Kundus 2009: Lerne zu schlagen, ohne zu haften
1. Die Rahmenbedingungen meines Post: Ich bin
gerade in Linköping, Schweden, besuche meinen Sohn, der hier i.R. eines
Auslandssemesters studiert, lese als Reiselektüre rein zufällig Ferdinand von
Schirachs „Der Fall Collini“ und vor einigen Tagen (6.10.2016) hat der
Bundesgerichtshof seine Entscheidung in Sachen Opferentschädigung für die
Geschädigten und Hinterbliebenen nach der Tanklaster-Katastrophe
am 4.9.2009 am Kundus getroffen.
Die aktuelle BGH-Entscheidung hat
einiges Aufsehen erregt, da sie im Unterschied zu vorangegangenen Urteilen eine
staatliche Verantwortung gegenüber zivilen Opfern militärischer Einsätze
rundheraus verneint, damit für operative Einzelentscheidungen nun weitestgehend
(rücksichts-)freie Hand gewährt. Veröffentlicht ist Entscheidung –
erstaunlicherweise – noch nicht, aber man darf annehmen, dass die in der
Pressemittelung Nr.
176/2016 des BGH v. 6.10.2016 genannten Argumente die wesentlichen sind:
(1) Bei
Militäreinsätzen entsteht kein Ersatzanspruch
von geschädigten Zivilisten (noch weniger dann wohl gegnerischer Soldaten
oder paramilitärischer Kräfte) gegen den deutschen Staat. Technisch gesprochen:
Für militärische Amtspflichtverletzungen gibt es keinerlei Haftung nach § 839 Abs. 1 S. 1 BGB
in Verbindung mit Art.
34 S. 1 unserer Verfassung.
(2) Schadensersatzansprüche
stehen allenfalls dem Heimatstaat
der Geschädigten, Getöteten bzw. Hinterbliebenen zu und nur dieser dürfte, wenn er so entscheidet, Ansprüche
gegenüber der Bundesrepublik geltend machen bzw. einklagen.
(3) Würde
man unmittelbare Ansprüche der Geschädigten zulassen, so würde man wegen der
dann etwa auch der Bundesrepublik zuzurechnenden pflichtwidrigen Handlungen von
Bündnispartnern kaum eingrenzbare
Haftungsrisiken begründen, damit auch die Bündnisfähigkeit
in Frage stellen.
(4) Es
sei nicht Aufgabe der Gerichte, Geschädigten
Ausgleichsansprüche zuzubilligen; auch wegen der Folgen für den deutschen Staatshaushalt
wäre dies Sache des Parlaments,
genauer des Gesetzgebers.
(5) In
jedem Fall habe der verantwortliche Offizier alle zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen genutzt und dabei
etwaige zivile Schäden nicht
vorausgesehen, habe damit völkerrechtlich zulässig gehandelt.
2. Zunächst zurück zu meiner Urlaubslektüre:
Ferdinand von Schirachs „Collini“ beschreibt den teil-fiktiven Fall des
Hinterbliebenen einer brutalen deutschen „Sühne-Maßnahme“ gegen italienische
Zivilisten im ausgehenden Zweiten Weltkrieg in der Nähe Genuas. Massaker dieser
Art haben die Gerichte immer wieder beschäftigt, sei es nach „sühnenden“, aber
eigentlich präventiven Massakern in Griechenland, Frankreich oder eben Italien.
Die Opfer bzw. ihre Hinterbliebenen hatten und haben vor deutschen Gerichten
durchgehend einen schlechten Stand.
Zivile Opfer, neudeutsch auch
„collateral damages“ haben auch die deutschen bzw. alliierten Auslandseinsätze
nach der Zeitenwende zu Beginn der Neunziger Jahre begleitet. Wir wissen
darüber aber eher zufällig; offizielle Stellen dokumentieren dies – im
Gegensatz zu eigenen
militärischen Verlusten – nach meinem Wissen nicht. Auch gab und gibt es zwar immer wieder eine Debatte um das angemessene
Erinnern an Gefallene deutscher Auslandseinsätze – für ein Denkmal für zivile Opfer ist es aber
wohl noch Jahrzehnte zu früh. Auch Gedächtnisstätten für die Opfer von
Holocaust bzw. die Shoa und für weitere Opfer der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft brauchten viel Zeit und teils sehr irritierende Debatten.
Ein paar Opfer sind mir immerhin
namentlich bekannt und können auch als eine nach Erdteilen stellvertretende
Auswahl gelten:
Der
junge Somali
FARAH ABDULLAH
† 22.1.1994 BEI BELET HUEN,
FARAH ABDULLAH
† 22.1.1994 BEI BELET HUEN,
die
serbische Schülerin
SANJA MILENKOVIĆ
† 30.5.1999 BEI VAVARIN,
SANJA MILENKOVIĆ
† 30.5.1999 BEI VAVARIN,
die
afghanische Mutter
BIBI KHANUM
† 28.8.2008 MIT ZWEI KINDERN BEI KUNDUS.
BIBI KHANUM
† 28.8.2008 MIT ZWEI KINDERN BEI KUNDUS.
Farah Abdullah stirbt – möglicherweise aufgrund eines beiderseitigen
Missverständnisses – nachts bei der Bewachung des deutschen Feldlagers bei
Belet Huen; er ist soweit bekannt das erste zivile Opfer eines deutschen
Auslandseinsatzes, damals im Zusammenhang mit der am Ende fehlgeschlagenen
Operation UNOSOM
II. Bibi Khanum wird gemeinsam
mit zweien ihrer Kinder an einer deutschen Straßen-Kontrollstelle in der Nähe
von Kundus erschossen, im Rahmen der Sicherheits- und Wiederaufbaumission ISAF
und ca. ein Jahr vor der Bombardierung der Tanklaster an der Kundus-Furt. Sanja Milenković ist diejenige, die
ganz offenbar dem BGH Anlass zu seinen nunmehrigen Erwägungen zur ggf.
überwältigenden Mithaftung für Bündnispartner gegeben hatte: Sie stirbt, als
ein amerikanischer Kampfjet im Zuge der OPERATION ALLIED
FORCE / OAF gegen die Bundesrepublik Jugoslawien eine Brücke angreift, über
die am helllichten Tage gerade der (zivile) Omnibus mit u.a. der serbischen Schülerin
fährt. In seiner Entscheidung
v. 28.7.2005, Az. II ZR 190/05 hält der BGH in solchen Fällen noch die
grundsätzliche Ersatzpflicht bei militärischen Amtspflichtverletzungen für
immerhin möglich, weist die damalige Klage aber mangels unmittelbarer Beteiligung
deutscher Militärs ab. Im Falle Bibi Khanum handelt die Bundeswehr – wie vorher
bereits bei dem jungen Somali Farah Abdullah – mit den Familienclans ein so
genanntes Blutgeld
aus und kann den schicksalhaften Vorfall danach offenbar auf sich beruhen
lassen.
3. Wenn man der aktuellen BGH-Entscheidung
folgt, so haftet unser Staat nicht
für zivile Schäden, die er am Rande seiner Militäreinsätze herbeiführt, seien
es Vermögensschäden oder gar Gesundheitsschäden, bis hin zum Tod. Keine Rolle
spielt dabei, ob die Gefahr schuldhaft verursacht war, etwa auch bei Außerachtlassen
dessen, was sich jedem Bürger unmittelbar aufgedrängt hätte, also selbst bei
grober Fahrlässigkeit. Beschwichtigend fügt er noch hinzu, dass im Vorfeld der
Bombardierung von zwei Tanklastern in einer Kundus-Furt ohnehin kein
Verschulden hätte erkannt werden können.
Im Einzelnen:
Völkerrecht
Nach Ansicht des Gerichtshofs gibt
es (Zitat) „nach wie vor keine allgemeine Regel des Völkerrechts, nach der dem
Einzelnen bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht ein Anspruch auf
Schadensersatz oder auf Entschädigung zusteht.“ Bemerkenswert ist zunächst das „nach
wie vor“, es sagt ja so etwas wie „noch immer“ und deutet eine eigentlich schon
sichtbare gegenläufige Entwicklung an, von der man sich noch auf einige Zeit abzugrenzen
bemüht. Die andere und höchst vitale Entwicklung ist das seit Jahrzehnten
zunehmende Gewicht individueller Rechte gegenüber den Rechten des souveränen Staates,
wie es sich etwa in der auch von deutscher Seite häufig zitierten Doktrin der „Responsibility to
protect“, aka R2P oder Schutzverantwortung manifestiert, auf das die
Bundesregierung auch nach aktueller Positionierung
setzt..
Darum halte ich die Argumentation
des BGH, die offenbar eine prozessbegleitende Stellungnahme der Bundesregierung
aufnimmt, an dieser Stelle für sehr signifikant und für widersprüchlich, geradezu
für ein „venire
contra factum proprium“: Die individuellen Rechte werden typischerweise
zitiert und genutzt, um ein Eingreifen gegen eine bestehende, aber negativ
bewertete Staatsmacht zu legitimieren und damit zumeist auch einen nachfolgenden
„regime change“
herbeizuführen, gerade aber nicht,
wenn es um das Verletzen individueller Rechte durch die intervenierenden Staaten selbst geht.
Ich halte eine solche
Argumentation für umso widersprüchlicher, als das Grundgesetz den Schutz der
individuellen Rechte nach der Erfahrung der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in einem hoch differenzierten ersten Abschnitt programmatisch vorangestellt
hat und durch rechtsstaatliche Gewähr wie in Art. 19 Abs. 1 bis 4GG
und Art. 20
Abs. 3 und 4 GG zusätzlich abgesichert hat. Dass der Pflicht zur Wahrung existentieller
Rechte gegenüber Menschen anderer
Nationen geringer gelten würde –
denen man das Verhalten der deutschen Exekutive noch nicht einmal über eine
Wahlhandlung als mitbestimmt zurechnen könnte – das kann und will ich mir nicht
vorstellen. Gerade nicht nach den Erfahrungen vor 1945. Im Gegensatz zum BGH
halte ich daher ein individuelles Klagerecht von Menschen, die durch
schuldhafte Handlungen im Zusammenhang mit deutschen Auslandseinsätzen zu
Schaden kommen, für sach- und zeitgerecht und geradezu durch das Grundgesetz
gerechtfertigt. Sollte Deutschland damit anderen Nationen vorausgehen, wäre das
kein im schlechten Sinne vereinzelnder Weg, sondern ein historisch
verantwortliches Zeichen – Avantgarde
im besten Verständnis.
Amtshaftung
xxx
Finanzen und Bündnisrisiken
Eines der interessantesten
Argumente zielt auf die Finanzkraft des deutschen Staates: Eine solche Haftung
könne Deutschland überfordern, gerade wenn es im Verbund mit anderen Nationen
eingreife.
W I R D F O R T G E S E T Z T
Mein Leserbrief v. 11.10.2016 an die Süddeutsche Zeitung,
freundlicherweise abgedruckt am 17.10.2016, S. 15
Sehr geehrte Damen und Herren,
zum Kommentar von Wolfgang
Janisch „Deutschland mag nicht haften“ in der Süddeutschen vom 7.10.2016,
S. 1 u. 4:
Sehr, sehr richtig: Deutschland will
partout nicht haften. Aber nach unserer Verfassungsgeschichte und Werteordnung
dürften wir das staatliche Verletzen elementarer Menschenrechte gar nicht
ausblenden. Oder uns gar damit herausreden, solche Ansprüche mögen doch bitte
nach überkommenem Brauch auf diplomatischem Wege von einer Landesregierung
vorgetragen werden. Einer Regierung, die de facto von uns abhängig ist, ja fast
einen Satrapen-Status hat und schon auf verlorenem Posten kämpft.
Der Bundesgerichtshof
argumentiert in seiner Pressemitteilung: Bei der in wilhelminischer Zeit
formulierten Amtshaftungsvorschrift habe der Gesetzgeber nicht an Haftung für
Kriegshandlungen gedacht; auch bis zum Ende der Nazizeit wäre niemand auf eine
solche kühne Idee gekommen! Da hat er wohl Recht. Aber will ich mich denn überhaupt
an der von 1870 bis 1945 herrschenden Denke orientieren? Nein. Ich will einen
zeitgemäßen, wirksamen Schutz der Menschenrechte, von Inländern wie Ausländern,
und zwar unter Abwägung der Rechte, die durch militärische Einsätze geschützt
werden sollen und solcher, die eben dadurch geschädigt werden können. Am besten
nach Maßgabe von Art. 19 unserer Verfassung, unserer rechtsstaatlichen
Lektion nach entfesselter mörderischer Staatsgewalt. Das hieße hier, die
erlaubten Einsatztatbestände vorhersehbar, überprüfbar und abschließend zu
normieren.
Solange es das noch nicht gibt,
sollten wir mindestens für die humanitären Schäden unseres Handelns einstehen
müssen. Krieg ist teuer, Kriegsfolgen auch – wobei die Opferentschädigung noch
den allergeringsten Teil ausmacht. Das sollten wir sorgsam einplanen und
finanzieren müssen. Und wenn wir mit Kameraden, Kumpanen oder Spießgesellen aus
anderer Herren Länder ins Feld ziehen, dann sollten wir von vornherein wissen
und einkalkulieren: Wir haften auch für das mit, was diese pexieren. Denn in
der Gruppe Unrecht zu tun, das ist üblicherweise kein tauglicher
Entschuldigungsgrund.
Mit freundlichen Grüßen
K. U. Voss
K. U. Voss
Quelle:
BGH-PM Nr. 176/2016 zur Entscheidung v. 6.10.2016, Az. III ZR 140/15 = http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=2016&nr=75299&linked=pm&Blank=1
BGH-PM Nr. 176/2016 zur Entscheidung v. 6.10.2016, Az. III ZR 140/15 = http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=2016&nr=75299&linked=pm&Blank=1
P.S.
Der Duktus der BGH-Entscheidung erinnert mit seiner „Genuss-ohne-Reue“-Anmutung und einer flankierenden, exkulpierenden Rolle der Diplomatie verdächtig an den von Kant karikierten Fürsten, der leichtfüßig und unbesorgt von Krieg zu Krieg eilt:
Der Duktus der BGH-Entscheidung erinnert mit seiner „Genuss-ohne-Reue“-Anmutung und einer flankierenden, exkulpierenden Rolle der Diplomatie verdächtig an den von Kant karikierten Fürsten, der leichtfüßig und unbesorgt von Krieg zu Krieg eilt:
Da hingegen in einer
Verfassung, wo der Unterthan nicht Staatsbürger, diese also nicht
republikanisch ist, es die unbedenklichste Sache von der Welt ist, weil das
Oberhaupt nicht Staatsgenosse, sondern Staatseigenthümer ist, an seinen Tafeln,
Jagden, Lustschlössern, Hoffesten u. d. gl. durch den Krieg nicht das mindeste
einbüßt, diesen also wie eine Art von Lustparthie aus unbedeutenden Ursachen
beschließen, und der Anständigkeit wegen dem dazu allezeit fertigen
diplomatischen Corps die Rechtfertigung desselben gleichgültig überlassen kann
(Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden, 1795, Erster Definitivartikel zum ewigen
Frieden: Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch seyn;
zitiert nach http://philosophiebuch.de/ewfried.htm
)