Donnerstag, 13. August 2009

Die Parteien bleiben immer in der ersten Reihe

Nachtrag 18:30 h zur Reaktion des WDR, genauer gesagt telefonische Stellungnahme des WDR nach mehrfacher Nachfrage ohne dessen Zurückrufen, und das macht mich jetzt nicht wirklich ruhiger:

Zur Erinnerung, siehe auch den Post dazu von heute morgen:

Bei der gestrigen Reportage im Rahmen von WDR Lokalzeit waren die Partei-Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters in Burscheid ausführlich vorgestellt worden und mit eigenen statements zu Wort gekommen. Vom vierten, unabhängigen Kandidaten, also von mir, kam nur ein kurzes Photo und die Bemerkung, der wolle sich um verstärkte Einbindung der Bürger bemühen. Kommunalpolitische Streitpunkte: Fehlanzeige, alles im Einklang, auch zu Radweg, Rastanlagen etc., nur etwas Gerangel um die Nachfolge. Bewertung: Das hielt und halte ich für keine ausgewogene und sachbezogene Berichterstattung nach dem Standard eines öffentlich-rechtlichen Mediums, sondern schon für parteinehmend.

Also, für den WDR ist alles voll normal gelaufen: Für den Sender bedeute das Aufnehmen von Reportagen vor Ort einen doch erheblichen Aufwand und der Sendeplatz sei eng begrenzt (Tränen der Rührung!; Werbung einspielen ist natürlich netter und lukrativer [siehe dazu unten Richtigstellung v. 20.8.2009]). Darum müsse man sich auf Relevantes beschränken und müsse Kandidaten mit nach dortiger Einschätzung eher geringen Chancen nach hinten stellen. Das stehe im Einklang mit der Verfassungsrechtsprechung zur Gleichbehandlung in Wahlzeiten. In anderen Kommunen gebe es teilweise acht Kandidaten; da könne man auch nur die Hälfte herüberbringen.

Auch mein Einwand, für einen von vieren, der eine verantwortungsvolle Alternative zu dem Friede-Freude-Eierkuchen-Blick der Reportage anbiete, sie das doch etwas harsch und man könne die Zeit doch kollegial teilen, half nichts: Ja, das mit der wichtigen Alternative, das meinte halt ich, sagt der WDR. Und kommt zunächst etwas schmeichelnd auf meinen / diesen Wahlblog zu sprechen: Erstaunlich innovativ und informativ sei er, dieser Blog. Viel besser als das, was der WDR z.B. bei der CDU vorgefunden habe. Aber dann kommt auch gleich der surrende Schwertstreich: Man sehe doch an den wenigen Abo's und den fehlenden Diskussionsbeiträgen meines Blogs, dass er für Burscheid gar keine Rolle spiele. Auch meine sofortige Reprise, wenn doch der Blog objektiv gut sei und nur zu wenig traffic habe, dann könne der WDR doch so ein Medium mal positiv hervorheben (alter pädagogischer Grundsatz: "Gutes Schülerverhalten durch Lob verstärken und multiplizieren!"). Aber da ist der WDR doch zu hartgesotten, hatte wohl auch schon zu viele Gespräche mit frustrierten Kandidaten geführt. Ne, das geht jetzt aber nicht!

Eines aber will man beim WDR dann noch tun und dann muss die liebe Seele Ruhe haben: Man will nach Urlaubsrückkehr aller Beteiligten noch mal nachforschen, warum bloß mir ein Besuch des Kameramannes mehrfach angekündigt worden ist. Der dann doch nicht kam, sondern mit Herrn Caplan Formel-1 gefahren ist ("Pole-Position für Caplan"), Herrn Jakob im grünen Tann durch's Geäst gefilmt hat und Herrn Baggeler wie von ungefähr beim Spaziergang begegnete. Der auch die ungetrübt heitere und heile Welt der Partei-Kandidaten arglos eingefangen und vermittelt hat.

Ich hab's nicht nachgemessen - aber wie mir schien, sahen und hörten wir die drei Partei-Kandidaten mit jeweils abgestuften Sende- oder Sprechsekunden, was wie schon die Reihenfolge wohl den für den WDR wahrscheinlichsten Ausgang des Rennens ausdrücken sollte. Ist schon seltsam, wie ein modernes öffentliches Medium den Wahlausgang wie in virtuellen primaries zu simulieren versucht und damit etwas im Grunde sehr Vordemokratisches tut: Das Bewahren des Bewährten. Vom Sendungsbewusstsein zum Königsmacher. Sachdebatte unnötig. Anti-change oder "No, we can't."

Etwas sadistisch wäre - und ich hoffe, der WDR sieht einfühlsam davon ab - wenn er mich wie bisher angekündigt am Wahlabend fragen würde, wie denn mein wertes Befinden sei. Sollte ich verloren haben. Sonst könnte ich mich einer gewissen Freude sicher nicht erwehren. Schau'n wir mal.

Ergänzung und Richtigstellung nach Eingang einer schriftlichen Stellungnahme des WDR v. 14.8.2009:

Zunächst: Der WDR weist darauf hin, dass im WDR-Fernsehen keine Werbung ausgestrahlt wird. Pardon, das hatte ich wohl nicht die rechte Übersicht. Ich hatte das WDR-Fernsehen (beim Radio mag es nochmal anders sein) gedanklich in einen Topf gesteckt mit der "Mutter" ARD, wo nach meiner Erinnerung in der Tat heftig gegen Geld geworben wird.

Zu meiner Bitte um faire Berücksichtigung:
Nein, das geht nicht. Es werde über alle Bewerber berichtet, aber in unterschiedlichem Umfang: die aussichtsreichsten im Bewegtbild und einem knappen Statement zur persönlichen Motivation, die weniger aussichtsreichen jeweils mit Foto und Begleittext. Das Verfahren sei festgegt für ganz NRW und werde unabhängig von der Gemeindegröße überall gleich angewandt. Die Kommunalwahlkampf nähme einen vergleichbar großen Raum im WDR-Programm ein, aber auch dieser Platz sei begrenzt. Mir sei zwar einmal die Beteiligung im Rahmen der Berichterstattung angekündigt worden, aber durch eine freie Mitarbeiterin, die von diesen Restriktionen - die auch erst später generell festgelegt worden seien - nichts gewusst habe.

Dann hofft der WDR noch auf Verständnis zu treffen. Tut er aber nicht. Ich habe in meiner eingehend begründeten Antwort meine Bitte aufrechterhalten und angekündigt, die Verfahrensweise von den zuständigen Kontrollinstanzen prüfen zu lassen - zumal ja in Folge der WDR-internen primaries nicht nur in Burscheid potenziell Wahl-relevante Informationen ausgeblendet wurden, sondern landesweit. Nur zum Beispiel: Die coverage des WDR sagt nichts zu der hochkritische Haushaltssituation, die in der nun anstehenden Wahlperiode zu vollständigem Abbau des Burscheider Eigenkapitals und Streichung freiwilliger kommunaler Leistungen führen wird, damit auch alle kostenverursachenden Wahlankündigungen (u.a. Alleenradweg, Gymnasium, Kunstrasen) als frivol zeigt. Und die - wenn keine Trendwende gelingt - das Ende eines selbstständigen Burscheids bedeutet.

Weitere Ergänzung nach Eingang einer Reaktion des WDR auf meine Bitte um Berücksichtigung

Hier das Antwortschreiben des WDR im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Dr. Voss,

vielen Dank für Ihre kritische Zuschrift zur "Lokalzeit Bergisches Land" zum Thema Bürgermeisterwahl in Burscheid. Dass Sie Ihre Belange als Einzelkandidat gewahrt wissen möchten, ist selbstredend, dennoch ist Ihr Vorwurf der einseitigen und tendenziösen Berichterstattung für uns nicht gerechtfertigt.

Der WDR ist der Ausgewogenheit im Programm verpflichtet. In diesem Sinne greift der Beitrag die Kommunalwahl in Burscheid unter dem Aspekt der Vorstellung der vier konkurrierenden Kandidaten für das Bürgermeisteramt auf. Ihre Mitbewerber erscheinen dabei in Bewegtbildern und mit O-Tönen, in denen sie zu ihren politischen Zielen und anstehenden Aufgaben kurz Stellung beziehen. Sie haben wir mit einem Foto präsentiert und die Zuschauer durch einen Begleittext über Ihre programmatische Forderung informiert.

Diese Darstellungsform ist nicht zu beanstanden. Es wird ein vollständiges Abbild über alle sich zur Wahl stellenden Bürgermeisterkandidaten gegeben. Beim Darstellungsumfang konnte dabei abgestuft werden nach der politischen Bedeutung und Gewichtung der einzelnen Kandidaten. Die Erfolgsaussichten der Wahl sind ein zulässiges Differenzierungskriterium für die unterschiedliche Darstellungsform. Nach der bisherigen politischen Bedeutung Ihrer Mitbewerber und auch mit Blick darauf, dass diese für eine Partei bzw. für eine Wählergruppe antreten, ist es aus journalistischen Gesichtspunkten gerechtfertigt, über diese Kandidaten umfassender zu berichten, deren Erfolgsaussichten höher einzuschätzen sind, als bei einem Einzelkandidaten. Unserer Erfahrung nach haben Einzelbewerber geringere Erfolgschancen, wenn sie nicht Unterstützung durch Wählergemeinschaften oder politische Parteien erhalten oder wenn sie nicht eine besondere Bekanntheit im Ort haben, z.B. weil sie Amtsinhaber sind, eine Schlüsselposition inne haben oder Positionen in gesellschaftlich relevanten Gruppen, Vereinen oder Verbänden bekleiden.

Auch die "Westdeutsche Zeitung" (Ausgabe Burscheid vom 16.7.09) schätzt Ihre Aussichten auf das Amt des Bürgermeisters eher als gering ein. Durch die Form Ihrer Vorstellung als Bürgermeisterkandidat haben wir daher Ihrem Anspruch auf Darstellung gegenüber dem interessierten Wahlbürger genüge getan.

Ausgewogenheit und Fairness in der Berichterstattung sind ein wesentliches Qualitätsmerkmal des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dieser Qualität sind wir in der täglichen Arbeit verpflichtet und sind daher davon überzeugt, auch in der Berichterstattung zur Kommunalwahl in Burscheid diesem Grundsatz gerecht geworden zu sein.

Mit freundlichen Grüßen

Christian Honerkamp

(stellv. Studioleiter)

Anmerkung:
Der Begleittext zu meiner "Vorstellung" im schnell bewegten Standbild, der über meine "programmatische Forderung" informierte, lautete

"Karl Ulrich Voss möchte die Bürger künftig stärker in die Politik integrieren."

Könnte ich es doch! Aber der WDR geht lieber auf Nummer sicher und beruft sich kurzerhand auf eine Wahlprognose der WZ. Berthold Kohler hat mal vor einigen Jahren in der F.A.Z. im Kontext "Auslandsauftrag der Bundeswehr" geschrieben, dass "es in Deutschland wohl schon deswegen keine Revolutionen geben könne, weil niemand sie bemerken will." Das klingt mir hier in den Ohren. Etwas positiver sieht es allerdings der SPIEGEL in neuerer Zeit: http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/0,1518,608483,00.html.

Dann noch etwas zur journalistischen Sorgfaltspflicht: Hier hatte der für den "Wahlcheck Burscheid" verantwortliche WDR-Autor massiv gehudelt. Dazu findet sich in der obigen Stn. garnichts: Kein Wort über die wirklich kritische Haushaltslage, über städtischen Verfall, über meine differenzierten Positionen zu Radweg, Rastanlage, Sportstätten. Alles Friede, Freude, Eierkuchen. Die kommunale Demokratie schläft weiter einen süßen Schneewittchen-Traum und der WDR ist nicht der forsche Ritter, der die Holde wachküssen kann und will. Er muss rastlos weitereilen zum nächsten Sarkophag. Sarkophag meinte in der ursprünglichen Bedeutung (σαρκοφάγος oder "Fleisch verzehrend") eine spezielle Schieferart, die die darin bestatteten Leichen in 40 Tagen vergehen ließ, bis auf die Zähne.

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