Freitag, 7. Juni 2013

To die in friendly fire: Rechtsstaat, Privatsphäre und Freiheit


“Die Gedanken sind frei – wer kann sie erraten?“ Das war das Motto-Lied der Weißen Rose.

Was für ein Wahnsinn: Da gab’s mal eine Volkszählung und in der Folge eine massive Sensibilität für den Schutz privater Daten und privater Kommunikation, das Bundesverfassungsgericht hat darauf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geprägt (das Fernmeldegeheimnis ist sowieso schon qua Verfassung geschützt). Aber die Sammelwut der Browser-, Mail- und Internetfirmen schien irgendwie harmlos zu sein, nicht hoheitlich-gefährlich und nur zu unserem Nutzen, mit profil-gestützten Angeboten für alles, was wir gerade suchen oder brauchen könnten. Ein aufmerksamer Service halt wie bei einem guten Butler: Verschwiegen, liest uns dabei jeden Wunsch von den Augen ab. Und befriedigt andererseits unsere Eitelkeit, indem Millionen Mitmenschen uns im Browser oder auf Facebook finden können, mitten auf dem Marktplatz, live und in Farbe. Schon das müsste einen skeptisch stimmen.

Nur gut, dass der Geheimdienst nicht alles mitschneidet.

Der Geheimdienst schneidet alles mit. Und wertet es aus. Seit Jahren. U.a. mit einem Programm, das sinnigerweise „prism“ heißt oder: das Zerlegen von Licht durch Brechung in diskrete Farben. Erinnert mich irgendwie an „prison“ und an Gitmo.

In den USA haben die Geheimdienste unmittelbaren Zugriff auf die Server zentraler Internetfirmen wie google, Microsoft oder youtube. Nicht auf amtlichen Antrag bzw. mit richterlicher Genehmigung im Einzelfall. Online, mit vermutlich nochmals weit aufwändigeren Analysewerkzeugen, als sie die Suchmaschinen selbst einsetzen. Die Stasi würde vor Neid erblassen. Ob ich bald beim CIA nun meine Akte anfordern kann? Timothy Garton Ash hatte sich das schon mal gefragt, als er sein autobiograhisches Werk "Die Akte Romeo" schrieb und nach der Stasi am Ende auch das weiter laufende Tagewerk von CIA und MI5/6 hinterfragte. In einem als TOP SECRET und NOFORN (no foreign nationals = nicht für Ausländer bestimmt) klassifizierten Beschluss – was sich Staaten im Stress so alles einfallen lassen – hat der US-amerikanische Foreign Intelligence Surveillance Court noch am 25.4.2013 ein TK-Unternehmen zur breiten Weitergabe von Telefondaten verdonnert, siehe Bericht und Dokumentation des britischen Guardian, der der Offenlegung des geheimen Beschlusses knappe 25 Jahre vorgegriffen hat. Und Obama? Wiegelt ab, sagt, das alles wäre zu Terrorabwehr quasi alternativlos (wie schon bei der Drohnen-Rede wieder die gute alte TINA, mit der auch die Kanzlerin gerne verkehrt) und US-Amerikaner kämen nur ausnahmsweise, quasi ganz aus Versehen in den Fokus. Das beruhigt mich als Nicht-US-Amerikaner und typischen google-Nutzer natürlich ungemein. Obwohl: Da muss man nicht mal neidisch sein. Denn die Unterscheidung US / nicht-US ist im globalen Verkehr mit seinen alias-Namen und seinen nicht-nationalen domains sowieso praktisch unmöglich.

Meine Mails und dieser Wahlblog liegen dann bei den US-Diensten – und vermutlich potenziell bei den „befreundeten“ Diensten wie unseren nationalen wie BfV & BND & MAD – sozusagen auf dem Schreibtisch: Blogspot ist die domain von blogger.com, blogger wurde von google aufgekauft, die CIA ist bei google offenbar online, kann dies druckfrisch lesen und mit anderen Daten verknüpfen, sicher weitestgehend automatisiert. Ich frage mich, ob ich mich von google & blogger verabschieden muss. Betrifft allerdings die Arbeit und Kommunikation mehrerer Jahre. Und ob ein anderer Anbieter sicherer ist, ist auch nicht ausgemacht.

Verdammt, was hat die Terrorismusangst aus dem liberalen Westen gemacht? Was hat man aus unseren Rechtsstaaten gemacht? Wie kann man noch mit unserer Weltanschauung des „land of the free“ werben wie in der amerikanischen Hymne (2. Strophe, am Ende), z.B. in islamisch geprägten Ländern? Dabei ist der Terrorismus bei nüchterner Analyse nur die Waffe der Schwachen, er kann ein Land niemals ernsthaft in Gefahr bringen und die statistisch um mehrere Größenordnungen wichtigeren tödlichen Gefahren für uns und unsere Familienmitglieder, die liegen doch viel näher und gehören quasi zum normalen Geschäft: Verkehr, Rauchen, Essen, Trinken, Umwelt, Technik und selbstverursachte Krisen. Kann mal einer 10 Meter zurücktreten und eine Gesamtsicht wagen? Wo zum Teufel sind wir hingekommen?

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