Dienstag, 26. Mai 2009

Marbach, Schiller in Berlin und Navid Kermani

Marbach / Oberriexingen 14./15.5.2009


Ende der vergangenen Woche hatte meine Frau in Sersheim / Baden-Württemberg zu tun. Ich habe sie begleitet und über Tag die Gegend befahren. Zwei Dinge, die zu berichten sind: Zum einen habe ich (mal wieder) Marbach besucht, dort das Geburtshaus Schillers. Schiller ist bei uns eine Art Familienmythos. Und wenn Sie genau hinsehen, sehen Sie unter dem Fenster ganz unten rechts mein Einrad.











Zum Marbacher LiMo bin ich auch noch geeinradelt. Das ist, in der Abkürzung wohl bewusst an das New Yorker MoMA erinnernd, das Literaturarmuseum der Moderne. Äußerlich von ergreifender Schlichtheit (fotografiert habe ich hier die Rückansicht mit akkurat gestapelten Containern), birgt es in seinen mehreren Kellergeschossen jede Menge Sammlerstücke zur Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Z.B. Manuskripte, aus denen später Weltliteratur werden sollte. Oder vielfältigste Zwischenprodukte von den ersten Gedanken zum fertigen Gedicht oder Buch, die auch das Handwerkliche am Schreiberberuf zeigen.



Der Fürsorge der Kuratoren ist geschuldet: Alles liegt im kühlen Halbdunkel - was allerdings die ohnehin schwarze Kunst (des Buchdrucks) für die schreibende Jugend schwer zugänglich machen dürfte. Die vielen grauen Bücher legen sich unweigerlich schwer auf’s Herz, und man würde schnell wieder an Licht und Luft wollen, wäre da nicht der teure Eintritt und der endlos geduldige PDA, der einem jedes einzelne Ausstellungsstück devot und in allen Dimensionen einflüstern will. Und das sind sehr, sehr viele. Zwei Dinge sind mir neben dem Manuskript von Kafkas Prozess besonders im Gedächtnis geblieben: Einerseits ein abgegriffenes Exemplar der gefälligen Zerstreuungs-Literatur für Soldaten des 2. Weltkriegs, mit denen seinerzeit Bertelsmann sein Glück gemacht hatte. Andererseits gleich am Anfang - und nach meinem Gefühl hübsch selbstironisierend - Hans Magnus Enzensbergers Landsberger Poesieautomat: Eine Reim-Maschine, die aus vorfertigten Textelementen nach Zufallsprinzip unermüdlich immer neue Gedichte würfelt. Würden sie in gepflegter Umgebung abgedruckt - vielleicht im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen neben einem Gedicht von Durs Grünbein - man wüsste nicht recht, was man wichtiger finden sollte.

Aber zurück zu unserem Wahlthema: Im der LiMo-Vorhalle fand ich ein Buch über Schiller in Berlin. Es reizte mich sehr (ich gebe zu: zuerst wegen einer schön faksimilierten Stadtkarte vom Beginn des 19. Jahrhunderts). Näheres Blättern ergab: Schiller hatte - nur ein Jahr vor seinem plötzlichen Tode - in der preussischen Hauptstadt vorgefühlt, ob eine Übersiedlung Sinn gemacht hätte, und dies hätte ohne Zweifel eine ganz neue Schaffensphase eingeläutet. Schillers Denken hat immerhin die Berliner so sehr beeindruckt, dass es später zu einer erbitterten Auseinandersetzung um ein zentrales Denkmal kam - und das ist ein gutes Beispiel für "Parteipolitik" im schlechten Sinne; ich fasse hier nach der Darstellung von Michael Bienert zusammen ("Schiller in Berlin", 2, Auflage Marbach 2005, S. 73ff):

Schillers hundertster Geburtstag am 10.11.1859 (also notieren: im November 2009 sind es 250 Jahre) ist ein nationales Volksfest. In ganz Deutschland beteiligen sich Hunderttausende. Das Berliner Schiller-Komitee will die Festlichkeiten durch einen Festumzug krönen. Die Obrigkeit aber sorgt sich, dies könne zu einer unkontrollierbare Massendemonstration für Bürgerrechte und Einheit ausarten. Man befürchtet gar eine Demonstration des Liberalismus. Den Konservativen missfällt auch der volkstümliche Charakter des geplanten Festprogramms. Um die Schillerbegeisterung zu kanalisieren, setzt sich die preussische Regierung an die Spitze der Bewegung und Prinzregent Wilhelm - der spätere Wilhelm I. - stiftet u.a. 10.000 Taler für ein Schillerdenkmal. Und anstelle des dann untersagten Bürgerfestes gibt’s eine Grundsteinlegung unter höchsten Honoratioren, auf dem Gendarmenmarkt. In der Folge entbrennt ein erbitterter Streit darum, wie das Denkmal auszusehen habe und ob Schiller dieser zentrale Platz denn wirklich gebühre. Die Goethe-Partei formiert sich 1860 zu einem Komitee für ein rivalisierendes Goethe-Denkmal. Um den Streit zu schlichten, empfiehlt der Magistrat 1861 eine Dreier-Lösung, mit Schiller in der Mitte, flankiert von Goethe und Lessing, ein typischer administrativer Kompromiss. Unter mehreren Entwürfen wird schließlich eine neoklassizstische Variante (von Reinhold Begas) gewählt, in Marmor ausgeführt und auch pünktlich 10 Jahre nach der Grundsteinlegung fertig; doch in den damaligen unruhiger Kriegszeiten muss Schiller noch zwei weitere Jahre in einem Bretterverschlag am Gendarmenmarkt warten, in der so genannten "Schillerbude". Bei der Einweihung i.J. 1871 ist das siegreiche Berlin dann schon Hauptstadt des Deutschen Kaiserreichs und die Rolle Schillers hat sich längst vom Vorkämpfer der bürgerlichen Emanzipation zum Schutzpatron des autoritären Nationalstaates gewandelt. Er braucht nun nicht mehr "geerdet" zu werden; Goethe und Lessing sind erst weitere zehn und zwanzig Jahre später in Stein gehauen und finden ihren Platz weit entfernt am stillen Rande des Tiergartens. Soweit zunächst die Information aus dem erwähnten, sehr lesenswerten Büchlein.

Schillers Instrumentalisierung für die deutsche Staatsräson zeigt sich danach immer wieder: Wer durch Marbach geht, findet am oberen Stadttor ein Kriegerdenkmal mit einem grob aus dem Zusammenhang gerissenen und zur Legitimierung des ersten Weltkrieges missbrauchten Schiller-Zitat aus der Jungfrau von Orleans:

"Was ist unschuldig, heilig,
menschlich gut,
Wenn es der Kampf nicht ist
ums Vaterland?"


Und die Nationalsozialisten hatten um den frühen Tod Schillers eine konspirative Legende gesponnen: Der Freimauer Goethe hätte von Ehr- und Eifersucht zerfressen den glühend national interpretierten Schiller mit Gift aus dem Wege geräumt. Übrigens hat man jüngst in einer überlieferten Haartolle Schillers tatsächlich toxische Konzentrationen gefunden. Nur stammte das Gift nicht von Goethen, sondern aus der zu Beginn des neunzehnten Jahrhundert äußerst trendigen, im Wortsinne giftgrünen Tapete von Schillers Schlafzimmer. Anm.: Vor diesem Hintergrund sollten die Grünen ihre Namensgebung kritisch überprüfen; aber: das haben sie ja schon ein wenig getan.


Noch kurz zu Oberriexingen an der Enz und zum aktuellen Gerangel um die Verleihung des Hessischen Kulturpreises an Navid Kermani.
Sie erinnern sich: Die beiden designierten christlichen Preisträger, der Katholik Kardinal Lehman der Protestant Peter Steinacker, hatten die Entgegennahme des Preises gemeinsam mit Navid Kermani abgelehnt - wegen dessen Reflexionen über Funktion und Wirkung des Kreuzes in der Neuen Zürcher Zeitung im März 2009; Gegenstand von Kermanis Artikel war die Kreuzigung von Guidi Reni. Anm.: Der Schriftsteller und habilitierte Orientalist Kermani ist ehemaliger Feuilletonist der F.A.Z. und hat sich um die offene und einfühlsame Begegnung der Menschen der drei Buchreligionen Kulturen sehr verdient gemacht; er hat nach meinem Empfinden auch hier eine nachvollziehbare, jedenfalls zum gewinnbringenden Nachdenken anregende Deutung geleistet.
Auch ich halte das Kruzifix oder Marterl (sic!) für ein unnötig trennendes und letztlich erschreckendes Zeichen. In der sehr alten evangelischen Kirche Oberriexingens sah ich eine Altardarstellung, die meinen - offenbar doch auch unter Christen weiter verbreiteten - Gefühlen sehr einfühlsam Rechnung trägt: Christus ist nicht unter unmenschlichen Qualen am Kreuz fixiert, sondern er steht sehr vital davor und segnet die Menschen.

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