Sonntag, 29. September 2013

Rhein-Berg im Feinschnitt: nach Stimmbezirken aufgelöstes Wahlergebnis 2013

Ein nach den Stimmbezirken differenzierbares Wahlergebnis des Wahlkreises 100 / Rheinisch-Bergischer Kreis bei der Bundestagswahl 2013 finden Sie in dieser Excel-Tabelle, die aus den aktuellen Daten der kdvz-citkomm zusammengestellt ist.

Dabei sind in den Tabellenblättern zur Erststimme (z.B. auf der Griffleiste unten auf dem Excel-Bildschirm "bu Erst" für Erststimmen in Burscheid) die Ergebnisse für jeden Kandidaten grün-rot-kodiert dargestellt und die einzelnen Stimmbezirke sind hier zunächst nach dem Resultat des Einzelbewerbers (ich) vom Maximum (grün) zum Minimum (rot) geordnet. Mit der Excel-Sortierfunktion kann man das für jeden anderen Kandidaten einfach umgruppieren.

Auffällig an den Verteilungen ist die in praktisch allen Kommunen erkennbare hohe Gegenläufigkeit zwischen dem CDU-Kandidaten und dem SPD-Kandidaten, anderseits die im Muster ähnliche Stimmenverteilung bei SPD und Grünen, teils auch der LINKEN. Weitgehend unabhängig vom übrigen Parteiensystem operiert dagegen offenbar die NPD. Die Einzelkandidat (ich) hatte einen relativen Erfolg nur in seiner Heimatgemeinde Burscheid und dort nochmals überproportional in seinem unmittelbaren Wohnumfeld (Kuckenberg, Dierath) und bei Briefwählern: Im Wesentlichen nur dort lag ich vor dem im Wahlkampf praktisch unsichtbaren Bewerber der NPD. Wahlerfolg ist ganz offensichtlich eine Funktion von Bekanntheit oder Vernetzung und Bekanntheit - jedenfalls für die überwiegende Fläche des Wahlkreises - eine Funktion der einsetzbaren bzw. der bereits in der Vergangenheit eingesetzten Ressourcen. Was man sich im Grunde denken kann: Es kämpfen nicht wie im Ideal die besten Ideen und Köpfe miteinander, sondern die schlagkräftigsten Kriegskassen.

Man kann es übrigens auch durchaus positiv sehen: Unseren System ist eine hohe Beharrungskraft zu eigen, damit auch eine gewisse Resistenz gegenüber Revolution, Anarchie, alten Nationalismus und neue Komplexität. Oder auch: Was gegen mich hilft, hilft zum Glück zuverlässig auch gegen die NPD!


Hinweis für das Erschließen entsprechender Daten zu weiteren von der kdvz-citkomm betreuten NRW-Wahlkreisen:Das sind im Wesentlichen der Hochsauerlandkreis, der Märkische Kreis und der Kreis Soest, shttp://wahlen.citkomm.de/bw2013/index.htmIst aber eher für Hartgesottene anzuraten. Die Daten liegen im Angebot der kdvz-citkomm als .csv-Dateien jeweils unter „Information für Medienvertreter“, zu finden in den hellgrau unterlegten rechten zwei Dritteln des Bildschirms im ersten Abschnitt „Allgemein“. Obacht: Der link ist in recht kleiner Schrift gehalten unter der groß gedruckten Frage „Schrift zu klein?“ ;-). 

Auf dem für jede einzelne Kommune aufzurufenden Folge-Bildschirm ist die immer gleich benannte Datei "Bundestagswahl6.csv" herunterzuladen - und dann sinnvollerweise Orts-spezifisch neu zu benennen. Die .csv muss dann nach Excel importiert werden. Dabei kann man sich grob an folgende Anleitung halten: http://www.rechtsmedizin.med.uni-muenchen.de/service/anleitungen_hilfe/excel_csv_utf8/index.html, braucht allerdings beim dortigen Schritt 3 nicht die gesamte - hier sehr breite - Tabelle zu markieren; es reichen die drei ersten Spalten und das im Konvertierungsassistenten voreingestellte Datenformat "Standard" braucht dafür auch nicht verändert zu werden. Viel Freude!

Donnerstag, 26. September 2013

Mittimutti? Oder: Das traurige Borisle.

Welch‘ ein ander Zauber heut‘! Vor vier Jahren – eine Liebesehe, eine als tief sinnlich verlautbarte Hochzeitsnacht, gleiche Ziele, gleiche Träume – was ihr wollt. Anm.: Das mit der Sinnlichkeit mag natürlich auch den damals etwas unscharfen Fotos der Paparazzi geschuldet sein – vielleicht war’s nur ein erregtes Scharmützel rund um den Ehevertrag oder um die Hotelrechnung. Und der Gatte stellte sich zwar in der Folge nicht gerade als Heiratsschwindler heraus, aber er war doch viel jünger als er zunächst schien, geradezu halbstark, und er muss, um den Größenunterschied zu überblenden, schon damals recht hohe Hacken unter den schwarz gewienerten Schuhen getragen haben. Aber man hielt dennoch in Treue fest, bis zuletzt.
Heute: Dem wendigen Galan sind plötzlich – wenngleich letzthin nicht ganz unerwartet – Geschäftsfähigkeit, Ehemündigkeit und Sorgerecht aberkannt worden. Aber für eine allein erziehende Mutti hat’s denn auch nicht so ganz gereicht und so muss ein frischer Gatte her, sonst droht das Jugendamt mit Kindesentziehung.
Tja, und da fängt die Malaise erst richtig an: Zwei weitere Bewerber und potenziell potente Gatten – der eine recht stattlich, der andere eher ausgezehrt  die zieren sich! Schubsen einer den anderen in Richtung Mutti, so als wäre die gute Frau eine garstige schwarze Witwe. Was aber höchstens in einem sehr übertragenen Sinne stimmen wird. Dabei gilt seit nunmehr fast zehn Jahren als gesichert: Allein und kinderlos leben, das wäre doch der reinste Mist!
Nun, da wäre theoretisch auch noch ein dritter Aspirant, auch von eher leptosomer Konstitution, wenngleich mit besonderem Überlebenswillen begabt und Mutti im Grunde schon von azurblau-hemdigen Jugendtagen an vertraut. Aber der dritte Mann wurde in den letzten zwanzig Jahren eher im Untergrund gehalten und lustvoll bei jeder sich bietenden Gelegenheit gemobbt, so sehr, dass ein Bett für die beiden sicher zu klein wäre. Und ausgerechnet der kleine Dritte schlägt nun vor, man könne die Kinder doch auch locker zu dritt erziehen, ganz ohne Mutti. Wenn das der alte Opa hört!
Vielleicht hat BILD ja die Lösung, nämlich den Becker-Hecht. Dort heult sich das Borisle seit Tagen über sein verpfuschtes Liebesleben aus. Der und Mutti – was für ein geniales Politainment! Das wäre zwar noch immer eine parlamentarische Minderheits-Erziehung, aber BILD und die Mehrheit der Herzen wären ihnen sicher. Spiel, Satz und Sieg

Dienstag, 24. September 2013

Wahlen in Zahlen - Rhein-Berg 2013

Ein wenig zu den Zahlen der Bundestagswahl 2013 im Rheinisch-Bergischen Kreis im Einzelnen. Auf der Grundlage der Daten, die kdvz-citkomm aus den einzelnen Wahlkreisen, Kommunen und Stimmbezirken veröffentlicht, habe ich eine Excel-Tabelle mit folgenden Karteikarten ins Netz gestellt, siehe dort die Griffleiste unten am Excel-Bildschirm (Nachtrag 25.9.: habe den zunächst defekten link nun korrigiert, danke für Hinweis!) :
-        Gesamtergebnis (Karteikarte „Kreis“),
-        Vergleich der Kommunen nach Einwohnerzahl und Wahlbeteiligung („Vergleich“)
-        Erststimmenverteilung über die Kommunen, für jeden Kandidaten grün-rot kodiert vom Maximum zum Minimum („Erst-St.“)
-        Dito zu den Zweitstimmen („Zweit-St.“)
-        Überhang  Erststimmen gegenüber Zweitstimmen und der jeweiligen Prozentsätze („Delta“; hier über alle Zahlenfelder rot-grün-kodiert, nicht isoliert in den jeweiligen Partei-Spalten))
-        Einzelergebnisse der Kommunen (von „B-G“ bis „Wk“)
Anm.: Vergleichbare Zahlen zu 2009 finden sich in diesem Post meines Wahlblogs.

Ein paar erste Ergebnisse:
Wahlbeteiligung: Ist mit 78,2% diesmal insgesamt etwas gegenüber 2009 gestiegen (77,3%), Burscheid ist zwar noch immer das Schlusslicht (75,6%), aber hat nun dicht zum Zweitletzten Wermelskirchen (75,7%) aufgeschlossen und insgesamt den zweithöchsten Zuwachs verbucht – ich hoffe, meine lokale Kandidatur hat dabei jedenfalls nicht geschadet. Absolut unerreicht ist wieder Odenthal, das mit 83,7% das ohnehin schon phantastische Ergebnis aus 2009 (82,8%) noch weiter ausbaute. Ganz ohne Einzelbewerber.
Bei den Erststimmen sieht man einige komplementäre Verteilungen: Die CDU macht Kasse, wo die SPD klamm ist (Odenthal), im stärker Industrie- und Gewerbe-strukturierten Burscheid ist es umgekehrt.; nicht ganz so ausgeprägt, aber doch merkbar ist es dort übrigens auch bei den Zweitstimmen. Odenthal wirkt auch bei anderen Parteien häufig wie das Negativ zu Burscheid. Ähnliches Muster bei FDP und Grünen in Bergisch Gladbach und Wermelskirchen: Wo die FDP stark ist, sind die Grünen schwächer – und vice versa.  Kürten fällt als relative Hochburg der AfD ins Auge, bei Erst- wie auch bei Zweitstimmen.
Bildet man die Differenz aus Erst- und Zweitstimmen („Delta“), dann zeigt sich: Die Zweitstimmenstrategie hat im Rheinisch-Bergischen Kreis gegen den Bundestrend noch eine wesentliche Rolle gespielt – und hier hat die FDP ja mit fast 7% auch ein überproportional gutes Ergebnis erzielt. Sehr deutlich fällt der durchgehend hohe Erststimmen-Überschuss zu Gunsten des populären CDU-Kandidaten Bosbach ins Auge (von 11% in Burscheid bis 17% in Odenthal, 15% in toto), dem ein markanter Unterhang zu Lasten des FDP-Kandidaten Dr. Ludemann gegenübersteht, aber auch „Defizite“ bei SPD und auch AfD. Eher immun erweisen sich die LINKE und insbesondere die NPD, bei der ein taktisches Stimmensplitting praktisch nicht vorkam. Das Ausmaß des Splittings bei CDU und FDP lässt im Übrigen vermuten: Trotz des inzwischen geänderten Wahlrechts hatte bei vielen Wähler/innen weiter die Vorstellung mitgewirkt, zusätzliche Überhangmandate formen zu können. Tatsächlich ist genau das heute gar nicht mehr möglich: Jedes Überhangmandat ist seit dieser Wahl mit den Landeslisten zu verrechnen und die früheren Verzerrungen in den Proportionen und damit in der Repräsentativität der Fraktionen werden damit vermieden.
Noch eine Anmerkung zu lokalen Effekten: Meine Kampagne als Einzelbewerber hat ganz offenbar im Wesentlichen lokal gefruchtet. Nur in meinem Heimatort Burscheid habe ich – so wie ich es mir vorher als Zielmarke für den gesamten Kreis gesetzt hatte – die Eins vor dem Komma und dort vermutlich nochmals hoch konzentriert in meinem nahen Wohnumfeld = Kuckenberg und Dierath. So fein lösen die Daten von kdvz citkomm aber leider nicht auf, denn ich stecke dort mit mehreren Bewerbern in dem großen Suppentopf "Sonstige". In Burscheid bin ich auch mal nicht bloß der Achte und letzte der Kandidaten, sondern liege dort vor dem Bewerber der NPD, also als arrivierter Siebter (1,7% gegenüber 1,4%, 174 gegen 144 Stimmen). Ist doch wenigstens mal was: ein Wahlkampf-Teilerfolg für die bürgerliche Mitte! Auf den ganzen Wahlkreis gesehen komme ich allerdings gerade mal auf ein ernüchtrendes Drittel des NPD-Potenzials (0,26% gegenüber 0,74% bzw. 443 gegen 1.241 Stimmen). Etwa gleichauf mit mir liegen die FREIEN WÄHLER (458 Stimmen), hinter mir (zu Recht ;-) die ein wenig widersprüchliche PARTEI DER NICHTWÄHLER (297 Stimmen) und die PARTEI DER VERNUNFT (139 Stimmen), zwischen mir und der NPD aber noch die praktisch Programm-freie Gruppierung DIE PARTEI. Betrachtet man alle Zeilen des langen Stimmzettels, auf dem ich ja nach Bundeswahlgesetz qua Einzelbewerbung als Nr. 23 ganz am Ende Platz nehmen musste, also noch hinter allen Splitterparteien, so habe ich mich in der Wahl auf Rang 11 des Rheinisch-Bergischen Kreises vorgerobbt.

Aber das ist, wenn überhaupt, dann nur ein sehr oberflächlicher Erfolg, zu meiner Verblüffung und ein wenig Zerknirschung: Selbst genau in meinem Heimatort und damit in meinem Wahl-technischen Hauptjagdrevier Burscheid habe ich trotz i.J. 2013 objektiv breiterer medialer Beachtung (u.a. Portraits / Reportagen von taz und WDR, dito in den lokalen Zeitungen Bergischer Volksbote und Kölner Stadt-Anzeiger / Rhein-Bergin einem youtube-Interview der Anzeigenzeitung Burscheider Wochenpost, auf der Bergisch Gladbacher Plattform iGL bzw. der Wahlplattform abgeordnetenwatch.de) und ohne jede lokale Konkurrenz massiv weniger Stimmen bekommen als bei der Bürgermeisterwahl 2009. Damals waren es 866 Stimmen und heute nur 174, ziemlich genau ein Fünftel des 2009er Wertes! Eigentlich bin ich mit der Größenordnung von 170 sogar bei der Zahl der vor zwei Monaten eingeworbenen Unterstützungsunterschriften stecken geblieben, so als wäre danach praktisch nichts mehr passiert. Selbst im gesamten Kreis habe ich mit 433 Stimmen noch signifikant weniger Stimmen geholt als bei der 2009er Wahl allein in Burscheid. Im Grunde war ich um den Divisor 40 weniger erfolgreich. Dagegen ist der Absturz des FDP mit einem Divisor von ca. 1,3 ein geradezu sanfter Gleitflug, wie das Herabtändeln eines bunten Blattes im Altweibersommer. Anderes Bild für das Ergebnis: Hätte Wolfgang Bosbach eine Körpergröße nach dem Verhältnis unserer Wahlanteile (58,48% / 0,26% * 1,82 m), dann würde er etwa 400 Meter über mir enden - das wäre Hermann der Cherusker und die Endmoräne noch in mehrfacher Schichtung darunter. Andersherum gerechnet: Hätte Wolfgang Bosbach normale menschliche Größe, so wäre ich nach dem klaren Willen der Wähler etwa 8 mm stark, Format einer mittleren Stubenfliege.

Überhaupt keine Frage: Meine 0,26% sind als output für meinen basisdemokratischen Selbstversuch sehr, sehr wenig. Eindeutig zu wenig, um dieses Experiment anderen Bürger/innen als demokratisch sinnvolle und am Ende auch respektable Strategie von unabhängigen Demokraten zu empfehlen. Wenn Müntefering sagt „Opposition ist Mist!“, dann kann ich zufügen: „0,26% ist deutlich mehr Mist!“ Auch wenn das wohl eine für freie Bewerber gar nicht ungewöhnliche Marge ist, siehe den praktischen Überblick über die Ergebnisse der Einzelbewerber auf der abgeordnetenwatch-Plattform (in der Auswahlbox "Parteien" die dort etwas unerwartete Kategorie "Einzelbewerber" anklicken)Mist bleibt's trotzdem. Oder, wie es ein hiesiger Kommentator und Kenner der Szene gerade zartfühlend zu meiner Initiative formulierte: "ein Antritt, der zur Marginalie verdampfte". Was mich schmerzlich an seine Überschrift nach der Bürgermeisterwahl 2009 erinnert, die meine Kandidatur unter damals vier Bewerbern bereits aus dem medialen Gedächtnis gelöscht hatte "Stefan Caplan entscheidet den Dreikampf für sich" (farbige Hervorhebung von mir). Tiefe Seelenverwandtschaft klänge anders.

Im Ergebnis: Man muss wohl ganz andere Strategien entwickeln, um komplementär zu den Parteien demokratische Willensbildung zu fördern, etwa zum Thema "gesellschaftliche Debatte und rechtsstaatliche Definition der Aufgaben der Bundeswehr", wie es in meinem eigenhändigen Programm ganz oben stand. Trotz der weit verbreiteten Skepsis gegen den flächendeckenden Einfluss der Parteiorganisationen auf Politik, Kultur, Medien und Wirtschaft können oder wollen sich die Wähler/innen in einer Art Hassliebe nicht wirklich von den Parteien und von den ganz früh eingestiegenen "Ochsentour"-Politikern emanzipieren. Damit will ich auch gar nicht die Weisheit der Wählerschaft kritisieren: Nach 1945 hat es ihnen in unserer sehr kühlen, repräsentativen und distanzierten Form der Demokratie - als solche auch als bedingter Reflex auf den Totalitarismus erklärbar - nie jemand anders beizubringen gewagt. Und selbst Basis-gezeugte Gruppierungen wie die Bündnis-Grünen haben recht schnell zu einer erklärten parlamentarischen Professionalisierung ihrer Funktionsträger gefunden, im Raumschiff Bundestag Platz genommen und sich System-intelligent angeschnallt. Nur ein Spot: Als Verheugen im September 2000 vorsichtig auf das demokratische Defizit bei der Gestaltung der Europäischen Union hingewiesen hatte, kommentierte Außenminister Fischer"Das ist nicht die Position der Bundesregierung. Allein die Vorstellung, dass wir eine Volksabstimmung über den Beitritt Polens zur EU abhalten, das muss man sich mal zu Ende vorstellen." Denk ich an Fischer, so kommt mir unvermittelt ein alter Song in den Sinn: "Call for the politicians" von der noch immer rockenden Londoner Band "Killing floor", mit der Textzeile darin "call for the men who lead us to desaster and trouble and war". Wo wir doch gerade noch von Račak sprachen.

Nachtrag:
Eine fortgeschriebene Tabelle, die auch nach Wahlbezirken innerhalb der einzelnen Kommunen des Rheinisch-Bergischen Kreises aufgelöst ist, finden Sie auf diesem Post: 
http://uliswahlblog.blogspot.de/2013/09/rhein-berg-im-feinschnitt-nach.html

Sonntag, 22. September 2013

Übernehme die Verantwortung

War eben mal kurz bei der Wahlveranstaltung im Kreishaus in Bergisch-Gladbach:

Aktualisierte Ergebnisse finden Sie im Angebot der kdvz citkomm, und zwar speziell für die Erststimmen im Rheinisch Bergischen Kreis hier. Danach haben unter "Sonstige" - und das umfasst sowohl den Kandidaten der NPD als auch mich - 1,02% der Wähler/innen die Stimme abgegeben, Stand 22.9.2013, 21:30h.

Wie Brüderle übernehme ich als Spitzenkandidat meiner Ich-Partei die Verantwortung - allerdings zum Glück im Wesentlichen nur mir selbst gegenüber. Zum Trost: Die Zweitstimmen aller meiner Wähler - bei denen ich mich für das Vertrauen sehr herzlich bedanke - bleiben für die Bundestagswahl gültig. Und das wäre wegen einer Besonderheit des deutschen Wahlrechts anders gewesen, wenn ich Wolfgang Bosbach tatsächlich das Mandat abgejagt hätte, siehe § 6 Absatz 1 Satz 2 Bundeswahlgesetz. Aber das nur am Rande gesagt.

Wolfgang Bosbach hat das TOP-Wahlergebnis des Jahres 2009, ca. 50%, offenbar noch um mindestens weitere 5% übertrumpfen können - eine extrem starke Leistung! - und er wird nun zum sechsten Mal in den Bundestag einziehen. Mehr desselben, das versteht offenbar die ganz klare Mehrheit als mehr Sicherheit, mag auch das Leitbild der Demokratie eher der Wandel und Wechsel sein.

Bei mir werden es zwar etwas mehr werden als das Ergebnis meines Vorgängers als freier Kandidat im Rheinisch-Bergischen Kreis (2009: 0,2%), aber wohl nicht sehr viel. Ab 1% wäre ich in Ausgelassenheit verfallen. Nun mag es sein, dass sogar der im Wahlkampf praktisch unsichtbare Kandidat der NPD noch mehr Stimmen eingesammelt hat als ich. Wahnsinn! Aber: Nach der Wahl ist vor der Wahl ;-) Und es gilt eigentlich jetzt auch ganz andere Früchte zu ernten:

Nachtrag the day after:
Es ist tatsächlich wie angenommen: Nach den Zahlen von Montagmorgen hat der Bewerber der NPD in Rhein.-Berg. 1.241 (= 0,74%) der Stimmen geholt und ich gerade etwas mehr als ein Drittel davon, nämlich 443 (= 0,26%, damit etwas mehr als der freie Bewerber aus 2009). Irgendwie kein sehr erfreulicher Gedanke. Aber schaut man genauer hin, bemerkt man doch ein wenig Kraft der Einzelkandidatur: In Burscheid, wo ich persönlich die Türklinken gewienert habe, da habe ich den NPD-Bewerber mit 1,7% zu 1,36% "geschlagen, in Stimmen 174 zu 139.

Eine genauere Auswertung, basierend auf den Zahlen der kdvz-citkomm, mit den Höhen und Tiefen der jeweiligen Parteien und Bewerber im gesamten Wahlkreis und mit dem spezifischen Verhältnis von Erst- und Zweitstimmenanteil verlinke ich in einem weiteren Blog = Wahlen nach Zahlen 2013. Liefert für den, der das mag, ein paar interessante Perspektiven...

Materialschlacht der Wahlmedien

Auf den letzten Metern bin ich doch noch zu fast standesgemäßen Plakaten gekommen, habe mich aber im Wesentlichen auf die Nano-Medien verlassen, die ich im Bürgermeister-Wahlkampf auf Augenhöhe mit den Wählern eingesetzt habe.

Und die sind jetzt ein wenig in Burscheid, Hilgen und Witzhelden versteut. Dem "Unserem Bester" - damit wird für den amtierenden Champion Wolfgang Bosbach geworben - habe ich hier und da ein sprachschöpfend herausgearbeitetes Alleinstellungsmerkmal entgegen gesetzt: "Mein Meinster". Um Missverständnisse gleich zu vermeiden: Das folgende Bild zeigt keine Rotwein-Flasche aus der Zeit der französischen Revolution vor einer Bergischen Schiefer-Wand (obwohl: Schiefer und Wein harmonieren prächtig). Man sieht dort vielmehr den mittleren und hier etwas gekröpften Teil einer Straßenlaterne:

Hier noch ein Blick in die samstägliche Werkstatt, und auf dem Brett liegt ein fein gearbeitetes Schreinerdreieck meines Schwiegergroßvaters Fritz Mebus, des ersten gewählten Nachkriegsbürgermeisters Burscheids ("bolzengerader" Typ muss man zu diesem zwischen 1933 und 1945 völlig unkompromittierten Bürger sagen).

Und hier dann eines der Samstags-Produkte: Mein allererstes großes Wahlplakat, also würdiger Teil der Wahl-Materialschlacht. Okay, es zeigt mich immer noch recht bescheiden, aber aufrecht und als Bürger, der absolut in der Mitte steht und tief empathisch für eine baldige Entlastung der Konkurrenz wirbt:
Schau'n wir doch mal! Und sonst: Nach der Wahl ist vor der Wahl.

Nachtrag: Teilweise wurde die amtierende Regierung dann ja in der Tat entlastet. Aber ich war, glaube ich, dann wohl doch nicht der Auslöser bzw. Entlaster.

Samstag, 21. September 2013

Rechte der Konfessionslosen und Andersgläubigen - eine Anfrage aus dem Wahlkreis

Herr Ponitka aus Overath vom Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten / ibka hatte sich Anfang August in einem Schreiben gegen Diskriminierung von Konfessionslosen und Andersgläubigen gewandt, u.a. mit dem Ziel, 
(1) § 9 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes / AGG so zu ändern, dass konfessionslose oder andersgläubige Nutzer von kirchlichen Sozialeinrichtungen nicht länger zurückgesetzt werden dürfen,
(2) dass in Sozialeinrichtungen kirchlicher Trägerschaft durch Anpassung von § 118  Betriebsverfassungsgesetz / BetrVerfG Mitwirkungsrechte wie in normalen Tendenzbetrieben gelten und
(3) dass schulischer Religionsunterricht so organisiert wird, dass das Recht auf Nichtteilnahme oder die Teilnahme an Ersatzunterricht auch ohne Hürden in Anspruch genommen werden kann. 
Das alles ist nun nicht wirklich mein Kompetenzbereich und ich muss mit meinem fachlichen Engagement als Einzelkandidat leider sehr haushalten. Hier aber meine heutige Antwort, die ich mit Einvertändnis von Herrn Ponitka auf dem Wahlblog veröffentliche:

Sehr geehrter Herr Ponitka,
danke für Ihre Schreiben! Bemerkenswerterweise ist es das einzige mit konkreten politischen Forderungen, das ich im Wahlkampf erhalten habe, nicht nur zu dieser Thematik, sondern insgesamt. Ich bitte auch um Nachsicht für die stark verzögerte Antwort – zuerst war ich im Urlaub in Slowenien, und nach meiner Rückkehr gab’s für meine Ein-Mann-Partei einiges an Organisation und PR zu erledigen – u.a. im Zusammenhang mit Kandidatenpodien an den Schulen – auf meinem Blog können Sie etwas davon nachlesen. Und ganz ehrlich muss ich sagen, dass ich mich vor meiner Reaktion dann auch noch ein wenig geschubst habe: Mein eigentliches Kompetenzgebiet ist die Außen- und Sicherheitspolitik und als Ein-Mann-Partei, als die ich mich für diese Wahl aufgerafft habe, muss ich mit meinen Ressourcen leider sehr haushalten. Ich bin mir selbst auch gar nicht im Klaren, wie ich mit den Kirchen und mit dem Glauben umgehen soll. Wenn Sie und die Menschen, mit denen Sie thematisch in Kontakt stehen, Ihre Wahl also an genau diesen Fragen und an einer dazu bereits konkret entwickelten Politik festmachen wollen, dann sollte Sie mir Ihre Stimmen nicht versprechen.
Ich beginne einmal mal mit einer grundsätzlichen Position zu Kirche und Glauben und werde daran dann Ihre einzelnen Forderungen messen, nämlich die vorgeschlagene Anpassung von §  9 AGG, die erweiterte Information über die Freiheit des Religionsunterrichts, die Planung von praxisgerechten Alternativen zur Teilnahme einschließlich des regelmäßig zeitgleichen Angebots von Ersatzunterrichts.
Persönlich bin ich Protestant und war zur Zeit des Konfirmationsunterrichts meiner Kinder auch in der Kirche recht aktiv; eine Erklärung aus dieser Zeit lege ich zur Illustration bei. Sie können diesem Papier entnehmen: Ich kann mir nur einen fairen Gott vorstellen, einen, der keine Unterschiede nach Geburt und Bekenntnis oder Nicht-Bekenntnis macht. Der allenfalls danach urteilt, ob ein Mensch ein gerechtes Leben führt – im Grunde: ob er nach dem kategorischen Imperativ oder der „golden rule“ lebt. Darin sehe ich die Essenz vieler Religionen und Weltanschauungen. Und ich selbst bestimme mein Leben auch nicht nach tradierten übersinnlichen Erscheinungen, denn diese habe für meinen Lebensweg nach meiner gesamten Lebenserfahrung keine nachweisbare Bedeutung. Ich billige den Kirchen aber zu, dass sie in einer zunehmend materiell und technokratisch orientierten Epoche ethischer Bezugspunkt für eine große Zahl von Menschen sind, gerade auch von jungen Menschen, dass die Kirchen – und sei es  mit unbewiesenen und letztlich unbeweisbaren Heilsperspektiven – zum Lebensglück von Menschen wirksam beitragen können und – nicht zuletzt – dass sie derzeit alternativlose soziale Dienste erbringen. Nun gehört zum „Geschäftsmodell“ der Religionsgemeinschaften aus meiner Sicht auch, dass sie in einem bestimmten Umfang eine eigene Moral definieren und die Zugehörigen dahingehend beeinflussen, sich loyal und widerspruchslos dazu zu verhalten. Das ist typisch besonders für verzweigte und werbende Gemeinschaften und vom Glauben selbst im Grunde unabhängig. Noch ein Nachtrag: Die Orientierung des neuen Oberhauptes der katholischen Kirche hin zu Nächstenliebe und weg von Ritualen, Privilegien und Dogmen kann man – klar, muss man nicht – als Weg in die richtige Richtung deuten. Ziele wie „Menschen zu begleiten, ihre Wunden zu heilen“ erscheinen mir grundsätzlich konsensfähiger als die Amtsführung seines Vorgängers. Ebenso klar: Die Kirche hat keinen Patentschutz auf Einfühlungsvermögen, gerechten Ausgleich und Nächstenliebe.
Nun zu den einzelnen Fragen, die ich differenziert beantworten würde:
-          In Sozialeinrichtungen, die zumindest teilweise mit öffentlichen Mitteln unmittelbar oder mittelbar finanziert werden, darf m.E. keine Diskriminierung wegen Konfessionslosigkeit oder Andersgläubigkeit toleriert werden; sofern staatliche Normen dem entgegen stehen, befürworte ich deren Änderung. Bei einer vollständig privat finanzierten und organisierten Einrichtung, die auch nicht eine sonst staatlich zu bereitzustellende Infrastruktur ersetzt, sehe ich dagegen auf der Grundlage der Vertragsfreiheit keine entsprechende Möglichkeit, einen gleichen Zugang zu erzwingen und werde dies auch nicht befürworten.
-          Bei Sozialeinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft halte ich den Umfang der Mitbestimmung wie in Tendenzbetrieben für eine durchaus ausgewogene Lösung.
-          Die Information zur Freiwilligkeit des Religionsunterrichts erscheint mir selbstverständlich und wird m.W. auch praktiziert. Dies ebenso wie eine praktikable, Familien-freundliche Gestaltung des Stundenplans ist nach der Zuständigkeitsverteilung der Bundesrepublik allerdings auch kein Auftrag an den Bundesgesetzgeber oder an eine aufsichtführende Stelle im Bereich des Bundes, sondern liegt in der Verantwortung der Länder und in der Organisationshoheit der jeweiligen Schulen. Ich bin selbst Teil einer Administration, wie Sie vielleicht wissen, und habe in mehr als zwanzig Dienstjahren mit der Vermischung von Zuständigkeiten sehr schlechte Erfahrungen gemacht, ebenso mit Versuchen, vom grünen Tisch aus eine organisatorische Feinsteuerung vor Ort durchzusetzen, etwa auch durch politischen Einfluss im Einzelfall.
Soweit mein Versuch, Ihre Vorschläge zu bewerten. Machen Sie das Beste aus der Wahl. Bei der nächsten werde ich schon aus Altersgründen voraussichtlich nicht mehr antreten. Ich kann aber Ihnen oder den Menschen, mit denen Sie sich für politische Ziele einsetzen, diesen Weg nur wärmstens empfehlen. Es macht zwar einige Mühe und wirkt zunächst wie vergebliche Liebesmühe, aber am Ende gewinnen Sie doch einige neue und bleibende Kompetenzen und Perspektiven – und die Investition von zeit- und Geldressourcen – in meinem Fall hatte ich mir im Interesse meiner Enkel ein Limit von ca. 2.000 € gesetzt – die zahlen sich aus, mehr als bei einer mittleren Bildungsreise, für die Sie ebensoviel auf den Tisch der Hauses legen müssen: Ein halbes Jahr höchst abwechslungsreiche Forderung und Unterhaltung stehen auf der Habenseite. Wenn Sie interessiert sind, berate ich Sie gerne!
Mit freundlichen diesseitigen Grüßen
K. U. Voss

Das Volk und der Krieg und die Wahl



Zweierlei muss ich noch schnell erklären, bevor Sie mich wählen. Darauf werde ich häufig angesprochen und beides adressiert auch ein Leserbrief, den die Frankfurter Allgemeine abgedruckt hatte, und unter Vermeidung von Schamesröte für Selbstlob muss ich sagen, dass er einer meiner besseren war, siehe den vorangegangenen Post.
Erstens: Wieso eigentlich meine ich, dass die deutsche Praxis der Auslandseinsätze seit zwei Jahrzehnten gegen unsere Verfassung verstößt? Und zweitens: Warum halte ich Wehrpflicht für so eine tolle Idee? Wo alle anderen sich offenbar freuen, dass sie die Wehrpflicht endlich los sind.
Zur ersten Frage, zur Verfassungswidrigkeit der Auslandseinsätze: Das müssten doch schon viele andere meiner Zunft erkannt und dann laut herausposaunt haben, gerade die Spezialisten in Regierung, Parlament & Justiz und die vielen Gelehrten für Staatsrecht. Ja, das ist in der Tat verblüffend – aber ich meine, unter bestimmten Rahmenbedingungen gilt auch das geschriebene Verfassungsrecht nicht mehr so besonders viel und es kommt geradezu staatsmännisch herüber, wenn man politisch flexibel auf neue Herausforderungen reagiert und das Volk entschlossen zu neuen Ufern führt, geschmeidig in kleinen Schritten, wo es nottut. Karl Lamers der Ältere war so ein Politiker und ein strategischer Fuchs der Neunziger Jahre.
Fangen wir mit den einfachen Fakten an. Die Aufgaben der Bundeswehr haben sich ganz unzweifelhaft seit dem Ende der Blockkonfrontation massiv verändert. Auch nach 1990 gab es noch mehrfache signifikante Änderungen der militärischen Doktrin – etwa nach nine eleven – und daraus folgten auch einschneidende Änderungen von Umfang, Fähigkeiten, Organisation, lokaler Verteilung und Ausstattung der Streitkräfte. Diese Änderungen setzen sich unter erheblichem Mitteleinsatz und perspektivischen Beschaffungen bis in die aktuelle Zeit fort. U.a. dieser Prozess dürfte Herrn de Maiziére zu der m.E. sehr undemokratischen Parole veranlasst haben, die Bundeswehr aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Mit einem etwas anderen Zungenschlag hatte der damalige Außenminister das gleiche Debatten-Moratorium schon vor der 1994er Wahl gefordert: Er müsse schließlich tagtäglich mit anderen Regierungen und Organisationen über die wachsenden Erwartungen zu deutschen Auslandseinsätzen verhandeln und könne darum damit nicht „in zwanzig Wahlkämpfe gehen“.
Also: Einerseits eine völlig offensichtliche Funktionsänderung des zentralen Instruments der deutschen auswärtigen Gewalt – weg von einer Verteidigungsarmee im Wartestand hin zu einer krisen- und konfliktbehandelnden Armee im Einsatz, mit nicht nur potenziellem, sondern jahrelang erlebtem Eingriff die Grundrechte sehr vieler Individuen, von Soldaten ebenso wie von Zivilisten. Nehmen wir nur ein Grundrecht, das Lebensrecht aus Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes, ein sehr zentrales Grundrecht, weil es die Ausübung aller anderen Grundrechte erst garantiert, also im Grunde in sich trägt. Allein im Rahmen des ISAF-Einsatzes in Afghanistan sind nach seriösen Schätzungen mehr als 40.000 Zivilisten jedes Alters und Geschlechts getötet worden. Darunter war auch der am stärksten einschneidendende Einzelfall, die Bombardierung von zwei Tanklastern in einer Furt des Kundus, bei der mehr als 100 Menschen verbrannten, und dieser Eingriff wurde von einem deutschen Offizier ausgelöst.
Anderseits ist bei den rechtlichen Grundlagen für solche Eingriffe ist kein einziger Federstrich zur rechtsstaatlichen Änderung der Aufgaben zu erkennen, nicht im an allen maßgeblichen Stellen völlig unveränderten Grundgesetz, aber auch nicht in Gesetzen unterhalb unserer Verfassung. Halt, ruft da jemand: Wie steht es mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz? Sehr aufmerksam verfolgt, aber das Parlamentsbeteiligungsgesetz kam zum einen mit einer gehörigen Verzögerung nach den ersten Auslandseinsätzen i.J. 1992. Entscheidend ist aber: Das Parlamentsbeteiligungsgesetz regelt keine einzige Fallgruppe (wie z.B. Evakuierung von Staatsbürgern aus lebensbedrohlichen Situationen im Ausland, Sicherung von Importen oder Exporten). Es ist ein bloßes Verfahrensgesetz und fixiert das bereits vom Verfassungsgericht i.J. 1994 geforderte Verfahren der konstitutiven Zustimmung des Parlaments zu Auslandseinsätzen auf Vorschlag der BReg. Auch diese Entscheidung hatte im Übrigen keinen neuen Tatbestand für den Einsatz von Streitkräften definiert, also keine Fallgruppen, in denen und nur in denen der Staat militärische Gewalt in Abwägung zu verletzten Grundrechten anordnen könnte. Genauer: In keiner Zeile dieses ansonsten sehr ausführlichen Urteils sind Grund- oder Menschenrechte auch nur angesprochen. Anzumerken ist: Das Urteil, das bis heute der wesentliche Bezugspunkt der raumgreifenden neuen deutschen Außenpolitik ist, wurde nicht einmal mit der Mehrheit der entscheidenden Richter gefällt: Wegen der besonderen Verfahrenskonstellation hatte damals ein vier-zu-vier-Patt ausgereicht („un-entschieden“ könnte man auch sagen), um den seinerzeitigen Antrag der SPD und der FDP abzulehnen und gleichzeitig eine völlig neue Rechtsfigur, nämlich die sogenannte „konstitutive Zustimmung des Bundestages zu Auslandseinsätzen“ einzuführen. Die Mehrheit der Kommentatoren hat diese Entscheidung denn auch als grundsätzlich unzulässige – wenn auch für die Bündnispolitik praktische und damit im Ergebnis doch wieder schlaue – Rechtsetzung durch das Bundesverfassungsgericht gedeutet, als Überschreiten der nach dem Grundgesetz nur rechtsauslegenden Kompetenzen. Oder: Der Zweck heiligt die Mittel.
Und was verlangt die Verfassung? Eigentlich etwas sehr Klares. Gem. Art 2 Abs. 2 des Grundgesetzes kann in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden – und Art. 19 Abs. 1 des Grundgesetzes sagt ebenso klar, dass dieses Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten muss, und dass es die eingeschränkten Grundrechte ausdrücklich nennen muss. All das – und die besondere Prominenz des ersten Abschnitts des Grundgesetzes ist die Folge der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft – und gerade Art. 19 habe ich im Staatsrechtsunterricht als nachhaltige Vorsorge gegen die Selbstentmachtung des deutschen Parlaments durch ein Gesetz wie das Ermächtigungsgesetz erläutert bekommen.
Daraus leite ich ab und das dürfte die völlig herrschende Rechtsauffassung deutscher Juristen vor 1990 gewesen sein: Vor jedem Auslandseinsatz der Bundeswehr hätte ein Bundeswehraufgabengesetz erlassen werden müssen, win Gesetz also, das die ggfs. über Verteidigung hinausreichenden neuen Aufgaben klar und abschließend regelt. Und vorausgehend zu einer solchen Regelung hätte es eine gesamtgesellschaftliche Debatte zu genau diesen neuen Aufgaben geben müssen. Zum Vergleich: Als die Notstandsgesetze anstanden - Gesetze, die weit weniger einschneidende Eingriffe in zentrale Grundrechte erlauben als die militärische Praxis der letzten 20 Jahre - damals gab es Hearings, Demonstrationen und eine merkbare außerparlamentarische Politikbildung. Heute: tiefes Schweigen im Walde, das keine Partei stören will und das kaum jemanden stört. Und mit dem Namen Farah Abdullah werden die allerwenigsten Deutschen etwas anfangen können; der Name steht auch auf keinem Denkmal - dazu braucht es offenbar einen historisch größeren Abstand. Farah Abdullah hieß der junge Somali, der beim Bewachen des Feldlagers in Belet Huen erschossen worden war, i.J. 1993 während der Militärmission UNOSOM II. Soweit bekannt war er das erste zivile Opfer eines militärischen Einsatzes mit deutscher Beteiligung durch deutsche Soldaten - damals wie später noch mehrfach in Afghanistan wurde der Vorfall durch Blutgeldzahlung an die Großfamilie "gesühnt".
Nun zu der zweiten Frage, der Wehrpflicht. Die Mitwirkung an einem militärischen Einsatz ist umso leichter zu beschließen, umso weniger Rückkoppelung in die nächstfolgenden Wahlen zu erwarten steht. Nach dem Vietnamkrieg haben die USA die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft; Soldaten sind erfahrungsgemäß auch dann zu finden, ausreichend attraktive Bedingungen vorausgesetzt. Ich halte die Wehrpflicht nicht für per se sinnvoll, zumal derzeit kein Fall der Landesverteidigung zu erwarten steht. Aber ich sehe die Wehrpflicht als effiziente Fußfessel für ambitionierte deutsche Außen- und Sicherheitspolitiker, die gerne mit der Haut anderer mutig sind. Und diese Rückkoppelung ist umso wichtiger, so lange die Einsatzgründe so diffus bleiben wie heute, wo die juristisch nicht definierten Begriffe von „Krise“ und „Konflikt“, schlimmer noch: von „Konflikt-Vorsorge“ zu auslösenden Bedingungen eines Auslandseinsatzes gemacht werden.
Also: Die Gründe für den Einsatz der Bundeswehr müssen trennscharf festgelegt werden – und solange dies nicht der Fall ist, sollten auch Wähler aller Bundestagsparteien dort sein, wo es wehtun kann oder wo man anderen wehtun kann, auch final.
Siehe dazu auch die fünf im letzen Post mit abgedruckten Leserbriefe.

Donnerstag, 19. September 2013

Zum ewigen Frieden oder: das tragende T der Geostrategie

Den 8. Mai 2013 muss sich SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im Kalender rot angestrichen haben. Ausnahmsweise mal ein Lob! Und das kam sogar vom politischen Gegner, vom Bundesminister der Verteidigung in Person. Thomas de Maiziére begrüßt in einen Interview mit der WAZ-Mediengruppe, dass „Steinbrück die Sicherheitspolitik aus dem Wahlkampf heraushalten will“. Und fügt hinzu, das dürfe „nicht nur für die Auslandseinsätze gelten, sondern genauso für die Neuausrichtung der Bundeswehr“.

Wohl gesprochen, große Staatskunst bewiesen? Könnte man fast denken. Klaus Kinkel, weiland FDP-Außenminister in einer Koalition wie der heutigen, sagte im Wahlkampf für den 13. Deutschen Bundestag, genauer: am 10. September 1993 in einem Interview mit n-tv: „Ich möchte wirklich ungern mit diesem Thema in 20 Wahlkämpfe gehen, weil das Deutschland schadet. Und das sagt ein Außenminister, der ja in der Praxis täglich verhandeln muss und sieht, wie sehr wir nach diesem Themenkreis gefragt werden.“ Und plauderte damit gewollt oder ungewollt über die prägende Gruppendynamik internationaler Gremien, die die Schicksalsfragen der Nation in der realen Welt viel stärker bestimmen als unsere gesellschaftliche Debatte und unsere demokratische Mitwirkung in Wahlen. Wir können das als „tragendes T der Geostrategie“ benennen:


-         Ein sehr kräftig ausgelegter Querbalken für die waagerecht zwischen den nationalen und supranationalen Exekutiven ausgetauschten Impulse, Pläne und Vereinbarungen. Und daran hat auch der von Eisenhower in seiner luziden farewell address als Begriff eingeführte militärisch-industrielle Komplex einen ganz wesentlichen Rede-Anteil.

-         Und eine sehr schlank und sparsam dimensionierte senkrechte Latte für die top-down und bottom-up Kommunikation mit den Bürger/innen, etwa in Wahlen. Oder nicht einmal dort, s.o. die aktuellen Positionierungen von de Maiziére und Steinbrück, mit denen sie selbst die schon schmächtige Latte mal eben weg gekickt haben. Wer ein wenig Gespür für Statik hat, der ahnt: Dieser T-Träger ist prinzipiell krisenanfällig und bei plötzlichem Stress wenig belastbar. Nach der Bombardierung der Tanklaster in einer Furt des Kunduz konnte man es mit der Hand greifen: Fast wäre er gebrochen. Aber wer spricht denn schon von so was?

Hat man wohl schon immer so exquisit und distanziert gedacht, und sahen es auch die klügsten Geister Deutschlands so? Außen- und Sicherheitspolitik, die geborene Königsklasse und für Bürger nicht geschaffen? Wie es Gustav von Rochow, ein Mann von altem Geblüt, einmal in anderem Zusammenhang formulierte Es ziemt dem Untertanen, seinem Könige und Landesherrn schuldigen Gehorsam zu leisten und sich bei Befolgung der an ihn ergehenden Befehle mit der Verantwortlichkeit zu beruhigen, welche die von Gott eingesetzte Obrigkeit dafür übernimmt; aber es ziemt ihm nicht, an die Handlungen des Staatsoberhauptes den Maßstab seiner beschränkten Einsicht anzulegen und sich in dünkelhaftem Übermute ein öffentliches Urteil über die Rechtmäßigkeit derselben anzumaßen.Oder: Göttliche Eingabe ersetzt lästige demokratische und rechtsstaatliche Mitwirkung.

Da gab es doch diesen Königsberger Stubenhocker, nicht von altem Geblüt, dafür aber von sehr frischem Geist. Der hatte 1755 durch Nachdenken, gute Vernetzung und praktisch ohne technische Hilfsmittel das noch heute unangefochtene Modell der Entstehung des Sonnensystems ergründet, nämlich: Entstanden aus einem rotierenden Nebel aus Gas und Staub, der durch die Schwerkraft zunächst zu einer riesigen Scheibe abflachte – der heutigen Ekliptik - und dann zum Fixstern Sonne mit Planeten unterschiedlicher Dichte kondensierte. Diese brillante Denker ist auch als Vater des kategorischen Imperativs bekannt. Welch selbigen "KI" ich nur zu gerne auf die stabile Gestaltung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik angewandt sähe - damit wir endlich einmal von ad-hoc-Entscheidungen von Bundesregierung und Bundestag zu Auslandseinsätzen wegkommen, die rechtsstaatlich höchst zweifelhaft sind. Dieser gewisse Herr Kant hat 1795 auch ein verschmitzt betiteltes und formal als völkerrechtlicher Vertrag gestaltetes Büchlein herausgegeben. Exkurs: Im Grunde sehr klug, diese vertragsähnliche Konstruktion, denn die Exekutive liebt ja das Simile, die Vorlage, wovon sie arbeitsökonomisch und systemintelligent abschreiben kann. Leider hat die Regierung dann doch nie abgeschrieben, hat die ausgefeilte Vorlage vielleicht nicht einmal gelesen oder nicht verstanden. Exkurs Ende

Zum ewigen Frieden“ heißt das Kant'sche Werk über eine auf vorausdenkende Gegenseitigkeit aufgebaute Außen- und Sicherheitspolitik. Den Titel hatte Kant von einer holländischen Gastwirtschaft abgeschaut, die sich neben einem Friedhof angesiedelt hatte. Das Büchlein wird zu Recht noch heute verlegt und um kleines Geld verkauft: Reclams Universalbibliothek Nr. 1501, Preis unter 5 €, ein "Muss" vor jeder Wahl und gerade vor dieser Wahl; es ist auch im Internet vielfach greifbar, z.B. in der Fassung der Erstausgabe hier.
Und was sagt Kant darin zu Volk, Krieg und Entscheidungsrecht? Er gibt dem Volk das Bestimmungsrecht über den Krieg – und zwar wegen der deutlich besseren, zur Vorsicht mahnenden Rückkoppelung zwischen Plan und Schmerz (Reclam S. 12f). Als Alternative erwägt er an anderer Stelle – mit dann noch stärker dämpfender Rückwirkung auf die Befehlszentrale – auch den guten alten Kampf der Häuptlinge. Zu Recht, denn dieses Modell gibt beim Gewalteinsatz zu allergrößter Zurückhaltung Anlass und nur ein Wahnsinniger würde diese Kriegsform ohne taugliche Exit-Strategie angehen (Reclam S. 16f mit Fußnote auf S. 17).

Also - wir sollten besser differenziert darüber gesprochen haben, verehrte Herren de Maiziére und Steinbrück  und zwar bevor wir Sie zu Häuptlingen wählen!

Hierzu – wenn Sie noch ein wenig mehr Zeit erübrigen und weiterlesen wollen – ein paar selbst geschriebene Briefe, die im Wohn- und Jagdgebiet deutscher Politiker abgedruckt wurden. Und zwar im zeitlichen Zusammenhang mit der fulminanten Rede des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler auf der Kommandeurtagung 2005, zum 50. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr und der Herausgabe des Bundeswehr-Weißbuches 2006. Das Weißbuch hatte die mehr als 30 Fragen Köhlers zum Auftrag der Bundeswehr leider gerade nicht beantwortet. Und seinen wolkenhaft aufgeblasenen Sicherheitsbegriff, der praktisch alle Facetten und Risiken der Globalisierung mit aufnimmt und damit Attac zur Ehre gereichen würde, diesen Sicherheitsbegriff hätten wir als Fundgrube für bewaffnete Einsätze jedenfalls in einem Weißbuch eines islamischen oder kommunistischen Staates - kategorischer Imperativ!!! - nicht wirklich finden wollen.

DIE ZEIT, abgedruckt am 3.11.2005
50 Jahre Bundeswehr (ZEIT Nr. 43, S. 7: Jochen Bittner ‚Das kann uns Blut kosten’ und Theo Sommer ‚Von Himmerod zum Hindukusch’)

    Richtig, die neuen Aufgaben der Bundeswehr können Blut kosten – und nicht nur deutsches. Aber wofür? Nicht weniger als 11 Fragezeichen schmücken Seite 7 der ZEIT Nr. 43 mit den Berichten zum Bundeswehrjubiläum. Das ist wohl ZEIT-Jahresrekord. Und diese Fragezeichen stehen für das Kernproblem von out of area, das es nach 15 Jahren Neuorientierung noch immer aufzuarbeiten gilt: Ein staatliches Organ, das wie die Bundeswehr Leben, Gesundheit und Freiheit von Bürgern wie von Ausländern gefährden und schädigen kann, muss doch einen klar abgrenzbaren Auftrag besitzen und keine Sammlung von sicherheitspolitischen Fragezeichen. Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner weiß, wieso?
    Die Vergewisserung einer Demokratie beginnt mit einer breiten gesellschaftlichen Diskussion. Die haben wir bisher nur ad hoc oder scheibchenweise erlebt. Sie wird auch nicht gegenstandslos durch Planspiele neuer Hausherren im Bendlerblock oder durch schneidige Forderungen amerikanischer NATO-Diplomaten.
    Genau diese offene Diskussion hat der Bundespräsident am 10. Oktober nun eingefordert. Dafür schätze ich ihn als Bürgerpräsidenten ein. Am Ende des demokratischen Prozesses stehen dann hoffentlich auch keine neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien, sondern endlich die rechtsstaatliche Normalform für die Abwägung staatlichen Gewalthandelns gegenüber individuellen Grundrechten: der gesetzliche Handlungsrahmen mit nachvollziehbaren Eingriffstatbeständen. Und hoffentlich haben wir dann noch ein Verteidigungsministerium - nicht etwa ein Sicherheitsministerium, das u.a. die besonderen Interessen des deutschen Außenhandels militärisch robust flankiert. Der Schaden für die globale Friedensordnung wäre sonst leicht absehbar. Auch für internationales Tun gilt der kategorische Imperativ. Und wenn Rumsfeld heute die aktualisierte chinesische Militärdoktrin beklagt, blickt er auf mittelbare Folgen der Bomben auf die chinesische Vertretung in Belgrad.

Süddeutsche Zeitung, abgedruckt am 21.11.2005
50 Jahre Bundeswehr; Interview mit Berthold Schenk Graf von Stauffenberg in der Süddeutschen v. 12./13.11.2005, S. 10 ('Die Armee ist den Deutschen eher egal geworden')

    Egal sei die Bundeswehr den Deutschen geworden, sagt Berthold Schenk Graf von Stauffenberg in der Süddeutschen, und das deckt sich recht genau mit dem Befund des Bundespräsidenten auf der Kommandeurtagung vom 10. Oktober.
    Man kann sich in der Tat nur verwundert die Augen reiben: Die Notstandsgesetze hatten monatelang die Republik auf den Straßen, im Parlament und in der Regierung in Atem gehalten - und konnten doch Menschenrechte eher theoretisch, höchstens am Rande ankratzen. Die Kopftuchfrage löst heutzutage eine hektische, fast pedantische Gesetzgebung aus - nur auch hier: Fehlanzeige hinsichtlich der Bedrohung existenzieller Menschenrechte.
    Massives staatliches Gewaltpotenzial aber, wie das omnipotente neue Aufgabenspektrum der Bundeswehr und nun wirklich mit Gefahr für Leib und Leben von Inländern und von noch viel mehr Ausländern, das entwickelt sich elegant und fast geräuschlos, ohne störende gesellschaftliche Debatte, ohne vorausschauendes und nachvollziehbares Einhegen der Regierung nach den guten alten Regeln von Gesetzesvorbehalt und Wesentlichkeitsgebot. Die Erklärung für dieses unerhört ungleiche Gewichten von humanen Werten liegt wohl so nah wie auch so fern: Empfinden und Interesse für die handhaften Schrecken militärischer Einsätze nehmen mit dem Quadrat der Entfernung rapide ab - bis unter die Wahrnehmungsschwelle braver Bürger.

Frankfurter Allgemeine, abgedruckt am 22.11.2006 
Kontrolle der Bundeswehr; Peter Carstens "Einsatz und Kontrolle" (Frankfurter Allgemeine 13.11.2006, S. 1)
    Das Klandestine ist dem Militär eigen. Natürlich will man dem Feind nicht eröffnen, wie und wo man zuzuschlagen gedenkt; auch Finten gehören zum Geschäft. Nun wird der Feind aber auch oft im eigenen Lager vermutet, gerade bei den Zivilisten im Tross. Wenn’s dann schief gegangen ist, gibt dies Anlass zu Dolchstoßlegenden – nach dem ersten Weltkrieg ebenso wie nach Vietnam: Auf dem Felde unbesiegt, ist den Offizieren das vor Angst kopflose Volk in den Rücken gefallen. Selbst Fremde, wenn denn militärisch qualifiziert und verbündet, sind in den Korpsgeist noch eher mit einbezogen und werden als ungleich verständnisvoller und vertrauenswürdiger eingeordnet als die – zumal ungedienten – Zivilisten, vielleicht gar die Sozialisten, die unwürdig um des Volkes Gunst buhlen. Ist der Krieg erst einmal vorbei, liegen sich selbst die ehemaligen militärischen Feinde zu Jahrestagen des Todes achtungsvoll und tief bewegt in den Armen. Am besten sogar – und das ist der Pawlow’sche Reflex nach Vietnam – man sieht überhaupt vom wehrpflichtigen Bürger in Uniform ab, schafft auch persönliche Distanz zum wankelmütigen Volk und eine ungetrübte Atmosphäre des Militärisch-Professionellen.
    Nüchtern betrachtet: Dieses Denkmuster erleichtert und verlängert Projekte wie Afghanistan und Irak, macht das nach Bewährung und Ressourcen suchende Militär auch verfügbarer für partikuläre Interessen. Nun kann man die engste Kopplung von Einsatz und Kontrolle, die Kant in seiner unsterblichen Schrift „Zum ewigen Frieden“ erwähnt hatte, unter heutigen Bedingungen kaum realisieren. Dies war die gute alte Tradition des Kampfes der Häuptlinge, bei der Planung, Ausführung und Schmerzempfinden in einer Person zusammenfielen. Auch den weiteren Rat Kants, die Entscheidung über den Krieg den eigentlichen Lastenträgern, also dem Volk, persönlich zu übertragen, möchte ich als heute eher unrealistisch außer Acht lassen. Aber wir brauchen tatsächlich mehr Transparenz und Rückkopplung. Dies mag bei geheimhaltungsbedürftigen operationellen und logistischen Fragen auch, wie von Peter Carstens vorgeschlagen, einem hoch repräsentativen parlamentarischen Gremium anvertraut werden. Aber die Grundfragen und die fundamentalen Abwägungen – zum Schutz welcher Rechtsgüter wollen wir in existenzielle Grundrechte von Soldaten und von deren Gegnern eingreifen – und die Evaluation von Missionen nach Ziel und Erfolg, das muss hoch öffentlich erörtert und entschieden sein. Sonst lernt das Volk aus Kriegen nichts, zumal nicht aus den Kriegen hinter dem Horizont.
    Mit ihrer breiten medialen und politischen Kompetenz ist die F.A.Z. eine der ersten Adressen, den Wunsch der Kanzlerin aus dem Vorwort des Bundeswehr-Weißbuchs 2006 aktiv aufzugreifen, nämlich diese für Einsatz und Kontrolle grundlegende gesellschaftliche Debatte zur Außen- und Sicherheitspolitik beherzt anzustoßen.

DIE WELT, abgedruckt am 2.8.2007
angekündigte US-Waffenlieferung in den Nahen Osten
Kommentar Mariam Lau "Freunde zum Fürchten" (WELT v. 31.7.2007, S. 1)

    Schlimm wäre schon, wenn die US-Politik in einer Kette von Aufrüstungsprojekten unbewusst und unbeholfen immer neue Gewalt-Exkursionen fördern würde, wie ein träger Zauberlehrling: Persien - Irak - Afghanistan - Pakistan.
    Schlimmer noch wäre, wenn die amerikanische Politik aus den von Präsident Eisenhower bereits i.J. 1961 dargelegten Gründen mit einem unüberwindlichen militärisch-industriellen Komplex strukturell auf militärische Lösungen programmiert wäre. Dann stünde auch grundsätzlich die Friedensorientierung in Frage, die das Bundesverfassungsgericht seiner Afghanistan-Entscheidung vom 3.7.2007 zugrunde gelegt hatte. Und in dem so häufig beschworenen Konflikt der Kulturen wäre ein ethisch-moralischer Vorsprung des Westens äußerst schwer zu begründen.

Frankfurter Allgemeine, abgedruckt am 26.9.2007
BM Jung zum Abschuss von Zivilflugzeugen durch die Bundeswehr (u.a. F.A.Z. 18.9.2007, S. 3 "Politische Dauerkanonade", 19.9.2007, S. 10 "Jenseits von Gesetz und Verfassung")
    Herrn Hefty ist zuzustimmen: Wenn jemand den Finger am Abzug eines Tornados haben muss, dann eher ein Kanzler denn ein Verteidigungsminister. Nur kann ich für diese Zuständigkeitsfrage keinen Aufhänger finden, wenn ich entsprechend dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts für solche fundamentalen Werte-Konflikte gar keine staatliche Notfall-Kompetenz definieren kann, sondern bestenfalls die Straffreiheit dessen, der tragischerweise mit jeder möglichen Entscheidung existenzielle Menschenrechte in unmittelbare Gefahr bringt.
    Unabhängig davon sehe ich mit höchster Besorgnis in der Instrumentalisierung eines "übergesetzlichen Notstands" dasselbe Muster von Ent-Formalisierung staatlicher Handlungsformen, das bereits seit Beginn der Neunziger Jahre die Gewährleistung äußerer Sicherheit prägt: Das Mittel der Wahl sei jeweils eine diskrete Einzelfallentscheidung, nicht eine generelle, abstrakte, im parlamentarischen Verfahren diskursiv vorbereitete Regel, bzw. – um Kants Analogie staatlichen Handelns an den Staat zurück zu reichen – der kategorische Imperativ. Das mag durch die breite Wahrnehmung oder gezielte Plakatierung von Katastrophen der Losgröße 1 begünstigt sein, durch angeblich immer plötzliche und unvorhersehbare, nicht-iterative und immer außerordentlich große Herausforderungen und Gefahren für Gesellschaft und Staat, die typischerweise mit dem Phänomen des Terrorismus markiert werden. Nur: Entweder ist die Herausforderung strukturell, dann ist es auch die vorzuhaltende Antwort und diese kann damit im Rechtsstaat abgebildet werden, durch eine generelle, abstrakte und rechtlich überprüfbare Eingriffsgrundlage. Oder es sind keinerlei Charakteristika und mögliche Differenzierungen erkennbar. Dann kann es auch keine weitestgehend freie Hand für die Exekutive geben, was immer das Risiko ebenso unvorhersehbarer Verletzung von Bürger- und Menschenrechten trägt.
    Die Textur des Rechts zu perforieren, bleibt in keinem Fall folgenlos.

Dienstag, 17. September 2013

Der Guido lebt – die Wahl ist tot

Guido Westerwelle hat den Bonnern nicht die Rückkehr der Hauptstadt versprochen. Nicht mal seine eigene, denn er will in Berlin bleiben und dort tapfer die Bonner vertreten; das mag ja auch in mehrfacher Hinsicht ein Anreiz sein. Aber seit der Bayern-Wahl und seit dem krachenden Rauswurf der FDP aus der Vertretung der städtischen & ländlichen Bajuwaren muss man plötzlich um den Berliner Außenposten Westerwelle bangen – was es furchtlos zu verhindern gilt. Nun ist relativ wenig Zeit für feingliedrige Sprachregelungen und so soll nun ganz ungeschminkt im Rahmen einer Zweitstimmenkampagne bundesweit für so genannte Stimmenverteilungs-Vereinbarungen nach dem Vorbild Bonns geworben werden, mag das hier und da auch noch ein wenig schamhaft heruntergespielt werden.
 
Ein neues anwaltliches Geschäftsmodell? Vielleicht. Ziel ist es, die Wähler zu einem für das Wahlergebnis entscheidenden Stimmensplitting zu führen: Potenzielle Wähler der CDU, die sonst die Erst- und die Zweitstimme nach ihrer politischen Präferenz beide an die CDU geben würden, wählen nun nur mit der Erststimme die CDU, geben die Zweitstimme aber der von der 5%-Hürde handhaft bedrohten FDP. Und im Gegenzug wählen auch die FDP-Wähler nicht mehr sortenrein, sondern ebenfalls per Erststimme CDU – die dann auch wieder auf diverse Überhangmandate hoffen kann – und mit der Zweitstimme das, was sie immer schon wählen wollten: Good old Genschman und die FDP. Es kommt dann tendenziell zu einem Parlament, das die bei den Wähler/innen (ohne die Stimmenverteilungsverträge) aktuellen politischen und thematischen Präferenzen eben nicht repräsentiert. Aber summa summarum bleibt es in der Familie bzw. in derjenigen Koalition, die die Parteispitzen vor der Wahl gemeinsam angepeilt haben.

Warum halte ich das Ganze, das sich so nah am Eichstrich unserer Demokratie abspielt, nur für so halbseiden und manipulativ, für ein offenes Umgehungsgeschäft zu Lasten unserer 5%-Klausel in § 6 Abs. 3 Bundeswahlgesetz? Warum denke ich bei Strategien, die so durchscheinend sind wie das erstaunliche Beck’sche Dünndruckpapier, instinktiv an Mauschelei und Winkeladvokatur? Exkurs: Wobei sich letzteres vom sprachlichen und sozialen Milieu längst frei gemacht hat. Denn die Winkeladvokatur leitete sich ursprünglich nicht von juristischen Winkelzügen ab, sondern vom Anwaltsproletariat, das in kleinen Winkeln hauste (heute noch im Niederländischen „het winkel“, das kleine Ladengeschäft) und das gerade die hoffnungslosen Fälle annehmen musste. Hier dagegen sprechen wir eher von Anwaltsfirmen, an besten Adressen, in Großraumbüros, blendend vernetzt und durchgehend bestens alimentiert. Exkurs Ende.
 
Ich wohne wohl nicht nahe genug an der Nomenklatura dieser Republik, um das als Ausdruck blendender Staatskunst zu verstehen. Habe sowieso Probleme mit politischen Verträgen, gerade auch mit Koalitionsverträgen, die von vielen heute schon höher und bindender gehandelt werden als selbst die Verfassung ("XYZ muss jetzt realisiert werden; steht doch in der Koalitionsvereinbarung!"). Apropos Verfassung: Der einzige im Grundgesetz konkret genannte Auftrag der Parteien ist die Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes, Art. 21 Abs. 1. Damit waren allerdings, wenn ich mich recht erinnere, keine Stimmenverteilungsverträge gemeint, sondern die Qualifizierung der Bürger/innen zur Bewertung und Mitgestaltung politischer Fragen. Ansonsten steht dort, die Parteien sollen sich vorsehen, nicht die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen. Ja: Im Grundgesetz reicht das "Beeinträchtigen", verbunden mit der Drohung des Parteiverbots. Und beeinträchtigt darf man sich hier schon fühlen, stark sogar.

Erreicht den Hof mit Müh’ und Not,
der Guido lebt, die Wahl ist tot.

Sonntag, 15. September 2013

Kanzlerschaft in greifbarer Nähe

Ist eine uralte Prophezeiung: Irgendjemand von denen, die 1970 am Carl-Duisberg in Leverkusen ihr Abitur gebaut haben, muss Kanzler werden. War jedenfalls der Berufswunsch eines der progressivsten Mitschüler; der hat sich leider seit einiger Zeit auf Klassentreffen rar gemacht - ohne dass er allerdings Berliner "Papi" geworden wäre, unser Hans Paul. Soweit ich weiß. Die Sache ist also noch offen.

Und so schlecht gestaltet sich meine Kandidatur gerade nicht - auch wenn ich Schülerinnen und Schüler jetzt wohl besser aus meinem Beuteschema streiche: Als Einzelbewerber habe ich ja Schulverbot (siehe vorangegangenen Post) = darf nicht bei den gerade laufenden schulischen Podiumsdiskussionen antreten. Nicht, weil ich in der Schule zu schlecht gewesen wäre: etwa mein großes Latinum hätte ich nicht wirklich noch besser machen können. Oder weil ich keine ausreichende Liebe zum Grundgesetz garantieren würde: bin länger als dreißig Jahre im Staatsdienst und mehrfach bis "NATO TOP SECRET" sicherheitsüberprüft. Nein: weil ich trotz meiner Wahl-Einzelkämpfer-Ausbildung keine ausreichende Bedeutung habe. Werde das gerne am Wahltag und auch durch Rechtsmittel überprüfen lassen. Denn ich halte den generellen Ausschluss einer ganzen Kandidaten-Kategorie für demokratisch unterirdisch - aber Rechtsmittel laufen natürlich vor dem 22. September nicht mehr mit Erfolg, die Zeit ist zu kurz. Also zunächst mal, wie auch Alice neulich anmerkte: Scool's out for summer.

Woher kommt dann das viele Licht? Tja, ein wesentlicher Auslöser war wohl ein Kandidaten-Portrait in der Berliner Tageszeitung / taz: Der Redakteur hatte mich und meine Frau an zwei Tagen begleitet, zu einem Stammtisch der Kreispiraten und zu einer Podiumsdiskussion im Burscheider Jugendzentrum (Anm.: das ist halt keine Schule, das erklärt möglicherweise die große Ausnahme, oder es hat eine Rolle gespielt, dass ich der erste freie Kandidat seit der letzten Eiszeit bin) und sehr positiv über meine Initiative geschrieben. Das wiederum hat den WDR neugierig gemacht und der WDR schlug eine Reportage vor - sie wurde gestern in der Bergisch-Gladbacher Fußgängerzone eingefangen; ist für eine Woche über die WDR-Videothek zu greifen. Zusätzlich hat der WDR die ganzen fünf (in Zahlen: 5) Kandidaten aus NRW, die ganz ohne Partei oder eine unterstützende Plattform in die Schlacht gezogen sind, in seinem Internet-Angebot hervorgehoben, darunter eben auch mich. Auch der Kölner Stadt-Anzeiger hat gerade sehr lobende Worte zu Papier und ins Netz gebracht und unabhängig davon bietet RadioBerg ein Radio-Interview an und die Wochenpost ein Video-Interview auf Youtube. Anm.: Letzteres  zeigt insbesondere im Abspann ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber allen anderen deutschen Kandidaten der Neuzeit. Anm. 2: Schon dieser Leserbrief hatte die Vorteile dieser allseits zur Nachahmung empfohlenen Technik beschrieben.

Nun muss ich einräumen, dass auch meine sonstigen Strategien auch in Vielem der Konkurrenz um Lichtjahre voraus sind. So habe ich etwa gestern in Gladbach rücksichtslos

ein völlig innovatives = interaktives Wahlplakat eingesetzt, zum handhaften Angrabbeln durch die Wählerinnen und Wähler, sozusagen ein reales (und darum eigentlich schon wieder virtuelles) Abbild meines Blogs ;-) Hier ein paar technische Details dieses Wahlwunderwerks

- wobei mich das wetterfeste beidseitige Versiegeln mit der tückischen transparenten Buch-Einbindefolie fast den bescheidenen Rest meines Verstandes gekostet hätte:

Hier auch nochmal zentrale Botschaften meines Plakats - gleichzeitig meiner Initiative:
  1. Ich koste Sie nichts,
  2. mit mir können Sie sich freiwählen und
  3. schicksalhafte Themen wie die Bundeswehr und ISAF mal eben par ordre du Mufti aus dem Wahlkampf auszublenden, so wie es - weit vor unserem heutigen Verteidigungsminister de Maiziére - auch bereits ein Außenminister Kinkel weiland im Jahre 1993 gehalten hatte:
    Das geht gar nicht!


Also: Jetzt läuft's ganz gut. Und in meinem Schattenkabinett sind noch ein paar Plätze frei.

Zum Beispiel kann ich das Verteidigungsministerium / BMVg anbieten. Denn so würde ich es nach der Wahl gerne wieder nennen können, nicht mehr Krisenreaktionsministerium / BMKr. Und die Bundeswehr soll auch wieder ohne Etikettenschwindel Bundeswehr heißen, nicht mehr ad-hoc-Bundesinterventionsarmee.