Samstag, 4. Juli 2009

Die Uhr tickt



Noch ein Nachtrag zur Burscheider Haushaltslage und zur Ratssitzung am Dienstag:


Den breitesten Raum nahmen dort die “nicht hausgemachten” Ursachen des hohen kommunalen Schuldenstandes ein. Diese externen Gründe sind natürlich unübersehbar.

Der Kommunalfinanzbericht des Innenministeriums vom August 2008 spricht zwar für das Jahr 2007 von einer deutlichen Entspannung: Die Einnahmen waren bei einer guten Wirtschaftsentwicklung um 7,8 % bzw. um 3,1 Mrd. € gestiegen und die Ausgaben nur um 4 % oder um 1,6 Mrd. €. Insgesamt betrachtet konnten die Gemeinden im HHJ 2007 “erstmals seit langem mit ihren Einnahmen ihre Ausgaben wieder decken”. Aber der erste Blick trügt, da die riesigen Altverbindlichkeiten unerbittlich zubeißen: Die Kassenkredite und Kredite zur Liquiditätssicherung waren am Jahresende um 9,1 % oder 1,1 Mrd. € auf einem neuen Höchststand von 13,7 Mrd. € angewachsen. Die kommunalen Verbindlichkeiten sind dabei insgesamt trotz deutlich verbesserter Rahmenbedingungen um 513 Mio. € weiter gewachsen Bericht 2008, S. 7-9). Der Befund mündet in Ratschläge, die heute fast prophetisch und zugleich seltsam hohl klingen: “Vor allem die Kommunen in der Haushaltssicherung müssen die [sich] aus der wirtschaftlichen Entwicklung resultierenden Konsolidierungs- und Entschuldungschancen konsequenter nutzen. Aber auch für die Kommunen mit ausgeglichenen Haushalten gilt es Rücklagen für schlechtere Zeiten zu bilden.” (Bericht 2008, S. 9).

Anm.: Im Jahre 2007 mussten 174 (= 41 %) der 427 Städte, Gemeinden und Kreise in NRW ein Haushaltssicherungskonzept (HSK) mit besonderen Kontrollen und Einwirkungsmöglichkeiten der Kommunalaufsicht erstellen, weil sie ihren Haushalt nicht ausgleichen konnten. Bei 102 (= 24 %) davon waren die HSK’e nicht einmal genehmigungsfähig und es griffen die noch weiter einengenden Vorschriften der vorläufigen Haushaltsführung nach § 82 Gemeindeordnung. In dieser Liga spielt Burscheid. Weitere Anmerkung: 2008 hat die Zahl der Haushaltssicherungskommunen recht deutlich abgenommen, und zwar auf 129 (= 30 %, darunter 73 nicht genehmigte HSK’e entsprechend 17 % der Gesamtzahl). Burscheid war leider nicht darunter. Aber ohnehin täuscht die Zahl, da der positive Trend nicht allein durch eine verbesserte Finanzsituation, sondern auch durch veränderte Bilanzierungswege verursacht ist: Mit der vermehrten Einführung des Neuen Kommunalen Finanzmanagements (NKF) wurde in vielen Fällen die Ausgleichsrücklage (fiktiver Haushaltsausgleich gem. § 75 Abs.2 S.3 GO), teils auch die allgemeine Rücklage angegriffen (Bericht 2008 S. 10). Soweit die allgemeine Lage. In der Anlage zum Kommunalfinanzbericht 2008 finden sich Nachbarn mit ähnlichen Problemen, für den Rheinisch-Bergischen Kreis etwa Leichlingen und Overath (S. 68), allerdings auch einige mehr, die nach 2007 nicht mehr HSK-pflichtig waren (S. 63), von Bergisch Gladbach bis Windeck.

Ist aber nun alles fremdverschuldet und gar nichts hausgemacht? Wohl kaum. In der Ratssitzung vom vergangenen Dienstag konnte man es bei aller Eintracht ein wenig zwischen den Zeilen finden: So kritisierten die Grünen die aktuelle Gewerbeansiedlungspolitik. Ein neu ausgewiesenes Gewerbegebiet ginge an ein und den gleichen Contractor; die Stadt habe auf das weitere Verfahren keinen Einfluss. Voraussichtlich werde die Zone nur für Lagerzwecke genutzt, damit seien weder merkbare Beiträge zur Gewerbesteuer, noch zur Einkommensteuer zu erwarten. Vor der Sitzung hatte mir ein Ratsmitglied bei einer kurzen Erörterung der Aufkommenssituation gesagt, man habe sich auch in der Vergangenheit grob verkalkuliert, etwa bei der Ansiedlung eines großen KFZ-Zulieferers: Auch dieses Projekt habe in der Rückschau die Ertragskraft nicht steigern können - auch nicht die erwarteten Arbeitsplätze für unsere Bürger/innen aufgebaut (und den Gemeindeanteil der Einkommensteuer), dafür verstärktes Pendeln. Daher scheint mir der Vorschlag eines städtebaulichen Gewerbeansiedlungskonzepts, das Nutzen und Lasten nachhaltig und transparent auch für die Bürger zusammenführt, sehr bedenkenswert. Ebenso ein Kosten-Nutzen-Prüfstand für alle kommunalen Projektideen, und seien sie noch so sympathisch wie der Fernradwanderweg. Dass hier auf Burscheid eher kleine Erstellungskosten zukämen, tröstet mich wenig. Zum ersten sind dabei die dauerhaften Unterhaltungslasten nicht eingepreist, zum anderen sind auch die Landesmittel steuerfinanziert (wie denn sonst?). Und zum dritten fällt mir immer das Wellenfreibad in Burscheid ein, das ebenso ambitionierte wie sinnfreie Zukunftsprojekt aus der Ära von Bürgermeister Wirtz und Stadtdirektor Weber.




Die “für Leu” aufgewandten Planungskosten von mehreren Millionen DM - plus märchenhafte zwischenzeitliche Zinsen - würden die Politiker heute mit Kusshand nehmen und investieren. Aber wohl nicht für Entschuldung.

Die Trendwende hat in den letzten Jahren eine andere benachbarte Gemeinde geschafft, die Stadt Langenfeld. Reiner Zufall ist das möglicherweise nicht: Diese Kommune hat - neben sonstigen entschlossenen Konsolidierungsmaßnahmen - eine kleiner strukturierte und stärker diversifizierte Gewerbeansiedlung gefördert, letztlich eine andere Strategie verfolgt. Folge war u.a.: Die Schulden der Stadt waren am 3.10.2008 vollständig abgebaut und die Aufsehen erregende Langenfelder Schuldenuhr konnte feierlich demontiert werden. Aber Langenfeld informiert nach den Grundlagen seines Entschuldungsprojekts noch bis zu den Grenzen des Sonnensystems über die nationalen Schulden und den Zuwachs pro Sekunde. Das ist das m.E. Entscheidende: Transparenz und dann Aufmerksamkeit. Sie sind wirklich schwindelfrei und interessiert?

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