Montag, 24. August 2009

Sur-5-al auf der alten Bahnstrecke














































Auch nach dem guten Motto "Fordern statt verwöhnen": Die Grünen hatten für Sonntag 10:00h ab Burscheid Hauptbahnhof zu einer Wanderung auf der alten Bahntrasse geladen, bis nach Wermelskirchen, mit einem Zwischenstopp in Hilgen und nochmaliger Verpflegung am Ende des Marsches. Ich hatte mich kurzfristig zur Teilnahme entschlossen. Denn die Grünen hatten ein gewisses Problem gehabt, mir ebenso, wie es die anderen Parteien getan hatten, noch vor der Bürgermeisterwahl einen Gesprächstermin einzuräumen. Und wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, dann geht halt der Prophet auch mal zum Berge. Ich war auch der einzige Bürgermeisterkandidat am Start. Selbst profilierte Befürworter des Alleenradweges wie Herr Caplan und Herr Jakob konnten leider nicht mitwandern, zu schade! Und nebenbei habe ich den Organisatoren noch helfen können, das Ganze im Bilde zu dokumentieren.
Ganz zu Anfang steht allerdings mein Mitwandern noch leicht in Zweifel: Ein Beteiligter meint etwas maulig, als bisheriger Gegner des Radweges habe ich bei dieser Wanderung doch wohl nichts zu suchen. Ich erläutere, dass ich zunächst einmal die Natur liebe und sehr gerne wandere, dass ich mich gerne über die Gegebenheiten selbst informieren möchte und auch über die Realisierungschancen diskutieren will. Das wird von allen als demokratisch fair angesehen und ich darf mit.

Herr Wolfert führt den Trupp aus 20 bis 30 Teilnehmern aller Altersklassen zuzüglich Hundebegleitung und gibt interessante historische und planerische Informationen, beginnend bei dem "neuen" und alten Burscheider Hauptbahnhof, zur Geschichte der Fa. Goetze und zum Verlauf der Trasse. Später wird er von zwei Remscheidern unterstützt, die beide das Projekt auch für Remscheid voranbringen wollen, einerseits als Angehöriger eines Vereins zur Wiederindienststellung alter Bahntrassen, andererseits als Verbesserung der touristischen Erschließung Remscheid-Lenneps durch eine Radweg-Verbindung zur Rheinschiene. Sie hatten jenseits von Burscheid-Hilgen schon den Weg bereitet und teils Breschen durch dichtes Brombeergestrüpp gehauen ("bei 38 Grad!", Respekt!). Einer von beiden erklärt seine Vision: Dass eines Tages seine Enkel sowohl wieder per Bahn als auch per Rad durchs schöne Bergische reisen können. Und dass das schön sein könnte, das kann man auf der landschaftlich wunderbaren Trasse immer wieder sehen. Zunächst aber geht’s im Gänsemarsch die erste Strecke über Brombeerranken ("Beine heben, von oben nach unten treten!") und die kleineren Kinder entscheiden sich intelligenterweise für’s Huckepack-Marschieren. Die Formation erinnert nun ein wenig an Varus im Teutoburger Wald, aber die Flanken bleiben ruhig.

Die Steigungen sind zivil - das ist ja gerade der Vorteil von Bahntrassen auch für Radwege. Es ist natürlich in hügeligem Gelände gleichzeitig ein funktionaler Nachteil: Die Haltepunkte = Bahnhöfe liegen immer ebenerdig, dazwischen muss sich die Bahnlinie vom Geländeprofil lösen, geht teils deutlich darunter, teils deutlich darüber entlang, auf manchmal sehr hoch aufgeschütteten Dämmen. Anschluss an das normale Wegenetz ist die große Ausnahme, meist wird auch Abstand zu Siedlungen gewahrt. Denn das wollte schon damals niemand, Lärm und Dampf und Rußsprenkel auf der Wäsche. Bei Ausbau zu einem Radweg werden zwangsläufig erhebliche bauliche Installationen fällig, z.B. Brüstungen und Geländer (die eine standfeste Bahn nicht brauchte). Teils müssen auch Brückenbauwerke der Bahntrasse wieder erstellt werden. Teilweise müssen entweder neue Brücken über die Bahntrasse gebaut werden, wo der derzeit zur Vereinfachung und Kostenersparnis Dämme aufgeschüttet worden sind - z.B. am Burscheider Hallenbad und wohl künftig in Hilgen an der baufälligen Brücke nach Ösinghausen. Oder es müssten dort kleine Tunnel angelegt werden, was jedenfalls im letzteren Falle kostengünstiger sein soll. Klar ist allerdings schnell, dass der Radweg nicht beleuchtet werden könnte und im Winter auch nicht geräumt würde. Damit wäre der Nutzwert deutlich eingeschränkt und es könnte zur Verbindung der Ortsteile Burscheid und Hilgen deutlich funktionaler sein, Radwege in Verbindung mit bestehenden und beleuchteten / belebten Straßen auszubauen.

Gesamteindruck:
Die Wanderung war eine sehr gelungene gemeinschaftliche Aktion und hatte auch zusammenschweißenden Abenteuer-Charakter. Sie war gut vorbereitet und auch logistisch hervorragend organisiert. Sie bot gute Gelegenheit, sich - und die heimatliche Landschaft - kennen zu lernen. Am verblüffendsten war, dass man völlig überrascht beim Betreten "zivilisierter" Straßen und Wege einen "reset" durchführte und feststellte, wo man denn eigentlich angekommen war. So haben wir ähnlich wie Kolumbus Westinder entdeckt - sie stellten sich dann als Hilgener heraus. Und man findet, wie viel normalerweise Verborgenes und Schönes in unserer Landschaft steckt.

Das hat aus Sicht der Nachhaltigkeit allerdings auch einen Wermutstropfen: Wir trampeln - und ähnlich täten es künftige Fußgänger und Fahrradfahrer tagaus / tagein - durch ansonsten weitgehend unbetretene Natur. Jedenfalls die Bahntrasse selbst hat viel von der Unberührtheit der ehemaligen deutsch-deutschen Demarkationslinie. Und einmal geht's durch ein Naturschutzgebiet. Die heutige Ruhe wäre künftig dahin. Zum Nutzen des Menschen.

Wir haben sogar etwas gesungen - was viel zu wenige wagen. Paradiesisch geradezu mutetekurz vor Wermelskirchen eine Hochwiese an, mit einem Wasserturm darauf. Es sieht dort gespuckt aus wie im Schwarzwald oder im Allgäu, incl. sehr ansehnlichen Kühen. Das allerdings würden die Radler nicht sehen, sie führen hier ca. 15 tiefer entlang, unter einer sehr steilen und abschattenden Böschung.

Zur Realisierbarkeit des Radweges bleibe ich auch und gerade nach der Wanderung skeptisch: Die Funktionalität erscheint mir nach der Trassenführung eher gering. Remscheids Vorstellung einer Tourismus-fördernden Anbindung an die Rheinschiene ist ohnehin sehr ambitioniert (die Distanz ist so groß, dass in der Rheinebene nur wenige freudig abbiegen werden, und wenn, müssen es nicht die erhofften besonders zahlungskräftigen Kunden sein) und wegen der Weigerung Leverkusens wohl gar nicht zu verwirklichen. Alternative Planungen (z.B. über Bergisch Gladbach) machen m.E. noch weniger Sinn. Finanziell hat Remscheid eher noch größere Probleme als Burscheid (Pro-Kopf-Verschuldung über 3.000 €; Eigenkapitalverbrauch wohl bereits 2011).

Und die Umgestaltung zum Radweg hat dem Anschein nach eher mehr Tücken und Kosten als weniger. Unklarheit besteht auch nach wie vor, ob die Trasse schon von der Bahn entwidmet worden ist, was Voraussetzung einer neuen Nutzung wäre. Um es zusammen zu fassen: Der Radweg hat zweifellos Charme, aber zumindest derzeit ist eine Umsetzung nicht realistisch. Es besteht m.E. aber auch kein Anlass zur Panik wie beim Sommerschlussverkauf nach dem Motto: "Wir müssen genau jetzt zuschlagen, sonst wird die schöne Trasse unwiederbringlich zerstückelt!"

P.S.

Habe heute Frau Hentschel eine CD mit meinen Fotos gebracht. Sie hat mit mir geschimpft, weil ich am Sonntag an zwei Mitwandernde ein Positionspapier zur Bürgermeisterwahl gegeben hatte. Okay, ich sehe ein, das ist vielleicht etwas forsch, da ja die Grünen eingeladen hatten, nicht ich. Ich hatte mir meinerseits ehrlich gesagt da keine großen Gedanken drum gemacht, da ich ja nicht mit einem grünen Kandidaten konkurriere und politische Debatte ja prinzipiell nicht so falsch ist. Aber ich seh' auch den Punkt der Grünen und werde es nicht wieder tun, falls ich je Gelegenheit dazu habe. Also: Ich bitte um Entschuldigung und Nachsicht und hoffe, wenigstens meine Fotos sind etwas hilfreich und stimmen wieder versöhnlich.

Andererseits verdient noch etwas Erwähnung: Meine Übereinstimmungen mit den Grünen in Bund und Land sind nicht gering: Ich bin und war nie für Kernkraft - ganz im Gegenteil, ich halte diese Technologie für nicht verantwortbar. Ich halte dafür sehr viel von nachhaltigen Technologien und Ressourceneffizienz (habe auch das aktuelle Forschungsprogramm des BMBF für Nachhaltigkeit koordiniert). Und nicht zuletzt: Ich bin sehr basisdemokratisch positioniert, trete auch deswegen als unabhängiger Kandidat an, und zwar für die Bürgermeisterfunktion und für den Stadtrat. Alles das fehlt bei anderen Kandidaten. Eigentlich müsste es dann eine gewisse Gedanken- und Interessengemeinschaft zwischen den Grünen und mir geben. Aber vielleicht ist es wie bei den Religionen: Was sich am nächsten ist, hat das größte Bedürfnis der Abgrenzung.

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