Mittwoch, 24. Juni 2009

23.6.2009: Haushalt im Hauptausschuss

Im Hauptausschuss (öffentlicher Teil) geht’s um die Gemeindefinanzen, und um die steht es bekanntlich mies, nicht erst seit gestern. Die Wirtschaftskrise wird nun den Abbau des städtischen Eigenkapitals noch weiter beschleunigen - und letztlich den politischen Gestaltungsspielraum weiter verkürzen: Die Mai-Steuerschätzung lasse verheerende Auswirkungen auf das karge kommunale Eigenkapital erwarten. Auf der Einnahmeseite brechen damit bereits jetzt eingeplante Zuflüsse weg. Und auf der Kostenseite? Da wird die Krise – einige Monate zeitversetzt und im Schwerpunkt über die Kreisumlage für Leistungen nach Sozialgesetzbuch / SGB II – auch bei den Sozialausgaben ankommen.



Auf die Frage aus dem Ausschuss, was denn passiere bzw. anders werde, wenn das Eigenkapital - eine zentrale Position im neuen Finanzmanagement der Kommunen - aufgezehrt sei, dies aller Voraussicht nach i. J. 2012? Ja, dann werde die Stadt halt „noch intensiver vor der Finanzaufsicht begleitet“. Nach dem 50-seitigen Leitfaden des Innenminsteriums v. 6.3.2009 zur Haushaltssicherung heißt das u.a.: Kommunale Investitionen nur noch mit Einzelfallgenehmigung, keine personalwirtschaftlichen Maßnahmen ohne rechtliche Verpflichtung, Kündigung aller laufenden Verträge, die ohne konkrete Rechtspflicht Kosten verursachen. Im Ausschuss wird mit einiger Frustration festgestellt, dass Burscheid nach Bewertung auch der Gemeindeprüfungsanstalt alles richtig gemacht habe und dennoch aus der Schuldenfalle nicht herauskomme, im Gegenteil immer tiefer hineingezogen werde. Ein kurzer Überschlag zeige die Situation: Bei Steuereinnahmen von insgesamt ca. 15 Mio. und unausweichlichen Transferleistungen i.H.v. 14,8 Mio. bliebe gerade einmal eine kommunale Manövriermasse von ca. 200 T€! Bei Licht betrachtet müsse man sich auch jede Hoffnung auf eine Finanzreform abschminken. Denn wer könnte uns – bei dem Zustand von Landes- und Bundesfinanzen – noch irgendetwas abgeben? Ein Hinweis aus dem Ausschuss auf § 75 Abs. 7 Gemeindeordnung, wonach Gemeinden die Überschuldung verboten ist, zeigt hier schon eher Galgenhumor. Eher lakonischer als fatalistischer Kommentar eines alten Fahrensmanns: „Dann nehmen wir das zur Kenntnis und fahren fort.” Zum Burscheider Haushaltssicherungskonzept gibt es am Ende keine Empfehlung des Ausschusses - die Diskussion soll im Rat weitergeführt werden.

Anm.: Im Jahr 2009 wird der Burscheider Haushalt erstmals nach den Vorgaben des sogenannten Neuen Kommunalen Finanzmanagements aufgestellt. Eine gute Übersicht zum NKF? Hier. Ziel ist im Grunde die Wirtschaftsweise der guten bergischen Hausfrau: Nie mehr ausgeben als vorhanden, die Nachkommen nicht für die Sünden der Eltern büßen lassen. Dazu soll ein Buchhaltungssystem nach Vorbild der Wirtschaft (doppelte Buchführung / Doppik) die hergebrachte kameralistische Aufschreibung ersetzen und den politisch Verantwortlichen jederzeit einen aussagekräftigen Blick auf die Gemeindefinanzkraft und auf die langfristigen Folgen eines politischen Projekts eröffnen. Dargestellt werden nicht nur Einnahmen und Ausgaben wie bisher, sondern der gesamte kontinuierliche Ressourcenverbrauch und neben den Zielen und dem dafür eingesetzten Aufwand auch die Ergebnisse des Verwaltungshandelns.

Der klarere Blick auf die Kassenlage kann hier aber derzeit nicht viel bewirken – außer genau dieses: Jedes Wahlversprechen, das nur einen Euro ausgibt, ohne mindestens einen Euro gesichert in die Kasse zu bringen, ist Unfug. Und so sympathisch Radwege auf traditionsreichen Dampftrassen auch sein mögen: Burscheid wird selbst bei schönst gerechneten Erstellungs- und (!!!) Unterhaltungskosten in den kommenden 10 Jahren besser mit dem Bestand Vorlieb nehmen und sich nicht freiwillig selbst erwürgen.

Unter “Verschiedenes” noch kurze Erörterung der Wahlwerbung zwischen EU- und Bundestagswahl. Es hängen / stehen noch einige EU-Wahlmedien. Nicht ganz geklärt werden kann, ob die normale Plakatierungsspanne von drei Monaten vor einer Wahl gilt oder ob in Burscheid durch Satzung bzw. Absprache im Rat eine auf 6 Wochen verkürzte Frist gilt. In jedem Fall will man nun eine pragmatische Lösung suchen, damit die armen Dreieckständer nicht ständig hin- und hergezerrt werden müssen. Mich stört das nicht so sehr – ich habe keine.

Noch ein kleiner Nachtrag incl. Fotos ganz oben und am Ende:

Die örtliche FDP hat die Haushaltslage in einer gerade an die Bürger/innen verteilten Broschüre „Information und Meinung“ mit einigen recht aussagekräftigen Daten beleuchtet; in der nächsten Ausgabe sollen dann auch konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Burscheider Finanzen folgen. Sehr löblich! Nur eine kleine Bitte: beides auch bald im Internet greifbar machen. Nochmal zurück zur Ausschusssitzung am Mittwoch: Herr Kahrl macht seine Sache gut – zurückhaltend, souverän, mit einer Prise nicht toxischen Humors. Unter allen Beteiligten wirkt er am wenigsten verspannt, verbissen, aufgeregt. Gut, er kann es auch etwas lockerer sehen. Aber wenn ich’s recht sehe, können alle Nachfolge-Bewerber (Unterzeichner eingeschlossen) da noch etwas abgucken.


Dann noch zu den drei nachgelegten Bildern: Das Bild oben am Beginn dieses Posts passt gut zu den zerrütteten Finanzen. Das dort abgelichtete Haus hat einen gewissen kulturellen Erinnerungswert. Quizfrage: „Wer hat drin gewohnt?“


Die unteren beiden stimmen etwas tröstlicher und heiterer. Einmal untere Hauptstraße am Mittwoch auf meinem Heimweg,
















einmal vom Vortag in Herkensiefen. Dazu ein kleiner Hinweis: Die Lampe brennt nicht.

Dienstag, 16. Juni 2009

Tippeltour V (Bornheim / Burscheid)

13./14.6.2009: In Bornheim einige Verstimmung über die beabsichtigte Anlage zweier Parkplätze durch die Stadt an der Durchgangsstraße, was als Verschleuderung von Steuermitteln angesehen wird. Ein weiterer Bornheimer kannte mich gut von meinen Leserbriefen, hatte aber bereits einen anderen Bewerber unterstützt - und 5 Jahre hinter schwedischen Gardinen (das ist der obere Strafrahmen für mehrfache Unterstützung in einem Wahlgang!), die wollte ich ihm auch nicht zumuten.


Anregend eine Begebenheit am Sonntag Morgen, als ich per Einrad die Frühstücksbrötchen in Burscheid hole: Ich hatte gerade freundlich einen entgegenkommenden Radfahrer gegrüßt, als dieser plötzlich kehrtmacht und mich anspricht. Ich sei doch der freie Bewerber bei der diesjährigen Bürgermeisterwahl. Als ich das bestätige: Die Kandidatur wäre viel zu wenig bekannt! Seine Frau - der hatte ich wohl beim Frühlingsfest eine Unterstützungsschrift abgeluchst - hätte mich ganz überzeugend gefunden. Dann hätten sie noch jemanden gefragt, der im Rathaus beschäftigt ist. Der habe von Bewerber Nr. 4 noch gar nichts gewusst. Und das sei doch schade, als Mann vom Fach sei ich doch eine gute Alternative im Angebot. Nun ja, sage ich, das mit der Öffentlichkeit sei so eine Sache; kaufen kann und will ich keine.

Tatsächlich kann ich beim Klinkenputzen der vergangenen Wochen zwei Klinken unterscheiden: Die einen - immerhin eine merkliche Zahl - können mit mir und meiner Optik direkt etwas anfangen. Das sind in der Regel Leser des Volksboten oder sie kennen solche Leser; der Volksbote hatte schon vor einem einigen Monaten von meinem Vorhaben berichtet, mit Bild sogar, vor zwei Wochen sogar ein zweites Mal. Das macht die Kontaktaufnahme und Werbung wesentlich leichter. Wer dagegen Stadt-Anzeiger liest, hat jedenfalls in diesem Medium von mir noch nichts erfahren. Obwohl der Stadt-Anzeiger über exakt den gleichen Informationsstand verfügt; aber er findet wohl, dass die Bürger das nicht wissen müssten, jedenfalls nicht so direkt. Auch Nachhaken hat bisher nichts genutzt. Der interessierte Bürger vom Sonntag hat dagegen gleich angeboten, Flugblätter zu verteilen. Danke für das große Engagement!

Vom Klinkenputzen am Sonntag-Nachmittag: Zum einen der dringende Wunsch, dass der Markt zurück auf den Markt kommt. Vom neuen Standort "Kirchenkurve" profitiere weder der Markt noch die festen Geschäfte. Zum anderen: Wir teilen die Abneigung gegen die wundersamen Burscheider Schirme am Rande des Marktplatzes, die zunächst als selbstreinigend angepriesen waren, aber genau das nicht sind. Sie verdrecken sehr zuverlässig.

Auch ohne tiefe architektonische Kenntnisse kann man sehen, dass die Drainage Verstopfungs-trächtig konstruiert ist, dass auch die Metallflächen unansehnlich werden, dass ferner die nach oben gebogenen Schirme als Regenschutz - ebenso wie als Sonnenschutz - eine hoffnungslose Fehlbesetzung sind. Auch die Hoffnung, die Schirme könnten Teil einer attraktiven Restauration sein und die Innensttadt beleben - diese Hoffnung hat getrogen.

Vielleicht können wir die Schirme an eine noch ahnungslose Kommune verscherbeln und dann sofort mit unbekanntem Ziel verziehen. Oder Burscheid findet im Rahmen eines Gestaltungswettbewerbes zumindest eine schönere neue Form / Farbe. Möglicherweise liefert der Hundertwasser-Bahnhof in Uelzen ein paar nette Inspirationen.

Donnerstag, 11. Juni 2009

100% FDP, ein Einzelbewerber mit Doppelsitz und die Wahlpflicht

Die Kommunalwahlen in Deutschland am 7.6.2009 haben ein paar skurrile Ergebnisse gebracht: In Deutschneudorf im Erzgebirge stellt die FDP künftig alle 12 Ratsherren und -damen. Und in Wismar hat ein Einzelbewerber - was mich naturgemäß besonders anspornt - so viele Stimmen geerntet, dass er theoretisch zwei Plätze im Rat einnehmen könnte.

Das Resultat in Deutschneudorf erinnert ein wenig an den 15.9.1946, den Tag der ersten Burscheider Gemeindewahl nach dem Krieg: Da hatte die (erst später verbotene) KPD einen Sitz ergattert, die CDU zwei, die SPD drei und die FDP stellte mit 15 - in Worten fünfzehn - Sitzen, also mit mehr als 70% die verfassungsändernde Mehrheit im Burscheider Rat (Zahlen nach: Bergischer Geschichtsverein, Das Kriegsende in Burscheid [2006], S. 62). Auch das ein echter Ansporn, nicht wahr?

Bemerkenswert ferner: Das Deutschneudorfer Ergebnis kam mit immerhin 63% Wahlbeteiligung zustande. Und das ist deutlich mehr als bei der zeitgleichen Europawahl: Dort waren es gerade einmal 43% EU-weit und in Deutschland, dabei 42% in NRW. Die geringe Wahlbeteiligung hat den SPD-Abgeordneten Prof. Jörn Thießen veranlasst, künftig eine Wahlpflicht nach belgischem Vorbild zu fordern, und zwar strafbewehrt mit 50 €. Menschlich nachvollziehen mag man das ja: Für die SPD war die Wiederholung des bereits desaströsen Ergebnisses von 2004 bzw. die Stabilisierung auf einem Niveau von nur ca. 20% besonders frustrierend. Aber hilft dagegen denn eine Wahlpflicht?

Erstmal: Demokratie ist auf eine prinzipiell freiwillige Mitwirkung angelegt - mit durch Zwang erreichten hohen Beteiligungsquoten schmücken sich eher die zweifelhafteren Regierungen. Zum zweiten: Zwar mag eine hohe Beteiligung den Nachtschlaf der Politiker beruhigen - aber die Zahl der Nichtwähler ist eine unverzichtbare Rückmeldung an die zur Wahl Stehenden selbst:
  • Finden die Bürger/innen die Dienstleistung Politik noch wichtig?
  • Oder, um es in den Worten von Art. 21 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes zu sagen - sehen sie die Mitwirkung der Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes noch als relevant für die Entwicklung ihrer Lebensverhältnisse an?
Kurz:
  • Lohnt es sich denn für sie überhaupt noch, zum Wahllokal zu pilgern?
  • Oder haben sie den Eindruck, mittels eines Wahlprozesses und über das real existierende politische System gar nichts Entscheidendes ändern können?
  • Und empfinden sie ihre demokratische Mitwirkungshandlung eher als aufgezwungenes, lästiges Ritual?

Seien wir einmal ehrlich: Die demokratische Struktur der EU und der Mehrwert einer EU-Wahl sind den Bürgern nach wie vor sehr schwer verständlich zu machen; die Erfolge der EU-Skeptiker und die Ergebnisse der ungeliebten nationalen Referenden zeigen das sehr deutlich. Nach herkömmlichen Maßstäben ist das europäische Parlament - übrigens das teuerste dieses Planeten - auch gar keines. Jedenfalls könnte - um es einmal plastisch auszudrücken - die EU mit ihren gegenwärtigen Institutionen kaum hoffen, bei sich selbst Mitglied zu werden: Normale Parlamente besitzen volle Budgethoheit, sie setzen die Spitzen der Administration ein und sie legen mit einem uneingeschränkten legislativen Vorschlagsrecht die Grenzen des Regierungshandelns fest. Mit Bedauern kann man hier noch anmerken: Trotz der strukturellen Defizite regelt oder beeinflusst die Union immer mehr Lebensbereiche durch EU-Normen - ein kontinuierlicher Prozess demokratischer De-Legitimation, der seinerseits Wahlverweigerungen fördern mag.

Eine künftige Wahlpflicht mag den System-Beteiligten das Leben erleichtern. Aber sie würde gleichzeitig jeden reality check der Delegierten ausschließen, die ohnehin den Wählern weit entrückt sind, die Wahlpflicht würde den gegenwärtigen demokratischen Dämmerschlaf verewigen und des Kaisers Kleider würden nur noch durchscheinender. Die Pflichtwahl würde mich sehr an das Grüßen des Gessler-Hutes erinnern. Die Pflicht der Bürger, diesem Hut alle Ehre zu erweisen, auch wenn der Amtsträger gerade nicht darunter steckte, hat der Sage nach einen gewissen Wilhelm Tell heftig politisiert und die Gründung der ebenso erfolgreichen wie basisdemokratischen Schweiz gefördert.

Verstehe mich niemand falsch: Ich halte das kulturelle, politische und wirtschaftliche Zusammenwachsen in Europa für ganz und gar alternativlos, sehe übrigens im Euro auch keinen Teuro, sondern ein Völker-verbindendes und Transparenz-schaffendes Zahlungsmittel. Aber ich weiß auch um die Eigendynamik von Institutionen (Cyril Northcote Parkinson lässt grüßen), ich weiß um die nach wie vor durchschlagende wirtschaftspolitische Grundausrichtung der Union und um die Hausaufgaben, die bis zu dem fortwährend beschworenen EUROPA DER BÜRGER noch zu machen sind. Und zwar von demokratischen Politikern.

Dienstag, 9. Juni 2009

Moschee mit offenen Türen

Am Samstag und Sonntag öffnet sich das türkisch-islamische Kulturzentrum in Burscheid, das etwas zurück von der B 232 zwischen Volkswagen und Lidl liegt. “Öffnet sich” ist nicht ganz richtig. Im Grunde steht es meistens offen und die Menschen sind es auch - sehr gastfreundlich dazu. Und es ist ihnen wichtig zu vermitteln, wie viele Übereinstimmungen es innerhalb der Buchreligionen gibt. Und dass jeder mit seiner Form des Glaubens mit Respekt behandelt werden muss. Eine junge Türkin - Krankenschwester - sagt: Glaube ist das, was den Menschen auch in der größten Verlassenheit bleibt. Respekt - oder: jemandem das Gesicht geben - hört man hier immer wieder; und Respekt war auch einer der Kernpunkte von Obamas inspirierender Rede in Kairo, ebenso wie Einfühlsamkeit (hier Text / Videos).

Interessant ist der Gebetssaal, den man mit viel Liebe in der ersten Etage des früheren Betriebsgebäudes eingerichtet hat. Typisch - mag man auf den ersten Blick sagen - es gibt einen getrennten Raum für Frauen. Aber dem liegt ja nur der gleiche Gedanke wie dem Zölibat zugrunde: Keine Ablenkung bei der Befassung mit Gott. Wie überhaupt vieles in den Gebräuchen und Vorstellungen islamischer Familien frappierend an die Werte deutscher Familien noch vor noch 100 oder gar 50 Jahren erinnert, vor allem im ländlichen Bereich. Etwas Pech war das Wetter: Am Samstag regnet es durchgehend Bindfäden, am Sonntag (nur) zeitweise; der Stimmung der Besucher tat es keinen Abbruch.

Auf der ersten Etage ist auch ein Fest- oder Disco-Raum, mit ziemlich lauter, gerade etwas scheppernder Musik. Am Fenster eine Anordnung aus drei großen Fahnen - der deutschen, der europäischen und der türkischen. Okay, sagt man sich, ist ja nicht ganz richtig - in der Mitte steht ja eigentlich nicht die EU-Flagge, sondern wenn überhaupt, dann die der NATO. Aber genau das zeigt die verzerrte Situation: Türken müssten im Zweifel Europa verteidigen - aber europäische Bürger sollen sie nicht sein bzw. werden? Wer kämpfen darf - und Steuern zahlen - der sollte auch seine Vertreter mit wählen können und sich selbst zu Wahl stellen. Alter, bewährter Grundsatz: No taxation without representation oder: Wer zahlt, wählt auch die Musik.

Zufällig sah ich etwas, was mir schon Armin Busch in der Lambertsmühle gezeigt hatte: Eine Münze, die in genialer Weise die drei Religionen, die auf Abraham zurückgehen, zu einem Ring oder Kreis zusammenfasst, mit einem Halbmond, einem Stern Davids und einem Kreuz, jeweils in Ausschnitten. Alles zusammen kann man auch als einen Engel sehen - und uns selbst mitten drin.

Zum Schluss würde ich gerne eine kompakte und sehr verständnisvolle Einführung in den Kontext Islam und Politik empfehlen: Peter Antes, Der Islam als politischer Faktor. Das Buch war kostenlos zu beziehen über die Bundeszentrale für politische Bildung, ist allerdings derzeit leider vergriffen (ich habe mit Nachdruck dort den baldigen Nachdruck empfohlen). Antes ist ein ausgewiesener Religionswissenschaftler und beschreibt sehr kenntnisreich und einfühlsam die wesentlichen Inhalte (die “Säulen”), die Grundlagen der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die Geschichte und Differenziertheit des heutigen Islam und die Reibungspunkte mit unserer zeitgenössischen Lebens- und Wirtschaftsordnung. Und manchmal erinnertman sich daran, dass das Morgenland bei uns ja nicht immer negativ angeschrieben war, dass einmal geheimnisvolle Geschichten von Sindbad, Kalif Storch und Kara ben Nemsi vorgelesen und gelesen wurden, sogar mit großem Erfolg verfilmt - selbst von Walt Disney. Mein Großvater sagte häufiger “ex oriente lux”, also “aus dem Osten kommt das Licht”. Damit meinte er augenzwinkernd zwar auch, dass er - bei Eisenach geboren - in den Zwanziger Jahren eine Wuppertalerin geheiratet hatte. Aber meinte, dass der Osten dem Westen weit mehr gegeben hat und geben kann - und damit wusste er sich in bester Tradition der deutschen Klassiker.

Über eines näher nachdenken lohnt sich ganz aktuell: über den vorbildlichen Eigentumsbegriff des Islam. Der Islam ist in einer recht trockenen = semi-ariden Landschaft entstanden, wo den Menschen nicht die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, sondern sie die Früchte dem Boden zumeist mühsam abringen. Der Islam hat daher früh den Wert von Nachhaltigkeit schätzen gelernt und bewahrt ihn noch heute. Konsequent berechtigt nach islamischer Tradition das Eigentum nicht zu dessen freiem Verbrauch bis hin zur Zerstörung, sondern verpflichtet zum sorgsamen Gebrauch, zum Nutzen der Gemeinschaft und der nachfolgenden Generationen. Das können und sollten wir in der gegenwärtigen Situation der globalen Ressourcen - und angesichts der tagtäglich daraus folgenden Konflikte - unmittelbar unterschreiben.

Sonntag, 7. Juni 2009

Tippeltour IV (Bornheim, Lämgesmühle, Ösinghausen, Handerfeld); 7Art, Rheinland-Taler und ein radfahrender Legionär

Der vierte Teil meiner Tippeltour (Mai bis Anfang Juni, nach Bornheim, Ösinghausen, Handerfeld) hat mich auf mehr als 200 Unterschriften gebracht und ich habe selbst dort dazugelernt, wo ich keinen Erfolg hatte: „Wieso parteilos? Mein Vater hat mir mit 21 Jahren gesagt, ich soll CDU wählen. Und damit bin ich immer gut gefahren.“ Sagt mir eine Frau etwa Mitte siebzig gestern abends. Tja: Überreden möchte ich wirklich niemanden. Aber bis heute habe mir niemand überzeugend begründen können, welches kommunale Problem mit Weltanschauung richtiger gelöst werden kann. Weder gibt es eine christdemokratische Abwassersatzung noch einen liberalen Kreisverkehr.














In Bornheim zeigt mir ein langjähriger Ausbilder bei Götze eine schwere Eisentafel mit Meister und Schüler darauf. „Meine Stimme bekommt, wer am überzeugendsten für die Berufsausbildung eintritt!“


An der Lämgesmühle fällt ein längerer Austausch an – einer von der Sorte „gutes Gespräch“, die der besondere Ertrag einer solchen Tippeltour ist. Aber die Unterschrift bekomme ich erst, als ich mich als der Einradfahrer oute, der sich samstags häufiger mit der Brötchentüte den K2-Berg zur B 232 herauförgelt. Die K2 hat ein Problem, das auch von weiteren Anwohnern ganz ohne mein Zutun angesprochen wird: Keine Tempobegrenzung + Unübersichtlichkeit + teils schlechte Bodenhaftung = erhebliche Unfallgefahr. Anm.: Ich selbst weiß persönlich von einem Unfall mit einem Toten und einer Schwerverletzten in der Kurve an den Fischteichen. In Ösinghausen klagt ein junger Mann über die extrem langsame Netzanbindung dort (der nächste größere Verteilerknoten ist zu weit entfernt, die Daten tröpfeln nur aus der Leitung). Ein Bürger belohnt mich unerwartet: „Sie sind doch der Voss, der immer diese Leserbriefe schreibt!“ Auf Nachfrage: Überzeugende, abgewogene Meinungen. Eine Bürgerin beklagt: „Auf lokaler Ebene wird viel zu wenig über Themen debattiert, die uns alle betreffen, z.B. Wiedervereinigung und ihre Spielregeln, Finanzpolitik, Sicherheitspolitik. Da stimme ich zu und verspreche, das Angebot als Bürgermeister nach Kräften zu erweitern, ein aktuelles Thema wäre z.B. das ertragreiche Zusammenleben von Menschen christlichen, jüdischen und muslimischen Glaubens (s. die unsägliche Geschichte um den hessischen Kulturpreis 2009).


Zwischendurch eine beeindruckende Werkschau Burscheider Künstler – der Gruppe 7Art – in sehr inspirierender Umgebung, in der Lambertsmühle. Eine unerwartete Zugabe: ein Musiker aus Dünnwald mit einem erstaunlichen Instrument, einer „Trichterflöte“. Armin Busch (unten links) ist ein lokales Kraftwerk: Seit langen Jahren leitet er zielstrebig und sehr erfolgreich den Förderverein der Lambertsmühle. Und mit seiner Dierather „Kulturscheune“ organisiert er frei von staatlicher Förderung ein ganz eigenes Kulturprogramm. Völlig zu Recht hat man es ihm gerade mit dem Rheinland-Taler des Landschaftsverbandes Rheinland vergolten, hier Berichte aus dem Bergischen Volksboten und dem Kölner Stadt-Anzeiger.







Dann noch zum radelnden Römer, in Haltern abgelichtet.


Der Bergische Geschichtsverein hatte eine Fahrt nach Haltern angeboten, einem der drei Ausstellungsorte im Varus-Jahr 2009 neben Kalkriese (derzeit wahrscheinlichster Ort der Hauptschlacht; Thema: Konflikt) und Detmold (Ort der Hermanns-Verehrung; Thema: Mythos). Haltern war ein großer römischer Vorposten auf dem Weg zur Kolonisierung des rechtsrheinischen Germaniens mit einer ständigen Besatzung von ca. 5.000 Soldaten.









Die Ausstellung in Haltern (Thema: Imperium) zeigt den beeindruckenden zivilisatorischen Stand römischer Kultur um die Zeitenwende. Rechts ein wunderbar geschnitztes und nach IKEA-Art demontierbares Tischbein (Anm.: einen vollständigen Tisch dieser Art sieht man übrigens sehr schön auf der untenstehenden Wiki-Seite zur römischen Esskultur mit einem Wandbild aus Herculaneum - was nebenbei die vitalen Handelsströme des damaligen Imperiums zeigt)

– und drei volle Playmobil-Legionen in Marschformation.









Der Radfahrer war von den Modellbauern in ein Diorama des Lagers hineingeschmuggelt worden – so etwas ist offenbar guter Brauch und fordert die Aufmerksamkeit der Besucher heraus.


Die versierte Führerin verschaffte uns plastische Einblicke in das damalige Leben - etwa:
  • Allein für die Soldaten im großen Stützpunkt Haltern musste man im Minimum 5.000 kg Getreide pro Tag auf dem Wasserweg heranschaffen, und zwar die Lippe herauf, vermutlich getreidelt, Herkunftsort z.B. Ägypten oder Tunesien! In Haltern wurden sie auch für die weiteren militärischen Unternehmungen in großen Lagerhäusern vorgehalten.
  • Die Lastkähne für den Flusstransport waren über 20 m lang, mit einer festen Kombüse für den Schiffer, der nebenbei schreinerte, handelte und dafür offenbar auch gut lesen, schreiben und rechnen konnte. Anm.: Lesen/Schreiben war in der römischen Gesellschaft die Ausnahme, aber im Handel und jedenfalls in der Elite, damit auch bei den Offizieren verbreitet.
  • Auf dem Marsch schleppte der brave Legionär bis zu 45 kg Gepäck, u.a. Bewaffnung, Regenschutz aus gewachster Wolle (im regenreichen Germanien aber von eher kurzer Freude), Feldflasche aus Messing, Getreide für drei Tage und einen Kochtopf, gleichzeitig Waffe für den Notfall. In Haltern konnte man mal ein kleines Marschgepäck von ca. 20 kg au den Ast nehmen - es reichte schon völlig.
  • Ein halber Liter Wein war in Haltern etwa so teuer, wie die Gesellschaft einer leichten Dame in Pompeji gekostet hätte - eine mäßig schönen Dame, wie die Führerin anmerkte. Zum römischen Währungssystem der Kaiserzeit (1 Gold-Aureus = 25 Silber-Denare = 100 Messing-Sesterzen = 1.600 Bronze-Asse; ein Laib Brot = 1 Assus; Monatslohn eines Legionärs = 25 Denare, entsprechend dem eines römischen Arbeiters) und weitere Beispiele zur Kaufkraft siehe: hier.
  • Das Maggi der Römer war garum, eine Zubereitung aus Fischresten, deren Herstellung bestialisch gestunken haben muss und deshalb innerhalb der Städte verboten war (die Regelung war ein interessanter Vorläufer unseres Gewerbe- und Umweltsrechts). Näheres zu den Ess- und Trinkgewohnheiten der alten Römer? Siehe diesen sehr guten Wiki-Beitrag. Ach ja, die garum-Amphoren wurden ebenso wie die von Öl und Wein nur one way eingesetzt, aus gutem Grund.
  • Römische Soldaten hatten bis zum Ruhestand - nach 20 Dienstjahren - eigentlich im Zölibat zu leben. Tatsächlich gab es aber außerhalb der Lager regelmäßig Familien, die mit den Soldaten zogen und auf eine spätere rechtliche Anerkennung hofften und warteten (im römischen Recht gab es bereits das Rechtsinstitut der legitimatio per subsequens matrimonium bzw. der Anerkennung durch nachfolgende Ehe, das den Kindern auch das römische Bürgerrecht verschaffte). Veteranen wurden häufig nach Dienstende mit Liegenschaften in den eroberten Gebieten abgefunden und zementierten so die römischen Kolonien, etwa in Spanien, Frankreich, Nordafrika und im linksrheinischen Germanien. Ein paar ergänzende Informationen zum Soldatenleben? Hier. Eine gute Übersicht mit aussagekräftigen historischen und strukturellen Daten zur Varusschlacht? Hier.
Herzlichen Dank an den Bergischen Geschichtsverein!