Samstag, 29. Juni 2013

Urlaub vom Wahlkampf

Heute habe ich bei mir Urlaub beantragt: Kein Klinkenputzen - tut mal gut. Es gibt auch einen Grund dafür. Bin heute genau fünfunddreißig (in Zahlen: 35) Jahre verheiratet. Mit einer schönen Frau.

Mittwoch, 26. Juni 2013

Jetzt oder nie: Wahlschlussverkauf. Wie im alten Rom



Oder mit den alten Römern zu sprechen: Oro vos(s) faciatis. Ich bitte um Eure Wahl; in der klassische Langform natürlich mit nur einem 's.'

"ovf" - das ist ein Kürzel, das z.B. im antiken Pompeji in Hunderten von sog. dipinti / Wandschriften noch aufzufinden ist, in allen möglichen Wahlaufrufen für die kommunale Spitze, teils sogar von Wirtinnen der tabernae bezahlt (ja, auch die Frauen haben mitgemischt - noch ohne eigenes Wahlrecht). 2K Jahre alt! Da gab's eine brummende Demokratie für die lokale Ebene, auch noch im Kaiserreich. Hier ist Näheres zu finden. 

Aber zurück zum Hier und Jetzt. Für die garantiert partei- und lobbyfreie Initiative des Wahlkreises 100 = Rhein-Berg zur Bundestagswahl 2013 wird es nun langsam ernst und eng: Am 15.7.2013 = in etwas mehr als zwei Wochen von heute will das Wahlamt die erforderlichen 200 Unterstützungsunterschriften sehen – und das ist natürlich auch nicht verhandelbar. Es ist Gesetz.

Nun brauche ich aber noch immer einen gehörigen Stapel, wenn’s denn mit der Kandidatur klappen soll. Und nur dann hätte die bisherige Arbeit und Unterstützung nachhaltigen Sinn. Zwar kann und werde ich diesen Blog weiter schreiben. Aber etwa zu den Podiumsdiskussionen mit den „professionellen“ sprich den Partei-gestützten Kandidaten wird eben nur eingeladen, wer auch einen – und sei es noch so bescheidenen – Platz auf dem Wahlzettel zugeteilt bekommen hat. Klar: auch nur dann bestünde ein Interesse der Medien, ein wenig Multiplikator für die Themen wie etwa „gesellschaftliche Debatte zum Aufgabenspektrum der Bundeswehr“ zu spielen.Vielleicht würde dann selbst der WDR, das große alte Schiff, mal positiv auf mein basisdemokratisches Liebeswerben reagieren.

Um doch noch „aan Schmitz’ Backes vorbij“ zu kommen, habe ich mein kleines Wahlprogramm drucken lassen und nebst Vordruck für eine Unterstützungsunterschrift durch das lokale Anzeigenblatt Wochenpost verteilen lassen; es müsste dann am Dienstag oder Mittwoch dieser Woche in allen unverschlossenen Burscheider Briefkästen gelegen haben.



Weiterhin werde ich alle, die mich bei der letzten Kommunalwahl unterstützt hatten und die ich auf meiner Tippeltour noch nicht erreicht habe, konkret um eine erneuerte Unterstützung und Weiterempfehlung bitten.

Ich hoffe doch, das hilft – aber die Hilfe sollte jetzt auch wirklich subito kommen. 

Sonst wird's bei der Wahl an Originalen eher dünne. Wer sollte dann daran Spaß haben? Nicht mal die alten Römer oder Pompeijaner. Die Inschrift oben hätte vor 2K bedeutet: Ich bitte Euch, K. U. Voss zu wählen, zum ersten Vertreter des Wahlkreises (in der klassischen Fassung hätte vor "vir" eine Römische Zwei = II gestanden, denn die Kommunen hatten eine Doppelspitze, die sog. duumviri). Voss ist der Fuchs, der Fuss oder lateinisch-vorbildlich der vulpes. Soviel hat sich doch gar nicht geändert!

Allen, die mir schon ihr Vertrauen ausgesprochen und mich weiter bestärkt haben, meinen demokratisch-herzlichen Dank!

Samstag, 22. Juni 2013

Sprühen, angstfrei. Politik, von außen gesteuert


Angstfreie Sprayer: Am letzten Samstag (= 15.6.2013) will ich aus der Innenstadt über den Radweg nach Kuckenberg, mit Enkeltochter an der Hand. Unter der Brücke für die alte Haupt- und Geschäftsstraße zischt und brodelt es, in einer erstaunlichen Koalition für Kreatives. Da sitzen Bürgermeister Stefan Caplan und der SPD-Sitzenkandidat der letzten Wahl, Bodo Jakobs einträchtig auf / an einer Bierzelt-Garnitur und verfolgen potenzielle junge Bürgerschrecks bei der Kunstproduktion. Die gestalten mit einer Hundertschaft von Spraydosen gerade die Wände unter der Brücke neu, übermalen alte Graffitis oder zeichnen völlig neu. Das ist ein wenig irritierend und dann schon selbst ein Happening, denn es soll Zeiten gegeben haben, als Prämien zur Ergreifung von solchen jungen Sprühern ausgelobt worden waren. 

Nun, das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen – und es wir versichert, dass die zwei Geier links und rechts auf dem Cinemascope-großen Lucky-Luke-Motiv mit dem finanziellen Zustand deutscher Kommunen nichts, aber auch gar nichts zu tun hätten. 







Bei Graffiti bin ich zugegeben etwas schizophren: Ich würde mich granatig über nicht bestellte Bilder an meinem eigenen Haus ärgern (getreu Schumpeters Motto „Eigentum und Erbrecht sind das Festwerden sozialen Erfolges.“). Aber einige Sprayer wie der legendäre Züricher Harald Oskar Nägeli sind schlicht genial, wie auch das Bild eines (mir) unbekannten Sprayers ganz oben auf meiner homepage: Es prangte auf einem klappbaren Autobahnschild in der Nähe des Bonner Nordkreuzes und ich bin jahrzehntelang daran vorbeifahren, genauer vorbei-gestanden. Im Original riesengroß, aber in Farben und Flächen gut komponiert und mit einer irritierenden Grundstimmung. Ich selbst zeichne eher und sprühe nicht (Ausnahme: ganz früher mal das eigene Auto), nehme mir allerdings hier und da etwas spontane Eigenwerbung mit nicht-invasiver Straßenmalkreide heraus.







Außensteuerung durch eine Dänische Pensionskasse- oder durch Recep. Ein Aufmacher des KStA heute morgen: Der dänischen Pensionskasse ATP passen die deutschen Planungen für eine Spekulationssteuer gar nicht in den Kram. Sie droht mit dem Abzug diverser hier angelegter Milliarden, sollte der Plan weiterverfolgt werden. Und die Dänen sind nicht irgendwer, sie zählen mit Staatsanleihen i.H.v. mehr als 36 Milliarden (in Zahlen: > 36.000.000.000 €) in ihrem Portfolio zu den größten Gläubigern Deutschlands. Nun mag dahinstehen, ob die Kasse dann überhaupt einen ähnlich sicheren Hafen fände. In jedem Fall wäre das doch ein massiver Eingriff in die nationale Politik und in den Versuch deutscher Politiker, Spundmauern gegen hoch volatile und potenziell Schaden stiftende Finanzströme einzubauen, nicht wahr? Protestiert die Politik nun ein wenig?

Interessant ist immerhin: Gerade die mögliche Außensteuerung wurde wie eine Feuerschrift an die Wand gemalt, als es vor Kurzem im Bundestag um die von der Opposition vorgeschlagene Reform des Staatsangehörigkeitsrechts ging, z.B. um die Abschaffung der Optionspflicht (sich zwischen 18 und 23 Jahren Alter für eine von mehreren Staatsangehörigkeiten zu entscheiden). Dies wurde insbesondere mit einem drohenden Einfluss Erdogans auf die deutsche Republik begründet, wenn er dann über noch mehr Deutsch-Türken auf das hiesige Politik-Geschäft einwirken könnte. Das sehe ich eher umgekehrt oder jedenfalls beidseitig: Die Menschen mit deutschem und türkischem Pass gehören auch zu denen, die heute in der Türkei Rechte nach unserem Standard einfordern können. Die Verschränkung geht also zumindest in beide Richtungen, und das ist in der Diplomatie nie der schlechteste Ausgangspunkt. Für die Bürger/innen beider Seiten.

Davon einmal abgesehen: Unsere Politik wird insbesondere bei der Außen- und Sicherheitspolitik am ehesten horizontal – durch Impulse ausländischer oder Staaten-übergreifender Exekutiven – gesteuert, am wenigsten vertikal, durch Impulse der Bürger oder zumindest im engen Austausch mit ihnen. Wer das bestreitet, gehört zu denen – wie mein alter Deutschlehrer Henkel gerne sagte –, die „sich die Hose mit der Beißzange zumachen.“ Aber dieser Gegensatz zum demokratischen Prinzip stört heute eher wenige Politiker.

Donnerstag, 20. Juni 2013

Frankfurter Kranz, Options- und Wehrpflicht, Musikstadt und Nudelsalat


Seltsames Menü, aber das waren tatsächlich einige Glanzlichter, als ich am letzten und vorletzten Sonntag über Land zog, um wieder arglosen Bürger/innen Unterstützungsunterschriften abzupressen. Unterwegs auch erstmals auf einem 26-Zoll-Einrad. Hatte mich beim ersten Versuch abgeworfen. Aber wenn man mal oben sitzt, fährt es sich wie auf Buttercreme. 


Buttercreme und Optionspflicht: Am vorletzten Sonntag bekam ich in Kamberg hervorragenden Frankfurter Kranz & Kaffee offeriert, im Austausch gegen eine heiße Debatte rund um doppelte Staatsangehörigkeit und Optionspflicht = Zwang, sich im Alter von allerspätestens 23 Jahren für eine von mehreren Nationalitäten zu entscheiden, wenn man qua Geburtsort auch die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat – neben beispielsweise einer türkischen über die Eltern. Es hieß: Irgendwann müsse man sich doch schließlich für eine von mehreren Nationalitäten entscheiden, alles andere führe zu Unsicherheit und zusätzlichen Risiken und Lasten für Deutschland. Sonst gebe es auch keinen Anreiz z.B. zum Erlernen der deutschen Sprache. Ich halte dagegen für bezeichnend, dass heute – wo wir dringend nach Facharbeitern suchen – der Wanderungssaldo in Richtung Türkei negativ ist, dass gerade die gut ausgebildeten dort ihr Glück suchen, gleichzeitig die, die mit dem Deutschen die geringsten Probleme haben. Es gehen inzwischen schlicht mehr als kommen. Und dass Länder, die schon viele Jahrzehnte die Zuwanderung fördern – wie etwa Kanada, Australien und die USA – doppelte Staatsangehörigkeiten ohne Wimpernzucken akzeptieren. Länder damit, die wegen liberaler Wirtschafts-Weltanschauung sonst gerne als Vorbild gehandelt werden. Zudem wird in der realen Genehmigungspraxis ein Zusammentreffen mehrerer westlicher Nationalität weit überwiegend akzeptiert, bei Deutsch-Türken aber überwiegend nicht. Wesentlich erscheint mir auch eine abweichende Stimme aus dem Regierungslager, als am 5.6.2013 im Bundestag mehrere Oppositionsanträge zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts debattiert und dann klar abgelehnt werden. Das folgende Zitat stammt aus der Erklärung des MdB Marco Buschmann, FDP, gem. § 31 der Geschäftsordnung des Bundestages; die Erklärung ist abgedruckt im Plenarprotokoll = Drs. 17/242, S. 30659 D.

"In den letzten Monaten habe ich aber viele Menschen getroffen, die die Frage sehr intensiv bewegt, und ihre Argumente haben mich sehr berührt. Ich habe viele deut­sche Staatsbürger etwa mit türkischen Wurzeln getrof­fen, die hervorragend integriert und ausgebildet sind und mir berichtet haben, dass diese Lösung nicht selten zu ei­nem Problem führt: In Deutschland wächst derzeit eine Generation von Einwanderern heran und steht zum Teil auch schon mit beiden Beinen im Beruf, die fest in Deutschland verwurzelt sind. Aber sie entwickelt eine eigene Identität, in der die kulturellen Wurzeln anderer Länder mit einfließen. Genauso wie viele Deutsche sich auch als Bayern oder Friesen sehen, Brauchtum und Tradition pflegen, gibt es viele deutsche Staatsbürger, die sich natürlich als Deutsche sehen, aber kulturelle Bräuche ihrer Wuzeln pflegen, ohne sich damit von der deutschen Gesellschaft abgrenzen zu wollen. Diese ei­gene Identität festigt vielmehr Selbstbewusstsein und Persönlichkeit und hilft bei der erfolgreichen Integra­tion. Dass die Frage der Identität auch eng mit der Frage der Staatsangehörigkeit zu tun hat, zeigt die Verfassung des Freistaates Bayern, die bis heute eine eigene Staats­bürgerschaft kennt, die – ganz sicher auch aus Gründen der Identität – auf absehbare Zeit nicht entfallen wird."
Der Frankfurter Kranz war lecker – aber der Dissens bleibt.

Bundeswehraufgaben und Wehrpflicht: Ja klar, sagen die allermeisten, auch sie hielten die laufende ad-hoc-Einsatzpraxis für verfassungswidrig, „das wissen doch eigentlich alle“. Aber das liege halt an den Rücksichten im Bündnis, dagegen könne man auch reinweg gar nichts machen. Das sehe ich anders, will es wenigstens offen debattiert haben. Dann werde ich aber auch – verwundert – gefragt, wie ich bei meiner eher pazifistischen Überzeugung denn bloß die Wiedereinführung der Wehrpflicht befürworten könne, ob das denn konsequent sei? Ja, das ist konsequent und liegt einfach daran: Für mich ist die Argumentation – etwa von Trittin – vordergründig und zu kurz gegriffen, wonach die neuen Kriege ja beweisen würden, dass man sie mit Wehrpflichtigen nicht mehr führen könne und dass wir die Bundeswehr konsequent für Auslandseinsätze aufstellen müssen – weil da „mehr auf uns zukommen (wird) als in der Vergangenheit.“ Siehe etwa die Wortmeldung Trittins in der Plenardebatte v. 27.5.2011 zur Neuausrichtung der Bundeswehr (Drs. 17/112 S. 12825, vgl. auch entsprechend schon in der Debatte zum Wehrrechtsänderungsgesetz 2011, Drs. 17/93 S. 10438f). Richtig verknüpft verhält es sich nach meiner politischen Moralvorstellung genau umgekehrt: Ein staatliches Machtmittel wie die Bundeswehr darf im Grunde nur genau das tun, was man mit einer repräsentativen Auswahl seiner Bürger in die Tat umsetzen kann. Das ist die klare Folge, wenn wir - wie es auch richtig ist - den kategorischen Imperativ eines Staates aus denen seiner Bürger bilden. Dann ist der maximale Grad auswärtiger Gewalt unseres Staates tatsächlich die Verteidigung oder das „Wehren“, wofür die Wehrpflichtigen auch seit 1955 eingezogen wurden und eingezogen werden konnten. Erweitert der Staat allerdings sein Handlungsspektrum in Bereiche, die er nur „Söldnern“ im früheren Sinne aufgeben kann, dann hat er bereits rechtsstaatlichen Boden verlassen. Gleichzeitig verliert das politische Entscheidungszentrum - das Parlament und die darin agierenden Fraktionen - die unerlässliche Schmerzleitung dorthin, wo es wehtun kann und wo man anderen wehtun kann. 

Oder auch: Trittin bekommt keine Rückkopplung mehr und muss auch keinen Liebes- oder Stimmen-Entzug mehr befürchten, weil ja nun kein Verwandter, Bekannter oder Wähler vor Ort Erfahrungen sammeln muss. Frankreich beherrscht diese Technik des emotionalen Ausblendens traditionell besonders elegant: Frankreich setzt bei Auslandseinsätzen, wie jetzt auch in Mali, ausschließlich die légion étrangèr ein. Die Legion besteht aus Freiwilligen prinzipiell aller Länder, die in diesem Verband auch in neue Identitäten eintreten können, wenn es nottut. Dazu ein fast vergessenes, noch immer erschreckendes Beispiel; wir meinen ja, jedenfalls mit dem Vietnamkrieg nichts zu tun gehabt zu haben: In Điện Biên Phủ kämpften und starben auch deutsche Söldner, darunter auch ehemalige Wehrmachts- und SS-Angehörige. Oder ein historisch früheres Beispiel: Das osmanische Reich hatte aus der Jugend unterworfener Völker eine hoch verlässliche Elitetruppe, die berüchtigten Janitscharen, gebildet und sehr effektiv auch in seinen Feldzügen eingesetzt. Diese Technik des Abtrennens, Professionalisierens und Verfügbarstellens lehne ich entschieden ab. 

Do it yourself!“ möchte ich darum dem Strategen Trittin raten, wie auch allen seinen parlamentarischen Kolleg/innen. Er sieht ja auch noch leidlich fit aus und würde so ein herausforderndes work-out sicher genießen, vielleicht gar in der klassischen Form des Kampfes der Häuptlinge. Ein schönes Vorbild für raumgreifend engagierte Parlamentarier wäre im Übrigen die römische Legende Gaius Mucius, der später Scaevola genannt worden sein soll = Linkshändler. Gaius Mucius habe bei einer Belagerung der jungen römischen Republik sprichwörtlich die (rechte) Hand für den Staat ins Feuer gelegt, heißt es, habe durch den eigenen Einsatz einen weiteren Krieg verhindert und den Etrusker Porsenna zum kopfschüttelnden Abrücken gebracht. Das wäre sie, die unmittelbare Einheit von Entschluss, Schmerz und Ergebnis (mag man auf Wikipedia auch gleich eine medizinische Erklärung versuchen oder die Geschichte insgesamt als Legende betrachten), und sie hätte dann auch ultimativen Nutzen gezeitigt, noch dazu nimmer endenden Ruhm. Jürgen wäre mein Held, wenn er sich selbst enthänden würde, um einen Krieg zu vermeiden. Dem Soldaten im Einsatz verlangt der Parlamentarier als solcher im Zweifel ja mehr noch ab als im Falle des Gaius Mucius - und die mehr als 50 in Afghanistan bisher umgekommenen Angehörigen der Bundeswehr hätten es sicher lieber beim Opfer einer Hand bewenden lassen, hätten sie die Wahl gehabt. Und ihre Angehörigen bräuchten Ende 2014 nicht vollends am nachhaltigen politischen Sinn ihres Verlustes zu verzweifeln.

Übrigens: Wenn wir tatsächlich heute nur noch von Freunden umzingelt sind, dann brauchen wie vielleicht auch die Bundeswehr gar nicht mehr – und auch der notorische Etikettenschwindel mit einem Verteidigungsministerium, er hätte ein Ende. Das wäre mir das Liebste.

Plötzlich Abgeordneter? Gefragt wird auch, was ich denn machen wollte, wenn ich gegen alle Wahrscheinlichkeiten doch gewählt würde. Ob ich denn im Bundestag irgendetwas ausrichten könnte? Das Folgende ist sehr theoretisch, denn einen Bosbach kann ich mit meinen Ressourcen nicht aus dem Feld hauen, es wäre gegen jede Newton’sche Physik: Würde ich aber dennoch gewählt, dann würde ich mich derjenigen Fraktion anschließen, mit der sich die programmatisch größten Schnittmengen habe. Das wäre nach Lage der Dinge die SPD, mit Abstrichen die Grünen (ich kann Trittin in seinem staatstragenden Dreiteiler überhaupt nicht mehr ab, vor allem nicht, wenn er neuerdings von der gewachsenen sicherheitspolitischen Verantwortung und Rolle Deutschlands raunt, wie in der Debatte zur Aussetzung der Wehrpflicht) und ebenso mit Vorbehalten die LINKE (da mag ich Gysi, sonst eher wenige). Bei einer solchen Assoziierung kann man an den Fraktionsrechten teilhaben – sonst wäre man parlamentarisch weitgehend gelähmt, könnte auch keine eigenen Initiativen einbringen. Aber wir sprechen von einem Fall in einem meiner nächsten Leben, nicht vom laufenden Dasein.

Musikstadt Burscheid: Hingewiesen wird auf eine Initiative der FDP, die ich sehr befürworte: Träger für Autokennzeichen, wo mal nicht ein Werkstatt- oder Händlername prangt. sondern die Musikstadt Burscheid. Das sollte bei der Jahrhunderte alten lokalen Tradition eigentlich auch auf unseren Stadtschildern stehen. Diese gute Idee hatte aber im Rat irgendwie nicht die nötige Resonanz erzeugt. Schade. 

Anm.: Wenn es doch noch zu einer Burscheider Autobahnraststätte kommen sollte (mit erstmaligem Lärmschutz für unsere arg geplagte Stadtmitte, davon wissen leider nur wenige), dann hätte ich schon einen genialen Namen und ein dazu passendes Design-Thema: Montana & Musik, nach dem Vater der Bergischen Musik, Jakob Salentin von Zuccalmaglio, auch genannt Montanus.

Königsmacher / Kaiserjäger? Ganz unverdient bin ich jetzt schon mehrfach des Königmachens verdächtigt worden. Bei der letzten Kommunal- und Bürgermeisterwahl hätte ich dem damaligen Wahl-Zweiten, Herrn Baggeler so viele Stimmen abspenstig gemacht, dass ich ihm das sonst mögliche Stadtkönigtum vermasselt hätte (ein schönes Wort übrigens, vermasseln) und ein anderer, der Herr Caplan nämlich, gekürt worden wäre. Eine hübsche Fama, aber grundfalsch, und hier ein für allemal richtig zu stellen. Zunächst hätten wir, Herr Baggeler und ich, für eine Stimmenwanderung weltanschaulich doch eher nah beieinander liegen müssen. Tun wir aber eindeutig nicht. Mein Profil ist im traditionellen Verständnis sozialliberal mit etwas nachhaltigem Grün darin, das von Herrn Baggeler – soweit ich es beurteilen kann – im Schwerpunkt klar konservativ und wenn auch noch etwas liberal, dann vermutlich ordoliberal = wirtschaftsnah. Ich habe übrigens in der Größenordnung ähnlich viele Stimmen gesammelt wie bei der letzten Bürgermeisterwahl der damals ebenso tollkühne und chancenlose FDP-Kandidat. CDU und die Ausgründung BfB haben gemeinsam auch deutlich mehr Stimmen gesammelt als die ungeteilte CDU vier Jahre zuvor, haben also sogar insgesamt profitiert, wobei sich gerade die BfB'ler besser als erwartet geschlagen haben. Wenn jemand wegen meiner Bewerbung Federn gelassen hat, dann am wahrscheinlichsten der SPD-Kandidat Jakobs, den ich als grundehrlichen Politiker sehr schätze, der halt im Wahlkampf nur weniger Aufhebens und Wind machte als andere. Also: Ich bin kein Wahl-wizard. Herr Caplan muss sich nicht bedanken. Herr Baggeler braucht sich nicht zu ärgern. Freuen konnten sich ggfs. aber die Grünen, die einen weiteren Sitz einheimsen konnten – und daran war der von mir auch mit neuen Reizthemen intensivierte Wahlkampf (z.B.: Raststätte vs. Radweg) nicht ganz unschuldig.

Ein Nachtrag zu Dierath: Dort klagte eine Anwohnerin das gemeinsame Leid von der Dierather Straße, der recht engen Kreisverbindungsstraße mit hohem Durchsatz, nicht nur zu Schulzeiten, aber dann ganz besonders, die durch kreatives Fahren und Parken besondere Herausforderungen stellt. Nun kann man die Funktion der K2 nicht realistisch ändern. Aber es sollte ohne einen besonderen Aufwand möglich sein, durch Fahrbahnmarkierungen einen besser geordneten Begegnungsverkehr zu gestalten. Das ist jetzt natürlich kein genuin bundespolitisches Thema – aber vielleicht liest das hier jemand mit kommunalpolitischem Verstand und passender Zuständigkeit – und erbarmt sich endlich einmal.



Festessen: Ganz am Ende meiner Tippeltour am letzten Sonntag läute ich arglos an einer Haustüre in der Adolph-Kolping-Straße – und gerate mitten in ein Familien- und Nachbarschaftsfest. Es sind dort nach eigenen Angaben alle Berufs- und Bildungsschichten repräsentiert und nach Vortrag meiner Punkte werde ich dort schon mal repräsentativ zum Abgeordneten bestimmt. Zu würziger Bratwurst und hervorragendem Salat brauche ich dann nicht groß überredet zu werden. Gute Gespräche, da lohnt sich das Herumziehen. Auch wenn ich nicht gewählt werde. 

Fischen: Unten noch die Türe des Kabäuschens an den Fischteichen in der Senke zwischen Nagelsbaum und Plasberg, am Imelsbacher Bach. Fischen und das, was ich gerade versuche, das halt einiges gemeinsam, siehe die Sticker.




Samstag, 15. Juni 2013

Abend in Mazār-i Scharīf



Am Montagabend hat der Burscheider Bürgerstammtisch kein typisches Thema. Keines mit unmittelbarem Bezug zur gewöhnlichen Kommunalpolitik, aber eines, das die Bürger/innen teils sehr unmittelbar angeht: Auslandseinsätze der Bundeswehr, dargestellt an den persönlicher Erfahrungen eines Remscheiders, des Hauptmanns Jens Nettekoven. Er hat vor zwei Jahren in Afghanistan gedient, in Mazār-i Scharīf. Im Badehaus, einer Einrichtung des Burscheider Kulturvereins, zeigt und erklärt er zunächst eine private Foto- und Filmdokumentation. Er hatte das eigentlich für Frau und Tochter geplant - um seine Aufgaben und seine Erlebnisse vor Ort begreiflich zu machen. Aber sie hilft auch allen anderen, die Nachholbedarf zu diesem sperrigen Thema haben - und die bekommen beeindruckende Information aus erster Hand dazu, was Militärdienst am Hindukusch ganz konkret bedeutet. Es sind dann auch 30-40 Bürgerinnen und Bürger, einschließlich der örtlichen Presse und eines privaten Senders, die hier zusammen gekommen sind. Das Durchschnittsalter dürfte über fünfzig liegen - die ganz jungen werden entweder nicht vom Thema oder vom Format eines Bürgerstammtischs angesprochen - schade, weil das hier sie besonders angeht.

Jens Nettekoven berichtet kurz über seine ca. zehn Verwendungen in der Bundeswehr seit 1998, als er als Wehrpflichtiger zur Bundeswehr kam und sich anfangs nie als Berufssoldat vorstellen konnte. Sein Profil ist von Beginn an Personenschutz, seine Motivation wird geweckt und er entwickelt sich zügig weiter: Heute hat er längst ein betriebswirtschaftliches Studium nachgeholt und sein Offizierspatent erworben, gehört zu den jüngsten Offizieren mit solcher Führungsverantwortung.

Vor zwei Jahren kam Jens Nettekoven in Mazār-i Scharīf wieder nach Deutschland zurück; vor Kurzem war bereits ein neuer Afghanistan-Einsatz eingeplant und er war auch schon darauf trainiert, dieser Einsatz ist aber im Zusammenhang mit der beschlossenen Truppenreduzierung und dem für Ende 2014 geplanten Truppenrückzug vorerst zurückgestellt. Aus seinem Bericht über die Situation i.J. 2011:

Der Auslandseinsatz kommt 2011 wie aus heiterem Himmel. Noch drei Tage vor dem konkreten Marschbefehl hat er seine Frau beruhigt: "Ist für mich nach dem, was ich gesagt bekomme, gar nicht zu erwarten...". Dann muss er ihr das Gegenteil verkaufen; sie haben ein Baby - und er wird dann zu ihrem ersten Geburtstag nicht daheim sein, kann auch die ersten Schritte nicht miterleben. Er fliegt auch während der Verwendung nicht nach Hause, will der Familie keinen mehrfachen Abschied zumuten.
Die erste Phase in Mazār-i Scharīf verbringt man ein wenig wie im Matratzenlager einer Jugendherberge: Alles in einem Raum, genauer. einem Bw-Typ B-Zelt, dabei Männlein und Weiblein auch mal unmittelbar nebeneinander untergebracht. Dusche & WC draußen, in einem gesonderten Zelt. Für Camper voll normal, könnte man denken. Aber doch etwas Besonderes. Hier gibt es Schlangen, Stechmücken und Spinnen, die man bei uns nicht kennt. Trockene Schotterwege und -flächen sollen das nahe Einnisten verhindern, verhüten aber halt nur das Schlimmste. Eine Soldatin wollte nach einer kritischen Ersterfahrung nachts nicht mehr zur Toilette. Und Nacht ist viel und sehr plötzlich, der Tag geht um 18:00h ohne Federlesens in Nachtschwärze über.
Wenn die neue Truppe eingearbeitet ist, können die Vorgänger zurück in die Heimat und die festeren Baracken werden frei; sie sind aus soliden Wohncontainern zusammengestellt und mit einem Bade- & WC-Modul fest verbunden. Gute Bauqualität, lobt Jens Nettekoven, aber viel privater Raum bleibt auch da naturgemäß nicht. Ein eigener Kühlschrank und Fernseher (ARD, Sky für den Fußball, viva polski), Fotos von daheim. Das Essen ist gut und die Kantine beeindruckend (allerdings auch mit je 2 Querstangen in den Fenstern, die sollen das Hineinfallen der Scheiben bei Explosionen verhindern oder abschwächen). Etwas mehr kulinarische Auswahl gibt's noch in einem Restaurant der Militärseelsorge (erinnert mich an das Vatikänchen in Köln, das Abwechslung zur Mensa bot). Ach ja: Der Service der Kirche ist wirklich lückenlos, will sagen, die christliche Kapelle steht an 7 Tagen geschlagene 24 Stunden offen.

Hinweis zu Kfz- Serviceeinrichtungen: Wie in einem deutschen Industriegebiet stehen die Ausrüster auch hier einträchtig nebeneinander, etwa Krauss-Maffei-Wegener neben Mercedes, um das rollende Material – das wie die Menschen in dieser Umgebung hart gefordert wird – in Stand zu halten. Im Lager geht man besser keine weiteren Strecken zu Fuß, die Luftverschmutzung ist extrem, das Klima tut mit seinen bis zu 50 Grad (am Tage, nachts kann es bitter kalt werden) das Seine dazu. Man fährt also, aber die Geschwindigkeit ist wegen einiger Unfälle auf 20 km/h limitiert und das wird auch gecheckt. Bei den Amis werde nach Hause geschickt, wer mehr als zwei Strafzettel eingesammelt habe.

Schreiben nach Hause während des Einsatzes: Durch Feldpostbriefe, die äußerlich ganz ähnlich aussehen wie die aus den Weltkriegen; ältere Verwandte fühlten sich mit einem flauen Gefühl daran erinnert. Zufälligerweise sei übrigens ein Onkel zur gleichen Zeit wie er in Afghanistan gewesen, speziell für die Post.

Verlassen des Camps: Ist die große Ausnahme, nur ca. 5% der Soldaten operieren während ihres Einsatzes draußen, die übrigen braucht es für die Unterstützung der Auslandsmission. Ähnlich wie manche den Urlaub in der DomRep verbringen, fliegen sie ein, bleiben in der Anlage und fliegen wieder heraus. Aber die 95% leisten ebenso wie die 5% ernsthafte und ebenso herausfordernde Arbeit, ohne die der Einsatz gar nicht machbar wäre. Wenn man das Lager nun per Bodenfahrzeug verlässt, dann auch jeweils für maximal sechs- oder achtstündige Expeditionen, nicht etwa für eine Überlandfahrt nach Kabul; solche Distanzen werden nur geflogen. Für die Ausfahrten stellt man einen Verband mehrerer Fahrzeuge auf; die beteiligten Soldaten tragen Schutzwesten u.a. mit keramischen Schilden und befördern einschließlich Waffen eine Ausrüstung von 30-40 kg Gewicht. Bei bis zu 50 Grad (im Schatten). Die Straßenverhältnisse sind in dieser semi-ariden bis ariden Umgebung miserabel; schon das zweite Fahrzeugs sieht entgegenkommende Fahrzeuge oder Strukturen neben der Straße erst Sekunden vorher. Jens Nettekoven hat als Personenschützer einige Ausfahrten mit "VIP-Besuchern" gemacht, Z.B. mit König Carl Gustav von Schweden ("sehr zugänglich und menschlich") oder Verteidigungsministzer Lothar de Maizière ("sehr interessiert, persönlich zurückhaltend und bescheiden"). Solche Ausfahrten gehen nie ins battlefield - ein solcher Tourismus wird aber glücklicherweise auch nicht nachgefragt. Kritischer sei, wenn man unter großem Zeitdruck eine Rettungsoperation organisieren müssen, etwa nach schweren Unfällen mit Toten und Verletzten. Oder: Bei einer Fahrt habe man nach Durchqueren einer Bergschlucht plötzlich ein Terrain erreicht, wo während der sowjetischen Besatzung eine russische Einheit völlig aufgerieben worden war ("chancenlos") und wo noch heute rote Erinnerungszeichen für die Gefallenen aufgerichtet seien.
Als schlimmsten Tag seines Militärlebens beschreibt Jens Nettekoven den 28. Mai 2011, als ein Kamerad und guter Freund von ihm im Einsatz von afghanischen Aufständischen erschossen wird. Er beschreibt das typische line-up, ein Spalier der Soldaten aller Nationen des Camps bis zum Abflugpunkt in die Heimat, in der Reihe der Flaggen ist die jeweilige nationale auf Halbmast gesunken und Trauermusik, typischerweise die Melodie aus "Amazing Grace". Auf Nachfrage: Bis heute seien 54 Soldaten aus dem deutschen Kontingent in Afghanistan zu Tode gekommen, siehe auch entsprechende Angabe des Wikipedia-Artikels zum Afghanistan-Einsatz (zum Stand Mai 2013). Auf Anregung der Sitzungsleitung erheben sich die Anwesenden zum Gedenken.

Aber es gibt bei weitem nicht nur Terror, Schrecken und Trauer: Jens Nettekoven beschreibt auch das begeisternde Engagement im Zuge der Aktion "Lachen, Helfen" mit Projekten zugunsten der örtlichen Schule; Ziel ist dabei insbesondere die gleichmäßige, nicht nur punktuelle Hilfe und eine Förderung, und sie ist Jungen und den Mädchen zugute gekommen. Für Zuversicht sorgt auch ein Ortsschild der Bundesstadt Bonn, das die Kompanie als eine Art Talisman für Mazār-i Scharīf gestellt bekommt. Ärger zeigt sich nur, als er Korruption der örtlichen Politik anspricht, die auch in Drogengeschäfte verstrickt ist.

Die Kooperation mit den anderen Nationen klappt gut; Jens Nettekoven lobt besonders die Amerikaner: Sie packen an und helfen und fragen erst dann. Auch daheim hätten die Amerikaner eine ganz andere Einstellung zu ihren Soldaten: Wer in Uniform reise, werde begeistert begrüßt und oft werde spontan die Zeche der Soldaten übernommen. In Deutschland dagegen sei die wahrgenommene Haltung reserviert bis ablehnend und von den Einsätzen würde am ehesten das bekannt, was kritisch gelaufen ist. Der Offizier, der den Befehl zur Bombardierung der Tanklaster in Kundus gegeben habe, sei alles andere als ein Draufgänger und er habe in der gegebenen Situation nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Sein Fall sei aber mit Nennung von Personalia so breit getreten worden, dass er noch heute Morddrohungen erhalte.
Nachfragen kommen zur Freiwilligkeit des Einsatzes (ausschließlich Berufssoldaten, im Ausnahmefall freiwillige Reservisten bzw. Zeitsoldaten), zur Traumatisierung (posttraumatische Belastungssyndrome / PTBS sind bekannt und nicht die große Ausnahme, aber die Bundeswehr nimmt sich der Probleme an und lässt niemanden fallen), zur Zukunft des Lagers nach dem deutschen Abzug Ende 2014 (man werde schon aus Kostengründen nicht alles wieder nach Deutschland zurückbefördern), zu heutigen Kontakten zu den beteiligten Soldaten (ja, insbesondere innerhalb der Einheit, aus der fortlaufend Soldaten nach Afghanistan kommandiert wurden), zu Umweltrisiken durch den Kriegseinsatz (Hinweis auf die besondere Situation in ariden Gebieten; auch im Camp herrschte wiederholt Wasserknappheit; dann müsse man sich mit einer kleinen Wasserflassche einseifen, mit einer zweiten abwaschen; die Bundeswehr habe auch ein recht strenges Umweltregime einschließlich Mülltrennung wie daheim).

Ich habe mich für den engagierten und weiterführenden Vortrag und ebenso für die Initiative des Bürgerstammtischs ausdrücklich bedankt und Respekt hinsichtlich der Soldaten geäußert, die die Umstände und Risiken eines konkreten Einsatzes kaum einschätzen können und aus ihrem Einsatz auch nicht immer, vor allem nicht unbeschadet wieder herausfinden. Leider spielen die Auslandseinsätze im Wahlkampf seit langem nur eine Statistenrolle. Gerade die Vorwahlzeit ist andererseits die Zeit der Rechenschaft, des kritischen Überprüfens der laufenden Politik, etwa am Beispiel von Nutzen und Lasten der ISAF-Mission. Ich halte auch dies nicht für selbstverständlich: Die militärische Aufgaben haben sich seit 1990 zumindest ebenso grundlegend verändert wie mit der Gründung der Bundeswehr i.J. 1955. Aber die Verfassung wurde insoweit um keinen Federstrich geändert - und die neuen Aufgaben sind bis heute nicht einmal in einem Gesetz unterhalb der Verfassung definiert (was im Wortsinne bedeutet: gesetzlich begrenzt), geschweige denn gesellschaftlich debattiert. Einen viel versprechenden Ansatz gab es zwar mit der fulminanten Rede des damaligen Bundespräsidenten Dr. Köhler auf der Kommandeurtagung am 10. Oktober 2005 in München, zum fünfzigsten Geburtstag der Bundeswehr: Der Präsident hatte die Politik ausdrücklich aufgefordert, die vielen Fragen rund um den heutigen Auftrag der Bundeswehr – er selbst stellt hier mehr als zwanzig nachdenkliche Fragen – öffentlich zu debattieren. Der Verteidigungsminister hat als Diskussionsgrundlage dann zwar das Weißbuch 2006 entwickelt. Aber just am bereits angekündigten Tage der Veröffentlichung machte Bild mit dem so genannten Schädelskandal von Kabul auf. 

Auf der für das Weißbuch angesetzten Pressekonferenz wurde dann auch nur nach diesem Skandal gefragt, das Weißbuch kam nie in die Schlagzeilen und der Ansatz war ohne jede merkbare Debatte verpufft. Ich will dem Springer-Verlag nicht unterstellen, dass er den gesellschaftlichen Diskurs zur Außen- und Sicherheitspolitik sabotieren wollte. Es ist vermutlich viel banaler: Wenn man mit einem Thema zur Unzeit gut Kasse machen kann, dann nimmt man die Taler selbstverständlich mit und blendet die gesellschaftliche Verantwortung eines Mediums kurz mal aus. Jens Nettekoven bestätigt diesen Aspekt: Die Auslandseinsätze würden regelmäßig nur im Kontext von Skandalen und Unglücken behandelt; sie hätten in Deutschland eine unverdient schlechte Presse. 


Nachtrag zum Bundespräsidenten und zum Weißbuch: Als Dr. Köhler am 22. Mai 2010 in einem Rundfunkinterview das Weißbuch 2006 und die dort ausdrücklich beschriebenen Szenarien wiedergab, da erhoben sich in den Medien wütende Proteste und Attacken, in deren Folge der Bundespräsident schließlich auf eigene Initiative zurücktrat. Aus meiner Sicht hatte gerade er diese gezielte Kritik nicht verdient eher diejenigen, die die gesellschaftliche Debatte des Auftrags der Bundeswehr nicht entschlossen gesucht und gefördert hatten. Was im Weißbuch und entsprechend auch in den Verteidigungspolitische Richtlinien des BMVg von 1992, 2003 und 2011 stand zu Zeiten, als sowohl die CDU als auch die SPD jeweils den Kanzler und den Verteidigungsminister stellen konnten das war schließlich nie ein Geheimnis.
 
Der Abend zu Afghanistan verging wie im Flug – wie einer der kurzen Abende vor Ort, in Mazār-i Scharīf. Nicht ausgeschlossen, dass wir später einmal im Rückblick auch das deutsche Engagement als kurz und die Ergebnisse als nicht nachhaltig und als von der Politik nicht ausreichend erklärt einschätzen werden. Herzlichen Dank nochmals an die Organisatoren und den jungen Soldaten - gut, wenn dieses eindrucksvolle Beispiel Schule machte!

Samstag, 8. Juni 2013

Demokratie ohne Demokraten

Am Freitag abends um ca. 20 Uhr im Reichstag - die Parlamentarier haben sich trotz der laufenden Plenarsitzung in Mehrzahl anderen, sicher prioritären Obliegenheiten zugewandt - da stört der Abgeordnete Jörn Wunderlich von den LINKEN die Idylle und verlangt den "Hammelsprung", was er nach § 45 der Geschäftsordnung des Bundestags für seine Fraktion sprechend auch darf = Feststellung der Beschlussfähigkeit des obersten deutschen Gremiums.

Beim Hammelsprung müssen alle anwesenden (oder blitzartig alarmierten und herbeigeeilten) Abgeordneten durch eine Türe in den Saal zurück und werden sorgsam gezählt. 268 springen, 311 hätten springen müssen. Also Feststellung der Beschlussunfähigkeit - und die zahlreichen verbleibenden Tagesordnungspunkte bleiben auf der Tagesordnung, müssen dann bei den folgenden Terminen irgendwie dazwischen gequetscht werden. Zur Zeit des Antrags sollen nach der Berichterstattung gar nur ca. 50 Profi-Demokraten auf ihrem Platz gewesen sein, zwei MdB-Hundertschaften konnte noch zum "Rücksturz zum Reichstag" animiert werden. Manche mögen auch "gepairt" haben, das ist in der manierierten Choreographie des deutschen Parlaments die Verabredung, dass je zwei Abgeordnete der Regierungskoalition und der Opposition gleichzeitig fernbleiben - und damit dann abstimmungs-arithmetisch unvorhersehbare Ergebnisse vermeiden.


Also: Alle MdB's dürfen dann am lauen Freitagabend zurück ins Private springen, ggfs. an ihr noch nicht ganz ausgetrunkenes Bier, das Sitzungsgeld wohl inklusive. Die aus Sicht der Bürger und Abordnenden ja nicht einmal unschlüssige Frage nach Präsenz und Beschlussfähigkeit wird später gallig kommentiert, als eine Art whistleblowing, fast wie im Falle Manning, oder als Verstoß gegen die guten Sitten des Parlamentarismus. Ein um diese Tageszeit hauchdünner oder gertenschlanker Bundestag, das wäre doch schließlich gang und gäbe! Der Abgeordnete Volker Beck, alter Fahrensmann der Bündnis-Grünen und ordentliches Mitglied des Ältestenrates und des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (!), soll kommentiert haben, dies sei eine "Aktion ohne Zweck und Sinn". Auch das Wort vom "Rad ab", das ich als Einradfahrer bestens kenne, soll gefallen sein.

Falls mich einer fragen möchte: Ich will eigentlich für mein Steuergeld die chefmäßige demokratische Leistung unserer nach Berlin Abgesandten, will sagen, Anwesenheit bis zum Ende der Tagesordnung, sofern kein Attest / kein Entschuldigungsgrund oder ein ausnahmsweise vorgehender parlamentarischer Termin nachgewiesen wird. Und ich hoffe doch, Sitzungsgeld gibt's nur für ganz durchlebte Plenarsitzungen, nicht schon ab den ersten fünf Minuten, nach denen man sich dann mit einem Weg über das WC einen schlanken Fuß macht und launig absentiert oder sich persönlich abordnet. Onkel Herbert, beim Erfüllen parlamentarischer Pflichten unbestritten ein, wenn nicht das Vollblut, stimmt mir sicher aus höheren Sphären zu: Absentismus ist kein Qualitätsmerkmal des Parlamentarismus.

Nachtrag 16.6.2013:
Interessehalber habe ich noch bei Herrn Wunderlich nachgefragt: Wie verhält es sich tatsächlich mit Anwesenheit und Sitzungsgeld? Oder: braucht es jeweils nur eine juristische Sekunde im Bundestag, um das Geld für den jeweiligen Tag zu kassieren? Antwort: Es ist nicht einmal eine juristische Sekunde in der fraglichen Sitzung vonnöten. Der/die Abgeordnete braucht sich bloß in eine vorher ausgelegte Anwesenheitsliste einzutragen und könnte dann auch seiner Wege gehen, siehe im Einzelnen §14 des Abgeordnetengesetzes. Man sollte sein Bier nur nicht zu weit vom Bundestag entfernt einschenken lassen: Wenn am Ende z.B. eine namentliche Abstimmung stattgefunden hätte und man nicht noch schnell zur Stelle gerufen werden konnte, dann würden von der monatlichen Kostenpauschale mal 50€ abgezogen, §14 Abs. 2 des Abgeordnetengesetzes. Nun kann man sich erklären, warum bei den abendlichen Stimmungsbildern aus den Nachrichtensendungen meist so wenige MdB's sichtbar sind - und warum der Bundestag nach der Papierform der Anwesenheitsliste dennoch theoretisch proppevoll ist und dies dann für die real Abwesenden auch nicht wirklich ruinös ausgeht. Dass dann aber alle Anträge und Gesetzentwürfe im Bundestag mit derjenigen repräsentativen Intelligenz geprüft und debattiert worden wären, die wir gewählt haben und standesgemäß finanzieren, das können wir freilich nicht annehmen, nicht wahr?

Vielleicht hatte sich der LINKEN-Abgeordnete aber auch einfach nur zu lange darüber geärgert, dass die große Mehrheit der Abgeordneten die parlamentarischen Reden und Initiativen der LINKEN rituellerweise mit hörbarem, desinteressiertem Schweigen quittieren - so als wäre das Parlament ohnehin ganz leer. Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder! Wie im Sandkasten.

Möglicherweise aber ließe sich das Problem mit einem meiner Wahlpunkte lösen: Abschied der MdB's aus dem Bundestag nicht ad calendas Graecas hinausgeschoben, sondern nach maximal zwei aufeinander folgenden Wahlperioden; Wiederwahl nach einer Auszeit i.H.v. einer Legislaturperiode nicht ausgeschlossen. Man sagt, ein wacher Geist braucht viel Abwechslung. Oder, wie schon der alte Römer sagte "varietas delectat", der Unterschied erfreut. Zu langes Genießen des Parlamentarismus kann offenbar - was wir gewöhnlichen Sterblichen kaum nachvollziehen können - stark ermüden und qualvoll langweilen, und das wollen wir doch alle nicht. Ich möchte es allerdings nach den obigen Erfahrungen noch darum ergänzen: Wir wollen künftig unsere Abgeordneten (wie fast alle Arbeitnehmer) nach tatsächlich erbrachter Zeit alimentieren, hier also nach der effektiven Zeit im Parlament, sprechend oder auch nur hörend.

Anm.: Das Foto oben zeigt den Reichstag, nachgebaut mittels eines knuffigen, postkartengroßen Bastelbogens, also als Pappmodell. Die Vorlage gibt's unter www.berlinerluft.org, genauer hier, übrigens neben vielen anderen netten Berliner Modellen: u.a. der Siegesspargel, ein Mauerstück und sogar Erichs längst ausgeknipster Lampenladen, a.k.a. Palast der Republik. Mit dem Pappparlament kann jeder die beschriebene Standardszene daheim realitätsnah und repräsentativ nachstellen.  

Do it yourself - democracy! 



Der IWF lernt dazu, für GR zu spät



Einer meiner Wahlpunkte betrifft die €-Krise und speziell Griechenland. Wir kennen ja die allgegenwärtigen Phrasen nach dem Motto „Jetzt ist Griechenland gefragt / endlich den Gürtel enger schnallen / muss schnellstens konsolidieren“ oder gar Hass predigende Bild-Schlagzeilen wie „Warum helfen wir diesen Griechen-Milliardär?“ Exkurs: „diesen Griechen-Milliardär helfen“ prangte wirklich in 120-Punkt-Schrift auf der Titelseite = Bild wäre beim sprachlichen Einbürgerungstest glatt durchgerasselt.

Ich habe mich immer gefragt: Wo und wann kommt denn endlich unser aktiver Beitrag zur Behebung der Malaise – wo wir doch jahrzehntelang an den Griechen prächtig verdient haben, Luxusgüter der Premium-Klasse in Mengen und Massen an die dortige politische und wirtschaftliche Oberschicht abgesetzt haben. Griechenland war auch eine verlässliche Senke für volkswirtschaftlich völlig sinnfreie Produkte wie Waffen: Die kleine und strukturschwache Volkswirtschaft war ja – bis zu ihrer höchst bedauerlichen Zahlungsunfähigkeit – das TOP-Export-Ziel für teure deutsche Militaria. Nebenbei gesagt, dicht gefolgt vom griechischen Erzfeind Türkei, seinem NATO-Nachbarn (!!!). So dealt sich seit alters her am einfachsten – beide Seiten eskalierend ausstatten. Ist wie eine Lizenz zum Gelddrucken. Bis einer unter der Last der Waffen zusammenbricht.
In den letzten Tagen hat nun der Internationale Währungsfonds / IWF (IMF) etwas herausgefunden und kleinlaut eingestanden: Man habe sich doch tatsächlich bei den Empfehlungen und Maßgaben für Griechenland irgendwie verrechnet, siehe diesen Spiegel-Bericht und näher z.B. dieses IWF-Dokument bzw. dieses Interview mit dem IWF-Sprecher Gerry Rice. Von allen Experten ganz und gar unerwartet sei das nationale wie grenzüberschreitende Handelsgeschehen der Hellenen implodiert, es habe gar keinen Aufschwung gegeben, ganz im Gegenteil. Sapperlot! Die breit anerkannten Theorien und Modellrechnungen hätten einfach nicht erfüllt, was sie immer versprochen hätten. Na ja. Nicht erst Rolf Dobelli (u.a. "Die Kunst des klaren Denkens. 52 Denkfehler, die sie besser anderen überlassen", 2011) bezweifelt den wissenschaftlichen Anspruch der Ökonomie, in der eben nichts über Stimmung und Anschauung geht, häufig auch nichts über Weltanschauung. „Das freie Spiel der Kräfte“ bzw. der „komparative Vorteil des Außenhandels für alle Beteiligten“ (nach dem klassischen & fulminanten britischen Nationalökonomen David Ricardo auch das Ricardo-Modell genannt) hört sich bei stark vereinfachenden Ausgangsannahmen zwar schlüssig an. In der komplexeren Realität der neuen Märkte allerdings setzt sich erfahrungsgemäß eine Arbeitsteilung durch, die mittel- und langfristig die Überlegenheit der technologisch und ökonomisch besser begünstigten Standorte festschreibt. Oder auch: die die strategische Situation der standort-übergreifend besser organisierten Wettbewerbsteilnehmer weiter stärkt und perpetuiert. Das ist der unerwünschte Effekt des laissez faire, der nach 1945 ganz mechanisch zur Zonenrandförderung Anlass geben musste, nach 1990 zum persistenten Soli (Lafontaine hat das mit seinen einschlägigen saarländischen Erfahrungen früh vorhergesagt) und nach 2012 zu den Feuerwehraktionen für die südlichen EU-Randgebiete. Welche im Grunde als schwächste und erste für die massiven Verwerfungen der weltweiten Bankenkrise zahlen durften.
Wer mit halbwegs offenen Augen in den letzten Jahren durch die griechische Hauptstadt gelaufen ist, und dort durch die Hauptstraßen oder vorbei an den inzwischen progressiv verkommenden Olympia-Bauten, der weiß oder konnte wissen: Dieses Land pfeift schon lange auf dem letzten Loch und hat rein gar nichts mehr zuzusetzen. Dies hier hatten wir erwartet:



Anbei: Die neuere Athener Akropolis war nach mehreren Zerstörungen zur Zeit des Perikles, im so genannten goldenen Zeitalter, in nur ca. 30 Jahren (ca. 430 bis 460 vor Chr.) praktisch völlig wieder aufgebaut worden, einschließlich des majestätischen Parthenon, dessen Bau sogar nur sieben Jahre (!!!) gedauert haben soll. Sie hat sodann ca. 2.100 Jahre weitgehend unangetastet überdauert, auch unter den Ottomanen, um dann durch ganz wissentlichen Beschuss der Venezianer erst i.J. 1687 massiv beschädigt zu werden. Zur Geschichte, auch zum Abtransport unersetzlicher Bauteile wie der Schmuckfriese und vieler Statuen ab 1801 durch Lord Elgin, siehe z.B. den deutschen bzw. (teils ausführlicheren) englischen Wikipedia-Artikel. Seit den Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts wird intensiv an der Restaurierung bzw. dem teilweisen Wiederaufbau der Akropolis gearbeitet, zuerst recht unfachmännisch, mit falschen und zu weiteren Schäden führenden Materialien und Techniken wie etwa rostenden Eisenklammern zur Verbindung der Marmorelemente. Umso mehr muss man die Architekten und Baumeister der Antike bewundern: Sie konnten mit einer verblüffenden Exaktheit tonnenschwere Bauteile in Einbauhöhen von ca. 20 Metern Geschosshöhe (und ca. 80 Meter über dem Meeresspiegel, dem Anlieferungshorizont) positionieren, in einer zur besseren optischen Wirkung noch dazu leicht gerundeten Gesamtkonstruktion, alles das ohne unsere Kraftmaschinen und Vermessungstechniken und mit den begrenzten Ressoucen eines nach heutigen Dimensionen sehr kleinen Stadtstaates. Beim Parthenon in nur sieben Jahren! Eigentlich ganz klar: Die Griechen haben es drauf!

Und dies haben wir in Athen ebenfalls gefunden: Das vierte Foto unten ist repräsentativ für den überhängenden Gesamtzustand des Landes und der EU insgesamt: In den Einkaufszonen bröckeln die Fassaden mancher Geschäftshäuser massiv & schon lange. Auf dass aber der Verkauf frohgestimmt weitergehen kann, hat man dort einfach Steinschlag-Dächer bzw. ganze Steinschlag-Galerien angeflanscht. Geht doch! Zur Einordnung: Die Bilder sind etwas über fünf Jahre alt, sie stammen aus dem Mai 2008. Nix verstehn in Athen?






Und: das letzte, was Griechenland braucht, sind deutsche Rüstungsexporte. Was es brauchte und braucht, das sind wertgeschätzte eigene Produkte und Exporte, zumindest in die kulturell eng verwandten Länder = in die EU, zu den Freunden.

Ich habe mich auch immer gefragt, und das ist nach wie vor allseits unbeantwortet: Wenn wir es in mehr als zwanzig Jahren nicht schaffen, einem kulturell so nahe stehenden, für Europa sogar Identitäts-bildenden und damit System-relevanten Staat wie Griechenland

ein würdiges Ein- und Auskommen in unserer Mitte zu verschaffen - wie bitte sollen wir das bei den Staaten angehen, bei denen wir militärisch intervenieren, u.a. um unseren way of living dort einzuführen, etwa eine repräsentative Demokratie, Marktwirtschaft und freien Außenhandel? Trotz milliardenfacher Investition ist Afghanistan – wenn wir 2014 dort abziehen – nach wie vor eine der ärmsten Nationen der Welt. Zugegeben: jedenfalls der Drogen-Export ist sehr gut in Schwung gekommen. Und auch für Mali sehe ich mittel- und selbst langfristig keinerlei Chancen einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf Augenhöhe, bestenfalls einen frisch getünchten Kolonial- bzw. Abhängigkeitsstatus. Und wohl auch keine nachhaltige Stabilität.
Unsere stolz zur Schau getragene Hilfsbereitschaft nutzt immer nur einigen wenigen. Sie stützt nach aller Erfahrung oligarchische Strukturen und ist, auf’s Ganze gesehen, nicht mehr als eine unfromme Lebenslüge.

Freitag, 7. Juni 2013

To die in friendly fire: Rechtsstaat, Privatsphäre und Freiheit


“Die Gedanken sind frei – wer kann sie erraten?“ Das war das Motto-Lied der Weißen Rose.

Was für ein Wahnsinn: Da gab’s mal eine Volkszählung und in der Folge eine massive Sensibilität für den Schutz privater Daten und privater Kommunikation, das Bundesverfassungsgericht hat darauf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geprägt (das Fernmeldegeheimnis ist sowieso schon qua Verfassung geschützt). Aber die Sammelwut der Browser-, Mail- und Internetfirmen schien irgendwie harmlos zu sein, nicht hoheitlich-gefährlich und nur zu unserem Nutzen, mit profil-gestützten Angeboten für alles, was wir gerade suchen oder brauchen könnten. Ein aufmerksamer Service halt wie bei einem guten Butler: Verschwiegen, liest uns dabei jeden Wunsch von den Augen ab. Und befriedigt andererseits unsere Eitelkeit, indem Millionen Mitmenschen uns im Browser oder auf Facebook finden können, mitten auf dem Marktplatz, live und in Farbe. Schon das müsste einen skeptisch stimmen.

Nur gut, dass der Geheimdienst nicht alles mitschneidet.

Der Geheimdienst schneidet alles mit. Und wertet es aus. Seit Jahren. U.a. mit einem Programm, das sinnigerweise „prism“ heißt oder: das Zerlegen von Licht durch Brechung in diskrete Farben. Erinnert mich irgendwie an „prison“ und an Gitmo.

In den USA haben die Geheimdienste unmittelbaren Zugriff auf die Server zentraler Internetfirmen wie google, Microsoft oder youtube. Nicht auf amtlichen Antrag bzw. mit richterlicher Genehmigung im Einzelfall. Online, mit vermutlich nochmals weit aufwändigeren Analysewerkzeugen, als sie die Suchmaschinen selbst einsetzen. Die Stasi würde vor Neid erblassen. Ob ich bald beim CIA nun meine Akte anfordern kann? Timothy Garton Ash hatte sich das schon mal gefragt, als er sein autobiograhisches Werk "Die Akte Romeo" schrieb und nach der Stasi am Ende auch das weiter laufende Tagewerk von CIA und MI5/6 hinterfragte. In einem als TOP SECRET und NOFORN (no foreign nationals = nicht für Ausländer bestimmt) klassifizierten Beschluss – was sich Staaten im Stress so alles einfallen lassen – hat der US-amerikanische Foreign Intelligence Surveillance Court noch am 25.4.2013 ein TK-Unternehmen zur breiten Weitergabe von Telefondaten verdonnert, siehe Bericht und Dokumentation des britischen Guardian, der der Offenlegung des geheimen Beschlusses knappe 25 Jahre vorgegriffen hat. Und Obama? Wiegelt ab, sagt, das alles wäre zu Terrorabwehr quasi alternativlos (wie schon bei der Drohnen-Rede wieder die gute alte TINA, mit der auch die Kanzlerin gerne verkehrt) und US-Amerikaner kämen nur ausnahmsweise, quasi ganz aus Versehen in den Fokus. Das beruhigt mich als Nicht-US-Amerikaner und typischen google-Nutzer natürlich ungemein. Obwohl: Da muss man nicht mal neidisch sein. Denn die Unterscheidung US / nicht-US ist im globalen Verkehr mit seinen alias-Namen und seinen nicht-nationalen domains sowieso praktisch unmöglich.

Meine Mails und dieser Wahlblog liegen dann bei den US-Diensten – und vermutlich potenziell bei den „befreundeten“ Diensten wie unseren nationalen wie BfV & BND & MAD – sozusagen auf dem Schreibtisch: Blogspot ist die domain von blogger.com, blogger wurde von google aufgekauft, die CIA ist bei google offenbar online, kann dies druckfrisch lesen und mit anderen Daten verknüpfen, sicher weitestgehend automatisiert. Ich frage mich, ob ich mich von google & blogger verabschieden muss. Betrifft allerdings die Arbeit und Kommunikation mehrerer Jahre. Und ob ein anderer Anbieter sicherer ist, ist auch nicht ausgemacht.

Verdammt, was hat die Terrorismusangst aus dem liberalen Westen gemacht? Was hat man aus unseren Rechtsstaaten gemacht? Wie kann man noch mit unserer Weltanschauung des „land of the free“ werben wie in der amerikanischen Hymne (2. Strophe, am Ende), z.B. in islamisch geprägten Ländern? Dabei ist der Terrorismus bei nüchterner Analyse nur die Waffe der Schwachen, er kann ein Land niemals ernsthaft in Gefahr bringen und die statistisch um mehrere Größenordnungen wichtigeren tödlichen Gefahren für uns und unsere Familienmitglieder, die liegen doch viel näher und gehören quasi zum normalen Geschäft: Verkehr, Rauchen, Essen, Trinken, Umwelt, Technik und selbstverursachte Krisen. Kann mal einer 10 Meter zurücktreten und eine Gesamtsicht wagen? Wo zum Teufel sind wir hingekommen?

Donnerstag, 6. Juni 2013

Nachträge – und der windfall profit einer unabhängigen Kandidatur




Aus Gesprächen in Dierath, Kuckenberg, Burscheid und Bornheim der letzten Tage: 
Schule beschäftigt viele – und zwar mit sehr konträren Positionen. In einem Fall: Wie man denn die Lehrer besser in den Griff bekommen könne. Ein paar Häuser davon entfernt: Von den Lehrerinnen und Lehrer werde neben einem optimalen Lehrerfolg heute alles verlangt, was zu einer Bildungskarriere überhaupt erst führe: Erziehung in jeder Hinsicht bis hin zur Vermittlung von Tischsitten. Rechnen und Schreiben lasse immer mehr nach und als Entwicklungsziel sähe die Mehrzahl der Realschüler einer Realschule nicht etwa mehr die duale berufliche Bildung an, sondern die Kollegschule. Nur zwei aus der Abschlussklasse würden eine Lehre aufnehmen, die Realschule habe heute die Funktion einer Hauptschule und diese die einer Förderschule. Was anderenorts als neu angepriesen werde, würde längst mit hohem Aufwand betrieben: Frühzeitige Kompetenz- und Neigungschecks, Patenmodelle. Sie selbst betreue drei Schüler persönlich. Leider seien die Erfolge der gesamten Anstrengungen marginal.
Eine Familie spendiert mir einen Kräutertee der Zaubertrank-Klasse, sehr hilfreich. Sie möchten gerne die Kommunikation im Dorf voranbringen, etwa mit einem gemeinsamen Osterfeuer (gibt’s mit großem Zuspruch bereits in einem Nachbardorf) und der Organisation von „Adventsfenstern“: Die sind aus vielen Orten bekannt (hier Erklärung / Beispiele aus der Schweiz) und meinen das Öffnen von Wohnzimmern für interessierte Nachbarn, die dann z.B. Adventsgeschichten für Jung und Alt hören können. Gute Idee! Und das Dorf sollte wieder schöner werden; vieles aus der damaligen Initiative ist vergessen oder verschüttet. Stimmt, habe z.B. im letzten Winter mal unter Moos und Knast das große Wandbild eines Bauernhofs unter der alten Eisenbahnbrücke teilweise wieder freigelegt; es könnte noch etwas nicht formalisierte bzw. freiwillige Arbeit vertragen. Überhaupt: das alte Verschönerungsmotto kann man gut recyceln: „Unser Dorf soll politischer werden!“ Oder „Unsere Wahl soll schöner werden!“ Oder wir macxhen die Sache mit dem Fenster: "Wir öffnen ein Wahlfenster." Im September.
In Bornheim liegt im Tale und reagiert auf mein Ansinnen überwiegend sehr erstaunt („Da haben Sie sich aber was vorgenommen!“ Stimmt.). Zwei wollen mir zwar keine Unterstützungsschrift geben, wünschen mir aber immerhin Glück. Was sie abhält, das ist offenbar eine Parteizugehörigkeit. Dabei wäre meine Kandidatur – jedenfalls für die Burscheider Parteien – netto Gewinn-versprechend. Wieso denn das? Ganz einfach: Die Burscheider Wahlbeteiligung war bei der letzten Bundestagswahl grottenschlecht, nur ca. 74%. Wenn Burscheid nur die letztmalige Marge von Odenthal = 83% hinkriegte, und dazu kann etwas Konkurrenz und ein interessanter Wahlkampf allemal führen, dann wäre bei den Parteien ein Plus von 9% mehr Wahlkampfkostenerstattung drin, genauer: im Vergleich zu den 2009er Zahlen ca. 1.000 Wähler mehr und damit ca. 2.800€ cash in de täsch (die jeweils den Parteien mit > 10% Stimmenanteil zufließen). Summa summarum: Wenn eine Direktkandidatur schon ein Plus für die Demokratie ist, so ist sie selbst für die Parteien ein indirekter, zählbarer Gewinn. Nur als Anreiz!
Abends noch ein Gespräch mit türkischen Mitbürgern, die weit überwiegend mit den Schultern zucken: Teils schon zwanzig und dreißig Jahren in Deutschland und der Sprache völlig mächtig, haben sie nicht für die deutsche Nationalität optiert – um nicht die türkische zu verlieren. Da gibt es einen ganz handhaften Loyalitätskonflikt und viele Fragezeichen. Obwohl alle die Wahrscheinlichkeit eher gering einschätzen, dass sie dauerhaft nach Süden zurückziehen würden. Ob sie dort mit offenen Armen empfangen würden, sei auch nicht gewiss – die Verhältnisse seien lange nicht mehr so, dass man sich dann vom Ersparten leicht ein Haus oder gar eine Existenz aufbauen könnte. Die doppelte Staatsangehörigkeit wäre tatsächlich ein Gewinn für sie, die noch immer politisch zwischen den Stühlen sitzen: Sie dürfen hier zwar arbeiten und Steuern entrichten, müssen die Gesetze einhalten - im Grunde noch viel gewissenhafter als die Deutschen -, aber über die Verwendung der Steuern haben sie nichts mitzubestimmen, haben auch keinen gleichen Zugang zu staatlichen Ämtern. Am 5.6.2013 wurde in der 242. Sitzung des Bundestages unter TOP 1 über mehrere parlamentarische Anträge zur Erleichterung des Erwebs der deutschen Staatsangehörigkeit debattiert, auch die gut begründeten Initiativen zum Abschaffen der Optionspflicht für hier geborene Migranten. Das Protokoll der Plenarsitzung können Sie als pdf hier herunterladen. Alle Anträge wurden mit der Mehrheit der Regierungskoalition abgewiesen; die Debattenbeiträge sind sehr lesenswert. Ich werde dazu noch gesondert posten. Ach ja, zu Obama und seinen Drohnen bin ja auch schon im Wort; hier wenigstens schon mal der Titel dieses künftigen posts „Obama can’t Kant“.
Als ich abends nach Hause komme, lässt mich unser Hund nicht mehr aus den Fängen: Ich muss eine Art Geruchskino aus ca. 5 anderen Vierbeinern sein.