Freitag, 21. August 2009

Elefantenrunde in der Namib

Der große Tag von Jugend und Demokratie in Burscheid und alle sind gekommen. Am 20.8.2009 ist die Elefantenrunde im Jugendzentrum Megaphon, einer ehemaligen Burscheider Dorfschule angesagt. Sie war breit vorbereitet durch einer geniale Serie von Reportagen im Anzeigenblatt (Anzeigenblatt!!!) Wochenpost. Dort waren die vier Bürgermeister-Kandidaten jeweils einzeln in Portraits / Zielen vorgestellt worden, jeweils nochmals gefolgt von Abenden am “heißen Draht” mit Anrufen der Bürger/innen und nochmaliger Rückkopplung in folgenden Wochenpost-Ausgaben. Nach meinen eigenartigen Erfahrungen mit dem WDR (siehe zwei frühere Posts) sehe ich das Wohnzimmer der Demokratie heute nicht mehr ganz klar in den öffentlich-rechtlichen Medien. Sondern bei intelligenten Initiativen, die die Antwortbereitschaft (neudeutsch: Responsivität) des politischen Systems fördern, unabhängig von der Finanzierungs- und Organisationsform. Z.B. auch ganz unerwartet in einem Anzeigenblatt. Die Kooperation mit dem Jugendzentrum trägt heute Früchte: So viele wie diesmal haben sich noch nie zu einem “Talk vor Mitternacht” zusammengerottet - und es gibt eine lange Tradition attraktiver und auch gut besuchter Podiumsdiskussionen mit richtigen Polit-Elefanten aus dem Bundes-Dschungel.

Ist auch recht heiß und schwül unter’m Dach der alten Schule. Die Bürger/innen und vier Kandidaten (keine -innen) feuert das aber nur weiter an. Timm Gatter führt kurz ein, dann kommen unsere statements, es folgen Diskussionen zu den inzwischen erfreulicherweise kontroverser gewordenen Themen der noch vor ein paar Monaten fast sozialistisch eintönigen Kommunal-Debatte, es kommen Fragen und Stellungnahmen der Bürger/innen - und Applaus, mal breiter, mal aus den Fan-Blocks. Die Stimmung ist knapp vor hitzig, aber gut.

Zu einzelnen Themen:

Übergreifend: Finanzen / Haushalt
Hinsichtlich der Lage teilen alle meine - leider un-sonnige - Einschätzung: Geht’s so weiter, ist in drei Jahren das kommunale Eigenkapital verbraucht, es drohen verschärfte Eingriffe der Aufsicht, u.a. bei den freiwilligen Leistungen für das Jugendzentrum, für das Bad und für die Stadtbücherei. Zumindest ein Kandidat (BfB) stimmte zu, dass die Entwicklung des Burscheider Haushalte auf Sicht sogar die Selbstständigkeit der Stadt gefährdet. Zur Therapie: Ich meine: Verzicht auf das nicht zwingend Notwendige (Radweg) bzw. derzeit ohnehin rechtlich nicht Umsetzbare (gymnasiale Oberstufe), Prüfen und Nutzen aller Chancen (Raststätten). Und: Im Bundestagswahlkampf die Schlechterstellung der Kommunen durch die unzuverlässige Gewerbesteuer klar auf’s Tapet bringen (Die Gemeinden haben die Bürger, nicht der Bund!).

RastanlagenIch stimme für eine nüchterne Abwägung von Lasten und Nutzen (wachsendes Gegrummel) und mache auf etwas aufmerksam, was zunächst Erstaunen hervorruft - weil es sonst kaum jemand sagt: Die Rastanlagen sind heute zwingend mit einem vollständigen Lärmschutzprogramm gekoppelt. Will sagen: Aller Voraussicht nach gibt’s danach nicht mehr Autobahnlärm in Burscheid, sondern weniger, und insbesondere bei den unmittelbaren Autobahn-Anrainern. Daneben sollte man Chancen beim Steueraufkommen prüfen (auf Rastanlagen gibt es 24 Stunden Wertschöpfung pro Tag), bei Arbeitsplätzen und sogar bei der Vergabe der Gastronomie an örtliche Mitbieter bzw. Konsortien. Dann kann man sich auch hervorragend eine Themenraststätte mit Stadt-Marketing-Anteil (“Montana”) denken. Die anderen Kandidaten lehnen das wegen schon eingehend geprüfter Vorteile und überwiegender Nachteile unisono ab, etwas offener dabei Herr Caplan, für den noch nicht alle Fakten auf dem Tisch liegen. Warnend wird auch auf die Gefahr wachsender Kriminalität hingewiesen und der Moderator sagt etwas scherzhaft, auch das Rotlicht-Gewerbe habe sich schon interessiert umgeschaut. Angst vor'm bösen Wolf?

[Nachtrag 22.8.2009: Ein Bürger sagte mir gestern, er habe eine 15 Jahre alte Stadtkarte gefunden; auf dieser sei genau an dem nun - wieder - in Rede stehenden Ort eine Rastanlage in Planung eingetragen. Wie wahnsinnig schnell doch Zeit und Erinnerung vergehen! Ich werde ein Bild davon hier ablegen.

Und hier ist sie nun mit dem betreffenden Ausschnitt:

Bemerkenswert: Auf dieser Karte ("Burscheid", 3. Auflage des Kommunal-Verlages Hans Tacken in Essen, erschienen im August 1993) ist in der Tat schon eine Rastanlage in Planung zwischen den Burscheider Ortsteilen Geilenbach und Oberlandscheid verzeichnet. In der aktuellen 6. Auflage keine Spur davon. Eine Art "Zurück in die Zukunft"!]

RadwegWeitgehend einhellige Auffassung der anderen Kadidaten, dass der Radweg realisiert werden soll, auch wegen der zu erwartenden Belebung des Tourismus. Ich äußere meine Zweifel zum Nutzwert für die Bürger/innen und damit zum Sinn der Ausgaben bei sehr beschränkt verfügbaren Ressourcen: Beleuchtung kann und will die Stadt aus Kostengründen nicht investieren, ebenso wenig ist eine Räumung/Pflege möglich. Darum ist der Weg ab Dämmerung und nach Schneefall niemandem zu empfehlen, müsste möglicherweise bei auch nur teilweiser Unbefahrbarkeit aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht insgesamt gesperrt werden. Die anderen sehen darin keinen Hinderungsgrund, heben auch den Bindeeffekt des Radwegs zwischen Burscheid und Hilgen hervor (“Achse des Guten” könnte man sagen) und die unwiederbringliche Gelegenheit, kostengünstig an die Parzellen der Bahntrasse zu kommen, wo gfs. nach Ende der Bindefrist auch eine Straße gebaut werden könnte. Ich kenne das Gefühl von Modelleisenbahnmärkten, wo einen beim Anblick einer schönen Lokomotive das unstillbare Verlangen überkommt, das schnöde Geld in der Brieftassche gegen gerade dieses Seligkeitsding umzutauschen. Der Unterschied zu der gängigen kommunalpolitischen Haptik: Man hat das Geld und es ist das eigene.

Ich spreche mich daher gegen die Radwegplanung aus und erinnere daran, dass Burscheid andere dringende Verkehrsprobleme hat: Z.B. fehlende Kreisverkehre wie der, der nun für die B 232 Höhe Industriestraße vorgeschlagen ist - wo neulich die zulässige Geschwindigkeit durch Entfernen einer Tempobegrenzung von 50 auf 70 km/h erhöht worden war (!). Diese Kreisverkehre sind allerdings aus anderen Töpfen zu finanzieren, das ist richtig.

Gymnasium
Hier besteht weitgehende Einigkeit: Die Rahmenbedingungen lassen es derzeit nicht zu und selbst die Umlage, die Burscheid für die aushäusige Beschulung zahlt, kann nichts Eigenes finanzieren. Ich schlage aber ein gemeinsames Ziel vor: Unabhängig vom konkreten Schulort allen Burscheider Kindern einen möglichst guten Abschluss zu sichern, und zwar durch Engagement von vielen Bürger/inne/n im Rahmen von Patenprojekten, die die Stadt moderieren könnte.

Hilgen
Hier kreist die Debatte um zwei Punkte: Soll die Brücke vor dem Hilgener Ortskern wie bisher geplant abgesenkt werden oder soll sie - so wohl die Mehrheit der anderen Kandidaten - auf dem bisherigen Niveau bleiben, um das Radwegprojekt kreuzungsfrei verwirklichen zu können. Die von der SPD detaillierte Planung sieht dazu allerdings noch die Erweiterung der Brücke vor, um gleichzeitig das Problem der Bushaltestelle zu lösen. Ich gebe zu, von den Einzelheiten wenig zu verstehen, rate aber davon ab, die Planung auf den Radweg zu optimieren. Auch denke ich, die Absenkung der B 51 / Brücke würde den besseren Anschluss des neu zu gestaltenden Bahnhofsgeländes erlauben, das derzeit sehr trostlose Ecken hat (alter Biergarten). Der zweite Punkt: Aus dem Publikum wird dringend gefordert, eine nochmalige Belastung der Hilgener Ladengeschäfte durch eine neue große Straßenbaumaßnahme zu verhindern - und die SPD hebt dies aus zusätzlichen Punkt für den Erhalt der Brücke hervor.

Die Vergangenheit des unabhängigen Kandidaten
Danach fragt eine Bürgerin: Was ich denn in den vergangenen 20 Jahren für Burscheid getan hätte? Das, erläutere ich, was viele Bürger an eigenen Initiativen ohne besondere öffentliche Aufmerksamkeit unternehmen und was sich mit meinem leider sehr entfernten Arbeitsplatz in Bonn vereinbaren ließ: Wir haben und für ein erweitertes Kindergartenangebot eingesetzt, das - in Form der späteren Elterninitiativkindergärten - später sogar realisiert wurde, in unserem Fall aber zu spät kam. Wir haben wie schon andere Eltern eine Tempo-30-Zone für Kuckenberg gefordert; diese ist dann auch eingerichtet worden, nicht aber die physischen Tempobeschränkungen gegen Raser, die wir auch angeregt hatten. Anm.: Darüber hinaus habe ich 1993 eine lokale Podiumsdiskussion zur Außen- und Sicherheitspolitik organisiert - daran wollte ich 2008 anknüpfen, nur leider ohne Reaktion der Ratsparteien. Auch das hat mich zur diesjährigen Kandidatur beflügelt. Übrigens: In die Kommunalwahl 2009 habe ich mehr geistige und körperliche Arbeit und sicher auch mehr Geld investiert als die allermeisten Partei-gebundenen Burscheider. Und das obwohl - wie der Moderator unerwartet erwähnt - der Posten mir im Gegensatz zur Konkurrenz keinen materiellen Zugewinn verspricht.

Schluss und Kurzbewertung
Nach zwei Stunden und viel in Schweiß umgesetztem Mineralwasser beschließt der Moderator die Debatte und empfiehlt für verbleibende Fragen (z.B. Denkmalschutz, Abriss typischer Bergischer Bausubstanz!) die vielversprechenden elektronischen Angebote an, lobt dabei auch diesen Blog. Mein Blog dankt!

Alles in allem: Ein sehr anregender Abend und ein Format, was offenbar auch viele junge Leute gut einbeziehen kann. Am Ende noch zweifache Verstärkung: Zum einen bedanken sich zwei Bürgerinnen sehr herzlich für die klaren Ansagen zu Themen, die bei den übrigen Bewerbern entweder verwaschen oder völlig monochrom herübergekommen waren. Und kurz vor dem Abfahren erkundigen sich ein paar junge Leute noch voller Verblüffung, wie man denn überhaupt als Unabhängiger kandidieren könne (“So ganz ohne Partei? Ehrlich?”). Sie gehören einer Partei-Jugendorganisation an, hatten vorher von meiner Bewerbung noch überhaupt nichts gehört (wo bitte bleibt der politische Bildungsauftrag nach Grundgesetz?), waren erbost über den Vandalismus an meinen Micro-Plakaten (darüber poste ich noch mal) und fanden meine Darstellung echt scharf, deutlich schärfer als das eigene Angebot. Das tut mal gut.

Dies auch mit freundlichen Grüßen an Herrn P. aus W.

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