So lange bis zur Wahl ist es nun nicht mehr. Was aber sagen die inzwischen veröffentlichten Wahlprogramme zur vergangenen, gegenwärtigen und beabsichtigten Rolle der Bundeswehr?
Gibt es schlüssige Analysen zu bisherigen Einsätzen? Alles gut?
Gibt es lessons learnt? Oder eher frischen, unbekümmerten Mut für morgen?
Gibt es etwa kritische Betrachtungen zu vielleicht auch selbstgesetzten Ursachen der massiven Flüchtlingswellen Mitte der Neunziger Jahre und der neueren Zeit? Immerhin spielen die innere Sicherheit und eine seit den letzten Wahlen offensichtlich nicht stabiler gewordene Weltlage in diesem Wahlkampf eine wesentliche Rolle.
Meine Prüfsteine für die Wahlprogramme sehen darum wie folgt aus – und ich werde versuchen, sie auf die einzelnen Programme loszulassen, werde auch die jeweiligen Passagen mit näherem Bezug zur Bundeswehr im Wortlauf wiedergeben (Nummerierung in Klammern ist die des Verfassers und soll erleichtern, die in Bezug genommenen Passagen zu finden).
1. Rechenschaft / Analyse
Gibt es eine nachvollziehbare Rechenschaft zu früheren bzw. laufenden Einsätzen, insbesondere in Somalia, auf dem Balkan, in Afghanistan oder Südsudan? Gibt es ansatzweise eine Betrachtung zum Kontext zwischen nicht erfolgreichen Auslandseinsätzen, auch von Partnern, und daraus folgender Destabilisierung, zunehmendem Extremismus und folgenden Fluchtbewegungen, z.B. bzgl. Afghanistan, Irak oder Libyen, aber auch der Balkanstaaten?
Gibt es eine nachvollziehbare Rechenschaft zu früheren bzw. laufenden Einsätzen, insbesondere in Somalia, auf dem Balkan, in Afghanistan oder Südsudan? Gibt es ansatzweise eine Betrachtung zum Kontext zwischen nicht erfolgreichen Auslandseinsätzen, auch von Partnern, und daraus folgender Destabilisierung, zunehmendem Extremismus und folgenden Fluchtbewegungen, z.B. bzgl. Afghanistan, Irak oder Libyen, aber auch der Balkanstaaten?
2. Gesetzesvorbehalt vs. ad hoc
Nennt das Programm konkrete, vorhersagbare, ggf. justiziable Kriterien für Auslandseinsätze? Stellt es eine gesetzliche Regelung von Einsatzgründen in Aussicht, z.B. in Gestalt einer Anpassung des Grundgesetzes bzw. des Erlasses eines Bundeswehraufgabengesetzes?
Nennt das Programm konkrete, vorhersagbare, ggf. justiziable Kriterien für Auslandseinsätze? Stellt es eine gesetzliche Regelung von Einsatzgründen in Aussicht, z.B. in Gestalt einer Anpassung des Grundgesetzes bzw. des Erlasses eines Bundeswehraufgabengesetzes?
3. NATO / VN; Risiken und Interessen
Welchen Stellenwert haben NATO und VN? Was sind die relevanten Risiken und Interessen aus deutscher Sicht?
Welchen Stellenwert haben NATO und VN? Was sind die relevanten Risiken und Interessen aus deutscher Sicht?
4. Wehrverfassung
Gibt es Strategien für die Rekrutierung junger Soldaten bzw. eine Position zur Frage Berufsarmee oder Wehrpflicht? Thematisiert das Programm radikale Umtriebe?
Gibt es Strategien für die Rekrutierung junger Soldaten bzw. eine Position zur Frage Berufsarmee oder Wehrpflicht? Thematisiert das Programm radikale Umtriebe?
5. Organisation / Haushalt
Trifft das Programm Aussagen zur Organisation und Ausstattung der Bundeswehr? Wie ist dies ggf. begründet?
Trifft das Programm Aussagen zur Organisation und Ausstattung der Bundeswehr? Wie ist dies ggf. begründet?
Ich werde mich auf die – auch in der derzeitigen öffentlichen Debatte – gewichtigeren Wahlbewerber konzentrieren und diese in der Reihenfolge der Ergebnisse bei der 2013er Wahl behandeln, also in dieser Folge: CDU/CSU (41,5%), SPD (25,7%), DIE LINKE (8,6%), BÜNDNIS’90/DIE GRÜNEN (8,4%), FDP (4,8%), AfD (4,7%).
1. CDU/CSU
https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/170703regierungsprogramm2017.pdf?file=1, beschlossen am 3.7.2017; in leichter Sprache: https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/regierungsprogramm-in-leichter-sprache-btw13.pdf
Auszug aus dem ausführlichen Programm (S. 63f):
Deutschlands Rolle in
der Welt
(1) Als politisch starkes Land in der Mitte Europas und weltweit
vernetzte Wirtschaftsnation
hat Deutschland nicht nur ein vitales Interesse an der eigenen Sicherheit, sondern auch an einer
dauerhaft friedlichen, stabilen und gerechten Ordnung in der Welt. Wir leisten relevante Beiträge, um eine
solche Ordnung zu schaffen,
zu stärken und zu verteidigen. Damit kommen wir unserer seit der Wiedervereinigung größer gewordenen
Verantwortung nach.
(2) Wir wollen Bonn als deutschen Standort der Vereinten Nationen,
als Sitz internationaler
Nichtregierungsorganisationen und Standort für internationale Kongresse und Konferenzen stärken. Genauso
stehen wir uneingeschränkt zu den Vereinbarungen des Bonn/Berlin-Gesetzes. Die Bundesstadt Bonn ist das zweite
bundespolitische Zentrum.
(3) Geleitet
werden wir von unserer Bindung an Werte der Menschenwürde, den Schutz und der Förderung der
Menschenrechte, von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Toleranz.
(4) Unser
internationales Handeln und unser Engagement erfolgen eingebunden in Bündnisse und internationale Organisationen,
allen voran NATO und EU sowie im Rahmen der Vereinten Nationen und der OSZE und in enger Absprache mit
unseren Verbündeten und
Partnern. Für uns ist es darum Kern deutscher Außen- und Sicherheitspolitik, die
bilaterale und multilaterale Zusammenarbeit zu stärken. Wir wollen, dass
Deutschland für ein verlässliches Engagement in Bündnissen steht.
(5) Die USA
sind und bleiben unser wichtigster außereuropäischer Partner. Wir verdanken
ihnen viel: Ihr Vertrauen und ihre Unterstützung nach dem Zweiten Weltkrieg
haben Deutschlands Weg zurück
in die Familie der freien demokratischen Nationen und die deutsche Wiedervereinigung erst
ermöglicht. Und auch angesichts der zukünftig absehbaren Herausforderungen verbinden uns Europäer gemeinsame
Werte mit unseren nordamerikanischen
Partnern enger, stärker und haltbarer als mit irgendeiner anderen Region der Welt. Wir haben darum
ein fundamentales sicherheitspolitisches
Interesse an einem starken und verlässlichen Partner USA.
(6) Wir bekennen
uns zur besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel. Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels
sind Teil der deutschen Staatsräson. Wir treten für eine Zwei-Staaten-Lösung ein. Wir appellieren an Russland, das Abkommen
von Minsk dauerhaft einzuhalten und umzusetzen und führen beständig den Dialog weiter.
Bundeswehr
als Garant unserer Sicherheit
(7) Seit
über 60 Jahren ist die Bundeswehr der Garant unserer äußeren Sicherheit. Aufgrund
ihrer hohen Einsatzbereitschaft, ihrer Professionalität und ihrer
Menschlichkeit hat sie sich höchste Anerkennung im In - und Ausland erworben. Wir stehen zur Bundeswehr, ihren
Soldatinnen und Soldaten und ihren Zivilangestellten, und werden dafür sorgen, dass sie ihre Aufgaben
auch künftig erfüllen kann in
den Einsätzen weltweit, bei der Bündnis- und Landesverteidigung und bei Unterstützungs- und
Hilfsmaßnahmen in der Heimat.
(8) Damit
die Bundeswehr diesen Aufgaben gewachsen ist und die Soldatinnen und Soldaten die Ausrüstung und die Arbeitsbedingungen
erhalten, die sie brauchen,
haben wir auf Grundlage des neuen Weißbuches der Bundesregierung von 2016 eine Trendwende
eingeleitet. Nach 25 Jahren der Schrumpfung wächst die Bundeswehr wieder. Sie
erhält jetzt mehr Personal, mehr modernes Material, eine ausreichende Finanzausstattung.
(9) So soll die Zahl der Bundeswehrangehörigen bis 2024 um 18 000 Menschen zunehmen. Wir haben den Materialstau in den vergangenen vier Jahren aufgelöst und Ausstattung in Höhe von 30 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Angesichts der Sicherheitslage ist neben dem internationalen Engagement eine Refokussierung auf Bündnis- und Landesverteidigung erforderlich. Das dazu notwendige zusätzliche Material, die Modernisierung des vorhandenen sowie der Erwerb neuer Fähigkeiten bedürfen zusätzlicher Investitionen zum bisherigen Investitionsplan.
(10) Damit die Bundeswehr ihren Beitrag für die Cybersicherheit unseres Landes leisten kann, haben wir ein neues Cyberkommando mit einem eigenen Cyberinspekteur aufgestellt. Wir werden in hochqualifiziertes Personal und Spitzentechnologie investieren. IT-Sicherheit und Cyber-Defence müssen ins Zentrum von Forschung und Strategie rücken. Der Ausbau der Universität der Bundeswehr in München als zentrale Forschungsstelle für Cybersicherheit muss weiter vorangetrieben werden. Die Bundeswehr muss ihre Fähigkeit zu Computer-Netzwerk-Operationen weiter ausbauen und offensive Cyber-Fähigkeiten in ihrem Fähigkeitsspektrum verankern.
(11) Für die Leistungsfähigkeit und die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr ist neben Personal und Material die Innere Führung unverzichtbar. Wir wollen sie stärken. Die Bundeswehr kann nach 60 Jahren stolz auf ihre eigene erfolgreiche Geschichte und Traditionen sein.
(12) Zentral für die wachsende Bundeswehr ist die „Trendwende Finanzen“. Wie auf dem NATO-Gipfel 2014 in Wales vereinbart, wollen wir unsere Ausgaben für Verteidigung bis zum Jahre 2024 schrittweise in Richtung 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen. Dieser Beschluss dient unserer eigenen Sicherheit vor Gefährdungen von außen. Er wurde vom Bündnis einstimmig und mit dem damaligen US-Präsidenten Obama gefasst und seinerzeit von der gesamten Bundesregierung, von CDU, CSU und SPD, mitgetragen. Seine Umsetzung ist auch eine Frage der Verlässlichkeit.
(13) Um den außen - und sicherheitspolitischen Herausforderungen von heute gewachsen zu sein, müssen die Instrumente der Diplomatie, der Polizei, der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie der Entwicklungszusammenarbeit innerhalb eines vernetzten Ansatzes besser miteinander abgestimmt und koordiniert werden. Deshalb werden wir parallel zur Erhöhung des Verteidigungshaushaltes auch die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit im Maßstab 1:1 erhöhen, bis die ODA-Quote von 0,7 Prozent des BIP erreicht ist. Für den vernetzten Ansatz wollen wir eine zentrale Koordinierung innerhalb der Bundesregierung und im Parlament schaffen.
Nun meine Bewertungen zu den Einzelfragen:
1. Rechenschaft / Analyse
Gibt es eine nachvollziehbare Rechenschaft zu früheren bzw. laufenden Einsätzen, insbesondere in Somalia, auf dem Balkan, in Afghanistan oder Südsudan? Gibt es ansatzweise eine Betrachtung zum Kontext zwischen nicht erfolgreichen Auslandseinsätzen, auch von Partnern, und Fluchtbewegungen, z.B. bzgl. Afghanistan, Irak oder Libyen?
Gibt es eine nachvollziehbare Rechenschaft zu früheren bzw. laufenden Einsätzen, insbesondere in Somalia, auf dem Balkan, in Afghanistan oder Südsudan? Gibt es ansatzweise eine Betrachtung zum Kontext zwischen nicht erfolgreichen Auslandseinsätzen, auch von Partnern, und Fluchtbewegungen, z.B. bzgl. Afghanistan, Irak oder Libyen?
Bewertung:
Das Programm spricht bisherige oder laufende
Einsätze nicht an. Es bilanziert allenfalls summarisch, die Bundeswehr
habe sich „aufgrund ihrer hohen
Einsatzbereitschaft, ihrer Professionalität und ihrer Menschlichkeit … höchste
Anerkennung im In - und Ausland erworben“ (7). Das Erreichen oder Verfehlen konkreter Einsatzziele wird
nicht analysiert. Als erfolgreich erreicht ist ggf. noch ein mittelbares
Ziel herauszulesen, nämlich das „verlässliche Engagement in Bündnissystemen“, wie
es auch weiter verfolgt werden soll (4).
Mögliche
kritische Nebenfolgen bewaffneter Einsätze wie etwa ein Beitrag zu
Fluchtbewegungen vom Balkan, aus Afghanistan oder Irak werden nicht
thematisiert, auch wenn die durch Migration herausgeforderte innere Sicherheit
ansonsten einen breiten Raum im Wahlprogramm der CDU/CSU einnimmt. Ich folgere
daraus, dass ein Sachzusammenhang oder ein Negativ-Kriterium für kommende
Einsatzentscheidungen nicht angenommen wird. Ein wenig lesson learnt steckt in dem abschließenden Bekenntnis zu einer künftig zu
verbessernden Abstimmung militärischer und ziviler Hilfsmaßnahmen und einer
auch finanziellen weiteren Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit (13). Allerdings
ist dies bereits laufende Politik und bei akut krisenhaften Entwicklungen wie
im Afghanistan der letzten Jahre konnte die zivil-militärische Zusammenarbeit
m.E. nur begrenzten Nutzen stiften, auch wegen der Zurückhaltung der zivilen Partner.
2. Gesetzesvorbehalt vs. ad hoc
Nennt das Programm konkrete, vorhersagbare, ggf. justiziable Kriterien für Auslandseinsätze? Stellt es eine gesetzliche Regelung von Einsatzgründen in Aussicht, z.B. in Gestalt einer Anpassung des Grundgesetzes bzw. des Erlasses eines Bundeswehraufgabengesetzes?
Nennt das Programm konkrete, vorhersagbare, ggf. justiziable Kriterien für Auslandseinsätze? Stellt es eine gesetzliche Regelung von Einsatzgründen in Aussicht, z.B. in Gestalt einer Anpassung des Grundgesetzes bzw. des Erlasses eines Bundeswehraufgabengesetzes?
Bewertung:
Das
Programm nennt keine Kriterien für Auslandseinsätze, spricht zu den
Bundeswehr aufgaben nur pauschal von „Einsätzen weltweit, bei der Bündnis- und
Landesverteidigung und bei
Unterstützungs- und Hilfsmaßnahmen in der Heimat“ (7).
Ich gehe
davon aus: CDU/CSU halten das bisherige bündnisfreundliche, auf die 1994er
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gestützte Verfahren einer jeweiligen
ad-hoc-Entscheidung des Bundestags über einen vorangehenden Beschluss für nach
wie vor richtig. Eine Initiative zur verfassungsrechtlichen oder gesetzlichen
Klarstellung steht dann nicht zu erwarten. Hier wäre allerdings zumindest eine differenzierende
Stellungnahme geboten. Denn die vom Bundestag in der laufenden Legislatur
eingesetzte Kommission zur Überprüfung
und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen
der Bundeswehr hatte in der expliziten Nr. 13 ihres Berichts zu einem kritischen
Reflexionsprozess zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen von Einsätzen der
Streitkräfte aufgefordert, gerade da es im Verlauf der Kommissionsarbeit gewichtige und ausweislich des beschlossenen Inhalts unter den Mitgliedern mehrheitlich geteilte verfassungsrechtliche Zweifel an der bisherigen Praxis gibt (Unterrichtung des
Bundestages v. 16.6.2015 in Drs.
18/5000, siehe dort S. 44f; siehe auch Weißbuch
2016, S. 109).
Ich
halte dies für sehr bedenklich. Die wesentlichste
Änderung in Aufgaben und Struktur der Bundeswehr seit ihrer Gründung, die
dann auch massiv und nicht umkehrbar in Grund- und Menschenrechte von Inländern und
Ausländern einwirken kann und real eingewirkt hat, diese stützt sich seit mehr als 20 Jahren lediglich auf eine Entscheidung einer Spruchkammer
unseres Verfassungsgerichts (siehe Wortlaut der Entscheidung v. 12.7.1994 unter http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv090286.html; siehe ferner informative Darstellung unter http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/188072/20-jahre-parlamentsvorbehalt-10-07-2014) unter offen kritisierter Überschreitung seiner eigentlichen Interpretationsmacht. An keiner Stelle geht die Entscheidung zudem auf potenzielle Grundrechtseingriffe durch militärische Gewalt und auf deren Voraussetzungen ein; sie entwertet damit für den besonders kritischen Fall des Einsatzes militärischer Gewalt die Sicherheitsgarantien des ersten und wichtigsten Grundgesetzabschnittes. Sie basierte auch nicht auf einen nach dem Grundsatz
des Gesetzesvorbehalts in vergleichbaren Fällen geforderten normativen Prozess
unter potenziell breiter diskursiver Beteiligung der Staatsbürger/innen, der
dem Maßstab von Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes und insbesondere dem dortigen Zitiergebot genügen würde.
3. NATO / VN; Risiken und Interessen
Welchen Stellenwert haben NATO und VN? Was sind die relevanten Risiken und Interessen aus deutscher Sicht?
Welchen Stellenwert haben NATO und VN? Was sind die relevanten Risiken und Interessen aus deutscher Sicht?
Bewertung:
Nächst der Bindung an an Werte der Menschenwürde, den Schutz und der
Förderung der Menschenrechte, von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Toleranz
(3) ist nach dem Programm der CDU/CSU die feste Einbindung in internationale
Organisationen eines der grundlegenden Merkmale der deutschen Außen- und
Sicherheitspolitik (4). Bemerkenswert ist allerdings: Das Programm nennt nicht
an erster Stelle die VN, sondern „allen voran NATO und EU“. Die
Vereinten Nationen und die OSZE sind mit einem „sowie“ erst danach angehängt (4).
Das spricht eher für eine eigennützige, gegenseitige und potenziell
selbst-mandatierende Vernetzung unter weltanschaulich nahestehenden Staaten und
Institutionen, weniger dagegen für das m.E. effizienter friedenssichernde
Prinzip globaler Vernetzung und kollektiver Interessenausgleiche. Letzteres
Prinzip kann zumindest ebensogut auf Art. 24
Abs. 2 GG gestützt werden und vermag es nach meiner Erfahrung, die real
existierenden Machtblöcke und institutionell verfestigten Eigeninteressen, die
verschiedenen Einflusszonen, Kulturbereiche und Entwicklungsstadien eher zu überwinden
und zu mittelfristig besser tragfähigen Lösungen beizutragen.
Bei den Interessen und Risiken Deutschlands werden eine
in Europa (geografisch) zentrale Position und seine globale ökonomische
Vernetzung herausgehoben: „Als
politisch starkes Land in der Mitte Europas und weltweit vernetzte Wirtschaftsnation hat Deutschland
nicht nur ein vitales Interesse an der eigenen Sicherheit, sondern auch an einer dauerhaft friedlichen,
stabilen und gerechten Ordnung
in der Welt.“ (1) Damit wird gleichzeitig der Struck’sche Satz einer
grundsätzlich ubiquitären Verteidigung der Freiheit Deutschlands bestätigt
(„Auch am Hindukusch…“). Leider wirkt dies zumindest mittelbar apologetisch
eine globale Interventionspolitik, wie sie bereits zu kolonialen Zeiten für
Deutschland sehr übel ausgeschlagen war – mit Nachwirkungen selbst bei unseren
Alliierten bis in die jüngste Zeit, siehe die scharfe sog. Hunnen-Rede Wilhelms des
Zweiten, mit der er das deutsche China-Expeditionskorps verabschiedet hatte.
Als
neuer Schwerpunkt bei den Fähigkeiten – der allerdings bereits im Weißbuch 2006
angesprochen worden war – ist in dem Abschnitt konkret zur Bundeswehr ein
„Beitrag für die Cybersicherheit
unseres Landes“ genannt. Das mag auch als ein moderner, ggf. für junge Menschen
werbekräftiger Aspekt gedacht sein, damit dual-use. Als sehr kritisch sehe ich allerdings
an: Dort wird explizit gefordert und angekündigt, „offensive Cyber-Fähigkeiten in ihrem Fähigkeitsspektrum zu
verankern“ (10). Ich betrachte das als Verstoß gegen Art. 26
Abs. 1 und Art. 87a
Abs. 2 GG bzw. gegen das Verbot der Vorbereitung und Durchführung
offensiver Kriegshandlungen. Es würde mich als Bürger ohnedies sehr
beunruhigen, wenn der Staat bzw. seine vernetzten zivilen und militärischen Dienste
gezielte Strategien zur Manipulation unserer Kommunikationswege erarbeiteten
würden.
Ein
weiterer strategischer Schwerpunkt soll offenbar mit der „Refokussierung auf Bündnis- und Landesverteidigung“ angesprochen
werden; er wird auch zur Begründung eines steigenden Bundeswehr-Etats herangeführt
(9). An anderer Stelle heißt es, eine in der NATO bereits 2014 beschlossene
Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 2% des BIP bis 2024 „dient unserer
eigenen Sicherheit vor Gefährdungen von außen“ (11). Nach dem besonderen Betonen
der atlantischen Partnerschaft als „enger, stärker und haltbarer als mit irgendeiner anderen Region der
Welt“ (5) lese ich das auch als potenzielles Wiederaufleben einer
konventionellen Rüstung gegen etwaige Bedrohungen aus dem Osten, damit auch als
einen forcierten West-Ost-Gegensatz und Start einer nicht rational
erscheinenden weiteren Rüstungsspirale, naturgemäß mit Nutzen auch für
heimische Ausrüster. Fast unnötig ist indessen zu erwähnen: Bei der
gegenwärtigen, bei vorsichtiger Umschreibung unkonventionellen und explorativen
amerikanischen Führung halte ich etwaige gemeinsame Waffengänge für ein
besonderes Risiko, auch nicht für eine Gewähr der Vereinbarkeit mit
internationalem Recht.
4. Wehrverfassung
Gibt es Strategien für die Rekrutierung junger Soldaten bzw. eine Position zur Frage Berufsarmee oder Wehrpflicht? Thematisiert das Programm radikale Umtriebe?
Gibt es Strategien für die Rekrutierung junger Soldaten bzw. eine Position zur Frage Berufsarmee oder Wehrpflicht? Thematisiert das Programm radikale Umtriebe?
Bewertung:
Die angesichts von Bundeswehrskandalen hier und da
geführte Diskussion
zur Wiedereinsetzung der Wehrpflicht findet im Programm keine Resonanz –
weder positiv noch negativ. Höchst mittelbar könnte man eine Reaktion auf aktuelle
Skandale in einem verstärkten Bekenntnis zur inneren Führung finden: „Für die Leistungsfähigkeit und die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr
ist neben Personal und
Material die Innere Führung unverzichtbar. Wir wollen sie stärken. Die Bundeswehr kann nach
60 Jahren stolz auf ihre eigene erfolgreiche Geschichte und Traditionen sein.“ (11)
Dazu zweierlei:
Wenn es um eigene Traditionen der Bundeswehr ginge, so wären die Wehrpflicht
und der „Staatsbürger in Uniform“ schwer daraus wegzudefinieren; die innere
Führung hatte beides mit den Zwängen einer hierarchischen militärischen Ordnung
verklammert. Zum anderen war die innere Führung gleichzeitig ein konkret auf das Grundgesetz bezogenes und daran
orientiertes Korsett und Korrektiv des einzelnen Soldaten gegenüber
autoritären und menschenrechtswidrigen Entgleisungen, die als ein zumindest
statistisches Risiko "Befehl und Gehorsam" immer mit sich tragen. Nach 1945 gab
es zwar wiederholt menschenrechtswidrige Entgleisungen gegenüber Untergebenen (z.B.
die sog. Schleifer-Fälle),
aber nur mit historischem Bezug die massiven Menschenrechtsverletzungen der Wehrmacht im
Rahmen der Feldzüge insbesondere im Osten, Süden und Westen. Seit nun die
Kampfaufgaben der Bundeswehr nicht mehr ausschließlich durch die Verfassung
definiert bzw. begrenzt sind (bisher = Landes- oder Bündnisverteidigung gegen einen
gegenwärtigen militärischen Angriff), sondern anhand nur noch wenig
trennscharfer Umschreibungen wie „Krise“, „Konflikt“ und „Vorsorge“ aus
Weißbüchern (zuletzt: Weißbuch
2016) und Verteidigungspolitischen Richtlinien (zuletzt: Richtlinien
2011) interpretiert und erschlossen werden müssen, seit erneut das aus den
Weltkriegen bekannte Dilemma schwerer Unterscheidbarkeit von Zivilisten, Aufständischen und
Widerstandskämpfern entsteht, seit der Einsatzraum der Bundeswehr praktisch
globalisiert ist, seitdem ist das innere Korsett weiter und weiter geworden und
taugt nicht länger als Korrektiv, als innerer Kompass. Das Problem ist und
bleibt: Sind die zulässigen Kriegsgründe wohldefiniert, dann kann sie jeder überprüfen;
werden sie dagegen beliebig und sind Bündnisinteressen ggf. entscheidender,
dann eignen sie sich auch bei kunstvollster Formulierung nicht als Lernstoff
für die innere Führung, auch nicht für persönliche Identifikation.
5. Organisation / Haushalt
Trifft das Programm Aussagen zur Organisation und Ausstattung der Bundeswehr? Wie ist dies ggf. begründet?
Trifft das Programm Aussagen zur Organisation und Ausstattung der Bundeswehr? Wie ist dies ggf. begründet?
Bewertung:
Das Programm der CDU/CSU hebt die bereits vollzogene
Trendwende von einer Schrumpfung der Bundeswehr hin zu neuem Wachstum hervor
und einen bereits aufgelösten Materialstau nebst der Vorbereitung von
Investitionen/Beschaffungen mit einem Volumen von 18 Milliarden € (8); dies
soll sich in der Zukunft mit einem Aufwachsen der Personalstärke um 18.000 bis
2024 fortsetzen, mit die bisherigen Planung nochmals übersteigenden
Investitionen für zusätzliches Material, Modernisierung und den Erwerb neuer
Fähigkeiten (9).
Als Begründung des Aufwuchses führt das Programm ohne
nähere Spezifizierung die o.g. „Refokussierung auf Bündnis- und
Landesverteidigung“ an (9), adressiert damit vermutlich einen künftigen Aufwand
für einen wieder angefachten Ost-West-Konflikt, aber insbesondere die mit
Bündnispartnern verabredete „Trendwende Finanzen“, die in den kommenden 7
Jahren zu einem graduellen Anwachsen der militärischen Kosten auf 2% des BIP
geführt werden soll und bei der man „Verlässlichkeit“ zeigen wolle (12).
Die „Refokussierung“ birgt aus meiner Sicht Risiken für
einen neu aufgelegten Rüstungswettlauf und eine erhebliche Belastung des
Haushalts – bei naturgemäß gleichzeitig wachsenden Expektanzen und Chancen für
die wehrtechnische Industrie. Die partnerschaftliche „Trendwende Finanzen“ geht
in eine ähnliche Richtung. Die inneliegende Bündniskameradschaft und die
institutionellen Interessen der Bündnisorganisation scheinen zudem falsch an
erste Stelle gesetzt und zu einer Verklammerung zu führen, die eine
eigenständige Entscheidung über Konfliktanalyse und Konfliktlösung beschwert.
Die Beschreibung eines Auflösens des „Materialstaus“ täuscht m.E. leichter Hand
über die massiv gescheiterte oder zumindest weit verzögerte Beschaffung
wesentlicher Systeme hinweg, etwa beim Lufttransport.
Anm.: Die Zusammenfassung
des Wahl- bzw. Regierungsprogramms der CDU/CSU in leichter Sprache enthält zur
Bundeswehr noch eine besondere Note, die ggf. noch auf eine frühere Fassung
des Langtextes zurückgeht, sich in dieser Pointierung aber dort nun nicht mehr
findet: Von den insgesamt drei dort formulierten programmatischen Forderungen ist die erste - wie auch in der Vollfassung - auf Verbesserung der technischen Ausstattung gerichtet, aber die folgenden zwei auf Attraktivität des Dienstes, auch mit
Blick auf die Bewerberlage: „Der Staat soll den Soldaten
helfen. Damit es den Soldaten gut geht.“ „Und junge Leute sollen gerne
Soldaten werden. Damit die Bundes-Wehr genug Soldaten hat.“ Möglicherweise
bliebt dies am Ende in der ausführlichen Version deshalb ausgespart, weil diese
– real existente und nicht überzeugend lösbare – Problematik der Konkurrenz um
die Gutqualifizierten auch die ebensowenig zu beantwortende Frage der Verträglichkeit robuster Bundeswehraufgaben
mit den Zielen der bürgerlichen Mitte aufrufen kann.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen