Dienstag, 11. Juli 2017

Bundestagswahl 2017 – DIE LINKE & Verteidigungspolitik




So lange bis zur Wahl ist es nun nicht mehr. Was aber sagen die inzwischen veröffentlichten Wahlprogramme zur vergangenen, gegenwärtigen und beabsichtigten Rolle der Bundeswehr? Gibt es schlüssige Analyse zu bisherigen Einsätzen? Alles gut? Gibt es lessons learnt? Oder eher frischen, unbekümmerten Mut für morgen? Gibt es etwa kritische Betrachtungen zu vielleicht auch selbstgesetzten Ursachen der massiven Flüchtlingswellen Mitte der Neunziger Jahre und der neueren Zeit? Immerhin spielen die innere Sicherheit und eine offenbar nicht stabiler gewordene Weltlage in diesem Wahlkampf eine wesentliche Rolle.

Meine Prüfsteine für die Wahlprogramme sehen darum wie folgt aus – und ich werde versuchen, sie auf die einzelnen Programme loszulassen, werde die jeweiligen Programm-Passagen mit jeweiligen Klammer-Angaben (Seite/Absatz) zitieren, und soweit angezeigt, im Wortlauf wiedergeben:
1.      Rechenschaft / Analyse
Gibt es eine nachvollziehbare Rechenschaft zu früheren bzw. laufenden Einsätzen, insbesondere in Somalia, auf dem Balkan, in Afghanistan oder Südsudan? Gibt es ansatzweise eine Betrachtung zum etwaigen Kontext zwischen nicht erfolgreichen Auslandseinsätzen, auch von Partnern, und zunehmender Destabilisierung, wachsendem Extremismus und Fluchtbewegungen, z.B. zu Afghanistan, zum Irak, zu Libyen oder zu den Balkanstaaten?
2.      Gesetzesvorbehalt vs. ad hoc
Nennt das Programm konkrete, vorhersagbare, ggf. justiziable Kriterien für Auslandseinsätze? Stellt es eine gesetzliche Regelung von Einsatzgründen in Aussicht, z.B. in Gestalt einer Anpassung des Grundgesetzes bzw. des Erlasses eines Bundeswehraufgabengesetzes?
3.      NATO / VN; Risiken und Interessen
Welchen Stellenwert haben NATO und VN? Was sind die relevanten Risiken und Interessen aus deutscher Sicht?
4.      Wehrverfassung
Gibt es Strategien für die Rekrutierung junger Soldaten bzw. eine Position zur Frage Berufsarmee oder Wehrpflicht? Thematisiert das Programm radikale Umtriebe?
5.      Organisation / Haushalt
Trifft das Programm Aussagen zur Organisation und Ausstattung der Bundeswehr? Wie ist dies ggf. begründet?
Ich werde mich auf die – auch in der derzeitigen öffentlichen Debatte – gewichtigeren Wahlbewerber konzentrieren und diese in der Reihenfolge der Ergebnisse bei der 2013er Wahl behandeln, also in dieser Folge: CDU/CSU (41,5%), SPD (25,7%), DIE LINKE (8,6%), BÜNDNIS’90/DIE GRÜNEN (8,4%), FDP (4,8%), AfD (4,7%).
Hier folgt nun der dritte Post, nämlich zur Programmatik der LINKEN.
Quelle zum Programm der Partei DIE LINKE, wie es am 9.-11.6.2017 beschlossen wurde:
https://www.die-linke.de/fileadmin/download/wahlen2017/wahlprogramm2017/wahlprogramm2017.pdf
1.      Rechenschaft / Analyse
Gibt es eine nachvollziehbare Rechenschaft zu früheren bzw. laufenden Einsätzen, insbesondere in Somalia, auf dem Balkan, in Afghanistan oder Südsudan? Gibt es ansatzweise eine Betrachtung zum etwaigen Kontext zwischen nicht erfolgreichen Auslandseinsätzen, auch von Partnern, und zunehmender Destabilisierung, wachsendem Extremismus und Fluchtbewegungen, z.B. bzgl. Afghanistan, Irak. Libyen oder zu den Balkanstaaten?
Bewertung:
DIE LINKE lehnt Auslandseinsätze grundsätzlich ab und will laufende Einsätze beenden, will ihnen auch künftig nicht zustimmen (99/1, 100/4, 106/7). Sie will den Umbau der Bundeswehr zu einer Einsatzarmee stoppen und jegliche offensive Waffensysteme abbauen (106/10) und will sich nicht an einer Regierung beteiligen, die (u.a.) Kampfeinsätze im Ausland zulässt (107/5); langfristiges Ziel ist über die schrittweise Abrüstung der Bundeswehr (107/1) ein Deutschland und ein Europa ohne Armeen (107/2).
Ein systematisches Assessment bisheriger oder laufender Auslandseinsätze findet sich nicht; das Programm weist nur pauschal auf Zusammenhänge zwischen Waffenexporten, Freihandel, Ressourcenkonkurrenzen, kriegerischen Auseinandersetzungen, Klimawandel, Terrorismus und Fluchtbewegungen (99/1). Ein (verschlechterter) Grad der Achtung von Menschenrechten wird beispielhaft für Länder des Mittleren Ostens und weite Teile Afrikas konstatiert (99/4); Syrien ist hier etwas näher adressiert: „In Syrien haben Groß- und Regionalmächte sowie das Assad-Regime und terroristische Organisationen eine der größten humanitären Katastrophen seit dem 2. Weltkrieg zu verantworten: Millionen Menschen sind auf der Flucht, Hunderttausende müssen hungern.“ (99/4). Russland ist in die Kritik einbezogen, durch seinen „Anti-Terror-Krieg“ nur mehr Gewalt, Opfer und Terrorexport nach Europa zu erzeugen (99/1). Eine abwägende Analyse ist offenbar nicht das Ziel, sondern entsprechend dem bisherigen Abstimmungsverhalten ein a-limine-Verdikt zu Auslandseinsätzen und prinzipiell auch militärischer Optionen insgesamt. Dies entspricht, nicht ganz ohne Ironie, dem Verfassungszustand Westdeutschlands bis zur Wiederbewaffnung Deutschlands i.J. 1955 im Zusammenhang mit der damaligen Korea-Krise.
2.      Gesetzesvorbehalt vs. ad hoc
Nennt das Programm konkrete, vorhersagbare, ggf. justiziable Kriterien für Auslandseinsätze? Stellt es eine gesetzliche Regelung von Einsatzgründen in Aussicht, z.B. in Gestalt einer Anpassung des Grundgesetzes bzw. des Erlasses eines Bundeswehraufgabengesetzes?
Bewertung:
Konsequent zum vollständigen Ablehnen von Auslandseinsätzen (s.o. 1) formuliert Programm keine abgestuften Kriterien für Auslandseinsätze. Es wird andererseits auch kein Anpassen der Verfassung vorgeschlagen, um die zumindest mittelfristig wohl mitgetragene Verteidigungsfunktion (107/1) als vorbehaltlos einzige Bundeswehraufgabe zu fixieren. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz ist soweit ersichtlich nicht angesprochen; dies hätte man angesichts vergangener Vorstöße der LINKEN zur parlamentarischen Kontrolle des Einsatzes von Spezialkräften durchaus vermuten können. Anm.: DIE LINKE positioniert sich ausdrücklich gegen Einsätze der Bundeswehr im Innern (101/7).
3.      NATO / VN; Risiken und Interessen
Welchen Stellenwert haben NATO und VN? Was sind die relevanten Risiken und Interessen aus deutscher Sicht?
Bewertung:
Die Position der LINKEN zu NATO, VN und OSZE sind klar und unverändert: Zentral stellt das Programm die VN als Organ für die friedliche Verständigung der Völker und Gesellschaften (105/7 und folgende); OSZE soll als wichtiges Format der gesamteuropäischen Kooperation gestärkt werden (106/4); die NATO soll mittelfristig aufgelöst und durch ein auf Abrüstung zielendes kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands ersetzt werden (106/4, kritisch zur NATO ferner 106/2, 106/7, 106/9, 99/1).
Konsequent zur Positionierung des LINKEN nennt sie keine spezifisch militärisch zu schützenden Interessen bzw. Risiken, denen sie nur oder bevorzugt durch militärische Einsätze bzw. Fähigkeiten begegnen will; im Gegenteil werden gerade militärische Engagements und Handlungsformen als Treiber lokaler wie globaler Risiken für die Zivilbevölkerung wahrgenommen (u.a. 99/1 und folgende). Ebenfalls konsistent dazu kündigt die LINKE breitgefächerte Initiativen zur Einschränkung militärischer Optionen auf vielen gesellschaftlichen Ebenen an: keine Ausbildung anderer Armeen (100/6) und keine Militärberatungsmissionen (100/10), keine hybriden Einsatzformen bzw. Arbeitsteilung militärischer und zivilgesellschaftlicher Akteure (101/2; Anm.: eine bemerkenswerte Frühform zivil-militärischer Zusammenarbeit mit allerdings nur vorgespiegelter ziviler Identität war die Operation Sommerregen zur Aufsuche sowjetischer Waffensysteme während der sowjetischen Besetzung Afghanistans vor 1989), Erschwerung bzw. Verbot von Rüstungsexporten, speziell bei Kleinwaffen (101/9 und folgende; zur Türkei siehe auch 106/3); mittelfristig Einstellung aller Rüstungsproduktion und Konversion der Rüstungsbranche (101/13), Zivilklauseln zur Sicherung nicht-militärischer Forschung (102/5), ein Zivilsteuergesetz, das den Steuerunterworfenen die Wahl lässt, keine militärischen Handlungsformen zu unterstützen (102/6), Atomwaffenfreiheit Deutschlands (102/8, 102/9), keine von deutschem Staatsgebiet gesteuerte Drohneneinsätze (102/13), keine Offensivstrategie der Bundeswehr in Datennetzen (102/15), Wiedereinführung des Straftatbestandes der Vorbereitung eines Angriffskrieges (106/5; siehe zum Hintergrund) und Verbot von militärischen Sicherheits- und Söldnerfirmen bzw. das Verbot an die Regierung, solche zu beauftragen (107/3). Ein wenig außerhalb des rein Militärischen liegt der Vorschlag, den 8. Mai zum gesetzlichen Feiertag zu erklären – als Tag der Befreiung vom Faschismus i.J. 1945 (107/4).
Zur Forschung betont das Programm der LINKEN (nur) Initiativen zur Rüstungskonversion bzw. zur Umstellung von militärischer auf zivile Produktion in breiter öffentlicher und privater Förderung (102/2). Wie auch bei den anderen Parteien bleibt die weitere Friedens- und Konfliktforschung nicht adressiert. Das ist aus meiner Sicht sehr erstaunlich; denn eine belastbare Analyse etwa der multi-faktoriellen Konflikt- bzw. Fluchtursachen scheint nach deren Stellenwert im Programm und für verlässliche und von allen Akteuren akzeptierte Lösungsstrategien sehr angezeigt zu sein (vgl. 103/3 und folgende, 99/1 und folgende).
4.      Wehrverfassung
Gibt es Strategien für die Rekrutierung junger Soldaten bzw. eine Position zur Frage Berufsarmee oder Wehrpflicht? Thematisiert das Programm radikale Umtriebe?
Bewertung:
Eine Rückkehr zur Wehrpflicht wird nach meiner Wahrnehmung nicht empfohlen; möglicherweise schließt für die LINKE ihr grundlegendes Ablehnen militärischer Handlungsformen eine gesamtgesellschaftliche Herangehensweise auch als Übergangsform aus, vielleicht auch für ihr Wählerklientel. Darin sehe ich einen zumindest leichten Widerspruch, denn zumindest übergangsweise und mittelbar weist man die potenziell kritischen und belastenden Aufgaben einer Bevölkerungsgruppe zu, die wegen gesellschaftlicher Benachteiligung, auch bei Beschäftigungs- und Bildungschancen tendenziell stärker für eine militärische Verwendung vorbestimmt ist. Darunter mögen sogar überproportional viele Bürgerinnen und Bürger aus den Neuen Bundesländern sein bzw. mit einem Arbeitslosigkeits-affinen Gradienten nach Osten und Norden.
Radikale Umtriebe und Gefährdungen sind nicht unmittelbar angesprochen. Allerdings spricht sich das Programm dezidiert dafür aus, die Rekrutierung Minderjähriger zu beenden (102/14) und jegliche Bundeswehr-Werbung aus Bildungseinrichtungen und Ausbildungsmessen fernzuhalten (103/3).
5.      Organisation / Haushalt
Trifft das Programm Aussagen zur Organisation und Ausstattung der Bundeswehr? Wie ist dies ggf. begründet?
Bewertung:
Das Programm lehnt jegliche Etaterhöhung ausdrücklich ab (100/3, 100/7) und zielt wie oben ausgeführt auf eine Abrüstung der Bundeswehr (107/1), damit notwendigerweise auf eine degressive Ausstattung, mit dem Ziel langfristiger Abschaffung der Bundeswehr und Konversion (107/2). Dabei sollen zunächst die offensivfähigen Waffensysteme abgebaut werden (106/10). Folgerichtig würde sich die Bundeswehr jedenfalls für eine Übergangszeit wieder einer Struktur nach dem Verteidigungs-Modell zwischen 1955 und 1990 annähern.

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