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Fritz Halbach und die direkte Demokratie
Am Sonntag, den 22. Juni 2014 trainiert Burscheid mit einem Bürgerentscheid in Sachen „Fritz-Halbach-Straße“ erstmals die direkte Demokratie. Das Thema bleibt allerdings den meisten, die sich damit näher befassen, ein wenig im Halse stecken. Nicht weil es kontrovers erörtert wird; das ist bei Volksabstimmungen völlig normal – wenn es auch etwas Übung braucht, aus gegensätzlichen, zugespitzten Positionen nicht dauerhafte Spannungen, Verschwörertheorien oder dergleichen wachsen zu lassen.
- Fritz Halbach und die direkte Demokratie
- Halbach - ein Kind seiner Zeit?
- Ein im Alter abgeklärter, ein ganz anderer Halbach?
- Fritz Mebus - ein zeitgenössisches Gegenmodell
- Zur Mechanik des Bürgerentscheides - wie sind die Chancen?
- Abschließend: das vermittelnde Zusatzschild
- Nachtrag 19.6.2014 zum neuen Faltblatt der Initiatoren
- showdown
Fritz Halbach und die direkte Demokratie
Am Sonntag, den 22. Juni 2014 trainiert Burscheid mit einem Bürgerentscheid in Sachen „Fritz-Halbach-Straße“ erstmals die direkte Demokratie. Das Thema bleibt allerdings den meisten, die sich damit näher befassen, ein wenig im Halse stecken. Nicht weil es kontrovers erörtert wird; das ist bei Volksabstimmungen völlig normal – wenn es auch etwas Übung braucht, aus gegensätzlichen, zugespitzten Positionen nicht dauerhafte Spannungen, Verschwörertheorien oder dergleichen wachsen zu lassen.
Nein: Der historische
Sachverhalt ist im Verlaufe des Prozesses im Grunde immer unappetitlicher
geworden. Selbst die Unterstützer
des Bürgerentscheides für die Beibehaltung des Straßennamens – „Ja“ wird dabei für weiterhin
Fritz-Halbach-Straße stehen und „Nein“
für eine Neubenennung – stellen das vom Gemeinderat bei der Universität
Düsseldorf eingeholte Gutachten zum Verhältnis von Fitz Halbach zum
Nationalsozialismus in keiner Hinsicht in Frage – auch wenn sie daraus wohl
auch Neues erfahren haben. Nach diesem Gutachten ist der historische Befund
eindeutig: „Fritz Halbach war kein Verführter, kein Mitläufer des
Nationalsozialismus. Er gehörte vielmehr selbst zu den Verführern. Fritz
Halbach wirkte als ideologischer Wegbereiter und engagierter Anhänger des Nationalsozialismus.
Er war völkischer Ideologe und radikaler Antisemit. Er war zudem ein erklärter
Gegner der Demokratie und des Parlamentarismus.“ (Zitat der abschließenden
Zusammenfassung aus dem Gutachten
des Düsseldorfer Wissenschaftlers Christoph Nonn v. 8.8.2013, S. 13). Dem
hat sich der Rat der Stadt Burscheid einmütig angeschlossen; siehe die Informationen
auf der Burscheider Internet-Seite = http://www.burscheid.de/aktuelles/buergerentscheid-fritz-halbach-strasse.html;
siehe ferner entsprechende Einschätzungen in der örtlichen Presse, z.B. an
diesen Stellen im Bergischen Volksboten und im Lokalteil des Kölner Stadt-Anzeigers:
http://www.wz-newsline.de/lokales/burscheid/dichter-fritz-halbach-war-ein-hassgetraenkter-antisemit-1.1490272
und http://www.ksta.de/burscheid/fritz-halbach-rassist-und-heimatdichter,15189134,27397732.html. Fritz Halbach und direkte Demokratie - das hat eine gute Portion innerer Ironie; aber es kann die Demokratie üben und festigen. Darum ist es auch jeden Cent wert.
Die Befürworter
des Bürgerentscheides, also die Verfechter eines nicht geänderten
Straßennamens, ziehen dennoch grundlegend andere Schlüsse und sehen es so: Sie
wollen sich „nicht schuldig fühlen für das, was Fritz Halbach von sich
gegeben hat“. Sie wollen nicht „unliebsame Geschichten ausradieren"
und halten Fritz Halbach insbesondere seine Verdienste um die Heimatdichtung
zugute, auch seine Rolle bei der Gründung der Hilgener Raiffeisenbank und seine
auch nach dem Tode i.J. 1942 – und auch noch zu Zeiten der Straßenbenennung
i.J. 1958 – ungeschmälert gute Reputation als Burscheider Bürger.
Während der Sammlung der Unterstützungsschriften
für den anstehenden Bürgerentscheid habe es denn auch wiederholt geheißen, „Es muss doch endlich mal genug sein!“
Damit ist offenbar gemeint: Bald 70 Jahre nach Kriegsende seien Vorwürfe wegen
aktiven Mitwirkens am Aufbau des nationalsozialistischen Unrechtssystems doch
nicht mehr gerechtfertigt, auch keine darauf heute gestützten
kommunalpolitischen Entscheidungen; Benennungen könnten und müssten auch zu
einem bestimmten Zeitpunkt unangreifbar werden, unabhängig von Aktivitäten und
Verwicklung der Geehrten. Eine neue Bewertung dürfe nicht "dem heutigen
Zeitgeist" überlassen werden. Gerade "dass Fritz Halbach
antisemitische Tendenzen [zeige, weise] ihn als Kind seiner Zeit aus".
Darüber hinaus gibt die Initiative praktische Nachteile für einzelne Betroffene
und für die Gemeinschaft zu bedenken, etwa die mit der Umbenennung verbundenen
Kosten und weitere Beschwernisse, etwa auch die Trägheit bei der Umsetzung
eines neuen Straßennamens in moderne Navigationssysteme oder auch in
Kartenwerke.
Aber war nun Fritz Halbach
schlicht ein Kind seiner Zeit, eine Art politischer Otto
Normalverbraucher oder – wie es in der Nachkriegssprache zu den Millionen
mehr oder weniger begeisterten Unterstützern des nationalsozialistischen
Systems hieß – einer von vielen Mitläufern, mitgerissen von einer
kollektiven Stimmung des deutschen Wiederaufstiegs zu internationaler Beachtung
und Anerkennung? Ganz unstreitig: Fritz Halbach war ein sprachlich hochbegabter
Mann, der seine Herkunft und Heimat verehrte und ihr eine eigene Stimme und ein
eigenes Selbstbewusstsein geben wollte. Ein Beispiel: Im Selbstverlag des
Burscheider Verkehrs- und Verschönerungsvereins erschien i.J. 1935 eine
Sammlung von Geschichten und Gedichten rund um die Kommune: „Burscheid – Aus
dem Leben einer bergischen Stadt“. Darin finden sich mehrere mundartliche
Gedichte Fritz Halbachs, u.a. auf S. 268 der kurze Reim „Ming
Mu’ederspro’eche“.
Das ist sehr gut gemacht,
überhaupt kein Zweifel. Das Gedicht ist auch in der Metrik und der
lautmalerischen Umsetzung von Mundart in Drucktext handwerklich hervorragend
und damals wohl auch wegweisend. Aber man kann den Text gleichzeitig als Bild
einer anderen Seite Halbachs lesen, die – und darin liegt zugegebenermaßen eine
gewisse Tragik – mit Heimatliebe und Verwurzelung eng gekoppelt ist, die auch
grimassenhafte Züge annehmen kann und die man in Zeiten von latenter Xenophobie
und eines dagegen ausgerichteten Kölner
Birlikte-Festes ganz nüchtern zu reflektieren hat.
Dabei werden wir auch die
Frage redlich beantworten müssen: Gibt es zwei verschiedene, will sagen
inhaltlich oder zeitlich auftrennbare Halbachs – etwa (1) einen frühen
Halbach mit nachweislich menschenverachtenden, fremdenfeindlichen und
Demokratie-konträren Hasspredigten und (2) einen späteren, besonnenen
und nach anerkannten heutigen Maßstäben ethisch und moralisch geläuterten
Halbach, den man getrennt und damit guten Gewissens auch hier und jetzt ehren
kann? Etwa auch wegen seiner maßgeblichen Beteiligung bei Gründung der Hilgener
Raiffeisenbank und wegen seines lebenslangen Standes als angesehener Bürger
Burscheids?
Halbach - ein Kind
seiner Zeit?
Fritz Halbach wurde 1879
in Hilgen geboren, er hatte am ersten Weltkrieg teilgenommen, hat vor 1914 und
nach 1918 in München gelebt und gewirkt. Nicht eindeutig ist, ob er bereits der
Vorläuferpartei des NSDAP angehörte, der DAP. In jedem Fall hatte er in den
Zwanziger Jahren in München frühen und intensiven Kontakt mit nationalistisch
gesinnten Landsleuten, auch zu Dietrich Eckart, der
als ein zentraler Mentor von Adolf Hitler beschrieben wird, auch hinsichtlich
eines unversöhnlichen Antisemitismus. Es war dies die Zeit, als etwa der von
den jungen Nationalsozialisten äußerst geschätzte Henry Ford - der noch 1938
den höchsten deutschen Auslandsorden annehmen sollte, den sog. Adlerorden, und
dessen Vorwort später die amerikanische Ausgabe von "Mein Kampf"
einführen sollte - seine berüchtigten Schriftenreihe "The International Jew"
/ "Der
Internationale Jude" herausgab (Dokumentation des englischen Textes
siehe hier).
Ein Inhalt, der in der Folge besonders intensiv propagandistisch genutzt wurde,
war das krude Konstrukt der "Protokolle
der Weisen von Zion". Dort wird eine jüdische Weltverschwörung zur
Unterjochung und Vernichtung der Christenheit ausgemalt, wie sie sich auch in
Schriften Halbachs wiederfindet. Nähere Nachweise / Zitate aus den
seinerzeitigen Schöpfungen Fritz Halbachs sind gut aufbereitet in dem vom
Gemeinderat eingeholten Gutachten
des Düsseldorfer Wissenschaftlers Christoph Nonn v. 8.8.2013 dargestellt,
wie es dem am 22.6.2014 zur Abstimmung gestellten Beschluss des Burscheider
Kulturausschusses v. 19.9.2013 zur Umbenennung der Halbach-Straße zugrunde lag.
Als "Kind seiner
Zeit" kann man Halbach danach nicht verstehen. Vielmehr als "Mann
der ersten Stunde", der versuchte, mit seinen besonderen
stilistischen Mitteln das Trauma des gerade verlorenen Krieges aufzuarbeiten,
und der danach strebte, die Ursachen des Krieges so gut als möglich zu
externalisieren, damit auch zu verdrängen bzw. sie nunmehr den gewöhnlich
verdächtigen Sündenböcken "zuzuschreiben". Dazu muss man sich auch
keinen gewalttätigen Menschen vorstellen; Fritz Halbach war schon von seiner
Physiognomie her kein Muskelpaket oder Schlagetot, er war viel eher der Typ des
Intellektuellen oder des feinsinnigen Ideologen, in späteren Lebensjahren des
kultivierten Bürgers und des Familienmenschen, wie man es von Schlüsselfiguren
des Nationalsozialismus durchaus kennt. Es ist auch sehr gut vorstellbar: Fritz
Halbach hat den aufkommenden Nationalismus und den Hass auf die Republik – auf
"das widerliche (Großmaul) Luamssorg, das lauthals Gesetze und
Verfassungen absondert", so der 1924er Roman "Stoffel, der
Scherenschleifer" – auch als seine ganz persönliche schriftstellerische
Markt-Chance verstanden und ausgenutzt, auch, um den ungeliebten Brotberuf des
Kaufmanns endlich an den Nagel hängen zu können. Gerade darum mag aber sein
Einfluss und seine Breiten- und Tiefenwirkung ungleich höher gewesen sein, als dies
bei einer frühen Aktivität etwa in der SA oder SS gewesen wäre. Eine besonders
nachhaltige Wirkung darf keineswegs unterschätzt werden: Das rechtfertigende
und ans Durchhalten appellierende Beispiel eines anerkannt klugen und heimatverbundenen
Bürgers für die Kampfmoral der jungen Soldaten, und zwar auch dort, wo sie die
brutalen Kriegswirkungen am eigenen Leibe erlebten oder gar selbst ausüben
mussten. Oder bereits das Wegschauen der Bürger bei dem sozialen Mord an den
jüdischen Mitbürgern im Zuge z.B. des Gesetzes
zur Herstellung des Berufsbeamtentums von 1933, der nationalsozialistischen
Rassengesetze des Jahres 1935 oder der Novemberprogrome von
1938, zu denen auch die später so genannte "Reichskristallnacht"
zählte.
Ein im Alter
abgeklärter, ein ganz anderer Halbach?
Hat sich Fritz Halbach in
seinen späteren Lebensjahren abgeklärter gezeigt, vielleicht so, dass er heute
im Wesentlichen als ein erstrebenswertes Vorbild für die Jugend dargestellt
werden könnte? Dafür haben die Recherchen weder auf Seiten der Befürworter aus
der Fritz-Halbach-Straße noch auf Seiten der Gemeinde auch nur das leiseste
Indiz gefunden. Ich sehe nicht, dass er zu irgendeiner Zeit seines Lebens seine
rassistischen oder Demokratie-feindlichen Äußerungen bereut oder relativiert
hätte, auch nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht. Sowohl die Ehrungen im Zusammenhang mit seinem 60. Geburtstag [Anm. zur historischen Einordnung: der 60. Geburtstag datierte am 10.8.1939 und damit nur wenige Tage
vor dem Auftakt des Zweiten Weltkriegs in Europa - dem deutschen Angriff auf Polen am 1.9.1939 - und bereits geraume Zeit nach dem Anschluss Österreichs im März 1938, der Annektierung des Sudetenlandes im Oktober 1938 und der Zerschlagung des Restes der Tschechei im März 1939] als auch ein Nachruf nach seinem unfallbedingten Tode i.J. 1942
zeigen Halbach als ein für seine aktiven Verdienste und seine klare "völkische"
Positionierung gerühmtes und verdientes Mitglied inmitten der NSDAP. Und noch
im August 1939, als alle Zeichen bereits erkennbar auf Sturm standen, dankte er den Geburtstags-Gratulanten in
einem Mundart-Gedicht mit einer markigen Schlusszeile – gleichzeitig die
Schlusszeile der Laudatio aus der Bergischen Heimat-Zeitung v. September 1939:
„Fresch drop loß für Volk on Lank!“,
sprich „Frisch drauf los für Volk und
Land!“ Die zitierte Lobrede aus der Bergischen Heimat ist eine sekundäre Quelle, gewiss. Aber es gibt keine schlüssigen Anhaltspunkte dafür, dass sich Fritz Halbach mit dem in Teilen haarsträubenden Text - der auch auf einem persönlichen Treffen und eigenen Informationen Halbachs beruhte - nicht voll und ganz identifizierte. Ich halte ferner für äußerst unwahrscheinlich, dass Halbach die soziale
Ausgrenzung, vielleicht auch die physische Vernichtung jüdischer oder weiterer
„nicht-arischer“ Bürgerinnen und Bürger verborgen geblieben wäre. Zwar mag das
in einer kleinen ländlichen Gemeinde wie Burscheid weniger und seltener
offensichtlich geworden sein, aber angesichts seiner frühen Agitation für
radikalste Lösungen, angesichts der Nähe größerer Städte um Burscheid herum und
angesichts seiner nachhaltigen politischen Vernetzung kann er kaum daran vorbei
gesehen haben. In dem bereits zitierten Burscheid-Almanach von 1935 findet sich
auch eine kurze Geschichte, die das Trauma des verlorenen (ersten) Krieges und
die erst noch folgende Schmach aufgreift und anklagt: „Besatzung“. Eine
Kern-Passage: „Aber es wurden ihrer immer
mehr, die des Krieges müde waren und einer Weltverbrüderung das Wort redeten.
Und endlich [im heutigen Sinne von „schließlich“] kam das bittere Ende. Die stolzen, unbesiegten deutschen Heere
marschierten in die Heimat zurück.“ Am Ende der Geschichte stirbt die
Hauptperson der Kurzgeschichte, ein wackerer alter Vater, aus Gram über
Demütigungen der Besatzungsmächte. Das klingt für mich nicht nach Neubesinnung,
sondern nach weiterem geradlinigem, bitterem Streben, die Scharte des ersten
Kriegs endlich auszuwetzen und den äußeren Feind nicht durch Diplomatie und
Ausgleich, sondern gewaltsam in seine Schranken zu verweisen.
Auch das Gedicht oben kann
man mit einem Subtext lesen: Das "schief angesehene Stiefkind" kann
man ebenso als die deutsche Nation verstehen, die - in den Augen des Dichters -
zu Unrecht mit dem Makel und den Folgen der Kriegsschuld leben musste; das
"hochdeutsche Wort auf glatter Zunge" mag man auch als Ausdruck von
Modernisierung und Globalisierung verstehen, die der alten Tradition und innigen Heimatliebe
bedrohlich nahe rückt. Es ist richtig: Hier führen der Gedanke der
romantisierten regionalen Verwurzelung und der nationalen Wiederauferstehung so
eng zusammen, dass ein Heimatdichter ein nahezu geborener Wegbereiter der
nationalsozialistischen Bewegung wurde. Das bedeutet aber nicht, dass ein
Heimatdichter die Konsequenzen seines Handelns für Dritte - für den ihm
nahestehenden Nachwuchs ebenso wie für die nicht in sein Muster passenden
"Fremden" - nicht hätte erkennen können. Ich habe keinen Anlass zu
glauben, dass es Fritz Halbach zu irgendeiner Zeit seines Lebens dazu an
Reflektionsfähigkeit oder geeigneten Vorbildern gefehlt hätte.
Fritz Mebus, ein zeitgenössisches Gegenmodell
Nach dem Ende des
nationalsozialistischen Unrechtsregimes wurde zunächst ein Bürgermeister von
der Besatzungsmacht provisorisch eingesetzt; aber dann schließlich konnten die
Bürger auch demokratisch wählen. Erster von den Bürgern bestimmter Bürgermeister
nach 1945 wurde ein anderer Fritz, der Burscheider Schreinermeister Mebus.
Mebus war ebenfalls Soldat im ersten Weltkrieg, hatte aber eine gefestigte
bürgerlich-liberale Einstellung und sich nicht mit dem Nationalsozialismus
eingelassen. Es wird erzählt, dass er die damals typischen
nationalsozialistischen Sammelaktionen faktisch boykottierte, indem er die
Sammelbüchsen gewohnheitsmäßig unter den Ladentisch stellte und beim
Wiedereinsammeln lakonisch bemerkte: "Ich kann doch nichts dafür, dass die Leute
da nichts reintun!" Fritz Mebus wird allerdings auch ein ausgeprägter
Gerechtigkeitssinn sowie eine besondere bergische Sturheit und Kampfkraft
nachgesagt. Schon während der Schulzeit habe sich kein Lehrer getraut, ihn zu
verprügeln - was seinerzeit immerhin zu den probaten und alltäglichen
pädagogischen Fingerübungen gehörte. Soweit bekannt hat Fritz Mebus sein Amt
unparteiisch und völlig integer ausgeübt; allerdings hat er sich nach einer
Wahlperiode auch nicht mehr zur Verfügung gestellt; ein flexibler Politiker
oder Organisator taktischer Bündnisse oder verlässlicher Hausmachten war er
offenbar ebenfalls nicht. Ob sich diese beiden Fritzen näher gekannt haben, ist
mir nicht geläufig; allerdings ist das in dem damals noch überschaubareren Burscheid
anzunehmen. Sie hatten jedenfalls in Prof. Paul Luchtenberg einen auf beiden
Seiten engen Bekannten. Für mich ist der ideologisch unabhängige Fritz Mebus
ein deutlich seriöseres Vorbild als Fritz Halbach. Eine Straße könnte, aber
müsste man nicht nach ihm benennen. Aber ich hätte doch erhebliche
weltanschauliche Kopfschmerzen, wenn an den durch sein Werk eindeutig kompromittierten
Fritz Halbach eine Burscheider Straße erinnern würde, an den insoweit völlig
integren Fritz Mebus aber nicht.
Zur Mechanik des Bürgerentscheides:
Wie sind die Chancen?
Zunächst einmal:
Bürgerentscheide sind ein ganz
hervorragendes Mittel, Menschen für Politik zu interessieren und zu
politisch professionalisieren. Man lernt über Inhalte, über Prozeduren und über
thematische Vernetzungen und Interessen einfach am besten durch eigene
Beteiligung, in einem länger währenden, thematisch fokussierten Dialog mit
vielen Wiederholungen und Überschneidungen. Das ist wie im wirklichen Leben und
hinterlässt in jedem Fall mehr Erinnerungsspuren als ein in viele Farben und
Themen zersplitterter, plakativer bzw. Waschmittelwerbungs-artiger Wahlkampf
oder auch die i.d.R. eher klandestinen Aufstellungsprozeduren für
Wahlkandidaten. Bürger- bzw. Volksentscheide haben in aller Regel auch einen
Nutzen über das eigentliche Abstimmungsergebnis hinaus, mag auch die primäre
Entscheidung – wie auch hier – digital lauten: Ja = Straße behält Namen / Nein
= Straße wird umbenannt. Ein gutes Beispiel ist das nachhaltige Wirken der „Gruppe
Schweiz ohne Armee / GSoA“. Als zum ersten Mal vorgeschlagen worden
war, die Schweizer über ihre Armee abstimmen zu lassen, hat man den Initiatoren
intensivste psychiatrische Behandlung empfohlen, denn ebenso gut könnte
man im Vatikanstaat den Heiligen Vater zur Disposition stellen. Tatsächlich
gibt’s die Schweizer Armee auch heute noch. Aber über Sinn und Zweck und ihre
Finanzausstattung wurde über mehrere Monate in den Gaststuben, in der Eisen-
und Straßenbahn und an den Küchentischen erregt debattiert – und als
verteidigungspolitische Folge davon wurde ein Drittel des Etats eingespart. Es
gab noch mehrere ähnlich gelagerte Referenden – und gerade noch am 18.5.2014
lehnten die Schweizer Bürger mehrheitlich die geplante Beschaffung
von 22 Kampfflugzeugen ab! Bürgerentscheide können natürlich auch – und das
tun sie praktisch immer aus der Sicht eines wesentlichen Teils der Beteiligten
– „falsch“ ausgehen; so würden wir vermutlich aus der Sicht der deutschen
Debatte mehrheitlich die Schweizer
Entscheidung zum Bauverbot für Minarette a.d.J.2009 bewerten, bei
der übrigens in vier französischsprachigen
Kantonen keine Mehrheit erzielt
wurde. Nur: Auch solche unbequemen Ergebnisse sind statistisch einzukalkulieren
und sind in jedem Fall ein Lackmus-Test für Strömungen, die die Politik und
öffentliche Debatte bisher nicht ausreichend adressiert hat; sie sind der Preis
für eine insgesamt höhere politische Beteiligung der Bürger – und sie sind ja
in aller Regel auch im Zeitverlauf überprüfbar und ggf. korrekturfähig.
Zur Rechtsgrundlage und
zur Technik des Bürgerbescheides und zu den Aussichten und Prognosen im
Einzelfall „Fritz Halbach“: Maßgeblich ist § 26
der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung, den ich zur
Vereinfachung hier auszugsweise wiedergebe:
(Abs. 4)
Ein Bürgerbegehren muss in Gemeinden bis 20.000 Einwohner von 9 % der Bürger unterzeichnet sein.
Ein Bürgerbegehren muss in Gemeinden bis 20.000 Einwohner von 9 % der Bürger unterzeichnet sein.
(Abs. 7)
Bei einem Bürgerentscheid kann über die gestellte Frage nur mit Ja oder Nein abgestimmt werden. Die Frage ist in dem Sinne entschieden, in dem sie von der Mehrheit der gültigen Stimmen beantwortet wurde, sofern diese Mehrheit in Gemeinden mit bis zu 50.000 Einwohnern mindestens 20 Prozent der Bürger beträgt.
Bei einem Bürgerentscheid kann über die gestellte Frage nur mit Ja oder Nein abgestimmt werden. Die Frage ist in dem Sinne entschieden, in dem sie von der Mehrheit der gültigen Stimmen beantwortet wurde, sofern diese Mehrheit in Gemeinden mit bis zu 50.000 Einwohnern mindestens 20 Prozent der Bürger beträgt.
(Abs. 8)
Der Bürgerentscheid hat die Wirkung eines Ratsbeschlusses. Vor Ablauf von zwei Jahren kann er nur auf Initiative des Rates durch einen neuen Bürgerentscheid abgeändert werden.
Der Bürgerentscheid hat die Wirkung eines Ratsbeschlusses. Vor Ablauf von zwei Jahren kann er nur auf Initiative des Rates durch einen neuen Bürgerentscheid abgeändert werden.
Die 9% des Vorverfahrens / Bürgerbegehrens gemäß Abs. 4 liegen vor; der Rat hat nicht abgeholfen und die Einleitung des Bürgerentscheides beschlossen. Also: Wenn nun am 22. Juni (1) 20% der
wahlberechtigten Burscheider/innen mit „Ja“ stimmen und nicht (2) noch mehr
Nein-Stimmen abgegeben werden, ist der Bürgerentscheid gemäß Abs. 7 erfolgreich und die
Straße wird weiterhin den Namen „Fritz-Halbach-Straße“ tragen. Was genau sind
diese magischen 20% und wie stehen sie in Verhältnis zur Zahl der Stimmen
während des vorauslaufenden Bürgerbegehrens, das den Bürgerentscheid
eingeleitet hat? Die Stadt Burscheid geht in ihrer Presseinformation
v. 26.5.2014 von „ca. 15.000 Wahlberechtigten“ aus; die erste Latte liegt
also bei ca. 3.000 Ja-Stimmen. Zum
Vergleich: Die Initiatoren geben an, im Rahmen des Bürgerbegehrens bereits über 2.000 Stimmen gesammelt zu haben,
von denen die Stadt Burscheid sodann 1.683
als formgültig anerkannt hat, siehe hier.
Auch angesichts der lt.
Initiative recht kurzen Zeit der Sammlung der Unterstützerstimmen von drei Wochen
(siehe Schreiben
der Initiative an den Gemeinderat, wohl aus dem Januar 2014) sollte man
als realistisch möglich einkalkulieren, dass das 20%-Quorum erreicht oder
überschritten werden kann. Für nicht selbstverständlich halte ich ferner,
dass eine gleich große oder noch größere Zahl von Bürger/innen aktiviert werden
kann, die einen Straßennamen „Fritz-Halbach“ für die Zukunft ablehnen.
Auch wäre es recht verwunderlich, wenn für den Bürgerentscheid insgesamt mehr
als 40% der Wahlberechtigten mobilisiert werden könnten – das wäre ja die
Größenordnung von Gemeinderats- oder Bürgermeister-Wahlen. Also lautet meine
Prognose: Mehr als 20% Befürworter sind jedenfalls nicht auszuschließen. Und
eine dann noch höhere Zahl von Nein-Stimmen würde mich hinsichtlich des
Wirkungsgrades von neuen Formen direkter Demokratie sehr, sehr erstaunen,
positiv erstaunen. Folgerung: Wer immer zehn Nachbarn mit in die vier
Wahllokale (Friedrich-Goetze-Hauptschule / Grundschule Dierath /
Ernst-Moritz-Arndt-Schule / Freie Evangelische Gemeinde Dierath) schleifen
kann, der sollte das tun. Egal, wie sie / er abstimmen will. Das Ergebnis
ist umso tragfähiger und auch leichter zu ertragen, je mehr Bürger/innen den
Bürgerentscheid als relevant ansehen.
Und nach der Abstimmung
werden in jedem Fall Lehren zu ziehen sein – die wichtigste wird sein, wie
offen Burscheid mit seiner spezifischen lokalen Geschichte umgehen will.
Abschließend: Das vermittelnde Zusatzschild
Die Befürworter der
Initiative hatten kurz vor dem Ratsbeschluss über einen Bürgerentscheid noch
eine Art Kompromissvorschlag
unterbreitet: Nämlich den Straßennamen beizubehalten, aber ein (neues)
Zusatzschild anzubringen, das "Hinweise auf den Heimatdichter Fritz
Halbach, aber auch auf die Tatsache, dass er wegen anderer Texte und seiner
grundsätzlichen Haltung während des Nationalsozialismus mittlerweile umstritten
ist, enthalten würde." Vorschläge zum konkreten Inhalt hat die
Initiative leider nicht bekannt gemacht. Darum hier die nach dem unstrittigen Gutachten
konsequente Fassung. Sie ergänzt das auf dem obersten Blog-Bild bereits erkennbare derzeitige Zusatzschild ein wenig (meine Zufügung hier in rot formatiert):
Fritz - Halbach - Straße
Fritz Halbach *1879 +1942
Rassist, Feind der Demokratie und Heimatdichter
Ehrlich: In einer solchen Straße wollte ich nicht wohnen!
Fritz Halbach *1879 +1942
Rassist, Feind der Demokratie und Heimatdichter
Ehrlich: In einer solchen Straße wollte ich nicht wohnen!
Printstop News / Nachtrag 19.6.2014 - Jetzt geht's um die Wurst!
Ich werde gerade auf
ein Faltblatt aufmerksam gemacht, das die Initiatoren des Bürgerbegehrens vor
Kurzem einem Anzeigenblatt beilegen ließen. Es ist im Wortlaut auch unter „Aktuelles“
auf der Halbach-Internetseite greifbar: http://www.fritz-halbach-strasse.de/html/begruendungen-017.html
Hier schlagen sie frei nach dem Motto „Was geht uns unser Geschwätz von gestern an?“ kurz vor dem
Bürgerentscheid eine ganz neue Tonart an. Laut der „Begründung der Befürworter“
aus dem Januar 2014 sind die Befunde des Nonn-Gutachtens selbst unstrittig und nur die Folgerungen sind andere, etwa mit der
Begründung „Es muss [mit der Aufarbeitung der nationalsozialistischen
Vergangenheit] doch endlich mal genug sein.“, http://www.fritz-halbach-strasse.de/html/begruendungen-01.html. Dort hatte es noch ganz unmissverständlich geheißen: „Bevor ich mit der Erläuterung beginne,
möchte ich klarstellen, dass das vorliegende Gutachten von uns keineswegs in Frage
gestellt wird und auch niemals in Frage gestellt wurde.“
In dem auf der Zielgerade lancierten Faltblatt macht die Initiative
aus ihrem Herzen nun keine Mördergrube mehr: Der Gutachter selbst wird durch
stetige Wiederholung des Refrains „Dennoch:
Gutachter Nonn ist ein renommierter Forscher“ bzw. “Dennoch: Gutachter Nonn gilt als neutraler Historiker / Forscher“
lächerlich gemacht und systematisch demontiert, nachdem ihm jeweils angebliche Mängel
seiner Analyse unterschoben werden. Der Kern der Vorwürfe lautet: Bis auf ein
Werk hätten alle Schriften Halbachs nur kleine Auflagen erreicht - weswegen er gar
kein Wegbereiter nationalsozialistischen Denkens sein könne. Der braune Pöbel,
der seinerzeit die Menschen unserer Stadt terrorisiert habe, habe Halbach, den ‚Wegbereiter
der Nazis’ ganz sicher nicht gelesen. Und die sehr menschlichen, gütigen Seiten
Halbachs habe man nicht ausreichend in Rechnung gestellt.
Diese Argumentation ist extrem vordergründig: Das Gutachten hat sich
sehr nachvollziehbar bemüht, eben nicht lediglich Zuschreibungen und etwaige
Vereinnahmungen durch Dritte – z.B. die NSDAP – zu beachten, sondern gerade auch originale Aussagen von Fritz Halbach. Dieser hatte übrigens in den mit abgedeckten Zwanziger
Jahren seine Vierzig bereits überschritten, konnte also auch nicht mehr als
jugendlicher Heißsporn gelten. Gerade wegen der damals höheren Bedeutung
gedruckter Texte ist der Wirkungsgrad auch nicht etwa geringer als heute anzusetzen,
sondern eher intensiver. Wenn – wofür noch stramme Beweise zu erbringen wären – Halbach
für seine persönliche Karriere etwas anderes geschrieben hätte, als er tatsächlich meinte,
dann würde ihn das m.E. heute nicht geläuterter und integrer dastehen lassen, ganz im Gegenteil: als völlig gewissenlosen Hetzer und Streber auf Kosten von Leib und Leben vieler anderer. Und die am weitesten von der Realität entfernte Einschätzung ist
diejenige, es wäre ein unkultivierter Pöbel gewesen, der zwischen 1933 und 1945
Burscheid (und Deutschland) terrorisiert habe, Schriftsteller wie Halbach hätten damit nichts zu tun. Jedem, der hier klarer sehen will, empfehle ich die
ultimative Lobhudelei, die zu Fritz Halbachs 60. Geburtstag in der „BergischenHeimat“ erschienen ist – kein Blatt des Pöbels, sondern des Bürgertums und auch keine
vernachlässigbare Auflage – und die einem heute die Nackenhaare
in die Höhe treibt. Was für eine romantische Geschichte: Der Nationalsozialismus habe sich
außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Herrenzimmer entwickelt! Und sicher tröstlich für
so viele Menschen der Mitte, die sich fremdenfeindliche Bewusstseinszustände überhaupt nicht vorstellen
können.
Aber ein grundfalsches Ammenmärchen. Wer sich einmal richtig gruseln möchte über den sehr frühen Schulterschluss des kultivierenden Bürgertums mit den Nationalsozialisten, auch staatenübergreifend, der lese einmal die Geschichte vom amerikanischen Militärattaché Truman Smith und dem kunstsinnigen Verleger Ernst Franz Sedgwick Hanfstaengl, der Hitler in den Goldenen Zwanzigern sehr gewinnbringend in die Münchner Schickeria einführte und dessen Frau einen - nach dem im Fiasko geendeten Marsch auf die Feldherrnhalle - völlig destabilisierten Hitler knapp vor dem Selbstmord bewahrte.
Abschließend noch ein lesenswertes Interview, in dem der Gutachter sehr nüchtern auf aktuelle Anwürfe der Initiatoren des Bürgerbegehrens reagiert. Und ein Leserbrief, den der Stadt-Anzeiger am 21.6. abdruckte; er fasst meine Position ganz brauchbar als Resümee zusammen:
showdown
Ein erstes Ergebnis nach Schluss der Wahllokale um 18h: Im Wahllokal Burscheid-Dierath haben 179 Bürger/innen abgestimmt, davon 55 für den bisherigen Straßennamen, 124 dagegen. Wenn dies nur halbwegs repräsentativ ist, dann ist das Bügerbegehren gescheitert und die Straße sucht einen neuen Namen. Glückwunsch an Burscheid und seine Kultur! Aber Dank auch an alle, die den Volksentscheid vor und hinter den Kulissen möglich gemacht uns unterstützt haben, gerade auch am Sonntag in den Wahllokalen. Und - auch wenn es dort vielleicht am wenigsten erwartet wird - Anerkennung auch für die Initiatoren. Das Ziel habe ich zwar nicht geteilt, aber es ging neben eigenen Interessen in jedem Fall auch um eine öffentliche Angelegenheit. Eigene Interessen gehören zu jedem politischen Engagement und für die Halbach-Initiative und ihre öffentliche Debatte haben die Betreiber Zeit, Geld und Kreativität aufgebracht. Das ist, finde ich, demokratisch betrachtet auch ein Fortschritt und besser, als Politik nur zu konsumieren oder abfällig zu kommentieren. Ich hoffe, dies war nicht auch schon gleich der letzte Burscheider Versuch in direkter Demokratie.
Und hier nun das amtliche Endergebnis: http://wahlen.citkomm.de/bebursch14/05378008/index.htm
Danach wurde bereits das Quorum für die Gültigkeit des Bürgerentscheides (leider, möchte ich sagen) nicht erreicht, die Wahlbeteiligung blieb mit 16,5% ein Stück unter der 20%-Hürde. Immerhin ergab sich auch dabei eine knappe Mehrheit gegen die Beibehaltung des umstrittenen Namens = für die vom Rat geplante Neubenennung (52,1% zu 47,9%).
Genaues Hinschauen offenbart dann aber auch eine signifikante Polarisierung zwischen den beiden Stadt-Teilen Burscheid-Hilgen (Ort der umstrittenen Straße) und Alt-Burscheid auf der anderen Seite der Autobahn: In den beiden Hilgener Wahllokalen gab es deutlich höhere und sogar mehrheitliche Unterstützungs-Raten von 64% (Ernst-Moritz-Arndt-Schule, nahe daran liegt die betreffende Straße) und 53% (Freie Evangelische Gemeinde, etwas weiter entfernt), bei allerdings auch dort möglicherweis ebenfalls insgesamt nicht ausreichender Wahlbeteiligung (wegen der Briefwahl nicht ganz exakt zuordnen). Jedenfalls ist es eine derzeit mögliche Interpretation: Hilgen hätte "seine" Straße wohl erfolgreich verteidigt: Denn wenn man in einer Simulation die Briefwahlstimmen proportional der direkten Stimmabgabe verteilt - und das ist zumindest eine schlüssige Annahme - dann ergibt sich für die Hilgener Wahllokale eine Wahlbeteiligung von (natürlich nur lokal) ausreichenden 21% bei einer Zustimmungsrate von 58%. Zu den politischen Konsequenzen müssen daher nun auch merkbare vertrauensbildende Maßnahmen gehören, damit sich die ohnehin traditionelle Polarität in ein Burscheid links und rechts der Autobahn nicht noch weiter verstärkt. Sondern konstruktiv gesenkt wird.
Das Ende der Geschichte: Etwas ungereimt, aber innovativ
Der Stadt-Anzeiger berichtet am 24.9.2014: Am Vortag hatte der Burscheider Kulturausschuss einstimmig dem neuen Straßennamen "Am grünen Steg" zugestimmt, wie er im Rahmen der vorausgegangenen Bürgerbeteiligung mehrheitlich unterstützt und sodann von der Verwaltung förmlich vorgeschlagen worden war. Ein wenig seltsam mutet an, dass sich hierbei dann noch ein Lesefehler durchgesetzt hat. Historisch verbürgt ist nämlich ein anderer Name - "Am grünen Weg", dies hatten auch die GRÜNEN am Ende vergeblich eingewandt. Nun: Die Maschinerie war halt in eine andere Richtung angeworfen worden und ganz ohne Widerspruch konnte man nicht mehr herauskommen. Also haben wir nun etwas völlig Neues. Und: Innovation ist ja auch ein Wert, gerade bei dieser schrägen und quälend langen Vorgeschichte ;-)
Abschließend noch ein lesenswertes Interview, in dem der Gutachter sehr nüchtern auf aktuelle Anwürfe der Initiatoren des Bürgerbegehrens reagiert. Und ein Leserbrief, den der Stadt-Anzeiger am 21.6. abdruckte; er fasst meine Position ganz brauchbar als Resümee zusammen:
"Nachvollziehbar,
dass gerade Anlieger gegen eine geplante Straßenumbenennung Sturm laufen: Eine
Adresse gehört wie die Dinge, die man gewöhnlich mit sich herumträgt, zur
erweiterten Identität. Und es mag wie ein Willkürakt einer fernen Exekutive
wirken, wenn ein 50jähriger status quo
plötzlich verändert werden soll. Aber der Name Fritz Halbach gehört eben nicht
der Straße allein und auch nicht allen Freunden der Heimatdichtung. Hinter
personalisierten Straßennamen erwartet jeder ein Vorbild. Das mag nicht
fehlerfrei sein und kann sehr menschlich sein, aber Persönlichkeit, Individualität
und Integrität müssen doch vorherrschen, und zwar in Nachkriegs-Währung. Was
aber wäre es für ein Vorbild, wenn das Schild als biografische
Zusatzinformation erläutern müsste: „Antisemit der ersten Stunde und
Heimatdichter“?
Für
mich persönlich wäre zudem schwer verständlich, dass der erste gewählte
Nachkriegsbürgermeister Burscheids schlechter wegkommen sollte: Fritz Mebus hat
dem genannten Maßstab mehr als genügt, hat über die gesamte Zeit des
Nationalsozialismus seine bürgerlich-liberale Einstellung offen getragen. Wenn
es einen Fritz braucht, dann genau einen solchen.
showdown
Ein erstes Ergebnis nach Schluss der Wahllokale um 18h: Im Wahllokal Burscheid-Dierath haben 179 Bürger/innen abgestimmt, davon 55 für den bisherigen Straßennamen, 124 dagegen. Wenn dies nur halbwegs repräsentativ ist, dann ist das Bügerbegehren gescheitert und die Straße sucht einen neuen Namen. Glückwunsch an Burscheid und seine Kultur! Aber Dank auch an alle, die den Volksentscheid vor und hinter den Kulissen möglich gemacht uns unterstützt haben, gerade auch am Sonntag in den Wahllokalen. Und - auch wenn es dort vielleicht am wenigsten erwartet wird - Anerkennung auch für die Initiatoren. Das Ziel habe ich zwar nicht geteilt, aber es ging neben eigenen Interessen in jedem Fall auch um eine öffentliche Angelegenheit. Eigene Interessen gehören zu jedem politischen Engagement und für die Halbach-Initiative und ihre öffentliche Debatte haben die Betreiber Zeit, Geld und Kreativität aufgebracht. Das ist, finde ich, demokratisch betrachtet auch ein Fortschritt und besser, als Politik nur zu konsumieren oder abfällig zu kommentieren. Ich hoffe, dies war nicht auch schon gleich der letzte Burscheider Versuch in direkter Demokratie.
Und hier nun das amtliche Endergebnis: http://wahlen.citkomm.de/bebursch14/05378008/index.htm
Danach wurde bereits das Quorum für die Gültigkeit des Bürgerentscheides (leider, möchte ich sagen) nicht erreicht, die Wahlbeteiligung blieb mit 16,5% ein Stück unter der 20%-Hürde. Immerhin ergab sich auch dabei eine knappe Mehrheit gegen die Beibehaltung des umstrittenen Namens = für die vom Rat geplante Neubenennung (52,1% zu 47,9%).
Genaues Hinschauen offenbart dann aber auch eine signifikante Polarisierung zwischen den beiden Stadt-Teilen Burscheid-Hilgen (Ort der umstrittenen Straße) und Alt-Burscheid auf der anderen Seite der Autobahn: In den beiden Hilgener Wahllokalen gab es deutlich höhere und sogar mehrheitliche Unterstützungs-Raten von 64% (Ernst-Moritz-Arndt-Schule, nahe daran liegt die betreffende Straße) und 53% (Freie Evangelische Gemeinde, etwas weiter entfernt), bei allerdings auch dort möglicherweis ebenfalls insgesamt nicht ausreichender Wahlbeteiligung (wegen der Briefwahl nicht ganz exakt zuordnen). Jedenfalls ist es eine derzeit mögliche Interpretation: Hilgen hätte "seine" Straße wohl erfolgreich verteidigt: Denn wenn man in einer Simulation die Briefwahlstimmen proportional der direkten Stimmabgabe verteilt - und das ist zumindest eine schlüssige Annahme - dann ergibt sich für die Hilgener Wahllokale eine Wahlbeteiligung von (natürlich nur lokal) ausreichenden 21% bei einer Zustimmungsrate von 58%. Zu den politischen Konsequenzen müssen daher nun auch merkbare vertrauensbildende Maßnahmen gehören, damit sich die ohnehin traditionelle Polarität in ein Burscheid links und rechts der Autobahn nicht noch weiter verstärkt. Sondern konstruktiv gesenkt wird.
Das Ende der Geschichte: Etwas ungereimt, aber innovativ
Der Stadt-Anzeiger berichtet am 24.9.2014: Am Vortag hatte der Burscheider Kulturausschuss einstimmig dem neuen Straßennamen "Am grünen Steg" zugestimmt, wie er im Rahmen der vorausgegangenen Bürgerbeteiligung mehrheitlich unterstützt und sodann von der Verwaltung förmlich vorgeschlagen worden war. Ein wenig seltsam mutet an, dass sich hierbei dann noch ein Lesefehler durchgesetzt hat. Historisch verbürgt ist nämlich ein anderer Name - "Am grünen Weg", dies hatten auch die GRÜNEN am Ende vergeblich eingewandt. Nun: Die Maschinerie war halt in eine andere Richtung angeworfen worden und ganz ohne Widerspruch konnte man nicht mehr herauskommen. Also haben wir nun etwas völlig Neues. Und: Innovation ist ja auch ein Wert, gerade bei dieser schrägen und quälend langen Vorgeschichte ;-)