Donnerstag, 6. Juli 2017

Wahl 2017 – Programme & Verteidigungspolitik (CDU/CSU)



So lange bis zur Wahl ist es nun nicht mehr. Was aber sagen die inzwischen veröffentlichten Wahlprogramme zur vergangenen, gegenwärtigen und beabsichtigten Rolle der Bundeswehr?

Gibt es schlüssige Analysen zu bisherigen Einsätzen? Alles gut?
Gibt es lessons learnt? Oder eher frischen, unbekümmerten Mut für morgen?

Gibt es etwa kritische Betrachtungen zu vielleicht auch selbstgesetzten Ursachen der massiven Flüchtlingswellen Mitte der Neunziger Jahre und der neueren Zeit? Immerhin spielen die innere Sicherheit und eine seit den letzten Wahlen offensichtlich nicht stabiler gewordene Weltlage in diesem Wahlkampf eine wesentliche Rolle.

Meine Prüfsteine für die Wahlprogramme sehen darum wie folgt aus – und ich werde versuchen, sie auf die einzelnen Programme loszulassen, werde auch die jeweiligen Passagen mit näherem Bezug zur Bundeswehr im Wortlauf wiedergeben (Nummerierung in Klammern ist die des Verfassers und soll erleichtern, die in Bezug genommenen Passagen zu finden).
1.      Rechenschaft / Analyse
Gibt es eine nachvollziehbare Rechenschaft zu früheren bzw. laufenden Einsätzen, insbesondere in Somalia, auf dem Balkan, in Afghanistan oder Südsudan? Gibt es ansatzweise eine Betrachtung zum Kontext zwischen nicht erfolgreichen Auslandseinsätzen, auch von Partnern, und daraus folgender Destabilisierung, zunehmendem Extremismus und folgenden Fluchtbewegungen, z.B. bzgl. Afghanistan, Irak oder Libyen, aber auch der Balkanstaaten?
2.      Gesetzesvorbehalt vs. ad hoc
Nennt das Programm konkrete, vorhersagbare, ggf. justiziable Kriterien für Auslandseinsätze? Stellt es eine gesetzliche Regelung von Einsatzgründen in Aussicht, z.B. in Gestalt einer Anpassung des Grundgesetzes bzw. des Erlasses eines Bundeswehraufgabengesetzes?
3.      NATO / VN; Risiken und Interessen
Welchen Stellenwert haben NATO und VN? Was sind die relevanten Risiken und Interessen aus deutscher Sicht?
4.      Wehrverfassung
Gibt es Strategien für die Rekrutierung junger Soldaten bzw. eine Position zur Frage Berufsarmee oder Wehrpflicht? Thematisiert das Programm radikale Umtriebe?
5.      Organisation / Haushalt
Trifft das Programm Aussagen zur Organisation und Ausstattung der Bundeswehr? Wie ist dies ggf. begründet?

Ich werde mich auf die – auch in der derzeitigen öffentlichen Debatte – gewichtigeren Wahlbewerber konzentrieren und diese in der Reihenfolge der Ergebnisse bei der 2013er Wahl behandeln, also in dieser Folge: CDU/CSU (41,5%), SPD (25,7%), DIE LINKE (8,6%), BÜNDNIS’90/DIE GRÜNEN (8,4%), FDP (4,8%), AfD (4,7%).

1. CDU/CSU

https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/170703regierungsprogramm2017.pdf?file=1, beschlossen am 3.7.2017; in leichter Sprache: https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/regierungsprogramm-in-leichter-sprache-btw13.pdf

Auszug aus dem ausführlichen Programm (S. 63f):

Deutschlands Rolle in der Welt
(1) Als politisch starkes Land in der Mitte Europas und weltweit vernetzte Wirtschaftsnation hat Deutschland nicht nur ein vitales Interesse an der eigenen Sicherheit, sondern auch an einer dauerhaft friedlichen, stabilen und gerechten Ordnung in der Welt. Wir leisten relevante Beiträge, um eine solche Ordnung zu schaffen, zu stärken und zu verteidigen. Damit kommen wir unserer seit der Wiedervereinigung größer gewordenen Verantwortung nach.
(2) Wir wollen Bonn als deutschen Standort der Vereinten Nationen, als Sitz internationaler Nichtregierungsorganisationen und Standort für internationale Kongresse und Konferenzen stärken. Genauso stehen wir uneingeschränkt zu den Vereinbarungen des Bonn/Berlin-Gesetzes. Die Bundesstadt Bonn ist das zweite bundespolitische Zentrum.
(3) Geleitet werden wir von unserer Bindung an Werte der Menschenwürde, den Schutz und der Förderung der Menschenrechte, von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Toleranz.
(4) Unser internationales Handeln und unser Engagement erfolgen eingebunden in Bündnisse und internationale Organisationen, allen voran NATO und EU sowie im Rahmen der Vereinten Nationen und der OSZE und in enger Absprache mit unseren Verbündeten und Partnern. Für uns ist es darum Kern deutscher Außen- und Sicherheitspolitik, die bilaterale und multilaterale Zusammenarbeit zu stärken. Wir wollen, dass Deutschland für ein verlässliches Engagement in Bündnissen steht.
(5) Die USA sind und bleiben unser wichtigster außereuropäischer Partner. Wir verdanken ihnen viel: Ihr Vertrauen und ihre Unterstützung nach dem Zweiten Weltkrieg haben Deutschlands Weg zurück in die Familie der freien demokratischen Nationen und die deutsche Wiedervereinigung erst ermöglicht. Und auch angesichts der zukünftig absehbaren Herausforderungen verbinden uns Europäer gemeinsame Werte mit unseren nordamerikanischen Partnern enger, stärker und haltbarer als mit irgendeiner anderen Region der Welt. Wir haben darum ein fundamentales sicherheitspolitisches Interesse an einem starken und verlässlichen Partner USA.
(6) Wir bekennen uns zur besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel. Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels sind Teil der deutschen Staatsräson. Wir treten für eine Zwei-Staaten-Lösung ein. Wir appellieren an Russland, das Abkommen von Minsk dauerhaft einzuhalten und umzusetzen und führen beständig den Dialog weiter.
Bundeswehr als Garant unserer Sicherheit
(7) Seit über 60 Jahren ist die Bundeswehr der Garant unserer äußeren Sicherheit. Aufgrund ihrer hohen Einsatzbereitschaft, ihrer Professionalität und ihrer Menschlichkeit hat sie sich höchste Anerkennung im In - und Ausland erworben. Wir stehen zur Bundeswehr, ihren Soldatinnen und Soldaten und ihren Zivilangestellten, und werden dafür sorgen, dass sie ihre Aufgaben auch künftig erfüllen kann in den Einsätzen weltweit, bei der Bündnis- und Landesverteidigung und bei Unterstützungs- und Hilfsmaßnahmen in der Heimat.
(8) Damit die Bundeswehr diesen Aufgaben gewachsen ist und die Soldatinnen und Soldaten die Ausrüstung und die Arbeitsbedingungen erhalten, die sie brauchen, haben wir auf Grundlage des neuen Weißbuches der Bundesregierung von 2016 eine Trendwende eingeleitet. Nach 25 Jahren der Schrumpfung wächst die Bundeswehr wieder. Sie erhält jetzt mehr Personal, mehr modernes Material, eine ausreichende Finanzausstattung.

(9) So soll die Zahl der Bundeswehrangehörigen bis 2024 um 18 000 Menschen zunehmen. Wir haben den Materialstau in den vergangenen vier Jahren aufgelöst und Ausstattung in Höhe von 30 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Angesichts der Sicherheitslage ist neben dem internationalen Engagement eine Refokussierung auf Bündnis- und Landesverteidigung erforderlich. Das dazu notwendige zusätzliche Material, die Modernisierung des vorhandenen sowie der Erwerb neuer Fähigkeiten bedürfen zusätzlicher Investitionen zum bisherigen Investitionsplan.

(10) Damit die Bundeswehr ihren Beitrag für die Cybersicherheit unseres Landes leisten kann, haben wir ein neues Cyberkommando mit einem eigenen Cyberinspekteur aufgestellt. Wir werden in hochqualifiziertes Personal und Spitzentechnologie investieren. IT-Sicherheit und Cyber-Defence müssen ins Zentrum von Forschung und Strategie rücken. Der Ausbau der Universität der Bundeswehr in München als zentrale Forschungsstelle für Cybersicherheit muss weiter vorangetrieben werden. Die Bundeswehr muss ihre Fähigkeit zu Computer-Netzwerk-Operationen weiter ausbauen und offensive Cyber-Fähigkeiten in ihrem Fähigkeitsspektrum verankern.

(11) Für die Leistungsfähigkeit und die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr ist neben Personal und Material die Innere Führung unverzichtbar. Wir wollen sie stärken. Die Bundeswehr kann nach 60 Jahren stolz auf ihre eigene erfolgreiche Geschichte und Traditionen sein.

(12) Zentral für die wachsende Bundeswehr ist die „Trendwende Finanzen“. Wie auf dem NATO-Gipfel 2014 in Wales vereinbart, wollen wir unsere Ausgaben für Verteidigung bis zum Jahre 2024 schrittweise in Richtung 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen. Dieser Beschluss dient unserer eigenen Sicherheit vor Gefährdungen von außen. Er wurde vom Bündnis einstimmig und mit dem damaligen US-Präsidenten Obama gefasst und seinerzeit von der gesamten Bundesregierung, von CDU, CSU und SPD, mitgetragen. Seine Umsetzung ist auch eine Frage der Verlässlichkeit.

(13) Um den außen - und sicherheitspolitischen Herausforderungen von heute gewachsen zu sein, müssen die Instrumente der Diplomatie, der Polizei, der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie der Entwicklungszusammenarbeit innerhalb eines vernetzten Ansatzes besser miteinander abgestimmt und koordiniert werden. Deshalb werden wir parallel zur Erhöhung des Verteidigungshaushaltes auch die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit im Maßstab 1:1 erhöhen, bis die ODA-Quote von 0,7 Prozent des BIP erreicht ist. Für den vernetzten Ansatz wollen wir eine zentrale Koordinierung innerhalb der Bundesregierung und im Parlament schaffen.

Nun meine Bewertungen zu den Einzelfragen:
1.      Rechenschaft / Analyse
Gibt es eine nachvollziehbare Rechenschaft zu früheren bzw. laufenden Einsätzen, insbesondere in Somalia, auf dem Balkan, in Afghanistan oder Südsudan? Gibt es ansatzweise eine Betrachtung zum Kontext zwischen nicht erfolgreichen Auslandseinsätzen, auch von Partnern, und Fluchtbewegungen, z.B. bzgl. Afghanistan, Irak oder Libyen?
Bewertung:
Das Programm spricht bisherige oder laufende Einsätze nicht an. Es bilanziert allenfalls summarisch, die Bundeswehr habe sich aufgrund ihrer hohen Einsatzbereitschaft, ihrer Professionalität und ihrer Menschlichkeit … höchste Anerkennung im In - und Ausland erworben“ (7). Das Erreichen oder Verfehlen konkreter Einsatzziele wird nicht analysiert. Als erfolgreich erreicht ist ggf. noch ein mittelbares Ziel herauszulesen, nämlich das „verlässliche Engagement in Bündnissystemen“, wie es auch weiter verfolgt werden soll (4).
Mögliche kritische Nebenfolgen bewaffneter Einsätze wie etwa ein Beitrag zu Fluchtbewegungen vom Balkan, aus Afghanistan oder Irak werden nicht thematisiert, auch wenn die durch Migration herausgeforderte innere Sicherheit ansonsten einen breiten Raum im Wahlprogramm der CDU/CSU einnimmt. Ich folgere daraus, dass ein Sachzusammenhang oder ein Negativ-Kriterium für kommende Einsatzentscheidungen nicht angenommen wird. Ein wenig lesson learnt steckt in dem abschließenden Bekenntnis zu einer künftig zu verbessernden Abstimmung militärischer und ziviler Hilfsmaßnahmen und einer auch finanziellen weiteren Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit (13). Allerdings ist dies bereits laufende Politik und bei akut krisenhaften Entwicklungen wie im Afghanistan der letzten Jahre konnte die zivil-militärische Zusammenarbeit m.E. nur begrenzten Nutzen stiften, auch wegen der Zurückhaltung der zivilen Partner.
2.      Gesetzesvorbehalt vs. ad hoc
Nennt das Programm konkrete, vorhersagbare, ggf. justiziable Kriterien für Auslandseinsätze? Stellt es eine gesetzliche Regelung von Einsatzgründen in Aussicht, z.B. in Gestalt einer Anpassung des Grundgesetzes bzw. des Erlasses eines Bundeswehraufgabengesetzes?
Bewertung:
Das Programm nennt keine Kriterien für Auslandseinsätze, spricht zu den Bundeswehr aufgaben nur pauschal von „Einsätzen weltweit, bei der Bündnis- und Landesverteidigung und bei Unterstützungs- und Hilfsmaßnahmen in der Heimat“ (7).

Ich gehe davon aus: CDU/CSU halten das bisherige bündnisfreundliche, auf die 1994er Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gestützte Verfahren einer jeweiligen ad-hoc-Entscheidung des Bundestags über einen vorangehenden Beschluss für nach wie vor richtig. Eine Initiative zur verfassungsrechtlichen oder gesetzlichen Klarstellung steht dann nicht zu erwarten. Hier wäre allerdings zumindest eine differenzierende Stellungnahme geboten. Denn die vom Bundestag in der laufenden Legislatur eingesetzte Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr hatte in der expliziten Nr. 13 ihres Berichts zu einem kritischen Reflexionsprozess zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen von Einsätzen der Streitkräfte aufgefordert, gerade da es im Verlauf der Kommissionsarbeit gewichtige und ausweislich des beschlossenen Inhalts unter den Mitgliedern mehrheitlich geteilte verfassungsrechtliche Zweifel an der bisherigen Praxis gibt (Unterrichtung des Bundestages v. 16.6.2015 in Drs. 18/5000, siehe dort S. 44f; siehe auch Weißbuch 2016, S. 109).
Ich halte dies für sehr bedenklich. Die wesentlichste Änderung in Aufgaben und Struktur der Bundeswehr seit ihrer Gründung, die dann auch massiv und nicht umkehrbar in Grund- und Menschenrechte von Inländern und Ausländern einwirken kann und real eingewirkt hat, diese stützt sich seit mehr als 20 Jahren lediglich auf eine Entscheidung einer Spruchkammer unseres Verfassungsgerichts (siehe Wortlaut der Entscheidung v. 12.7.1994 unter http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv090286.html; siehe ferner informative Darstellung unter http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/188072/20-jahre-parlamentsvorbehalt-10-07-2014) unter offen kritisierter Überschreitung seiner eigentlichen Interpretationsmacht. An keiner Stelle geht die Entscheidung zudem auf potenzielle Grundrechtseingriffe durch militärische Gewalt und auf deren Voraussetzungen ein; sie entwertet damit für den besonders kritischen Fall des Einsatzes militärischer Gewalt die Sicherheitsgarantien des ersten und wichtigsten Grundgesetzabschnittes. Sie basierte auch nicht auf einen nach dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts in vergleichbaren Fällen geforderten normativen Prozess unter potenziell breiter diskursiver Beteiligung der Staatsbürger/innen, der dem Maßstab von Art.  19 Abs. 4 des Grundgesetzes und insbesondere dem dortigen Zitiergebot genügen würde.
3.      NATO / VN; Risiken und Interessen
Welchen Stellenwert haben NATO und VN? Was sind die relevanten Risiken und Interessen aus deutscher Sicht?
Bewertung:
Nächst der Bindung an an Werte der Menschenwürde, den Schutz und der Förderung der Menschenrechte, von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Toleranz (3) ist nach dem Programm der CDU/CSU die feste Einbindung in internationale Organisationen eines der grundlegenden Merkmale der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik (4). Bemerkenswert ist allerdings: Das Programm nennt nicht an erster Stelle die VN, sondern „allen voran NATO und EU“. Die Vereinten Nationen und die OSZE sind mit einem „sowie“ erst danach angehängt (4). Das spricht eher für eine eigennützige, gegenseitige und potenziell selbst-mandatierende Vernetzung unter weltanschaulich nahestehenden Staaten und Institutionen, weniger dagegen für das m.E. effizienter friedenssichernde Prinzip globaler Vernetzung und kollektiver Interessenausgleiche. Letzteres Prinzip kann zumindest ebensogut auf Art. 24 Abs. 2 GG gestützt werden und vermag es nach meiner Erfahrung, die real existierenden Machtblöcke und institutionell verfestigten Eigeninteressen, die verschiedenen Einflusszonen, Kulturbereiche und Entwicklungsstadien eher zu überwinden und zu mittelfristig besser tragfähigen Lösungen beizutragen.
Bei den Interessen und Risiken Deutschlands werden eine in Europa (geografisch) zentrale Position und seine globale ökonomische Vernetzung herausgehoben: „Als politisch starkes Land in der Mitte Europas und weltweit vernetzte Wirtschaftsnation hat Deutschland nicht nur ein vitales Interesse an der eigenen Sicherheit, sondern auch an einer dauerhaft friedlichen, stabilen und gerechten Ordnung in der Welt.“ (1) Damit wird gleichzeitig der Struck’sche Satz einer grundsätzlich ubiquitären Verteidigung der Freiheit Deutschlands bestätigt („Auch am Hindukusch…“). Leider wirkt dies zumindest mittelbar apologetisch eine globale Interventionspolitik, wie sie bereits zu kolonialen Zeiten für Deutschland sehr übel ausgeschlagen war – mit Nachwirkungen selbst bei unseren Alliierten bis in die jüngste Zeit, siehe die scharfe sog. Hunnen-Rede Wilhelms des Zweiten, mit der er das deutsche China-Expeditionskorps verabschiedet hatte.
Als neuer Schwerpunkt bei den Fähigkeiten – der allerdings bereits im Weißbuch 2006 angesprochen worden war – ist in dem Abschnitt konkret zur Bundeswehr ein „Beitrag für die Cybersicherheit unseres Landes“ genannt. Das mag auch als ein moderner, ggf. für junge Menschen werbekräftiger Aspekt gedacht sein, damit dual-use. Als sehr kritisch sehe ich allerdings an: Dort wird explizit gefordert und angekündigt, „offensive Cyber-Fähigkeiten in ihrem Fähigkeitsspektrum zu verankern“ (10). Ich betrachte das als Verstoß gegen Art. 26 Abs. 1 und Art. 87a Abs. 2 GG bzw. gegen das Verbot der Vorbereitung und Durchführung offensiver Kriegshandlungen. Es würde mich als Bürger ohnedies sehr beunruhigen, wenn der Staat bzw. seine vernetzten zivilen und militärischen Dienste gezielte Strategien zur Manipulation unserer Kommunikationswege erarbeiteten würden.
Ein weiterer strategischer Schwerpunkt soll offenbar mit der „Refokussierung auf Bündnis- und Landesverteidigung“ angesprochen werden; er wird auch zur Begründung eines steigenden Bundeswehr-Etats herangeführt (9). An anderer Stelle heißt es, eine in der NATO bereits 2014 beschlossene Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 2% des BIP bis 2024 „dient unserer eigenen Sicherheit vor Gefährdungen von außen“ (11). Nach dem besonderen Betonen der atlantischen Partnerschaft als „enger, stärker und haltbarer als mit irgendeiner anderen Region der Welt“ (5) lese ich das auch als potenzielles Wiederaufleben einer konventionellen Rüstung gegen etwaige Bedrohungen aus dem Osten, damit auch als einen forcierten West-Ost-Gegensatz und Start einer nicht rational erscheinenden weiteren Rüstungsspirale, naturgemäß mit Nutzen auch für heimische Ausrüster. Fast unnötig ist indessen zu erwähnen: Bei der gegenwärtigen, bei vorsichtiger Umschreibung unkonventionellen und explorativen amerikanischen Führung halte ich etwaige gemeinsame Waffengänge für ein besonderes Risiko, auch nicht für eine Gewähr der Vereinbarkeit mit internationalem Recht.
4.      Wehrverfassung
Gibt es Strategien für die Rekrutierung junger Soldaten bzw. eine Position zur Frage Berufsarmee oder Wehrpflicht? Thematisiert das Programm radikale Umtriebe?
Bewertung:
Die angesichts von Bundeswehrskandalen hier und da geführte Diskussion zur Wiedereinsetzung der Wehrpflicht findet im Programm keine Resonanz – weder positiv noch negativ. Höchst mittelbar könnte man eine Reaktion auf aktuelle Skandale in einem verstärkten Bekenntnis zur inneren Führung finden: „Für die Leistungsfähigkeit und die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr ist neben Personal und Material die Innere Führung unverzichtbar. Wir wollen sie stärken. Die Bundeswehr kann nach 60 Jahren stolz auf ihre eigene erfolgreiche Geschichte und Traditionen sein.“ (11)
Dazu zweierlei: Wenn es um eigene Traditionen der Bundeswehr ginge, so wären die Wehrpflicht und der „Staatsbürger in Uniform“ schwer daraus wegzudefinieren; die innere Führung hatte beides mit den Zwängen einer hierarchischen militärischen Ordnung verklammert. Zum anderen war die innere Führung gleichzeitig ein konkret auf das Grundgesetz bezogenes und daran orientiertes Korsett und Korrektiv des einzelnen Soldaten gegenüber autoritären und menschenrechtswidrigen Entgleisungen, die als ein zumindest statistisches Risiko "Befehl und Gehorsam" immer mit sich tragen. Nach 1945 gab es zwar wiederholt menschenrechtswidrige Entgleisungen gegenüber Untergebenen (z.B. die sog. Schleifer-Fälle), aber nur mit historischem Bezug die massiven Menschenrechtsverletzungen der Wehrmacht im Rahmen der Feldzüge insbesondere im Osten, Süden und Westen. Seit nun die Kampfaufgaben der Bundeswehr nicht mehr ausschließlich durch die Verfassung definiert bzw. begrenzt sind (bisher = Landes- oder Bündnisverteidigung gegen einen gegenwärtigen militärischen Angriff), sondern anhand nur noch wenig trennscharfer Umschreibungen wie „Krise“, „Konflikt“ und „Vorsorge“ aus Weißbüchern (zuletzt: Weißbuch 2016) und Verteidigungspolitischen Richtlinien (zuletzt: Richtlinien 2011) interpretiert und erschlossen werden müssen, seit erneut das aus den Weltkriegen bekannte Dilemma schwerer Unterscheidbarkeit von Zivilisten, Aufständischen und Widerstandskämpfern entsteht, seit der Einsatzraum der Bundeswehr praktisch globalisiert ist, seitdem ist das innere Korsett weiter und weiter geworden und taugt nicht länger als Korrektiv, als innerer Kompass. Das Problem ist und bleibt: Sind die zulässigen Kriegsgründe wohldefiniert, dann kann sie jeder überprüfen; werden sie dagegen beliebig und sind Bündnisinteressen ggf. entscheidender, dann eignen sie sich auch bei kunstvollster Formulierung nicht als Lernstoff für die innere Führung, auch nicht für persönliche Identifikation.
5.      Organisation / Haushalt
Trifft das Programm Aussagen zur Organisation und Ausstattung der Bundeswehr? Wie ist dies ggf. begründet?
Bewertung:
Das Programm der CDU/CSU hebt die bereits vollzogene Trendwende von einer Schrumpfung der Bundeswehr hin zu neuem Wachstum hervor und einen bereits aufgelösten Materialstau nebst der Vorbereitung von Investitionen/Beschaffungen mit einem Volumen von 18 Milliarden € (8); dies soll sich in der Zukunft mit einem Aufwachsen der Personalstärke um 18.000 bis 2024 fortsetzen, mit die bisherigen Planung nochmals übersteigenden Investitionen für zusätzliches Material, Modernisierung und den Erwerb neuer Fähigkeiten (9).
Als Begründung des Aufwuchses führt das Programm ohne nähere Spezifizierung die o.g. „Refokussierung auf Bündnis- und Landesverteidigung“ an (9), adressiert damit vermutlich einen künftigen Aufwand für einen wieder angefachten Ost-West-Konflikt, aber insbesondere die mit Bündnispartnern verabredete „Trendwende Finanzen“, die in den kommenden 7 Jahren zu einem graduellen Anwachsen der militärischen Kosten auf 2% des BIP geführt werden soll und bei der man „Verlässlichkeit“ zeigen wolle (12).
Die „Refokussierung“ birgt aus meiner Sicht Risiken für einen neu aufgelegten Rüstungswettlauf und eine erhebliche Belastung des Haushalts – bei naturgemäß gleichzeitig wachsenden Expektanzen und Chancen für die wehrtechnische Industrie. Die partnerschaftliche „Trendwende Finanzen“ geht in eine ähnliche Richtung. Die inneliegende Bündniskameradschaft und die institutionellen Interessen der Bündnisorganisation scheinen zudem falsch an erste Stelle gesetzt und zu einer Verklammerung zu führen, die eine eigenständige Entscheidung über Konfliktanalyse und Konfliktlösung beschwert. Die Beschreibung eines Auflösens des „Materialstaus“ täuscht m.E. leichter Hand über die massiv gescheiterte oder zumindest weit verzögerte Beschaffung wesentlicher Systeme hinweg, etwa beim Lufttransport.
Anm.: Die Zusammenfassung des Wahl- bzw. Regierungsprogramms der CDU/CSU in leichter Sprache enthält zur Bundeswehr noch eine besondere Note, die ggf. noch auf eine frühere Fassung des Langtextes zurückgeht, sich in dieser Pointierung aber dort nun nicht mehr findet: Von den insgesamt drei dort formulierten programmatischen Forderungen ist die erste - wie auch in der Vollfassung - auf Verbesserung der technischen Ausstattung gerichtet, aber die folgenden zwei auf Attraktivität des Dienstes, auch mit Blick auf die Bewerberlage: „Der Staat soll den Soldaten helfen. Damit es den Soldaten gut geht.“ „Und junge Leute sollen gerne  Soldaten werden. Damit die Bundes-Wehr genug Soldaten hat.“ Möglicherweise bliebt dies am Ende in der ausführlichen Version deshalb ausgespart, weil diese – real existente und nicht überzeugend lösbare – Problematik der Konkurrenz um die Gutqualifizierten auch die ebensowenig zu beantwortende Frage der Verträglichkeit robuster Bundeswehraufgaben mit den Zielen der bürgerlichen Mitte aufrufen kann.
 

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