07/20170807-wahlprogramm-wp-2017-v16.pdf . Anm.: Ich zitiere im Folgenden nach Seite/Absatz des gedruckten Textes; für eine automatische Seitensuche in der pdf-Datei sind wegen zweier Deckseiten jeweils noch 2 Zähler zu addieren.
1.      Rechenschaft / Analyse
Gibt es eine nachvollziehbare Rechenschaft zu früheren bzw. laufenden Einsätzen, insbesondere in Somalia, auf dem Balkan, in Afghanistan oder Südsudan? Gibt es ansatzweise eine Betrachtung zum etwaigen Kontext zwischen nicht erfolgreichen Auslandseinsätzen, auch von Partnern, und zunehmender Destabilisierung, wachsendem Extremismus und Fluchtbewegungen, z.B. bzgl. Afghanistan, Irak. Libyen oder zu den Balkanstaaten?
Bewertung:
Die FDP ist an der amtierenden Regierung nicht beteiligt, besitzt in der 18. Legislatur ja geradezu den freien Status einer außerparlamentarischen Opposition; daher wäre eine neutrale Kritik bzw. Evaluation der laufenden Militäreinsätze durchaus möglich und erwartbar. Allerdings findet sich dazu nichts; das Programm beschwichtigt eher, indem es etwa gegenüber naheliegenden Sorgen wegen internationaler Destabilisierung zu kaltem Blut rät, ohne einen Versuch der Analyse (99/5) oder die transatlantische Partnerschaft um ihrer selbst willen beschwört, damit von offensichtlichen Fehlsteuerungen wie etwa dem Irak-Einsatz ablenkt (99/6), andererseits die russische Interventionspolitik geißelt (100/3, 101/1). Anm.: Der Spitzenkandidat hat sich zur letzten Frage danach allerdings als Realpolitiker profiliert und will die Annexion der Krim als dauerhaftes Provisorium tolerieren, siehe u.a. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/christian-lindner-zur-ukraine-russische-krim-als-dauerhaftes-provisorium-ansehen-a-1161494.html.
Im konkret auf die Bundeswehr bezogenen Abschnitt bekennt sich die FDP zum Parlamentsbeteiligungsgesetz (115/5), das aber ja keine materiellen Voraussetzungen bzw. Eingriffstatbestände für Auslandseinsätze regelt, sondern nur das Verfahren der Auslösung einen Einsatzes durch Kabinettsbeschluss und nachfolgende, bisher ausnahmslos erfolgte Zustimmung der Parlamentsmehrheit. Hier strebt die FDP auch keine zusätzlichen Hürden an, sondern im Gegenteil, „dass gemeinsame Einsätze internationaler Verbände verfassungsfest erleichtert werden“ (116/1). Daraus ist m.E. zu folgern, dass die FDP mit Kosten, Nutzen und Folgen bisheriger Einsätze, etwa auch der Afghanistan-Mission ISAF, jedenfalls nicht in entscheidungsrelevantem Maße unzufrieden ist.
2.      Gesetzesvorbehalt vs. ad hoc
Nennt das Programm konkrete, vorhersagbare, ggf. justiziable Kriterien für Auslandseinsätze? Stellt es eine gesetzliche Regelung von Einsatzgründen in Aussicht, z.B. in Gestalt einer Anpassung des Grundgesetzes bzw. des Erlasses eines Bundeswehraufgabengesetzes?
Bewertung:
Das Programm nennt keine Kriterien für Auslandseinsätze, führt einleitend in dem – recht kurzen – Abschnitt zum Militär auf den S. 115/116 nur lakonisch aus, „Freiheit und Menschenrechte (ließen) sich nicht immer friedlich verteidigen“ und „Gewaltanwendung (müsse) immer das letztmögliche Mittel in engsten Grenzen sein, wenn alles andere bereits versucht wurde“ (115/4). Dabei ist zwar die Subsidiarität militärischer gegenüber zivilen Zwangsmittel grundsätzlich lobenswert; allerdings sind diese Formulierungen zur effizienten Kontrolle und Einhegung militärischer Gewalt juristisch nicht anwendbar und damit praktisch folgenlos. Auch wo das Programm an anderer Stelle die Worte „Freiheit“ und „Menschenrechte“ gebraucht (99/1 ff, 101/1, 101/2), bleibt das schlagwortartig und vage; eine nachverfolgbare Kategorisierung bzw. abgrenzbare Fallgestaltungen für militärische Einsätze sind daraus nicht abzuleiten.
Im dem Militär gewidmeten Abschnitt bezieht sich der breiteste Unterabschnitt auf die Modernisierung der Bundeswehr; hier wirbt das Programm „für eine moderne Bundeswehr mit einsatzorientierten Strukturen, die sowohl zur Bündnis- und Landesverteidigung als auch für internationale Einsätze befähigt ist“ (116/2). M.E. ist damit der Typus von Auslandseinsätzen, den die FDP in der 19. Legislatur unterstützen will, praktisch nicht einzugrenzen. Dies genügt nach meiner Einschätzung nicht dem traditionellen liberalen Anspruch, wonach der Staat seine die Menschenrechte potenziell bedrohende Gewaltmittel nur vor-definiert, vorhersehbar und nachprüfbar einsetzen darf. Es zielt eher auf einen Staat mit – auch im Zusammenwirken mit Bündnispartnern – möglichst freien Händen und steht in natürlichem Konflikt mit dem Rechtsstaatsgebot.
Die FDP hält dann auch das bündnisfreundliche, auf die 1994er Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gestützte Verfahren einer jeweiligen ad-hoc-Entscheidung des Bundestags über einen vorangehenden Beschluss der Bundesregierung für nach wie vor richtig. Eine Initiative zur verfassungsrechtlichen oder gesetzlichen Klarstellung ist nicht zu erwarten, im Gegenteil schlägt die FDP ein weiter erleichtertes Auslösen „gemeinschaftlicher Einsätze internationaler Verbände“ vor (116/1, siehe oben unter 1). Hier wäre zumindest eine differenzierende Position angebracht gewesen. Denn die vom Bundestag in der laufenden Legislatur eingesetzte Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr hatte in der expliziten Nr. 13 ihres Berichts zu einem kritischen Reflexionsprozess zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen von Einsätzen der Streitkräfte aufgefordert, gerade da es im Verlauf der Kommissionsarbeit gewichtige verfassungsrechtliche Zweifel an der laufenden Praxis gibt; ausweislich des beschlossenen Textes haben die Kommissionsmitglieder diesen Befund zumindest mehrheitlich geteilt (Unterrichtung des Bundestages v. 16.6.2015 in Drs. 18/5000, siehe dort S. 44f; siehe auch Weißbuch 2016, S. 109).
3.      NATO / VN; Risiken und Interessen
Welchen Stellenwert haben NATO und VN? Was sind die relevanten Risiken und Interessen aus deutscher Sicht?
Bewertung:
Die FDP bekennt sich mehrfach und unmissverständlich zur NATO (99/6, 101/2); die VN werden nur mittelbar genannt, nicht etwa als primäre Institution zur Konfliktlösung (VN-Charta als Beleg für das Gewaltverbot: 100/3; VN-Nachhaltigkeitsagenda: 112/3). Am Rande, und zwar im Zusammenhang mit dem Dialog mit Russland, erwähnt das Programm noch OSZE und NATO-Russland-Rat (101/1), ferner auch die EU, die mit der NATO intensiv und arbeitsteilig kooperieren soll (101/2) und deren sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit gestärkt werden müsse – angesichts einer auch für die FDP offenbar noch nicht berechenbaren Rolle und Politik des neuen amerikanischen Präsidenten (100/1). Die FDP setzt sich für eine Stärkung des Abschreckungs- und Verteidigungsdispositivs der NATO ein (101/2, im Programm leicht missverständlich „Abschreckungs- und Verteidigungspositiv“ genannt) und fordert auch die weitere Anhebung des nationalen Verteidigungsetats bis 2014 (101/2).
Im dem Militär gewidmeten Abschnitt sind als materielle Aufgaben bzw. Risiken  / Interessen wie gesagt nur das Verteidigen von „Freiheit und Menschenrechten“ genannt (115/4) und in dem Unterabschnitt zur Modernisierung der Bundeswehr setzt sich das Programm ein „für eine moderne Bundeswehr mit einsatzorientierten Strukturen, die sowohl zur Bündnis- und Landesverteidigung als auch für internationale Einsätze befähigt ist“ (116/2). An anderen Stellen des Programms sind als – nicht notwendig, aber potenziell militärisch zu behandelnde – Risiken genannt: die völkerrechtswidrige Besetzung der Krim und der Krieg in der Ostukraine, die zunehmende Unterdrückung der Opposition und Zivilgesellschaft in Russland (100/3), Meeresverschmutzung und Piraterie auf den Weltmeeren (104/2) und die Weiterverbreitung von ABC-Waffen (104/3).
4.      Wehrverfassung
Gibt es Strategien für die Rekrutierung junger Soldaten bzw. eine Position zur Frage Berufsarmee oder Wehrpflicht? Thematisiert das Programm radikale Umtriebe?
Bewertung:
Die FDP spricht sich nicht für eine Rückkehr zur Wehrpflicht aus; offenbar stattdessen will sie die Attraktivität des militärischen Dienstes für die potenziellen Bewerber kontinuierlich verbessern, insbesondere durch adäquate Ausrüstung, (wohl Minderung der) Arbeitszeitbelastung, (wohl bessere Steuerung und Begrenzung der) Versetzungshäufigkeit, (wohl bessere) Versorgung im Falle der Verwundung und (wohl bessere) Vereinbarkeit von Familie und Dienst (116/2).
Die Problematik radikaler Umtriebe spricht das Programm nicht an. Aus der Passage „Um den Personalbedarf weiterhin zu decken und junge Menschen für den anspruchsvollen Dienst zu gewinnen“ mag man immerhin folgern, dass der Zusammenhang zwischen robusten militärischen Aufgaben und einem typischen Bewerberfeld rechts der gesellschaftlichen Mitte der FDP durchaus bewusst ist, vgl. dazu etwa bereits das SOWI-Arbeitspapier Nr. 77 von März 1993.
5.      Organisation / Haushalt
Trifft das Programm Aussagen zur Organisation und Ausstattung der Bundeswehr? Wie ist dies ggf. begründet?
Bewertung:
Die FDP setzt sich für eine Stärkung des Abschreckungs- und Verteidigungsdispositivs der NATO ein (101/2, im Programm leicht missverständlich „Abschreckungs- und Verteidigungspositiv“ genannt) und fordert auch die weitere Anhebung des nationalen Verteidigungsetats bis 2014 (101/2).
6.      Bemerkenswertes
Gibt es Positionen, die sich vom Schnitt der Programme unterscheiden, bzw. Punkte, die gerade durch ihr Fehlen auffallen?
Bewertung:
Neben Trump ist Erdogan der einzige in den zitierten Passagen beim Namen genannte Politiker. Wegen einer von Erdogan zunehmend autoritär regierten Türkei will die FDP die EU-Beitrittsverhandlungen in der bisherigen Form beenden, aber auf eine neue Grundlage enger sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit stellen. (102/4). Die Türkei sei und bleibe aber als NATO-Mitglied, und als eng mit der EU vernetzter Nachbar, ein unverzichtbarer Partner (103/1). Hier wirkt die FDP stark hin- und hergerissen zwischen ökonomischen und populistischen Chancen; eine eindeutige Position sehe ich hier nicht. Das scheint mir symptomatisch für viele andere Stellen, wo das Programm widerstreitende Positionen eloquent nebeneinander stellt, aber keine realistische, konkrete Lösung anbietet, siehe diese Aussage zum Freihandel: „Viele Menschen haben Angst, dass Freihandel den hierzulande hohen Verbraucher- und Arbeitsschutz gefährdet. Wenn wir aber Handelshemmnisse abbauen und gleichzeitig unsere hohen Standards bei Menschenrechten, Lebensmittel- und Umweltsicherheit als Rechtsgrundlage nehmen, haben wir die einmalige Chance, der Globalisierung gerechte Regeln zu geben.“ (104/1) Ja, wenn!