Montag, 8. Juli 2013

Wenn Blut fließt,

dann ist Wahlkampf,

aber ein paar Narben gehören dazu. Viele sehen mich jetzt so vielsagend an: "Wohl doch zu gefährlich, so ein Einrad. Mit 62." Wäre ja auch denkbar, ist hier aber ganz falsch. Mein Einrad war zu Hause, ich hatte zu Fuß Erinnerungen ausgeteilt, habe im Laufen ein paar Steine unter Gras übersehen und dann das Trottoir gefegt, mit dem Arm. Die Briefe blieben unbeteiligt und unbehelligt.

Und laufen muss ich nun schon ein wenig: Am kommenden Montag (= 15. Juli) muss ich meine 200 Unterstützungsunterschriften bei der Kreisverwaltung in Bergisch Gladbach präsentieren, am besten mit einer Sicherheitsmarge von + 5-10%, wegen mancher Fehler auf den ausgefüllten Vordrucken.

Das Sammeln ist derzeit dann von den Zeitressourcen her auch der Fressfeind des Programmatischen, auch der Fressfeind der Posts auf diesem Blog.

Aber zum Glück lässt ja die hohe Poilitik rein gar nichts unversucht, um meine Motivation weiter zu steigern: So hat CDU-Verteidigungsminister de Maizière vor Kurzem in einem Interview mit der WAZ zum Besten gegeben, er "begrüße es, dass der SPD Kanzlerkandidat Peer Steinbrück die Sicherheitspolitik aus bdem Wahlkampf heraushalten will. Das dürfe allerdings nicht nur für die Auslandseinsätze gelten, sondern genauso für die Neuausrichtung der Bundeswehr."

Entschuldigung: In welcher Republik leben denn diese Herren? Wann wollen sie uns denn gnädigst etwas Fragezeit einräumen, und wenn ja, zu welchen Themen oder welchen selbst ausgewählten Them-chen? Haben wir noch Demokratie oder kriegen wir sie irgendwann wieder rein?

Die Worte de Maizières und Steinbrücks erinnern mich doch alles sehr an einen Ausspruch des damaligen FDP-Außenministers Kinkel im Wahlkampf vor der 94er Bundestagswahl. Er hatte am 10.9.1993 in einem Interview mit n-tv freimütig bekannt: Er vertraue doch sehr darauf, dass das Bundesverfassungsgericht den (damaligen) Parteienstreit zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr nun lösen werde, selbstredend außerhalb einer öffentlichen Debatte. Er offenbarte: "Ich habe die Hoffnung. Ich möchte wirklich ungern mit diesem Thema in 20 Wahlkämpfe gehen, weil das Deutschland schadet. Und das sagt der Außenminister, der ja in der Praxis täglich verhandeln muss und sieht, wie sehr wir nach diesem Themenkreis gefragt werden...". Was das zeigt: Waagerechte Impulse - solche auf der Ebene der Exekutiven der Bündnispartner oder zwischen Exekutive und Judikative - funktionieren deutlich besser und bestimmen die Politik merklich besser als die senkrechten Impulse =  diejenigen zwischen Regierung und Bürgern. Wie sagte der Große Kurfürst schon im 17. Jahrhundert: "Es ist dem Untertanen untersagt, den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen." So soll es am besten sein und bleiben.

Das von Kinkel herbeigesehnte Urteil war dann ja  i.J. 1994 tatsächlich ergangen, wie gesagt ohne öffentlichen Diskurs, und noch heute berufen sich alle oben genannten Parteien auf dieses Urteil. Und dieses Urteil hat massive juristische Schwächen: Es betont unter Rückgriff auf die Pershing-Entscheidung aus dem Jahre 1984 einen "Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit", stützt sich auf die Befugnis zur Bündniskooperation aus Art. 24 Abs. 2 Grundgesetz (Art. 24 steht im zweiten Kapitel "Der Bund und die Länder"), setzt sich aber an keiner Stelle mit dem für das Grundgesetz programmatischen Grundrechtsschutz auseinander. Das aus der schmerzhaften Erfahrung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes heraus entwickelte Schurtsystem des GG verlangt im herausgehobenen ersten Kapitel ("Die Grundrechte") für jede Grundrechtseinschränkung wie etwa einen Eingriff in das Lebens- und Gesundheitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 eine vorherige allgemeingültige Regelung unter Zitat der betroffenen Grundrechte und Definition der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen, Art. 19 Abs. 1 Grundgesetz. Rupert Scholz hat i.J. 2001 festgestellt, dass das Verfassungsgericht hier im Grunde verfassungsändernd und als eine Art "Ersatzgesetzgeber" gewirkt habe. Er fügt an: "Auf der anderen Seite hat gerade diese "verfassungsschöpferische" Festlegung in entscheidender Weise zur Befriedung und verfassungspolitischen Akzeptanz nicht nur seiner Rechtsprechung, sondern auch und namentlich solcher internationalen Einsätrze der Bundeswehr geführt." (Rupert Scholz, 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Aus Parlament und Zeitgeschichte v. 7.9.2001, S. 6, 14). Was soll man denn davon halten: Eine kalte Verfassungsänderung ist nicht so tragisch, sondern völlig okay, wenn es nach dem Eindruck dieses profilierten Staatsrechtlers dem Wiedererwerb staatlicher Handlungspotenz dient? Das geht gar nicht. Da sollten - gerade im Lichte der zwischenzeitlich gewonnenen Erfahrungen mit Auslandseinsätzen - die Bürgerinnen und Bürger ein wenig mitzusprechen haben. Wo gerade Wahl ist.

Wenn das Blut der Wahlkämpfer aus eigenem Antrieb fließt (s.o.), dann mag das ja in Ordnung gehen und auch schnell vergessen sein. Geht es aber um das Blut von Soldaten und zivilen Menschen in den Einsatzgebieten, dann sollte man länger darüber nachdenken und ein klares, voraussehbares und nachvollziehbares staatliches Handlungsprogramm vorlegen: Für welche Interessen wollen wir mit welchen Instrumenten in welche individuellen Rechte eingreifen? Bei einer nüchternen Betrachtung müssten wir sogar die Menschen im Ausland, die keine Möglichkeit der Einwirkung auf unseren Gesetzgeber haben, stärker vor unseren Machtmitteln schützen als unsere eigenen Landsleute, die - zumindest theoretisch - die Geschicke unseres Staates mitbestimmen können und sich seine Handlungen demokratisch zurechnen lassen müssen. Klingt ungewohnt, ist aber ethisch zwingend.

Um diesen Diskurs bitte ich in diesem Wahlkampf! Sehr dringend.


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