Mittwoch, 20. August 2025

Ratlose Kannibalen am Mittelrhein

 

Ratlose Kannibalen am Mittelrhein

Der Kölner Stadt-Anzeiger berichtet am 19.8.2025 über Ergebnisse einer aktuellen Untersuchung der Gemeineprüfungsanstalt zur Leverkusener Finanzkrise (Thomas Käding: „Wo Leverkusen nicht gut verwaltet wird“, Lokalausgabe Leverkusen v. 19.8.2025, S. 21). Der Artikel geht auch auf die Gewerbesteuer-Problematik ein und auf den in Leverkusen im Rahmen der Finanzkrise massiv abgesenkten Hebesatz: Der durchschnittliche Wert für kreisfreie Städte liegt bei 484 Punkten, Leverkusen ist nnun bei knapp der Hälfte angekommen, bei derzeit 250 Zählern. 

Das systemintelligente Ziel: Nach durch den Strukturwandel bedingten massiven Ausfällen bei den traditionell großen Betrieben und Gewerbesteuer-Zahlern will man nun als Ersatz möglichst viele kleine und mittlere Betriebe nach Leverkusen locken, und sei es auch núr in Leverkusener Briefkästen; für die kleinen Kästen braucht es ja auch recht wenig Infrastruktur. Ist das nun empfehlenswert, würde es - um den kategorischen Imperativ zu bemühen - als generelle Strategie eines Gemeinwesens oder als Norm taugen? Der Bericht lässt das elegant offen und zieht sich so aus der Affäre: 

"Eine Erhöhung des Hebesatzes könnte zusätzliche Einnahmen bringen, würde jedoch auch Unternehmen belasten, was sich nnegativ auf die lokale Wirtschaft auswirken könnte. Ein niedriger Hebesatz ist zwar unternehmerfreundlicher, könnte jedoch die finanzielle Stabilität der Stadt gefährden, die durch die Haushaltssperre und die Konsolidierungsmaßnahmen ohnehin unter Druck steht." (Zitat nach o.g. Artikel im KStA). 

Also: Es kann so sein oder auch so? Was bitte soll man aus dieser Indifferenz machen? Ich denke, die Gemeindeprüfungsanstalt hat die Problemstellung bei Weitem nicht ausgeleuchtet, speziell nicht den Handlungs- und Folgedruck, den ein massiv abgesenkter Hebesatz auf Nachbargemeinden ausübt - die sind vom Strukturwandel prinzipiell nicht weniger betroffen und müssen ebenso "ihr Buch rund kriegen".. 

Seit Jahrzehnten schwärt in unserer Region das Problem finanziell schwachbrüstiger, wenn nicht schwindsüchtiger Kommunen, die die Atemöffnung knapp über Wasser halten, typischerweise mit teuer eingeworbenen Fördermitteln des Bundes und/oder des Landes, mit dynamisch zunehmendem, natürlich nicht sozialversicherungspflichtigem Ehrenamt und mit lähmender Baisse bei den freiwilligen, d.h. bei den gestaltenden Aufgaben, insbesondere: Kultur. Bei Wahlen spielt dieses eigentlich erstrangige Thema dann aber verrückterweise keinerlei Rolle, nicht bei den gerade zurückliegenden Bundeswahlen, dito nicht bei den gerade laufenden Kommunalwahlen. Bei denen dann in Burscheid auch für mehr Ehrenamt geworben wird (sic!). Notwendig wäre eine grundlegend neue Steuer-Struktur, die die Kommunen an besser planbaren Steuerquellen beteiligt; keine nachhaltige Lösung wäre - das wird hier und da zaghaft ins Gespräch gebracht - eine Entschuldung der am ärgsten belasteten Kommunen. Und vermutlich müssten wir auch über Prioritäten bei den Bedarfen und Ausgaben des Gesamtstaates sprechen - Panzer vs. Energie vs.  Umwelt vs. Sozialausgaben vs. Schulen etc. Darum mein nachfolgender Leserbrief an den Stadt-Anzeiger:

Zur Gewerbesteuer offenbart die Gemeindeprüfungsanstalt erstaunliche Einsichten: Ein Erhöhen vom heutigen Leverkusener Mini-Niveau könne das Aufkommen erhöhen – oder aber die Wirtschaft zu sehr belasten. Na toll! Kein Wort dazu, dass das von Monheim vorgemachte und von Leverkusen unlängst nachgeahmte Steuer-Dumping die Nachbarschaft rücksichtslos kannibalisiert, dass es tendenziell zu immer niedrigeren Erträgen auf breiter Front führt. Und zu immer mehr Abhängigkeiten von Förderungen, zu sachfremden Einflussnahmen und zu cleveren Deals aller Art. Das ist die von dem Psychotherapeuten Paul Watzlawick genial beschriebene „Anleitung zum Unglücklichsein“ in der besonderen Ausprägung des „Mehr desselben“.

Seien wir ehrlich: Eine Abkehr der Gemeindefinanzierung von der Gewerbesteuer, die gerade in Zeiten des Strukturwandels hoch volatil und zu leicht zu manipulieren ist, sie ist seit Jahrzehnten überfällig. Aber weder Bundes- noch Landespolitiker wollen auf ihren komfortabel abgesicherten Teil der Staatsknete verzichten. Machen Sie mal die Probe auf’s Exempel: Fragen Sie in den kommenden vier Wochen Ihre Kommunalwahl-Kandidaten nach deren speziellen Initiativen zur nachhaltigen Gemeindefinanzierung. Fügen Sie vielleicht noch hinzu: Genau hier berühren die Bürgerinnen und Bürger den Boden. Und genau hier entscheidet sich, ob die bürgerliche Mitte sicher, zufrieden und stabil bleibt.

P.S.

Paul Watzlawick analysiert in seiner "Anleitung zum Unglücklichsein" eine Beharrlichkeit, die in immer weitere Verstrickung führt, treffend unter "Mehr desselben". Das Syndrom, das er ebenso einfühl- wie unterhaltsam beschreibt, ist das einer doppelten Blindheit:

"Erstens dafür, dass die betreffende Anpassung eben nicht mehr die bestmögliche ist, und zweitens dafür, dass es neben ihr schon immer eine Reihe anderer Lösungen gegeben hat, zumindest nun gibt. Diese doppelte Blindheit hat zwei Folgen: Erstens macht sie die Patentlösung immer erfolgloser und die Lage immer schwieriger, und zweitens führt der damit steigende Leidensdruck zur scheinbar einzig logischen Schlussfolgerung, noch nicht genug zur Lösung getan zu haben. Man wendet also mehr derselben "Lösung" an und erreicht damit genau mehr desselben Elends." (Paul Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein [1983], Piper: 4. Aufl. 2023, S. 27ff; unten folgend: das Frontispiz dieser Ausgabe).


 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen