So lange bis zur Wahl ist es nun nicht mehr. Was aber sagen die inzwischen veröffentlichten Wahlprogramme zur vergangenen, gegenwärtigen und beabsichtigten Rolle der Bundeswehr? Gibt es schlüssige Analyse zu bisherigen Einsätzen? Alles gut? Gibt es lessons learnt? Oder eher frischen, unbekümmerten Mut für morgen? Gibt es etwa kritische Betrachtungen zu vielleicht auch selbstgesetzten Ursachen der massiven Flüchtlingswellen Mitte der Neunziger Jahre und der neueren Zeit? Immerhin spielen die innere Sicherheit und eine offenbar nicht stabiler gewordene Weltlage in diesem Wahlkampf eine wesentliche Rolle.
Meine Prüfsteine für die Wahlprogramme sehen darum wie folgt aus – und ich werde versuchen, sie auf die einzelnen Programme loszulassen, werde die jeweiligen Programm-Passagen mit jeweiligen Klammer-Angaben (Seite/Absatz) zitieren, und soweit angezeigt, im Wortlauf wiedergeben:
1. Rechenschaft / Analyse
Gibt es eine nachvollziehbare Rechenschaft zu früheren bzw. laufenden Einsätzen, insbesondere in Somalia, auf dem Balkan, in Afghanistan oder Südsudan? Gibt es ansatzweise eine Betrachtung zum etwaigen Kontext zwischen nicht erfolgreichen Auslandseinsätzen, auch von Partnern, und zunehmender Destabilisierung, wachsendem Extremismus und Fluchtbewegungen, z.B. zu Afghanistan, zum Irak, zu Libyen oder zu den Balkanstaaten?
Gibt es eine nachvollziehbare Rechenschaft zu früheren bzw. laufenden Einsätzen, insbesondere in Somalia, auf dem Balkan, in Afghanistan oder Südsudan? Gibt es ansatzweise eine Betrachtung zum etwaigen Kontext zwischen nicht erfolgreichen Auslandseinsätzen, auch von Partnern, und zunehmender Destabilisierung, wachsendem Extremismus und Fluchtbewegungen, z.B. zu Afghanistan, zum Irak, zu Libyen oder zu den Balkanstaaten?
2. Gesetzesvorbehalt vs. ad hoc
Nennt das Programm konkrete, vorhersagbare, ggf. justiziable Kriterien für Auslandseinsätze? Stellt es eine gesetzliche Regelung von Einsatzgründen in Aussicht, z.B. in Gestalt einer Anpassung des Grundgesetzes bzw. des Erlasses eines Bundeswehraufgabengesetzes?
Nennt das Programm konkrete, vorhersagbare, ggf. justiziable Kriterien für Auslandseinsätze? Stellt es eine gesetzliche Regelung von Einsatzgründen in Aussicht, z.B. in Gestalt einer Anpassung des Grundgesetzes bzw. des Erlasses eines Bundeswehraufgabengesetzes?
3. NATO / VN; Risiken und Interessen
Welchen Stellenwert haben NATO und VN? Was sind die relevanten Risiken und Interessen aus deutscher Sicht?
Welchen Stellenwert haben NATO und VN? Was sind die relevanten Risiken und Interessen aus deutscher Sicht?
4. Wehrverfassung
Gibt es Strategien für die Rekrutierung junger Soldaten bzw. eine Position zur Frage Berufsarmee oder Wehrpflicht? Thematisiert das Programm radikale Umtriebe?
Gibt es Strategien für die Rekrutierung junger Soldaten bzw. eine Position zur Frage Berufsarmee oder Wehrpflicht? Thematisiert das Programm radikale Umtriebe?
5. Organisation / Haushalt
Trifft das Programm Aussagen zur Organisation und Ausstattung der Bundeswehr? Wie ist dies ggf. begründet?
Trifft das Programm Aussagen zur Organisation und Ausstattung der Bundeswehr? Wie ist dies ggf. begründet?
Ich werde mich auf die – auch in der derzeitigen öffentlichen Debatte – gewichtigeren Wahlbewerber konzentrieren und diese in der Reihenfolge der Ergebnisse bei der 2013er Wahl behandeln, also in dieser Folge: CDU/CSU (41,5%), SPD (25,7%), DIE LINKE (8,6%), BÜNDNIS’90/DIE GRÜNEN (8,4%), FDP (4,8%), AfD (4,7%).
Hier folgt nun der vierte Post, nämlich zur Programmatik der GRÜNEN.
Quelle zum Programm der Partei BÜNDNIS ’90/DIE GRÜNEN https://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Gruener_Bundestagswahlprogrammentwurf_2017.pdf (Entwurf, beschlossen 10. März 2017; voraussichtliches Datum für die Herausgabe der endgültigen Fassung nach dem Parteitag der Grünen 3. bis 7. Juli 2017)
Hinweis: Ich zitiere nach den jeweiligen Seitenzahlen des oben verlinkten pdf-Dokuments des Entwurfs Stand März 2017 und nach den (von mir) pro Seite durchnummerierten Absätzen; nach Beschluss des endgültigen Programms werden sich insoweit noch Änderungen ergeben.
1. Rechenschaft / Analyse
Gibt es eine nachvollziehbare Rechenschaft zu früheren bzw. laufenden Einsätzen, insbesondere in Somalia, auf dem Balkan, in Afghanistan oder Südsudan? Gibt es ansatzweise eine Betrachtung zum etwaigen Kontext zwischen nicht erfolgreichen Auslandseinsätzen, auch von Partnern, und zunehmender Destabilisierung, wachsendem Extremismus und Fluchtbewegungen, z.B. bzgl. Afghanistan, Irak. Libyen oder zu den Balkanstaaten?
Gibt es eine nachvollziehbare Rechenschaft zu früheren bzw. laufenden Einsätzen, insbesondere in Somalia, auf dem Balkan, in Afghanistan oder Südsudan? Gibt es ansatzweise eine Betrachtung zum etwaigen Kontext zwischen nicht erfolgreichen Auslandseinsätzen, auch von Partnern, und zunehmender Destabilisierung, wachsendem Extremismus und Fluchtbewegungen, z.B. bzgl. Afghanistan, Irak. Libyen oder zu den Balkanstaaten?
Bewertung:
Eine Analyse
bisheriger Auslandseinsätze nach Zielerreichung, Dauer bzw. Nebenfolgen ist im
Programm der Bündnis-Grünen nicht
erkennbar. Dabei wäre, auch wenn die Partei in der Zeit eigener
Regierungsverantwortung Missionen aktiv unterstützt hatte, ein kritischerer
Blick aus der nunmehrigen Perspektive der Opposition zumindest nicht
ungewöhnlich oder widersprüchlich.
Zwar problematisiert das Programm das
Aufwachsen des IS, stellt dies aber nicht in einen heute unstreitigen
Zusammenhang mit einer robusten Intervention (S. 31/Abs. 2) oder nennt militärische
Eingriffe als potenzielle Fluchtursachen (siehe z.B. 31/2, 36/2). Das Scheitern
der ISAF-Mission und die inzwischen wieder offene Zukunft Afghanistans werden
nicht behandelt, etwa auch nicht die zugespitzte Situation im Südsudan oder die
weiter ausstehenden nachhaltigen Erfolge in Somalia oder Mali. Die Problematik
der teils massiven und unumkehrbaren Eingriffe in Menschenrechte durch Auslandseinsätze (z.B. Luftschlag am
Kundus) spricht das Programm ebenfalls nicht an, auch nicht etwaige
Möglichkeiten der Reduzierung ziviler Opfer oder des Schadenausgleichs.
2. Gesetzesvorbehalt vs. ad hoc
Nennt das Programm konkrete, vorhersagbare, ggf. justiziable Kriterien für Auslandseinsätze? Stellt es eine gesetzliche Regelung von Einsatzgründen in Aussicht, z.B. in Gestalt einer Anpassung des Grundgesetzes bzw. des Erlasses eines Bundeswehraufgabengesetzes?
Nennt das Programm konkrete, vorhersagbare, ggf. justiziable Kriterien für Auslandseinsätze? Stellt es eine gesetzliche Regelung von Einsatzgründen in Aussicht, z.B. in Gestalt einer Anpassung des Grundgesetzes bzw. des Erlasses eines Bundeswehraufgabengesetzes?
Bewertung:
Das
Programm nennt keine eigenen Kriterien
für Auslandseinsätze, arbeitet auch nicht ausdrücklich Fallgruppen von
Auslandseinsätzen heraus, die aus Sicht der Partei zu bevorzugen sind. Wo das
Programm den Einsatz von Militär – subsidiär zu ziviler Konfliktprävention und
ziviler Konfliktbearbeitung – fordert, formuliert es eher allgemein: „zur Eindämmung von Gewalt, zur Verhinderung
schwerer Menschenrechtsverletzungen und zur kollektiven Friedenssicherung“
(39/3). Die Schwelle zum Einsatz der Bundeswehr ist nach dem Programm auch
nicht besonders hoch angesetzt, der Einsatz muss aber im Rahmen des Völkerrechts
bleiben: „Sie darf nur dann eingesetzt
werden, wenn alle anderen Maßnahmen keine Aussicht auf Erfolg haben (Anm.: eine
schwer überprüfbare politische Prognose reicht danach, Alternativen müssen
nicht etwa erfolglos versucht worden sein)
und das Völkerrecht den Rahmen vorgibt.“ (39/3) Weitere Anm.: Das in der
gleichen Programm-Passage zuvor zitierte und unterstützte „Konzept der Schutzverantwortung der VN“ ist ein keineswegs
unkritisches Werkzeug und auch noch nicht etwa völkerrechtlich verankert. Die Schutzverantwortung
(Responsibility to Protect / R2P) ist bis heute nicht überzeugend
ausgeformt, da sie das in der VN-Charta grundlegende Souveränitäts-Prinzip
relativieren kann und typischerweise einen (erzwungenen) Machtwechsel bzw. regime change zur Folge hat, damit als
Passepartout für robuste interventionistische Strategien militärisch stärkerer
Staaten oder Koalitionen missbraucht werden kann.
Auch
eine Initiative, die materiellen Voraussetzungen von Bundeswehr-Einsätzen
innerhalb der Verfassung oder einfachgesetzlich zu klären, erwarte ich nach dem
Wortlaut des Programms nicht. Soweit
zu erkennen, befürworten die Bündnis-Grünen das bisherige bündnisfreundliche,
auf die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts v. 19./20.4.1994 gestützte Verfahren einer
jeweiligen ad-hoc-Entscheidung des Bundestags über einen vorangehenden
Beschluss der Bundessregierung, wie es dann Grundlage des Parlamentsbeteiligungsgesetzes
v. 18.3.2005 geworden ist, ohne jegliche Einschränkung. Das Programm
fordert nicht etwa die gem. Art. 2 Abs. 2
GG mit Art. 19
Abs. 1 GG typische Einhaltung
des Gesetzesvorbehalts für
grundrechtsintensive Handlungsformen des Staates, sondern begrüßt den für die
auswärtige Gewalt seit 1994 an seine Stelle gesetzten Parlamentsvorbehalt (39/5), auch wenn er in der Praxis keine signifikante Kontrollfunktion der
Legislative gegenüber der Exekutive liefert – bei den mehr als 150
Einzelabstimmungen über Auslandseinsätze gab es 100% Zustimmung; etwas anderes steht nach der konkreten
Konstruktion auch für die Zukunft nicht
zu erwarten.
Hier
wäre zumindest eine differenzierte Position jedenfalls möglich gewesen. Denn die vom
Bundestag in der laufenden Legislatur eingesetzte Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der
Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr hatte in der expliziten
Nr. 13 ihres Berichts zu einem kritischen Reflexionsprozess zu den
verfassungsrechtlichen Grundlagen von Einsätzen der Streitkräfte aufgefordert,
gerade da es im Verlauf der Kommissionsarbeit gewichtige – und ausweislich des
beschlossenen Inhalts unter den Mitgliedern mehrheitlich geteilte –verfassungsrechtliche Zweifel an der
bisherigen Praxis gibt (Unterrichtung des Bundestages v. 16.6.2015 in Drs.
18/5000, siehe dort S. 44f; siehe auch Weißbuch
2016, S. 109).
Noch
eine Anmerkung zur Konkurrenz von Gesetzesvorbehalt und Parlamentsvorbehalt:
Das Programm der Bündnis-Grünen besagt, das Kapitel WB-FM abschließend (Welt im
Blick / Wir stehen ein für Frieden und Menschenrechte): „Der Parlamentsvorbehalt ist eine wichtige Vorgabe unserer Verfassung
und darf nicht relativiert werden.“ (39/5 a.E.) Nun würde jeder/jede in der
Führungsriege der Grünen wohl bis zum letzten Atemzug hierauf beharren: Der Schutz der
Menschenrechte vor staatlicher Gewalt, auch vor militärischer Gewalt ist der
historisch nicht hinweg zu definierende Kern
der deutschen Verfassung – und die Grundrechtsgarantie wurde 1949 nicht ohne tiefen Sinn, gerade
anders als noch in der WRV an den Anfang
gesetzt. Wenn nun aber der Gesetzesvorbehalt des Art. 19 Abs. 1 GG bzw. das
danach unbedingte Gebot, die Grundrechte einschränkendes Staatshandeln vorher, abstrakt und generell in einem numerus clausus von
Eingriffstatbeständen zu definieren und die zu belastenden Grundrechte auch aufzuzählen, für Auslandseinsätze trotz ihrer
immanenten und besonders hohen Grundrechts-Kritizität nicht gelten soll, so kann man dies nur auf
drei Argumentationsstränge aufbauen:
(1) Art. 24 Abs. 2 GG, der den Parlamentsvorbehalt stützen soll, wäre gegenüber Art. 19 Abs. 1 GG vorrangig – eine angesichts der Historie bis 1945 und der im Vergleich wesentlich offeneren und allgemeineren Formulierung von Art. 24 Abs. 2 GG schwer haltbare Begründung.
(2) Die Grundrechtsgarantien von Art. 19 GG würden nicht gegenüber
Ausländern gelten – das entspricht nicht der überwiegenden Rechtsmeinung und
schon gar der nach dem Programm der Bündnis-Grünen weltgeltenden Bedeutung der
Grund- und Menschenrechte (z.B. 37/4, 37/5, 37/6, 39/3).
(3) Im Kernbereich exekutivischer
Handlungsmacht, jedenfalls in der Außen- und Sicherheitspolitik könne es keinen voll ausgebauten Grundrechtsschutz geben, denn ein solcher
würde die Verlässlichkeit als Bündnispartner und damit die Staatsräson
verletzen – auch diese Herleitung dürfte im klaren Konflikt mit
Grundüberzeugungen der Bündnis-Grünen stehen.
Es gäbe
für die Bündnis-Grünen allerdings auch eine vermittelnde Lösung, und sie vermöchte den fest in das grüne Genom
eingeschriebenen universellen Grundrechtsschutz mit der zusätzlichen
parlamentarischen Kontrolle der 1994er Entscheidung bruchlos zu vereinbaren:
Unzweifelhaft könnte parlamentarisch der völlige Verzicht auf militärische
Optionen beschlossen werden oder die Beschränkung auf die Landes- und
Bündnisverteidigung gegen einen gegenwärtigen militärischen Angriff. Beides
sind historische Zustände der deutschen Wehrverfassung von 1949 bis 1955 und von 1955 bis ca. 1992. Beide Optionen waren und werden nach herrschender
Meinung weder damals noch heute als verfassungs- oder gar völkerrechtswidrig eingeordnet.
Man könnte nun einen wohlerwogenen und dann auch gesellschaftlich zu debattierenden Schritt über 1992 hinaus tun, ohne die für Bürger, Verbündete und potenzielle Gegner unkalkulierbare ad-hoc-Konstruktion der heutigen Praxis zu erreichen, und zwar durch eine Zwei-Schlüssel-Lösung:
(1) Nachvollziehbar
und justiziabel die Aufgaben der Bundeswehr generell konkretisieren und
abschließend definieren (etwa: Verteidigung und völkerrechtskonformes Abwehren von
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, z.B. unter konkretem Bezug auf Art. 7
des Statuts des Internationalen
Strafgerichtshofs, und
(2) als
zusätzliche Sicherung, gleichzeitig zur Stärkung der demokratischen Publizität einen
konstitutiven Parlamentsbeschluss vorsehen, und zwar auch aus Respekt gegenüber unserer Verfassung ausdrücklich innerhalb des Grundgesetzes.
Sollten
danach insgesamt weniger Einsätze als
nach gegenwärtiger Praxis (das war nach mehr als 150 Parlamentsbeschlüssen die hundertprozentige Bestätigung aller bisherigen Kabinettbeschlüsse, ein geradezu sozialistisches Abstimmung-Paradies) herauskommen, gleichwohl mehr als bei der Beschränkung auf Verteidigung im eigentlichen
Sinne bis zum Jahre 1992, so wäre das sicher auch in Augen der Bündnis-Grünen
kein schmerzhafter Verlust, gleichwohl aber ein rechtsstaatlicher Gewinn. Zusätzlich
wäre es ggf. auch ein Plus bei Stabilität und bei Ressourcen für zivile Staatsaufgaben: Wenn man etwa Einsätze
wie ISAF ins Auge fasst, die auch aus heutiger professioneller Sicht militärisch gescheitert
sind, gleichwohl mehrere
Tausend zivile Opfer gekostet haben, beteiligte Soldaten traumatisiert haben, Milliarden verschlungen haben und zudem Produktion und Welthandel
von Heroin signifikant
angekurbelt haben.
3. NATO / VN; Risiken und Interessen
Welchen Stellenwert haben NATO und VN? Was sind die relevanten Risiken und Interessen aus deutscher Sicht?
Welchen Stellenwert haben NATO und VN? Was sind die relevanten Risiken und Interessen aus deutscher Sicht?
Bewertung:
Soweit erkennbar sind im Programm die VN priorisiert, auch deren
Gewaltmonopol (37/3, 35/4, 38/5, 39/1); allerdings bekennt sich das Programm deutlich
auch zur Bündnis-Integration, verwendet sogar an zwei Stellen den
übereinstimmenden Terminus „eingebettet in die NATO“ (35/4 für
die gemeinsame europäische Außen-,
Sicherheits- und Verteidigungspolitik und 37/3 für eine die Menschenrechte
stärkende [!] wertegeleitete Außen-,
Sicherheits- und Entwicklungspolitik). Dies insinuiert m.E. ein
irritierendes Überordnungs-Verhältnis etwa der NATO gegenüber der EU. Dies ist
aber wohl missverständlich; denn insgesamt wird deutlich, dass das Ziel die
möglichst breite und multilaterale Kommunikation und Kooperation ist, nicht die
Verengung auf eigene oder kulturell bzw. weltanschaulich nahestehende Lager.
Risiken
und Herausforderungen werden im Programm sehr weit gezeichnet, ähnlich weit wie auch im Weißbuch
2016: Im Mittelpunkt stehen der Mensch
mit seiner Würde, seinen unveräußerlichen Rechten und seiner Freiheit. Uns
leiten die Wahrung von Frauen- und Menschenrechten und die Verhinderung von
Menschenrechtsverletzungen. Das schließt auch den Kampf für soziale
Gerechtigkeit und globale Entwicklung ein sowie die Bekämpfung von Geldwäsche und
internationaler Korruption (37/4). „In
der globalisierten Welt sind Außen- und Innenpolitik heute kaum mehr
voneinander zu trennen. Ressourcenkonflikte, Fluchtbewegungen und die
gemeinsame Herausforderung der
Klimakrise zeigen, dass die Probleme der Welt nicht vor der eigenen
Haustür Halt machen.
Frieden, Freiheit, ein Leben in Würde und der Schutz der globalen
öffentlichen Güter stehen
allen Menschen gleichermaßen zu.“(37/5); siehe ferner die zu Beginn
des Kapitels „Welt im Blick“ beschriebenen „dramatischen
Herausforderungen“ (31/2 und 31/3 mit deutlicher Kritik sowohl an der
russischen als auch der US-amerikanischen Führung, und zwar an Putin, da er an der Seite des Assad-Regimes mit brutalem militärischem Eingreifen
und der menschenverachtenden Bombardierung von
Zivilisten Fakten schaffe, an Trump
wegen seiner Pläne zu nationalistischer Abschottung und Handelskriege, das
Leugnen der Klimakrise, die Negierung der Genfer Konvention in Bezug auf das Hilfsgebot für Flüchtlinge
und (Relativierung) des Verbots von
Folter).
Wo sich das Programm konkret zu militärischen
Handlungsformen bekennt, „auch wenn sie
immer ein Übel (sind)“, bleibt es zu den konkret militärisch zu schützenden Interessen leider eher vage und weit
auslegungsfähig: „Wir erkennen jedoch an,
dass es Situationen gibt, in denen zur Eindämmung von Gewalt, zur Verhinderung
schwerer Menschenrechtsverletzungen und zur kollektiven Friedenssicherung der Einsatz
von Militär geboten sein kann.“ (39/3). In der Folge mag man aus der
näheren Beschreibung des „Konzepts der Schutzverantwortung“ entnehmen, dass die
Verfasser humanitäre Einsätze als
eine besonders akzeptierte Fallgestaltung robuster Einsätze ansehen; allerdings
ergibt sich aus dem Text auch keine Beschränkung darauf oder etwa der Ausschluss eines militärischen Schutzes von Handels- und Kommunikationssträngen, wie ihn etwa das Weißbuch 2016 ebenso wie vorangegangene Weißbücher und die geltenden Verteidigungspolitischen Richtlinien ausdrücklich als potenzielle militärische Einsatzfälle nennen. Anm.: Zur Bewertung
der Schutzverantwortung siehe auch oben unter 2; ich halte R2P nicht für ein völkerrechtlich
ausreichend fixiertes Rechtsinstitut und überdies für durch wiederkehrenden Missbrauch desavouiert.
4. Wehrverfassung
Gibt es Strategien für die Rekrutierung junger Soldaten bzw. eine Position zur Frage Berufsarmee oder Wehrpflicht? Thematisiert das Programm radikale Umtriebe?
Gibt es Strategien für die Rekrutierung junger Soldaten bzw. eine Position zur Frage Berufsarmee oder Wehrpflicht? Thematisiert das Programm radikale Umtriebe?
Bewertung:
Die Rückkehr zur
Wehrpflicht ist im Programm, soweit ich erkennen kann, nicht empfohlen; dies wäre nach der Historie der Aussetzung aber auch
nicht tatsächlich zu erwarten. Allerdings übersehen oder verdrängen die
Bündnis-Grünen m.E.: Ihr durchaus ausdrückliches Bekenntnis zu auch robusten
Handlungsformen, etwa zur Durchsetzung von Menscherechten (39/3), ist nur dann zu
realisieren, wenn sie die Umsetzung auf Bevölkerungs- und Bewerbergruppen delegieren, die entweder
weltanschaulich weit von den Bündnis-Grünen entfernt sind oder die wegen Arbeitsmarkt- oder Bildungsnachteilen
sozial gezwungen sind, sich bei der Bundeswehr zu verdingen, sodass ein
„freier Wille“ hier konstruiert wäre. Man könnte dies als das Ausnutzen oder
Herabsetzen als Werkzeug werten.
Nach meiner Auffassung kann eine politische Gruppierung ohne Verlust an demokratischer Glaubwürdigkeit nur genau dasjenige programmatisch fordern, was sie mit einer repräsentativen Menge ihrer Mitglieder auch vor Ort umsetzen könnte. Alles andere scheint mir sehr nahe an Verleitung zur Prostitution bzw. nahe an einer recht unsympathischen Einstellung, die Kant einmal sehr bildhaft und mit ungewohnt einfacher Grammatik dargestellt hat, und zwar in einer Fußnote seiner noch heute wegweisenden Schrift „Zum ewigen Frieden“: „So gab ein bulgarischer Fürst dem griechischen Kaiser, der gutmütigerweise seinen Streit mit ihm durch einen Zweikampf ausmachen wollte, zur Antwort: ‚Ein Schmied, der Zangen hat, wird das glühende Eisen aus den Kohlen nicht mit seinen Händen herauslangen.’ “ (Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden, 2. Aufl. 1796, Reclam-Ausgabe S. 17, im Netz u.a. hier).
Nach meiner Auffassung kann eine politische Gruppierung ohne Verlust an demokratischer Glaubwürdigkeit nur genau dasjenige programmatisch fordern, was sie mit einer repräsentativen Menge ihrer Mitglieder auch vor Ort umsetzen könnte. Alles andere scheint mir sehr nahe an Verleitung zur Prostitution bzw. nahe an einer recht unsympathischen Einstellung, die Kant einmal sehr bildhaft und mit ungewohnt einfacher Grammatik dargestellt hat, und zwar in einer Fußnote seiner noch heute wegweisenden Schrift „Zum ewigen Frieden“: „So gab ein bulgarischer Fürst dem griechischen Kaiser, der gutmütigerweise seinen Streit mit ihm durch einen Zweikampf ausmachen wollte, zur Antwort: ‚Ein Schmied, der Zangen hat, wird das glühende Eisen aus den Kohlen nicht mit seinen Händen herauslangen.’ “ (Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden, 2. Aufl. 1796, Reclam-Ausgabe S. 17, im Netz u.a. hier).
5. Organisation / Haushalt
Trifft das Programm Aussagen zur Organisation und Ausstattung der Bundeswehr? Wie ist dies ggf. begründet?
Trifft das Programm Aussagen zur Organisation und Ausstattung der Bundeswehr? Wie ist dies ggf. begründet?
Bewertung:
Das Programm lehnt die Anhebung des Wehretats auf 2% des BIP ausdrücklich ab (35/6), empfiehlt zur Gewährleistung
der erforderlichen Fähigkeiten aber eine Verstärkung
von Synergien im Bündnis (35/5).
Nicht problematisiert wird hier: Die zunehmende Integration kann praktische und psychologische Folgezwänge auslösen und hat dies im Falle der Arbeitsteilung etwa beim AWACS-System auch mehrfach getan. Ganz unabhängig von etatistischen Vorteilen muss diese arbeitsteilige Vernetzung auch
ein natürliches strategisches Ziel des Bündnisses sein, um schwer kalkulierbare
Kommunikations- und Entscheidungsprozesse durch gruppendynamische Effekte zu minimieren; "Bündnisfähigkeit", "faire Lastenteilung" und "Verlässlichkeit" sind nicht umsonst drei der in parlamentarischen Debatten zu Bundeswehreinsätzen meistgebrauchten und persuasivsten Wendungen.