Dienstag, 28. April 2009

Tippeltour IIIa (Nachtrag vom Wochenende)

Noch drei nachzutragende Punkte:

  • Wirtschaftskrise: Besorgte Nachfrage, was man als Bürgermeister dagegen zu tun gedenke. Auch wenn das vielleicht nicht gleich glücklicher macht: Ich vertraue nicht auf die Fähigkeit des Staates, unternehmerische Entscheidungen besser zu treffen als solche, die den Markt unmittelbar erleben. Selbst so offenbar einschlagende Programme wie die Abwrackprämie wird man erst dann seriös bewerten können, wenn sie drei Monate ausgelaufen ist, und der schöne ökologische Anstrich könnte sich auch als sehr oberflächlich erweisen. Der Staat ist besser darin, die Rahmenbedingungen für unternehmerische Neu-Orientierungen gut einzustellen (z.B. Ansiedlungspolitik) und eine Sozialpolitik, die Brüche vermeidet und langfristig für ein wettbewerbsfähiges Kompetenzprofil – aller Einwohner/innen – sorgt.
  • Transparenz örtlicher Planung: Hinweis auf eine Straßenbauplanung, die dem Vernehmen nach derzeit bereits zu Ausschreibungen führen soll: Und zwar werde erwogen, die Straße zwischen Berghamberg und Dierath grundsätzlich umzugestalten. Einerseits gebe es eine Planung, dieses Streckenstück deutlich zu verbreitern, zum anderen sei gerüchteweise auch eine grundsätzlich andere Streckenführung im Gespräch, dies aufbauend auf bereits ältere Überlegungen: Nämlich eine breite Querverbindung bis zur B 232 zu legen, ansetzend an der bisherigen Haarnadelkurve zwischen Großhamberg und Berghamberg, die in Nagelsbaum auf die weitere Verbindung über Grünscheid nach Friedrichshöhe anknüpfen würde. Beklagt wird, dass Informationen zu dieser strukturell wirksamen Neuplanung nur äußerst schwer zu erhalten seien und die Transparenz gegenüber den Betroffenen gering sei. Die könnten, so befürchtet man, dann mit ihren Bedenken zu spät kommen und vor vollendete Tatsachen gestellt werden.
  • Zugereister: Ausdrücklichen Trost bekomme ich angesichts eines anzunehmenden Geburtsnachteils, dass ich nämlich nicht in Burscheid zu Welt gekommen sein (wohl aber, wie ich zugeben muss, mit einer Eingeborenen verheiratet bin). Das sei gar kein Nachteil, sondern mache mich umso vertrauenswürdiger - angesichts eines festverzweigten Netzes gewöhnlicher Verdächtiger, die die lokale Politik seit Jahrzehnten unter sich ausmachten. Dies sagt immerhin ein noch im Burscheider Krankenhaus Geborener, Standort damals unterhalb des südlichen Aldi.

Na ja, in gewisser Weise stimmt tatsächlich im Allgemeinen nicht, was im diesjährigen Wahlprogramm der SPD – wenn auch mit ganz anderem Hintergrund – geschrieben steht: „Demokratie ist nicht vererbbar.“ (Siehe unter 13. Mehr Demokratie wagen [S. 49], Entwurf hier als pdf). Ich will sagen: Politische Macht und Erfolgsstrategien politischer Sozialisation werden im wahren Leben eben doch zu häufig von Generation zu Generation weiter gegeben. Insoweit darf man einen Satz des aus Österreich stammenden National-Ökonomen Joseph Schumpeter zur nüchternen Beschreibung des status quo getrost etwas erweitern „Eigentum und Erbrecht und politischer Einfluss sind das Festwerden sozialen Erfolges.“

Dann aber kann eine Erweiterung des Spektrums nur mehr und breitere Einsichten verschaffen. In Rom nannte man die kreative Ergänzung des Establishment „homo novus“, neuer Mann.

Sonntag, 26. April 2009

Tippeltour III

Weitere Eindrücke meiner Tippeltour, diesmal vorwiegend aus Dierath:

  • Ein längeres Gespräch in einem nachhaltig ausgerüsteten Haushalt, der mit der Burscheider Zentrale nicht so recht zufrieden war ("sprichwörtliche Politiker, halten sich nicht an Versprechungen") und mit mir sehr übereinstimmte zum entscheidenden Erfolg frühkindlichen Angebots, auch um Frustrationen zu vermeiden. Sehr interessant übrigens auch ein Artikel in der Beilage des Kölner-Stadtanzeigers v. 25./26.4.2009, der den unerwartet hohen Schulbildungserfolg südostasiatischer Einwanderer plastisch macht: Die konsequente Orientierung an guten Bildungsabschlüssen führt auch unter zunächst eher miserablen Integrationsvorzeichen zu Übergangsquoten zur höheren Schule, die sich auch gegenüber der "Normalbevölkerung" sehen lassen können. Anm.: Dafür gibt es übrigens auch in Burscheid ein glänzendes Beispiel.

  • Ein weiteres Gespräch zeigte nachhaltigen Stress mit Migrationsproblemen - und einen Hinweis auf einen realen städtebaulichen Brennpunkt. Eine in Burscheid geborene und aufgewachsene Frau mittleren Alters machte ihrem Ärger darüber Luft, dass die untere Hauptstadt (Kirchenkurve) zunehmend von Ausländern bevölkert werde ("die ihre Kinder nicht erziehen könnten!") und mangels Instandthaltung vielfach verlottere und verfalle; hier müsse die Stadt durch entschlossene Auflagen eingreifen. Ich habe angemerkt, dass grundsätzlich Familienzusammenhalt und wertbezogene Erziehung etwa in türkischen Familien nicht schlechter, sondern häufig besser seien als in deutschen (wenn man's genau nimmt, etwa dem konservativen Ideal der deutschen Fünfziger Jahre entspricht) und dass die Probleme zu einem erheblichen Teil bei den "Halbstarken" mit großer Testosteron-Ausschüttung wahrgenommen würden, deren Lebensentwürfe bildungs- und integrationsbedingt vielfach frustriert würden - aber nicht nur aus eigener Schuld. Das mit dem Brennpunkt ist aber völlig richtig: Um die Kirchenkurve herum bemerkt man vielfach Anzeichen von Verfall; ein klares und realistisches Sanierungskonzept tut ganz offenbar not. Aber es darf nicht ausgrenzen.

  • Noch eine Herzensbitte, bei einem weiteren Gespräch geäußert: An der kritischen Kreuzung Dierather/Industriestraße mit der B 232 durch wirksame Maßnahmen für Geschwindigkeitsdrosselung und Sicherheit sorgen! Seltsamerweise ist - wie in der Vergangenheit schon einmal - aus Opladen kommend die Geschwindigkeitsbegrenzuung auf 50 km/h verschwunden, sodass derzeit bis unmittelbar nach der Kreuzung 70 km/h gefahren werden dürfen - bei den recht unübersichtlichen Verhältnissen ein unnötiges Risiko. Wenn die Tempobegrenzung wieder aufgestellt wird (vielleicht dann auch mit einer automatischen Geschwindigkeitsrückmeldung an die Fahrer/innen), dann sollte dies auch vor dem großen tabellarischen Wegweiser sein, der bisher schon die 50 km/h-Begrenzung breit verdeckte und praktisch entwertete.

  • Hinter einer Wohnungstüre mit türkischem Namen darauf fand ich eine freundliche ältere Dame, die meinen Redeschwall nicht gleich verstand und mich an (wie ich annehme) ihren Sohn weiterverwies. Der zuckte ebenso freundlich mit den Achseln und sagte in nicht weiter verbesserungsfähigem Deutsch bedauernd und ein wenig traurig, dass sie wohl leider nicht helfen könnten: Keine Deutschen - und auch keine EU-Ausländer. Darüber, was damit der Wahl entgeht, kann man in der Tat länger nachdenken. Man sollte es m.E. nicht einfach damit abtun zu sagen: "Selbst schuld. Hätten ja locker Deutsche werden können!"

Na und dann bin ich ungewollt in eine mittelgroße Dierather Feier geplatzt, hatte die öffentliche Menschenansammlung für eine zwanglose Gelegenheit gehalten, die hübschen Unterstützungsvordrucke zu vermarkten (Anm.: Einen Schönheitspreis haben die amtlichen Vordrucke eigentlich nicht in Aussicht, sie triggern bei vielen Bürger/innen vielmehr einen ausgewachsenen Bürokratie-Horror. Die abschreckende Absicht der Düsseldorfer Designer mag ja auch nicht ganz fernliegen). Verschärfte Bitte um Nachsicht!

Sonntag, 19. April 2009

„Mütter, auf den Hosenboden setzen!“

Nach einer Urlaubspause ohne Internet - tut auch mal gut - wieder online, mit einem drei Wochen zurück gestellten Thema, das aber nach wie vor aktuell ist:
Die Sprachförderung an der Montanusschule für Kinder aus Zuwanderungs- bzw. Migrationsfamilien kann weitergehen – und das ist eine zunächst einmal eine sehr gute Nachricht. Auf die Initiative des Burscheider Grundschuldirektors Friedhelm Julius Beucher hatte der Beigeordnete Stefan Caplan erfolgreich die ortsansässige Firma Johnson Controls gebeten, für die wegen des Landesprogramms „KIBIZ“ künftig ausfallende Finanzierung einzuspringen. Hier links zu einem Pressebericht und zu einem Kommentar. So weit, so gut.
Zu einigen noch nicht ausgeräumten Irritationen kam es aber bei einer Veranstaltung am 2.4.2009, als Herr Beucher mit Eltern der einbezogenen Kinder diskutierte. Eine Mutter türkischer Herkunft fragte in glasklarem Deutsch, ob im Falle ihres Kindes diese Förderung tatsächlich erforderlich wäre. Herr Beucher entgegnete: „Das ist auch für Sie.“ Auf die angesichts der nicht eindeutigen Äußerung nachvollziehbare Frage der besorgten Mutter „Wie meinen Sie das?“ kam eine schneidige Entgegnung, von der selbstsicheren Rhetorik vieler aktiver Jahre in Amt und Politik geprägt: „Daran, dass Sie mich nicht verstanden haben, könnten Sie erkennen, wie wichtig diese Förderung doch ist!“ Herr Beucher drängte auch darauf, in den Familien viel mehr Deutsch zu sprechen. Dafür müssten sich gerade die Mütter auf den Hosenboden setzen und ein besseres Deutsch aneignen, z.B. an der Volkshochschule.
Von einer anderen Mutter aus einer Zuwanderungsfamilie, hier geboren und bestens integriert, hörte ich: Sie fühlte sich von der nassforschen Antwort ebenso vor den Kopf gestoßen: Ihr Kind spricht fehlerfrei Deutsch – besser als die Generationen zurückliegende frühere Heimatsprache – und ihm fehlt durch die verpflichtenden Sprachkurse (das verstehe ich noch nicht ganz: auf welcher Rechtsgrundlage verpflichtend?) Zeit für den Sportverein und für andere Jugend-wichtige Aktivitäten. Intransparent war für die betroffenen Eltern auch, auf Grund welcher Testmethoden und Testergebnisse solche Sprachkurse obligatorisch werden. Und so wichtig eine ergänzende Sprachförderung auch ist – „Viel hilft viel!“ gilt hier gerade nicht: Es sind dies Sprachförderungsmaßnahmen ausschließlich für Kinder mit Migrationshintergrund. Das kann – wenn es im Einzelfall nicht wirklich indiziert ist – auch zu Gettoisierung, Stigmatisierung und Andorra-Effekten führen: Das Kind nimmt die Einordnung in eine spezielle (nicht gerade ruhmreiche) Schachtel vielleicht zu ernst, es prägt Minderwertigkeitsgefühle und die erwarteten Minderheiten-Eigenschaften besonders aus. Daher ist der Protest der Mütter ernst zu nehmen: Ohne konkrete Notwendigkeit, ohne transparente Testverfahren und -ergebnisse kann ein solches Verfahren Nachteile und Spannungen produzieren. Leider sind die Testmethoden gerade im Vorschulbereich alles andere als trivial, sie sind auch nicht etwa durch jahrzehntelange Forschung abgesichert und sind auch nicht hoch valide. Besser als diese standardisierten, Bürokratie-geneigten Tests, die vieles über einen Leisten schlagen, sind in aller Regel persönliche Einschätzungen von langjährigen Kontaktpersonen sein, z.B. aus dem Kindergarten, gfs. auch aus der Nachbarschaft.